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Im ureigensten Interesse Deutschlands

Fremde Federn: Hans-Gert Pöttering

Beitrag von Dr. Hans-Gert Pöttering in der FAZ

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Seit Konrad Adenauer gehören die Einheit Deutschlands, die Einigung Europas und das westliche Bündnis (Nato) zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Die Einheit Deutschlands - von Vielen inmitten des Kalten Krieges und aus Rücksicht auf eine erhoffte „Stabilität" lange Zeit als „unrealistisch" verdrängt und sogar aufgegeben - ist durch den Freiheitswillen der Deutschen und anderer Europäer Wirklichkeit geworden. Kluge Staatsführung und eine klare Zielsetzung haben die Einheit Deutschlands vollendet und die Spaltung Europas überwunden.

Anders als die Einheit Deutschlands ist die Einigung Europas nicht vollendet. Sie ist weit fortgeschritten, aber sie bleibt gefährdet. Gegenwärtig stehen wir an einem Wendepunkt: Hin zur Politischen Union oder zur langfristigen Bedeutungslosigkeit. Die Einigung Europas zu vertiefen und dadurch unsere Stellung in der Welt zu verbessern, ist das ureigenste Interesse Deutschlands. Der Weg zu einer besseren makroökonomischen Abstimmung in der EU - die Franzosen nennen es „Wirtschaftsregierung" – ist richtig. Die nationalen Parlamente geben dadurch keinesfalls, wie gelegentlich behauptet wird, ihr Budgetrecht auf: Bereits im Vertrag von Maastricht, der am 1. November 1993 in Kraft getreten ist, haben alle Mitgliedstaaten der EU eine Begrenzung der Verschuldung als Grundlage der Gemeinschaftswährung anerkannt. Jetzt geht es darum, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Konsolidierung der Staatsfinanzen in der gesamten EU, Einführung der Schuldenbremse in allen EU-Mitgliedstaaten, Vorlage der nationalen Haushaltsentwürfe bei der Europäischen Kommission, Stärkung der Sanktionsrechte des Europäischen Gerichtshofes bei Nichteinhaltung der Kriterien der gemeinsamen Währung - dies sind die jetzt notwendigen Schritte. Sie sind Voraussetzung dafür, dass ein gemeinsames EU-Management der Staatsschulden (Eurobonds) wirksam werden könnte und dass der Vorschlag eines europäischen Finanzministers, von dem der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, gesprochen hat, konkrete Formen annehmen kann. Inmitten der Suche nach den verbesserten Regeln einer Politischen Union wird die Unabhängigkeit der EZB dadurch am besten gestärkt, dass ihre Entscheidungen nicht durch Kommentierung und Einflussnahme der Politik beeinträchtigt werden.

Auch die europäische Demokratie braucht Öffentlichkeit, das heißt demokratische Legitimität und parlamentarische Kontrolle. Das Europäische Parlament, das bei seiner ersten Wahl 1979 noch keine jede Gesetzgebungsbefugnis hatte, ist heute gleichberechtigter Gesetzgeber mit dem Ministerrat, dem anderen Gesetzgebungsorgan der Europäischen Union, und sichert damit die Legitimität der europäischen Gesetze, wie beim dringend erforderlichen Gesetz zur Finanzmarktkontrolle.

Wir brauchen eine mit Herz und Verstand geführte Debatte über die Vertiefung der europäischen Einigung, die weit über die Schuldendiskussion und den Euro hinausgeht. Wir müssen mehr denn je europäisch denken. Der Kompass sind die uns in der Europäischen Union mit 500 Millionen Menschen verbindenden Werte, allen voran die Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie, Frieden und Recht sowie die Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität.

Für die CDU muss das Eintreten für die Einigung Europas aus deutschem Interesse ein Markenkern bleiben, ein Teil ihrer Identität. Helmut Kohl, Kanzler der Einheit und Ehrenbürger Europas, hat Solidarität und europäisches Handeln angemahnt. Ich habe ihn so verstanden, dass er „mehr Europa" fordert und zu mehr Solidarität ermutigen will. Wer aus den Reihen der Regierungskoalition heraus die Politik der Kanzlerin kritisiert, sie gebe Europa zu viel, kann Helmut Kohl jedenfalls nicht für den eigenen Vorwurf in Anspruch nehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte sich in ihrem proeuropäischen Handeln bestärkt fühlen.

Nicht nur Griechenland, Irland und Portugal, alle Mitgliedstaaten der EU müssen durch die Sanierung ihrer Staatshaushalte ihre Finanzen in Ordnung bringen. Dabei ist Schuldenabbau kein Selbstzweck, sondern dient dem Prinzip der wechselseitigen Solidarität in der EU. Wir Deutschen sollten nicht vergessen, dass es 2003 die damalige Regierung war, die zusammen mit Frankreich als erste die Maastricht-Kriterien verletzt und damit ein erstes schlechtes Beispiel für Mangel an europäischer Solidarität gegeben hat. Wie in einer Familie bedarf es jetzt einer gemeinsamen Anstrengung, um die Bedingungen der Wirtschafts- und Währungsunion zu stärken und die Politische Union, die ihre zwingende Folge ist, voranzubringen.

Diese Ausrichtung der Diskussion dient den langfristigen Interessen Deutschlands und der anderen Länder der Europäischen Union am besten. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag der Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung bei 22 Prozent (heute nur noch bei 12Prozent), der Anteil der Deutschen bei 2,7, heute 2,3 Prozent. Im Jahre 2050 werden es - wenn man den demographischen Prognosen folgt - nur noch 7 Prozent Europäer und weniger als 0,7 Prozent

Deutsche in der Welt sein. Wie wollen wir im 21. Jahrhundert unsere Werte und Interessen in der globalen Politik, Wirtschaft und Kultur verfolgen und verteidigen, wenn nicht gemeinsam in der Europäischen Union? Zu dieser Einsicht muss die Diskussion über die Zukunft Europas zurückfinden.

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Hans-Gert Pöttering www.poettering.de

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Herausgeber

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Sankt Augustin Deutschland