Asset-Herausgeber

Einzeltitel

„Wem gehört die Geschichte?“

von Prof. Dr. Michael Braun
Neue Bücher der KAS-Literaturpreisträger zur Buchmesse

Asset-Herausgeber

„Ein gutes Buch“, so Rowohlt-Chef Alexander Fest im „Welt“-Interview, ist eines, das während der Lektüre „alles andere vergessen lässt. Dann: Es ist auch immer eines, das die Erinnerung aktiviert, so dass die Figuren oder, wenn es sich um ein Sachbuch handelt, die Fragestellungen und Antworten in einem weiterleben und -arbeiten, auch wenn man den Buchdeckel zugemacht hat.“

Diese Empfehlung trifft auch auf die neuen Bücher der Literaturpreisträger der Konrad-Adenauer-Stiftung zu, die zur Frankfurter Buchmesse in diesem Herbst erschienen sind. Es sind Geschichten über die Abgründe und Wunder des Alltags, über die Existenznöte der westlichen Gesellschaft, erzählt mit Understatement und Sinn für Skurrilität wie die Geschichten von Burkhard Spinnen („Der Reservetorwart“) oder mit visionärer Kraft und geradezu filmischer Anschaulichkeit wie die von Patrick Roth („Starlite Terrace“). Eine Geschichte über die Geschichte hat Norbert Gstrein, KAS-Preisträger von 2001, geschrieben: ein zugleich autobiographisches und poetologisches Buch darüber, was und wie ein Autor über die Grausamkeiten des Krieges erzählen kann.

„Starlite Terrace“: So heißt ein altes Apartmentgebäude um einen beleuchteten Swimmingpool in Los Angeles. Hier ist der Erzähler zuhause, ein Deutscher, den es (wie den Autor Patrick Roth) nach Hollywood und in die Filmindustrie verschlagen hat. In den vier Geschichten des Bandes wird er zum Zuhörer und Zeugen merkwürdiger Begebenheiten: eine lang vermisste Bekannte kommt zum Geburtstagsbesuch, ein alter Mann erwartet den Besuch seiner vor 40 Jahren entführten Tochter, ein Jesusjünger verliebt sich in eine Minderjährige, ein todkranker Mann erinnert sich an seinen Vater, ein berühmtes Western-Double. Zugleich sind diese Episoden mit konkreten Hollywoodgeschichten und -stars verklammert, mit Humphrey Bogart, Gary Cooper, Marilyn Monroe und John Wayne. Auf wundersame Weise wird so der Ort der Erzählens zu einem Schnittpunkt von Filmgeschichten, visionären Bildern, autobiographischen und politischen Reminiszenzen. Diese Bezüge zur politischen Realität – Kubakrise, Kennedymord, Irak-Krieg – werden geschickt in Szene gesetzt und verbinden sich mit den anderen Motiven zu einem Rondo von Erzählungen, die den Stoff für ganze Romane enthalten. Sie sind mit einer künstlerischen Meisterschaft und choreographischen Dichte geschrieben, die ihresgleichen sucht in der Gegenwartsliteratur.

„Der Reservetorwart“ in der Titelgeschichte von Burkhard Spinnens Prosaband ist Ersatzmann in einem Spitzenclub der Bundesliga, zu bequem, um zu einem schwächeren und weniger zahlenden Verein zu wechseln, zu wenig selbstbewusst, um als erster Torwart zwischen den Pfosten zu bestehen. Nach der verpatzten großen Chance richtet er sich ein Leben in der zweiten Reihe ein, das ihm Schutz zu bieten scheint vor den Herausforderungen des Lebens. Spinnens „Reservetorwart“ gehört wie die ‚halben Helden‘ der anderen Geschichten zu der Gesellschaft des Mittelmaßes, deren Steckbrief Enzensberger schon 1988 ausgestellt hat: „Mittelmäßig sind ... ihre Repräsentanten und ihr Geschmack, ihre Freuden, ihre Meinungen, ihre Architektur, ihre Medien, ihre Ängste, Laster, Leiden und Gebräuche ... Der Pluralismus ist ihre Geschäftsgrundlage, und seine höchste Tugend ist die Indifferenz“. Von dieser Gesellschaft angeschlagener Ich-AGs erzählt Burkhard mit Understatement und jenem Sinn für skurrilen Humor, der sein realistisches Erzählen seit dem Roman „Langer Samstag“ (1995) auszeichnet.

„Wem gehört die Geschichte?“ fragt Norbert Gstrein, um das Verhältnis zwischen Fakten und Fiktion in seinem Balkan-Roman „Das Handwerk des Tötens“ (2003) zu bestimmen. Dieser Roman – und Bücher anderer Autoren – waren durch den Vorwurf ins Gerede gekommen, Fiktion durch Tatsachenbericht zu ersetzen. Gstrein widerlegt diese These auf ebenso eindringliche wie einleuchtende Weise, indem er an die Schauplätze des Romans zurückkehrt, nach Kroatien, Serbien und Bosnien, die „groteske Friedlichkeit“ dieser Nachkriegslandschaften evoziert und die Figuren auftreten läßt, um die es in seinem Roman geht, voran der 1999 im Kosovo erschossene „Spiegel“-Journalist Gabriel Grüner, aber auch die literarischen Vorbilder des Autors, Danilo Kiš, Uwe Johnson und Jorge Semprún. So schreibt Gstrein von der „Okkupation, eine fremde Geschichte zur eigenen zu machen, selbst wenn man die eigene in der fremden nur spiegelt“.

Tua res agitur: In den Büchern von Roth, Spinnen und Gstrein steht immer auch die eigene Herkunftsgeschichte im Mittelpunkt. Wem eine Geschichte gehört, dem Autor oder den Lesern, das müssen diese selbst entscheiden. Denn der Autor ist Lichtenberg zufolge eben nicht mehr, aber auch nicht weniger als der erste Leser seines Werkes.

Die Titel:

Norbert Gstrein: Wem gehört eine Geschichte? Fakten, Fiktionen und ein Beweismittel gegen alle Wahrscheinlichkeit des wirklichen Lebens. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 2004.

Patrick Roth: Starlite Terrace. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 2004.

Burkhard Spinnen: Der Reservetorwart. Geschichten. Frankfurt a.M. (Schöffling) 2004.

Internet-Links.

Interview mit Alexander Fest

Überblick über Messe-News

Titelgeschichte von Spinnens Band

Überblick zu Neuerscheinungen

Asset-Herausgeber

Kontakt

Prof. Dr. Michael Braun

Prof. Dr

Referent Literatur

michael.braun@kas.de +49 30 26996-2544

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Bestellinformationen

Herausgeber

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Sankt Augustin Deutschland