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Zwischen „Wir sind Papst“ und „Missionsland“

von Stefan von Kempis

Was Benedikt XVI. von den Deutschen erwartet

„Wir sind Papst“, titelte die „Bild“-Zeitung am Tag nach der Wahl Jo-seph Ratzingers auf den Stuhl des Petrus; dabei erwartet Benedikt von seinen Landsleuten nach Einschätzung von Stefan von Kempis, dem zweiten Redaktionsleiter der deutschsprachigen Abteilung bei Radio Va-tikan, gar nicht soviel Enthusiasmus. Allerdings: Ein bisschen päpstli-cher als gegenwärtig dürften sie aus seiner Sicht schon noch werden...

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Denkt er an Deutschland in der Nacht, dann ist Joseph Ratzinger zwar nicht um den Schlaf gebracht, aber Sorgen um seine Heimat macht sich Benedikt (nach Christian Wulff und Schwedens Königin Silvia übrigens das dritte lebende Staatsoberhaupt, das aus Deutschland kommt) durchaus. Er sieht das Land, das er im September besuchen wird, ähnlich wie Spanien oder Frankreich als ein vom Säkularismus befallenes Gebiet, das u.a. durch einen neu eingerichteten Päpstlichen Rat für Neuevangelisierung dringend wieder fürs Christentum zurückerobert werden muss. Nicht der Islam und auch nicht die Kirchen der Reformation sind also für den Papst das eigentliche Problem, sondern vielmehr die „neue Welle einer drastischen Aufklärung oder Laizität, wie immer Sie das nennen wollen“ . Deutschland sei „zum Missionsland geworden“, zitiert er den von den Nazionalsozialisten hingerichteten Jesuiten Alfred Delp, „und für große Teile Deutschlands trifft das ja wirklich zu ... Ein neues Heidentum ist da“, eine „Schwerhörigkeit Gott gegenüber“. Aus dieser Perspektive ist die Tatsache, dass in Deutschland, diesem „Kreuzungspunkt so vieler Kulturen“, jetzt immer mehr Muslime leben, paradoxerweise eine Art Chance, damit sich die Deutschen wieder auf ihr christliches Erbe besinnen. „Es handelt sich um ein äußerst reiches kulturelles und geistiges Erbe, das wir neu lebendig machen müssen, weil es neue Kraft für die Zukunft in sich trägt.“

In erster Linie – diesen Eindruck kann man aus nicht wenigen seiner Äußerungen gewinnen – sieht sich der Papst nicht so sehr als einen Deutschen, sondern vielmehr als einen Bayern: „Ich meine, da bin ich eben aufgewachsen. Mein Herz schlägt bayrisch “ Dieses Grundgefühl hat wohl dazu beigetragen, dass er bei seinen zwei bisherigen Deutschlandreisen 2005 und 2006 nicht den Weg in die Hauptstadt an der Spree gefunden hat. „Ja, irgendwie würde es sich vielleicht gehören, dass man, wenn man nach München reist, auch einmal nach Berlin kommt, aber ich bin ja ein alter Mann.“ Dass dieser alte Mann sich danach gedrängt hätte, einmal eine Rede im Deutschen Bundestag zu halten, lässt sich nicht gerade behaupten, eher ist das Gegenteil der Fall.

Seit 1945 und noch beschleunigt seit dem Mauerfall 1989 wandelt sich die Mentalität seiner Landsleute unaufhörlich, beobachtet der Papst „Wir sind einfach viel stärker in die Weltgesellschaft hineingewachsen und natürlich auch von ihrer Mentalität mit berührt Ich finde es sehr schön, wenn jetzt mehr zum Vorschein kommt ...: Die Deutschen sind nicht bloß reserviert und pünktlich und diszipliniert, sie sind auch spontan, fröhlich und gastfreundlich.“ Und sie sind freigiebig, wenn es ums Spenden für Ärmere in entlegenen Weltteilen geht – Beleg „einer verbreiteten und gefestigten Tradition der Weltoffenheit“. „Unser Heimatland hat heute seinen festen und anerkannten Platz in der europäischen Staaten- und Völkergemeinschaft.“ Gleichzeitig bringt die engere Einbindung in den Westen aber auch mehr „kalte Rationalität“ mit sich und einen stärkeren Verlust des „religiösen Organs“. „In dem Sinn haben wir (Katholiken), glaube ich, einen großen Auftrag, dass wir zeigen: Dieses Wort, das wir haben, gehört nicht in die Mottenkiste der Geschichte, sondern es ist jetzt gerade notwendig.“

Dass die katholische Kirche in Deutschland über komplexe Strukturen verfügt, hat der Papst immer schon mit einem gewissen Misstrauen zur Kenntnis genommen: Er fragt sich, ob denn hinter diesem organisatorischen Gewebe noch wirklich das unterscheidend Christliche wahrnehmbar ist. Nicht, dass die Kirche groß oder gut organisiert ist, scheint ihm wichtig, sondern dass sie kräftig in die Gesellschaft hineinwirkt. Mit ähnlich gemischten Gefühlen sieht er auch auf die Unionsparteien, sie müssen ihr konkretes politisches Handeln an ihrem hohen christlichen Anspruch messen lassen. Von christlichen Politikern erwartet Benedikt XVI. auch im Privaten eine untadelige Lebensführung und eine wahrnehmbare Orientierung an den christlichen Werten. Nicht ohne Schärfe ist der heutige Pontifex Maximus in den neunziger Jahren, als er an der Spitze der vatikanischen Glaubenskongregation stand, für den Ausstieg der katholischen Kirche Deutschlands aus dem staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung eingetreten – im direkten Widerspruch zum CDU-Mainstream, auch zu so engagierten Unions-Katholiken wie etwa Erwin Teufel.

Von der deutschen evangelischen Kirche, die ihm „sehr vielgestaltig“ vorkommt, erwartet der Papst vor allem, dass sie in moralischen Fragen vereint mit der katholischen auftritt, damit „wir alle miteinander in dieser Gesellschaft die großen ethischen Richtlinien deutlich machen und so der Gesellschaft den ethischen Zusammenhalt geben“.

Kleinlautes Wegducken der Christen sei fehl am Platz: Schließlich verberge sich hinter scheinbarer „intellektueller Überlegenheit“ der Gesellschaft in Wirklichkeit „Ratlosigkeit angesichts der letzten existentiellen Fragen“, und die „Antworten“ der Kirche hätten sich „in den geistigen Auseinandersetzungen zweier Jahrtausende bewährt; sie sind von bleibender Gültigkeit“. Allerdings: Treten Christen nicht mehr kompromisslos in der Öffentlichkeit für ihre Überzeugung ein, hat das direkte, negative Folgen für „den gesellschaftlichen Diskurs, die Rechtsprechung und die Gesetzgebung Den Menschen geht damit die moralische und geistige Kraft verloren, die für eine ganzheitliche personale Entwicklung notwendig ist. Das soziale Handeln wird mehr und mehr von privaten Interessen oder vom Machtkalkül bestimmt zum Schaden für die Gesellschaft.“

Besonders „die wachsende Verdrängung des christlichen Verständnisses von Ehe und Familie aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein“ der Deutschen macht Benedikt zu schaffen; er sieht einen Zusammenhang zwischen dem steigenden Lebensstandard und dem Verblassen einer „Kultur der Person“ in der deutschen Gesellschaft. „In diesem Sinne kann die Kirche den Gesetzesinitiativen, die eine Aufwertung von alternativen Partnerschafts- und Familienmodellen bedeuten, nicht zustimmen. Sie tragen zur Relativierung der gesamten Gesetzgebung, aber auch zu einer Verschwommenheit der Wertvorstellungen in der Gesellschaft bei.“ Im Übrigen ist ja, wie der Papst bemerkt, der Schutz von Ehe und Familie „im Grundgesetz verbrieft“. Dass viele Familien zerbrechen und immer mehr Ehen scheitern, bedeutet aus seiner Sicht eine Schwächung der Gesellschaft insgesamt, weil viele Jugendliche – zumal angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit – dadurch leichter für Drogen, Alkohol oder extremistische Bewegungen anfällig werden. Wenn der Mensch sich „die Welt im ganzen neu zu montieren versucht“, gefährdet er „dabei immer spürbarer seine Grundlagen“ und bringt die „Fundamente der Gesellschaft ins Wanken“.

Auf dem Wunschzettel Benedikts an den deutschen Gesetzgeber stehen einige sehr klare Punkte: Nein zur Spätabtreibung, Nein zur embryonalen Stammzellforschung, Nein zur Verdrängung des konfessionellen Religionsunterrichts durch ein angeblich „werteneutrales“ Ethik-Schulfach, mehr Großzügigkeit beim Gewähren von Asyl – und damit zusammenhängend einen Abschiebestopp für ausländische Christen, die in ihrem Herkunftsland verfolgt werden.

Was das Thema Integration angeht, ist der Papst gegen ein Burka-Verbot . Er ist nicht per se einem islamischen Religionsunterricht an Schulen oder einer möglichen öffentlich-rechtlichen Anerkennung des Islam abgeneigt: „Den gläubigen Christen ist es in dieser Situation aufgetragen, diese Entwicklungen positiv und kritisch zu verfolgen und daher den Sinn zu schärfen für die fundamentale und bleibende Bedeutung des Christentums in der Grundlegung und Gestaltung unserer Kultur.“

„Wir sind Papst“, titelte die „Bild“-Zeitung am Tag nach der Wahl Joseph Ratzingers auf den Stuhl des Petrus; dabei erwartet sich Benedikt von seinen Landsleuten gar nicht soviel Enthusiasmus. Allerdings: Ein bisschen päpstlicher als heute dürften sie aus seiner Sicht schon noch werden...

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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