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Der Papst eines anderen Dialogs

von Felix Körner
Wer kann einem hochaktiven, impulsivfreudigen und bis in sein letztes Leiden hinein öffentlichen Papst wie Johannes Paul II. folgen? Laut Pater Felix Körner, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Kultur und Religions-Studien an der Päpstlichen Universität Gregoriana, galt es, eine eine Kontrastfigur zu finden. Nicht dass jetzt alles anders sein sollte; es sollte nur kein Abklatsch werden, so Körner. Begangene Wege sollten nicht umgelegt werden, sondern die Frage war: Wie lässt sich das in den letzten Jahrzehnten Eröffnete nutzen? Die Wahl fiel auf einen Mann des Wortes und Geistes.

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Die jüngste Kirchengeschichte kann man am besten vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) aus verstehen. Was damals geschah, lässt sich mit dem Stichwort Weltbezug fassen: Die katholischen Kirche trat hier als Weltkirche auf. Sie zeigte sich als weltweite Gemeinschaft; als Welt-Kirche aber auch, weil sie sich nun auch in ihrem Leben und Denken für die „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ der Gegenwart interessierte, für die Welt, in die hinein sie gesandt ist (Gaudium et Spes Nr. 1). Und die katholische Kirche wurde damit auch Kirche der Welt, weil es ihr mit den Texten und mit dem Geist des Konzils gelungen war, ernstzunehmender Gesprächpartner in den Entscheidungsprozessen der Staaten und des Menschen der Moderne zu sein.

Jahre der Wahrnehmung

Auch die Begegnung der Kirche wandelte sich jetzt. Es gelang der Kirche, mit dem Denken der Zeit, mit den Lebensformen der Gegenwart, mit Desinteresse, Unverständnis und Ablehnung der Botschaft des Evangeliums und seiner Zeugen anders umzugehen. Die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts waren, kirchengeschichtlich gesehen, Jahre der Wahrnehmung. Was die Anderen empfinden und denken, das wurde plötzlich als theologisch bedeutsam, als Herausforderung zum Neuansatz gesehen. Man erkannte katholischerseits Herausforderungen wie Armut, Orientierungslosigkeit und weltanschaulich-religiöse Vielfalt als Orte, von denen aus der eigene Glaube tiefer verstanden werden kann; und weil sich ein kirchliches Denken und Leben entwickelt hatte, das nachdenkliche Antworten anbot, nahmen auch unkirchliche Stimmen das Katholische wahr und ernst. Papst Paul VI., der das Konzil abschloss und umzusetzen begann, war ein Mensch der Wahrnehmung. Der Aufbruchsgeist schien aber nach gut einem Jahrzehnt verpufft, viele wandten sich enttäuscht ab; dafür waren zwei unterschiedliche Begründungen zu hören. Entweder man sagte, die Katholizität des Konzils sei nachher verraten worden; oder man sagte, das Konzil sei Verrat an der Katholizität gewesen.

Johannes Paul II.: Zeit der Grenzüberwindungen

1978 wurde Karol Woytila gewählt. Von einem polnischen Papst erwarteten deutschsprachige Kommentatoren gerade in der Kirche kaum neue Impulse. Dass der Papst zu einem Idol wurde, der weltweit Jungendliche bewegte, überraschte bereits viele Konzilsenttäuschte. Und dass dieser Johannes Paul II. eine unübersehbare Rolle im Verlauf der Weltgeschichte spielte, gibt man heute allgemein zu, übertraf damals aber alle Erwartungen. Jugendliche ließen sich neu begeistern, und kommunistische Regimes stürzten; das wäre ohne Woytila wohl kaum so schnell und so unblutig über die Bühne der Weltgeschichte gegangen. Als er das erste Mal nach Amtsantritt seine Heimat besuchte, wusste jeder in Polen, ob Gegner oder Anhänger, was er meinte, wenn er vom Geist sprach, der alles neu mache.

Der Aktionsstil dieses Papstes war modern; Omnipräsenz in Bild und Text und Flugzeug: als sportlicher Pilger, als Vorbild, der seinem Attentäter vergibt, als selbst um Vergebung bittendes Oberhaupt, als treuer Patient, als der, dessen Beerdigung weltweit am Fernsehen verfolgt wurde. Der Wind blätterte in den Seiten der Heiligen Schrift auf seinem groben Holzsarg, und selbst mehrheitlich muslimische Länder hatten Halbmast geflaggt. Die kirchengeschichtliche Bedeutung dieses Papstes, des ersten, der je eine Moschee und Synagoge betreten hatte, lässt sich mit Wohlwollen benennen. Dabei stieß die Extrovertiertheit dieses Mannes auch auf Kritik. Wieso war derselbe Papst, der überallhin Brücken schlug, zugleich ein Förderer jener kirchlichen Kräfte, die für eine unkatholische, weil pluralitätsfeindliche Loyalität stehen, jene Art abgeschotteter Beharrung, die die Geschichte gerade nicht als Anregungspotenzial erkennen will, sondern Glauben fundamentalistisch festzuzurren versucht? Dies lässt sich am besten so erklären: Die Kirche unter totalitärer Herrschaft muss innerkirchliche Vielheit als destabilisierend empfinden; sie ist dann in Gefahr, selbst so zu werden wie das System, gegen das sie antritt.

Geprägt in Zeiten der Unterdrückung, wurde Johannes Paul II. zu einem Papst der Grenzüberwindungen, der beeindruckenden und glaubwürdigen Gesten; es war nach den Jahren der Wahrnehmung nun höchst angemessen und einleuchtend, ein Pontifikat des Wohlwollens zu haben. Nach der denkerischen Vorbereitung war einer nötig, der zu den Menschen geht, den Boden küsst, umarmt und Sympathie pflanzt. Mir persönlich zeigten Muslime in der Türkei ihre Trauer, als der polnische Papst gestorben war. Er war der Pfarrer der Welt gewesen.

Kontrastfigur finden

Wer kann einem hochaktiven, impulsivfreudigen und bis in sein letztes Leiden hinein öffentlichen Papst folgen? Es galt, eine Kontrastfigur zu finden. Nicht dass jetzt alles anders sein sollte; es sollte nur kein Abklatsch werden. Begangene Wege sollten nicht umgelegt werden, sondern die Frage war: Wie lässt sich das in den letzten Jahrzehnten Eröffnete nutzen? Aus Wahrnehmung war Wohlwollen geworden; und jetzt? Die Wahl fiel auf einen Mann des Wortes und Geistes. Passt das? Es passt genau. Denn wenn die Türen einmal geöffnet sind und die Gäste sich willkommen fühlen, dann können nachdenkliche Begegnungen stattfinden. Ein Papst des Wohlwollens musste experimentieren, und das tat Johannes Paul II. mit Medien und Jugendtreffen, bei Begnungen der Religionen und als „Eiliger Vater“, der 127 Länder besuchte. Der bayerische Papst versteht seinen Dienst nun anders, weil er ein anderer Mensch ist. Er ist ein Mann der Konzentration, der Kontemplation und des Kontrastes.

Benedikt XVI.: Papst des Weiterfragens

Man hätte nicht erwartet, dass gerade einem introvertierten Zeitgenossen wie Benedikt das Fernsehen derart zugute kommen könnte. Es erlaubt der Welt, dem predigenden, aber vor allem dem betenden Papst ins Gesicht zu schauen. Eine getriebene, verzettelte Öffentlichkeit sieht einen Mann der Sammlung. Bei einem solchen Anblick kann man den Wert des Verzichts schätzen lernen; Menschen spüren: Man kann ohnehin nicht alles machen.

Er nimmt das erwartete Bad in der Menge, aber er nimmt sich auch die Zeit zum Rückzug. Ein Papst schreibt Bücher? Jawohl, der am meditativen Denken der Kirchenväter geschulte Theologe verfasst Texte, die die ganze Welt an seiner Besinnung teilhaben lassen; und es ist bedenkenswert, welche Themen er wählt. Das Jesus-Buch ist Zeugnis einer betenden Freundschaft zu Jesus Christus. In seiner ersten Enzyklika (Deus caritas est, 2005) gelingt ihm gar eine neue Versprachlichung des christlichen Kerngehaltes, die nicht wenige Ratzinger-Kritiker fasziniert. Sogar muslimische Intellektuelle fragten nach der Lektüre: Und wer spricht für den Islam weltweit auf diesem Niveau? Zu Weihnachten 2010 erschien Licht der Welt. Der Journalist, der im Gespräch mit Ratzinger seinen Glauben wiedergefunden hatte, Peter Seewald, gibt Vorlagen, auf die der Papst überraschend antwortet. Er zeigt sich nicht nur zeitkritisch, sondern auch kirchenkritisch, er ist aber vor allem Sämann des Gotteswortes auf einem Boden, den er seit Jahrzehnten durchackert und durchdacht hat. Er lässt Menschen an seinem Empfinden teilnehmen und an seiner Erkenntnis.

In Themen- und Wortwahl sowie im Gehalt gelingt hier Konzentration auf das Wesentliche.

Benedikts Grundentscheidung ist dabei immer, dass es nicht die Angepasstheit ist, mit der die Kirche wirksam wird. Das sehen Katholiken und ihre Kommentatoren mitunter anders. Die Denkleistungen und Lebensformen der Moderne müssten kreativ aufgegriffen werden, fordert man. Papst Benedikt hat den Mut, ein Gegenüber zu sein. Er kann den Vordenkern von Moderne und Postmoderne durchaus das Wasser reichen; seine Formulierungen glücken oft in einzigartiger Dichte, aber er setzt den Verstandesleistungen der Gegenwart die Vernünftigkeit klassisch-christlichen Denkens entgegen. Er sucht nicht den Kompromiss, sondern klärt im Kontrast.

Eine Entscheidung, die ganz die Handschrift Benedikts trägt, betraf Muslime. Er lud sie zu einem neuen islamisch–christlichen Dialogprozess ein und gründete das katholisch–muslimische Forum. Hier werden nicht nur Gemeinsamkeiten festgehalten, sondern auch Schwierigkeiten angesprochen und geklärt, etwa: Haben Menschen das Recht, ihre Religion frei zu wählen? Hier ist Raum für ausführliche, ehrliche und, wo nötig, kontroverse Gespräche. Nach einer Kirche der Wahrnehmung und einem Papst des Wohlwollens ist es nur konsequent, wenn nun ein Mann das Einheitsamt der Kirche übernommen hat, dessen Charisma ein anderes ist, ein Papst des Weiterfragens.

Als Benedikt XVI. in London zu Oberhäuptern anderer Religionen sprach, gelang ihm eine Neubestimmung der interreligiösen Begegnung. Er sagte, dass die Begegnung mit Menschen anderer Religion immer zwei Haltungen umfasst. Face to face und side by side. Dem Menschen, der etwas anderes glaubt als ich, kann ich mein eigenes Erbe erklären und erschließen; gemeinsam aber können wir den Menschen wieder die Gottesfrage vorlegen. Denn wo eine Gesellschaft es nicht mehr wagt, die letzten Fragen zu stellen und Antworten zu suchen – nach Sinn, nach der Verantwortung, nach der Menschlichkeit – da kommt den Menschen des Glaubens eine neue Aufgabe zu. Sie müssen Zeugen des Weiterfragens sein. Weil Benedikt jahrzehntelang studiert und nachgedacht hat, lässt man sich so gern von ihm anregen, selbst ein Mensch zu werden, der weiterfragt.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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