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Hilde Domin - Literaturpreisträgerin 1995

von Hilde Domin +

neu erschienen in: Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung 1993 - 2002

Dankeswort

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Dankeswort

Bei jedem Preis, den man gewinnt, lernt man etwas Unerwartetes über den Menschen (beinahe hätte ich geschrieben: den "Mann"), in dessen Namen man geehrt wird. Dabei sind es gelegentlich doch auch Frauen, z.B. Ida Dehmel, die Droste, Roswitha von Gandersheim, Nelly Sachs – ich hätte gar nicht gedacht, daß es so viele sind. (Langgässer habe ich abgelehnt, weil ich nichts weiter über sie lernen wollte, nachdem sie ihre Tochter Cordelia so schäbig behandelt hat.)

Also Adenauer: Wer hätte gedacht, daß er Heine.Gedichte auswendig hersagen konnte, es mit Vergnügen tat.

Das war zu Köllen am Rheine

da ging die Prozession

Diese Verse aus der Wallfahrt nach Kevelaer rezitierte er zum Beispiel beim Bocciaspielen oder nachmittags beim Tee, so berichtet Anneliese Poppinga, seine langjährige Mitarbeiterin, die zu seinem 91. Geburtstag, 1967, ein Bändchen mit seinen Lieblingsgedichten herausgab. Aus diesem Bändchen sehen wir, daß Goethe sein Lieblingsdichter war. Er ist am besten vertreten. Auch Gedichte von ihm soll er auswendig gekonnt haben, wie sogar Stücke aus der Ilias. Und nicht nur zur Gedächtnisübung, sondern auch zu seinem Trost. "Um sich in eine andere Welt zu versetzen", wie er sagte. Auf all seinen Reisen soll er in der Aktentasche mit den hochpolitischen Dokumenten immer auch einen Gedichtband dabei gehabt haben.

Daß Adenauer auch Musik zu seinem Wohlbefinden brauchte, daß er ein begeisterter Bilderfreund war, sich in stillen Stunden seine Lieblingsbilder in Dias oder Reproduktionen ansah und auf seinen Reisen nie einen Museumsbesuch versäumte, sollte man gleich vorausschicken.

Nur daß Adenauer Rosen liebte, ist bekannt. Daß er als Kind Stiefmütterchen zur Kletterpflanze umwandeln wollte, ist weniger bekannt. Das von innen erleuchtete Stopfei, das er erfand, davon redet man schon eher, wenngleich es nicht zum Gebrauchsgegenstand wurde. Adenauers Erfindungen, denen er sich allnachmittäglich zwischen fünf und sechs Uhr eine Stunde widmete, haben offenbar nichts bewirkt. Seine Politik, sei es als Oberbürgermeister meiner Vaterstadt Köln, sei es als Bundeskanzler, um so mehr.

Denn ich bin ja Kölnerin, ich bin die dritte Preisträgerin der Konrad-Adenauer.Stiftung, und ich bin ein Kölner Kind, das seine Kinderjahre besonders gern in dem von ihm groß angelegten Grüngürtel um Köln verbracht hat oder auch auf den begrünten Wällen, auf denen unser Oberbürgermeister diesen zwanzig Kilometer langen Grüngürtel ansiedelte. Mein Bruder und ich fuhren damals "Holländer". (Ich stelle fest, daß die meisten meiner Freunde und Bekannten nicht mehr wissen, was ein "Holländer" ist respektive war, dieses wunderbare große Spielzeug, eine Art Ruderboot zu Lande, auf dem man, vorwärts und rückwärts sich streckend, ziemlich schnell vorwärts kam, sei es auf der Straße oder im langen Korridor, wie er damals in Köln üblich war.)

Dieser Kölner Grüngürtel, in dem wir Kinder gespielt haben, war " so sagt Adenauer in einem Interview noch 1962 " die größte Tat seiner Amtszeit als Oberbürgermeister. Er weigerte sich auch, ihn abholzen zu lassen, als dies nach dem Krieg wegen des Mangels an Brennholz von ihm verlangt wurde. Der Grüngürtel war etwas für die Menschen, wie Frau Dr. Poppinga sagt. Vor allem aber verhinderte er, daß sich im nahen Umkreis des geliebten Köln Fabriken ansiedeln konnten – keine Schornsteine, keine Abgase.

Was mich sehr beeindruckt hat, war eine der frühesten Nachkriegsreden Adenauers: "Die Person ist dem Dasein und dem Range nach vor dem Staat. An ihrer Würde, Freiheit und Selbständigkeit findet die Macht des Staates sowohl ihre Grenze als ihre Orientierung .... Die menschliche Person hat eine einzigartige Würde, und der Wert jedes einzelnen Menschen ist unersetzlich."

Ich habe dies wörtlich zitiert. Er hielt diese Rede im März 1946 vor viertausend Personen in der Aula der Kölner Universität, die neu gegründet zu haben (seit Napoleon existierte sie nicht mehr) auch eines seiner Verdienste als Oberbürgermeister ist. Um hierzu noch etwas hinzuzufügen: Adenauer sprach sich auch positiv über seine Gegner aus. Die Arbeit als Oberbürgermeister mit dem Stadtparlament, bei der er viel gelernt habe, bezeichnet er als die schönste Zeit seines Lebens: "Die Arbeit im Stadtparlament zeigte mir, daß auch der politische Gegner recht vernünftige Ansichten haben kann."

So wurden viele von ihm vorgeschlagene Gesetze ja auch mit den Stimmen der Sozialdemokraten verabschiedet. Manche sogar mit noch größerer Einmütigkeit bei den Sozialdemokraten als bei seiner eigenen Partei. So z.B. bei den Luxemburger Verträgen mit dem Staate Israel 1953. Aber auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht wurde mit den Stimmen der SPD angenommen, die, ganz wie auch er, ein freies Deutschland in einem freien und geeinten Europa wollte. Daß er als Gymnasiast sich über die Sozialistenverfolgung und den Kulturkampf des sonst so bewunderten Bismarck empört hatte, gehört vielleicht auch hierher. Als nach Kriegsende 1918 die Arbeiter. und Soldatenräte das Kölner Rathaus einnahmen, forderte Adenauer sie auf, ihn zum "Beauftragten für Ruhe und Ordnung" zu ernennen, was sie auch prompt taten. Und so konnte er Köln vor größeren Zerstörungen bewahren.

Die CDU betrachtete Adenauer als eine Verbindung von Katholiken und Protestanten. Sie sollte ausdrücklich allen Menschen offen sein, unabhängig von Glauben, Beruf, Hautfarbe, Religion. Man ist immer wieder verblüfft, wie offen und liberal Adenauer bei aller ihm eigenen Zielstrebigkeit war. So hat er sich ausdrücklich für die Einführung des Mitbestimmungsrechts der Arbeiter eingesetzt: Montanunion (1952), aber auch für die Rentenanpassung (1957). Nicht umsonst bezeichnete ihn Helmut Schmidt in einem Gedenkband zu seinem 100. Geburtstag, 1976, als "besonders fortschrittlich".

Adenauer, gemeinsam mit seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, ist ja auch die "Soziale Marktwirtschaft" zu verdanken.

Adenauers Wunschziel war Europa. Wer hätte mir gesagt, daß Adenauer und die kleine Kölnerin, die sich 1929 das Abitur ruinierte, weil sie für Pan.Europa war – nicht für das Adenauers, von dem wußte ich damals nicht genug; es war Coudenhove.Kalergis Pan.Europa, von dem die Abiturientin im mündlichen Abitur sprach, was den Schulrat so verdroß, daß er ihr den Abituraufsatz von eins auf zwei herabsetzte, so daß sie das Abitur nicht mehr mit eins machen konnte – wer hätte mir damals gesagt, daß ich dem ärgerlichen Schulrat hätte entgegnen können: "Ich will ja nichts anderes als unser OB!" Das hätte diesen Nationalisten vermutlich bescheidener gemacht.

Was meine linken Freunde Adenauer übelnehmen, nämlich daß er für Westeuropa war und sich vor Rußland ängstigen zu müssen glaubte, das wäre natürlich anders gewesen, hätte er noch das Rußland Gorbatschows erlebt. Immerhin, er hat von Chruschtschow die deutschen Kriegsgefangenen, die dieser nicht als Gefangene, sondern als "Kriegsverbrecher" bezeichnete, zurückbekommen in die Heimat. Daß, im Gegensatz zu den Gesprächen mit den Westeuropäern, diese Verhandlungen mit Chruschtschow zum Teil ziemlich grob gewesen sein müssen, daß die Gesprächspartner geradezu mit geballten Fäusten voreinander gestanden haben sollen, mindert nicht, daß 10 000 gefangene Soldaten ihm die Freiheit, die Rückkehr zu den Ihren zu danken haben.

Die ganze Entwicklung nach der Wende, die Einbeziehung Rußlands in ein demokratisches Europa, die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands in Freiheit und Unabhängigkeit, wie wir das Glück haben, sie zu erleben – das entsprach letztlich Adenauers Erwartungen. Und das ist auch der Hintergrund seiner Absagen an die Deutschlandpläne Stalins. Nur daß diese Erwartungen sich so bald erfüllen würden, das hätte er wohl nicht geglaubt, während seine anderen Ziele, die Annäherung Deutschlands an Frankreich und die herzlichen Beziehungen zu Israel, dank der Wiedergutmachung, ja durchaus noch in seiner Amtszeit – und sogar schon in seiner frühen Amtszeit – realisiert wurden. Das Grundgesetz wurde noch unter seinem Vorsitz als Präsident des Parlamentarischen Rats 1949 ratifiziert, im gleichen Jahr, in dem er zum Bundeskanzler gewählt wurde.

Ich gehe hier nicht darauf ein, wie Adenauer in der Hitlerzeit als Geächteter und von der Gestapo Überwachter, mehrfach Verhafteter ein prekäres Privatleben geführt hat, noch erörtere ich im einzelnen die widerwärtige Affäre Globke, des Kommentators der Nürnberger Gesetze, der einer von Adenauers engsten Mitarbeitern wurde, was mich immer wieder schockiert hat, und gehe auch nicht darauf ein, ob Globke ein verkappter Mitarbeiter des Zentrums gewesen sei, wie zu seiner Verteidigung behauptet wird.

Sicher ist, daß Adenauer im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen weder ein Mit. noch ein Nachläufer der Nationalsozialisten war. Im Gegenteil, er bezeigte eine geradezu demonstrative Tapferkeit, als er im April 1933 beim Besuch des neuen Reichskanzlers Hitler in Köln die Nazi.Flaggen wieder abnehmen ließ, die Hitler auf der Hohenzollernbrücke hatte hissen lassen. Er brauchte dazu Polizei, aber immerhin, sie wurden abgenommen. Daß er den geforderten "Freiwilligen Rücktritt" als Oberbürgermeister, wofür man ihm eine hohe Pension anbot, verweigerte, verwundert kaum. Er wurde abgesetzt, als Verbrecher bezeichnet, Haus und Vermögen beschlagnahmt. Sein Kölner Rathaus verließ er durch das Hauptportal und nahm den Schlüssel an sich, den er auf ein kleines blaues Samtkissen in ein Kästchen legte und bis zu seinem Tode aufbewahrt haben soll.

Unkompromittiert wie kaum ein zweiter, schien er geradezu vom Schicksal bestimmt, der erste deutsche Kanzler nach Hitler zu sein: eine Gegenfigur.

Im Parlament, so liest man, soll er keine Sitzung versäumt haben und ein ausgezeichneter Zuhörer gewesen sein. Bei Unterredungen soll er gewartet haben, bis das Gegenüber schon etwas müde war und daher leichter nachgab. Das Wort "autoritär", mit dem man ihn bezeichnen mochte, lehnte er ab. "Autorität" sei das schönere Wort. Einen "dünnen Dickhäuter", so nannte man ihn.

Um zusammenzufassen: Für mich – gewiß nicht nur für mich – sind die großen Verdienste Adenauers (und sie waren vom ersten Augenblick an sein Hauptanliegen): die Beendigung des scheinbar unauslöschlichen Gegensatzes zu Frankreich, die Schaffung des Vertrauensverhältnisses zu de Gaulle und damit die Anbindung Deutschlands an Europa – und der Versuch, das an den Juden begangene Unrecht im Rahmen des Menschenmöglichen "wiedergutzumachen", wie das Wort heißt, wenn Unheilbares auch nicht heilbar ist. So wurde auch schon 1952 die Wiedergutmachung gegenüber Israel angenommen, das er, 1966, ein Jahr vor seinem Tode, besuchte: ein bewegendes Ereignis, zwischen den Rufen "Adenauer raus!" und den Umarmungen mit Ben Gurion, mit dem eine wirkliche Freundschaft entstand.

Am wichtigsten, zumindest nicht weniger wichtig, ist mir unser Grundgesetz, das ihm so wesentlich mitverdankt ist. Jahrelang bin ich nicht gereist, ohne das Grundgesetz bei mir zutragen. Artikel 1 des Grundgesetzes, "Die Würde des Menschen ist unantastbar", soll, wenn ich recht informiert bin, in der Weimarer Verfassung Artikel 114 gewesen sein. Die ganzen Menschenrechte kamen ja damals als "Anhang". Womit ein gewisser Optimismus im Hinblick auf unsere Demokratie, wie Adenauer sie gestaltet hat, doch gerechtfertigt zu sein scheint.

Wenn ich also versucht habe, meinem alten Kölner Oberbürgermeister, dem ersten Kanzler unseres Landes, Konrad Adenauer, meinen Dank abzustatten, in dessen Namen, sozusagen, Sie für gut befunden haben, mir diesen Preis zu verleihen, und wenn ich ihn vielleicht ein wenig mehr als üblich zur Mitte, in unser aller Mitte, zu rücken versucht habe, so möchte ich Ihnen noch den Schluß des Gedichts vorlesen, das ich im Spätherbst 1953, kurz vor meiner Rückkehr aus dem Exil – aus den Exilen –, auf einer kleinen Insel an der kanadischen Grenze geschrieben habe. Ich lese es Ihnen drei Tage nach dem 8. Mai. Es heißt Wen es trifft. Und es bleibt aktuell, denn "es trifft" ja immer Neue. Ich lese Ihnen nur den letzten Teil: den von der Erlösung, der Befreiung dessen, den es getroffen hat.

Wen es trifft

Wen es trifft,

der wird aufgehoben

wie von einem riesigen Kran

und abgesetzt

wo nichts mehr gilt,

wo keine Straße

von Gestern nach Morgen führt.

...

Manchmal jedoch

wenn er Glück hat,

aber durch kein kennbares

Verdienst,

so wie er nicht ausgesetzt ist

für eine wißbare Schuld,

sondern ganz einfach weil er zur Hand war,

wird er

von der unbekannten

allmächtigen Instanz

begnadigt

solange noch Zeit ist.

...

Du aber

der Du ihm

auf jeder Straße begegnest,

der Du mit ihm

das Brot brichst,

bücke Dich und streichle,

ohne es zu knicken,

das zarte Moos am Boden

oder ein kleines Tier,

ohne daß es zuckt

vor Deiner Hand.

Lege sie schützend

auf den Kopf eines Kinds,

lasse sie küssen

von dem zärtlichen Mund

der Geliebten,

oder halte sie

wie unter einen Kranen

unter das fließende Gold

der Nachmittagssonne,

damit sie transparent wird

und gänzlich untauglich

zu jedem Handgriff

beim Bau

von Stacheldrahthöllen,

öffentlichen

oder intimen,

und damit sie nie,

wenn die Panik

ihre schlimmen Waffen verteilt,

"Hier" ruft,

und nie

die große eiserne

Rute zu halten bekommt,

die durch die andere Form

hindurchfährt

wie durch Schaum.

Und daß sie Dir nie,

an keinem Abend,

nach Hause kommt

wie ein Jagdhund

mit einem Fasan

oder einem kleinen Hasen

als Beute seines Instinkts

und Dir die Haut

eines Du

auf den Tisch legt.

Damit,

wenn am letzten Tag

sie vor Dir

auf der Bettdecke liegt,

wie eine blasse Blume

so matt

aber nicht ganz so leicht

und nicht ganz so rein,

sondern wie eine Menschenhand,

die befleckt

und gewaschen wird

und wieder befleckt,

Du ihr dankst

und sagst

Lebe wohl,

meine Hand.

Du warst ein liebendes

Glied

zwischen mir und der Welt.

Vinalhaven, 1953

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23. Januar 2003
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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Sankt Augustin Deutschland