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Einzeltitel

Ein symbolischer Akt

von Prof. Dr. habil. Jan Barcz

Deutsche Enstchädigungsleistungen für die Opfer nationalsozialistischer Verbrechen in Polen

Die KonradAdenauer-Stiftung hat die Herausgabe der deutschen Übersetzung des Buches "Ein symbolischer Akt. Deutsche Enschädigungseistungen für die Opfer Nationalsozialistischer Verbrechen in Polen. Die "pragmatische Formel" im Spiegel der Vereinbarungen der Jahre 1991 und 2000" gefördert. Das vom Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław herausgegebene Publikation erläutert, wie die Auszahlung der Kriegsentschädigungen für die Opfer des 2. Weltkrieges in Polen geregelt wurde.

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Vorwort der wissenschaftlichen Herausgeber

Die vorliegende Publikation schließt die Reihe einschlägiger Sammelbände in Erinnerung an die wichtigen deutsch-polnischen Verträge von 1990–1991, die für die Geschichte Polens und Europas von enormer Bedeutung sind. Denn am 14. November 2020 jährte sich die Unterzeichnung des Vertrages über die Bestätigung der deutsch-polnischen Grenze zum 30. Mal. Am 12. September 1990 kam es in Moskau zur Unterzeichnung des Zwei-plus- Vier-Vertrages „über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“. Darüber hinaus jährte sich am 17. Juni 2021 der 30. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen. Auch die am 16. Oktober 1991 geschlossene deutsch-polnische Vereinbarung gehört zweifellos zu dieser Reihe von internationalen Abkommen, da sie den Weg für weitere Entschädigungsleistungen für die in Polen lebenden Opfer nationalsozialistischer Verbrechen eröffnete. Daher bildet die Vereinbarung vom 16. Oktober 1991 zusammen mit den im Jahre 2000 erzielten multilateralen Entschädigungsvereinbarungen mit Deutschland und Österreich ein kohärentes Gesamtpaket. Die vorliegende Publikation ist der vierte Band dieser Reihe – nach dem „Historischen Akt“, dem „Akt der Normalisierung“ und dem „Akt der guten Nachbarschaft“. 

(…) nach dem Zweiten Weltkrieg wurde kein Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen. Das Potsdamer Abkommen regelte lediglich zwischenstaatliche Reparationsansprüche, die durch die Konfiszierung deutschen Vermögens und der laufenden deutschen Industrieproduktion befriedigt werden sollten – und nicht in Form finanzieller Leistungen! Dabei gehörte Polen zur sog. „Ostmasse“, d.h. das Land sollte seine Reparationsansprüche im Rahmen der der Sowjetunion zugeteilten (überwiegend aus der SBZ stammenden) Reparationsmasse abgleichen. Dem Beispiel der UdSSR folgend, verzichtete die Volksrepublik Polen daher 1953 offiziell auf weitere Reparationsansprüche dieser Art. Entgegen anderslautenden Stimmen bleibt diese von allen nachfolgenden polnischen Regierungen (auch von der PiS-Regierung im Jahre 2017!) bestätigte Verzichtsentscheidung völkerrechtlich verbindlich und ist als solche nicht anfechtbar.  Der polnische Staat hingegen hat seit 1945 konsequent die Auffassung vertreten, dass den in Polen lebenden Opfern von NS-Verbrechen (individuelle) Entschädigungsleistungen zustehen. Dabei handelte es sich um eine nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals auftauchende Kategorie finanzieller Ansprüche in Reaktion auf das bis dahin ungeahnte Ausmaß der vom NS-Regime im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen (Kriegsverbrechen, Völkermord, Deportationen, Zwangsarbeit und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit). Aber auch hier traten rasch grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen der Bundesrepublik und Polen zutage. Denn aus deutscher Sicht umfasste der Begriff der Reparationen nicht nur zwischenstaatliche Entschädigungsforderungen, sondern auch individuelle Entschädigungsansprüche (diese Haltung ist übrigens bis heute unverändert geblieben!). Bis zur Epochenwende von 1989/90 hat die Bundesrepublik in Hinblick auf die Anerkennung individueller Entschädigungsansprüche stets nach Ausflüchten gesucht. So beriefen sich alle Bonner Regierungen von 1949 bis 1972 auf die „Diplomatische Klausel“, d.h. auf das Fehlen diplomatischer Beziehungen zur Volksrepublik Polen und in der Folgezeit auf die nach bundesdeutschem Recht bereits eingetretene Verjährung sämtlicher Entschädigungsansprüche bzw. auf den Standpunkt, dass individuelle Ansprüche integraler Bestandteil der seit 1953 völkerrechtlich nicht mehr einklagbaren Kriegsreparationen seien. Daher willigte die Bundesrepublik lange Jahre erst unter dem starken politischen Druck der internationalen Staatengemeinschaft in bestimmte Entschädigungszahlungen an NS-Opfer ein. 

Vor 1989 gewährte die BRD nur in „Härtefällen“ humanitäre Ausgleichsleistungen für vom NS-Regime geschädigte polnische Bürger – z.B. für Opfer verbrecherischer medizinischer Versuche und für durch Arbeitsunfälle geschädigte ehemalige Zwangsarbeiter auf der Grundlage multilateraler Abkommen (seit 1975 gemäß der ILO-Konvention Nr. 29) sowie für Kriegsinvaliden, in Polen lebende ehemalige Wehrmachtssoldaten und polnische Staatsbürger (vgl. „Technische“ Vereinbarung von 1967). Darüber hinaus vereinbarte man 1975 im Rahmen der „Helsinki-Abkommen“ (Schmidt-Gierek) eine einmalige Pauschalzahlung an Polen in Höhe von 1,3 Mrd. DM als Ausgleich im Bereich der Sozialversicherung.

Bestimmte Entschädigungszahlungen erhielten ferner Polen, die sich nach 1949 im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik aufhielten bzw. Staaten angehörten, mit denen Bonn in den Jahren 1959–1964 entsprechende „Globalabkommen“ geschlossen hatte.  Wie bereits eingangs erwähnt, war die erfolgreiche Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen auf dem Rechtsweg auch in den Umbruchsjahren von 1989/90 ein höchst unrealistisches Unterfangen. Zugleich wäre aber auch die vertragliche Einbettung glaubwürdiger, gutnachbarschaftlicher Beziehungen Polens mit dem sich vereinenden Deutschland undenkbar gewesen, wenn man sich dabei nicht auch mit dem Entschädigungsproblem befasst hätte. Wie der damalige polnische Außenminister Krzysztof Skubiszewski in seiner Antwort vom 16. Oktober 1989 auf eine Parlamentarische Anfrage resümierend feststellte, handelte es sich bei diesem Problem „vor allem um eine Frage der Gerechtigkeit, der individuellen und sozialen Gerechtigkeit, ganz einfach um eine Frage der Ehrlichkeit“. 

Auf polnischer Seite stand man daher vor folgendem Dilemma: Sollte man gegenüber der Bundesrepublik weiterhin auf die Durchsetzung von Reparations- und Entschädigungsansprüchen pochen oder eher nach einer politischen Formel der Verständigung suchen, die zu einer möglichst raschen Gewährung konkreter Ausgleichsleistungen für NS-Opfer führen würde. Was die erste Handlungsoption anbetraf, so war in Betracht zu ziehen, dass Polen bereits 1953 auf weitere Reparationsansprüche gegen Deutschland grundsätzlich verzichtet hatte. Außerdem fehlte ein effektives rechtliches Prozedere, das eine Geltendmachung individueller Entschädigungsforderungen ermöglicht hätte. Wenn die polnische Seite also damals auf dieser Option beharrt hätte, wäre sogar die Gewährung minimaler Ausgleichsleistungen für in Polen lebende NS-Opfer äußerst schwierig oder gar unmöglich geworden. Vor diesem Hintergrund zeichnete sich zunehmend eine politische Lösung ab („pragmatische Formel“ bzw. Ex-gratia-Zahlungen), bei der weiterhin bestehende juristische Meinungsverschiedenheiten bewusst außer Acht gelassen wurden. Für diesen Weg sprach die Tatsache, dass die in früheren Jahren von Bonn gewährten Ausgleichsleistungen, z.B. für die Opfer verbrecherischer medizinischer Versuche, bereits im Rahmen dieser Formel ausgezahlt worden waren. Konkrete politische Übereinkünfte lagen auch den in den Jahren 1959–1964 geschlossenen „Globalabkommen“ der Bundesrepublik mit 12 westeuropäischen Staaten zugrunde, gemäß derer die Bundesregierung diesen Ländern bestimmte Pauschalzahlungen zukommen ließ, die dann unter den geschädigten Personen aufgeteilt wurden. (…)    

Auf der Zwei-plus-Vier-Konferenz griffen die vier Siegermächte die Frage zwischenstaatlicher Reparationsansprüche (im Sinne des Potsdamer Abkommens) zwar nicht mehr eigens auf. Dennoch wurde das vereinte Deutschland auf dieser Konferenz zur Fortsetzung der bisher von der Bundesrepublik geleisteten Entschädigungszahlungen an die Opfer von NS-Verbrechen verpflichtet, wobei fortan auch die bis zu diesem Zeitpunkt nicht berücksichtigten Opfer osteuropäischer Staaten miteinbezogen werden mussten (siehe entsprechende Erklärungen bei der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages, Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und den drei Westmächten vom 27./28. September 1990 über das Außerkrafttreten des „Deutschlandvertrages“ von 1954, Vereinbarung vom 18. September 1990 zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages vom 31. August 1990). Seit 1991 entstand in diesem Kontext ein Netzwerk von Vereinbarungen der Bundesrepublik mit jüdischen Organisationen, den USA und zahlreichen Ländern Mittel- und Osteuropas. Alle diese Übereinkünfte wurden letztlich unter Bezugnahme auf die „pragmatische Formel“ erzielt. (…) 

Reparationsleistungen und Entschädigungszahlungen infolge militärischer Konflikte kommen insbesondere nach „totalen“ Vernichtungskriegen in ihrer nominellen Höhe niemals den vom Aggressorstaat de facto angerichteten Zerstörungen gleich. Sie bilden lediglich einen gewissen Bruchteil der erlittenen Schäden, der auch unter Berücksichtigung der notwendigen Wiederherstellung friedlicher Beziehungen festgelegt wird. Das polnische Expertengremium, das in den Jahren 1946–1947 die einschlägigen Dokumente für die Friedensverhandlungen mit Deutschland vorbereitete, war sich dieser Tatsache wohl bewusst. Dabei tauchte gleichwohl die Forderung auf, dass der Polen zufallende Anteil der Reparationen im rechten Verhältnis zu den Reparationen und Entschädigungszahlungen stand, die andere vom Dritten Reich geschädigte Staaten erhalten sollten. Es ging also darum, das enorme Ausmaß der Polen als erstem Opfer des Zweiten Weltkrieges zugefügten Zerstörungen angemessen zu berücksichtigen9. Die vorab genannten Problemfelder werden im Rahmen dieser Publikation eingehend untersucht. In Kapitel 1 (Prof. Jan Barcz) werden die Hintergründe der Einigung auf die „pragmatische Formel“ als Grundlage der Verhandlungen zwischen Polen und Deutschland in den Jahren 1989–1991 und Mitte der 1990er Jahre umfassend analysiert. In Kapitel 2 (Prof. Jerzy Kranz) und Kapitel 3 (Prof. Krzysztof Ruchniewicz) werden hingegen die rechtlichen Probleme der Reparations- und Entschädigungsansprüche sowie deren Geltendmachung durch Polen in der Nachkriegsepoche näher beleuchtet. Weitere Kapitel thematisieren die deutsch-polnische Vereinbarung von 1991 (Kapitel 5 von Prof. Jan Barcz) und deren Implementierung (Kapitel 6 von Prof. Jerzy Sułek) sowie die multilateralen Vereinbarungen des Jahres 2000 (Kapitel 7 von Prof. Jerzy Kranz). Von erheblicher Bedeutung sind ferner die in Kapitel 4 (Prof. Jan Barcz) angestellten Überlegungen zu der in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik aufflammenden Debatte über noch ausstehende Entschädigungsleistungen. Dabei ging es um die Korrektur von Fehlern in der Gesetzgebung der Bundesrepublik in Hinblick auf die Entschädigung von NS-Unrecht sowie um humanitäre Ausgleichszahlungen für „vergessene“ NS-Opfer. Diese Debatte war insofern wegweisend, als dadurch in der Bundesrepublik der intellektuelle Nährboden für die spätere Vereinbarung von Entschädigungsleistungen – insbesondere auch für polnische NS-Opfer – gemäß der „pragmatischen Formel“ bereitet wurde.

 

Jan Barcz und Krzysztof Ruchniewicz Warszawa–Wrocław, Januar 2023

 

 

Die übrigen Publikationen aus dieser Reihe

(frei zugänglich on-line in polnischer Sprache):


Akt dobrosąsiedzki. 30 lat Traktatu polsko-niemieckiego o dobrym sąsiedztwie i przyjaznej współpracy 

(red. naukowa J. Barcz i K. Ruchniewicz), Warszawa 2021

 

Akt symboliczny. Świadczenia z Niemiec dla ofiar zbrodni nazistowskich w Polsce. Formuła „pragmatyczna” w świetle porozumień z lat 1991 i 2000

(red. naukowa: J. Barcz i K. Ruchniewicz), Warszawa 2023

 

Wybór dokumentów. Akt Symboliczny.  Świadczenia z Niemiec dla ofiar zbrodni nazistowskich w Polsce.  Formuła „pragmatyczna” w świetle porozumień z lat 1991 i 2000 

Wstęp, wybór i opracowanie J. Barcz i K. Ruchniewicz, Wrocław 2022

 

Sprawy polskie podczas Konferencji „2 + 4”. Potwierdzenie granicy polsko-niemieckiej i odszkodowania od Niemiec (Studium z historii dyplomacji i prawa międzynarodowego) 

Jan Barcz, Warszawa 2021

 

Reparacje od Niemiec po drugiej wojnie światowej w świetle prawa międzynarodowego. Aspekty prawa i praktyki

Jan Barcz i Jerzy Kranz, Warszawa 2019

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Herausgeber

Jan Barcz und Krzysztof Ruchniewicz

verlag

Dom Wydawniczy Elipsa, Wydawnictwo csne

ISBN

978-83-8017-508-2

erscheinungsort

Warschau, Breslau

seitenzahl

288