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„Sind wir unserer Zeit noch gewachsen?“

Buchvorstellung

„Konrad Adenauer – Der Vater, die Macht und das Erbe. Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer 1961 – 1966“, herausgegeben von Hanns Jürgen Küsters, im Gürzenich, Köln

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Paul Adenauer, fünftes Kind Konrad Adenauers, in dessen zweiter Ehe am 18. Januar 1923 geboren und am 5. August 2007 verstorben, war für seinen Vater insbesondere in dessen letzten Lebensjahren eine der engsten Vertrauenspersonen und Gesprächspartner in politischen Fragen. So mutet es wie der Plot eines Drehbuchs an, dass kurz vor dem bevorstehenden 50. Todestag Konrad Adenauers am 19. April 2017 die lange verschollenen Tagebücher des Sohnes wieder auftauchten und nun von Professor Hanns Jürgen Küsters ediert werden konnten. Die Familie Adenauer erfuhr 2015, dass ein Saarbrücker Aktionshaus beabsichtige, Objekte aus dem Nachlass Paul Adenauers zu versteigern, darunter auch eine Mappe mit der Aufschrift „Chronik“, und brachte sie umgehend in ihren Besitz. Hinter der harmlosen Bezeichnung verbargen sich die Tagebücher, deren Existenz bis zu diesem Zeitpunkt gänzlich unbekannt war. So konnte eine biographische und zugleich politisch-historische Quelle ersten Ranges freigelegt werden, denn Paul Adenauer wurde zum „Zeitzeugen wie Chronisten des Machtzerfalls“ (Hanns Jürgen Küsters). Der Vorstellung dieses Schatzes gab das historische Gebäude des Kölner Gürzenich am 15. März den passenden Rahmen.

Dorothee Wilms, in den achtziger Jahren sowohl Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft als auch für innerdeutsche Beziehung, war Konrad Adenauer als junge Parlamentarierin begegnet. Ihr fiel das Grußwort an die fast 300 Gäste zu. Sie ließ das Auditorium an ihren persönlichen Erinnerungen, etwa an die Beerdigung Konrad Adenauers 1967 in Anwesenheit auch David Ben Gurions, teilhaben und brachte den Autor der Tagebücher und deren Odysee dem Publikum nahe. Paul Adenauer war als Geistlicher der „geliebte und geschätzte Mittelpunkt“ der großen Familie Adenauer (Nachruf der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus) und damit auch Knotenpunkt persönlichen wie politischen Austauschs. Seine Aufzeichnungen ergänzen nicht nur das Wissen um die letzten Jahre des ersten Bundeskanzlers, so Wilms, sie sind auch ein bedeutendes Zeitdokument einer Umbruchphase der Bundesrepublik.

Die in seinen Tagebüchern beschriebenen großen Herausforderungen der frühen und mittleren 1960er Jahre, das machte der Herausgeber Professor Hanns Jürgen Küsters im Vortrag zum Thema „Konrad Adenauer im Lichte des Tagebuchs von Msgr. Paul Adenauer“ deutlich, spiegeln sich in den gegenwärtigen Problemlagen, die bei Vielen ein Gefühl von Überforderung hervorrufen: Das transatlantische Verhältnis – Adenauer warnte davor, das Heil allein in der Patronage Washingtons zu suchen -, die Einheit Europas, der Streit um die britische Rolle, die Tendenzen zur Entchristlichung – Paul drängt auf die Weiterentwicklung der sozialen Frage im christlichen Horizont -, die Explosion des Weltverkehrs (Globalisierung).

Küsters analysierte jedoch nicht nur die politisch-historischen Sinnspitzen des umfangreichen Dokumentes, er erschloss sie über eine einfühlsame Annäherung an die empfindsame und mitfühlende Persönlichkeit Paul Adenauers und eine Schilderung der Vater-Sohn-Beziehung: Der in den ersten Lebensjahren wenig präsente, von der Politik absorbierte Vater lernt den beim späteren Kölner Kardinal Joseph Höffner zum Sozialwissenschaftler promovierten Sohn erst allmählich als Gesprächspartner schätzen - und dieser ebenso spät, sich seinem Vater anzunähern. Konrad Adenauers Verlust der Machtposition im Kanzleramt und innerhalb seiner Partei, die Auseinandersetzungen mit seinem Nachfolger Ludwig Erhard und seinem Bundesminister Gerhard Schröder, Trübungen im Verhältnis zu Charles de Gaulle – das alles erlebt Paul Adenauer aus nächster Nähe mit. Er wird dabei Zeuge des Schwankens seines Vaters zwischen Resignation und Aufbäumen, Selbstmitleid und Kampfeslust. Am 16. November 1964 notiert er: „Zwischendurch sagt er (Vater) immer wieder: ‚Paul, besorge Dir einen Platz im Irrenhaus. Die Welt wird verrückt. Die Menschen sind den Ansprüchen der Zeit nicht mehr gewachsen‘.“ Paul sieht den Vater leiden, überempfindlich und einsam werden und bangt um dessen politisches Erbe. Adenauers Vermächtnis aber ist heute aktueller denn je; es lautet, so Küsters: Überwindet den Nationalismus und bringt die Europäische Einigung voran!

Selbst Adenauers Enkel, der Notar Konrad Adenauer, der neben Dorothee Wilms, dem Ehrenvorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung Bernhard Vogel und Dompropst Norbert Feldhoff an dem anschließenden Podium teilnahm, war nach der Lektüre der Tagebücher darüber erstaunt, wie nahe der Großvater 1961 daran gewesen war, die Politik ganz aufzugeben. Auf die Frage der moderierenden Journalistin Hildegard Stausberg, welche Passage ihn am stärksten aufgewühlt habe, beschrieb Norbert Feldhoff die unterschiedlichen Reaktionen von Vater und Sohn auf eine berühmte Episode von Papst Johannes XXIII: Der Papst erzählt einem jungen Priester, der ihm seine Probleme anvertraut, von einem Engel; der sei ihm in einer belastenden Situation im Traum erschienen und habe gesagt „Giovanni, nimm Dich nicht so wichtig!“. Als Antwort auf die Sorgen eines jungen Geistlichen erschien das dem Vater „respektlos und blöde“, während Paul vergeblich versuchte, ihm den tieferen theologischen Sinn zu erklären.

Bernhard Vogel gab zu verstehen, dass die Tagebücher sein Bild von Paul Adenauer, den er in politischen Fragen bislang wenig ernst genommen habe, völlig verändert hätten. Insgesamt erwies sich Bernhard Vogel auf dem Podium als der entschiedenste Verfechter eines klaren „Ja!“ auf die Frage der Überschrift: Wir sind unserer Zeit gewachsen, ebenso wie Adenauer den Herausforderungen seiner Zeit, - auch der habe diese häufig genug als Zumutungen empfunden - gewachsen gewesen ist, weil er sich ihnen gestellt hat! Heute wie damals gebe es frappierend ähnliche Ängste, dennoch sei es Adenauer jahrzehntelang gelungen, immer wieder aufzustehen und zu handeln. Diese Haltung sei sein eigentliches Vermächtnis. Das Tagebuch Paul Adenauers zeigt nun, welch große persönliche Kraft dies gekostet hat - ein Aspekt der aus den eher trockenen Memoiren des Vaters ausgeblendet blieb.

Das Schlusswort des Ministerpräsidenten a.D. Jürgen Rüttgers griff eines der zentralen Motive der Politik Konrad Adenauers auf und schloss - in einer Linie mit Professor Küsters - mit einem Appell für die Vollendung Europas.

Die Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Kooperation mit der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus (www.adenauerhaus.de) und dem Konrad-Adenauer-Freundeskreis (Köln) klang in einem gemeinsamen Imbiss aus. Sie verstand sich auch als Auftakt weiterer Veranstaltungen zum 50. Todestag Ihres Namensgebers, u.a. der Eröffnung einer vollkommen neu konzipierten Ausstellung der Gedenkstätte Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf am 19. April 2017.

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