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"Die Freiheitsräume in der Türkei werden sich weiter einengen"

Colin Dürkop im Interview über die Türkei nach dem gescheiterten Militärputsch

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Der Putschversuch von Teilen der Armee hat in der Freitagnacht die Menschen in der Türkei geschockt. Doch haben weite Teile der türkischen Sicherheitskräfte, alle im Parlament vertretenen politischen Kräfte, die Medien und die Zivilgesellschaft den Putschversuch verurteilt. Welche Auswirkungen der gescheiterte Putsch auf die Türkei haben könnte, erläutert im Gespräch mit KAS.de der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara, Dr. Colin Dürkop.

kas.de: Ein Militärputsch erschütterte die Türkei, gerade jetzt, wo sich auch viele Urlauber im Land befinden. Herr Dürkop, wie ist Ihr Eindruck von der momentanen Lage in der Türkei?

Colin Dürkop: Um ein Uhr am Sonntagmorgen standen vom Flughafen Ankara weg schon tausende, fahnenschwenkende Menschen, um die Rückkehr ihres Präsidenten zu feiern und ihn gebührend zu empfangen. Erdogan ist hier als großer Triumphator zurückgekehrt, als Volksheld für seine Anhänger. Das ist ein Indiz für den starken Rückhalt bei seinen Anhängern, der nach der erfolgreichen Niederschlagung des Putsches; Anm. d. Red. noch gewachsen sein dürfte.

Insgesamt ist die Lage natürlich noch sehr unübersichtlich hier und auch zu früh, um jetzt Abschließendes über Drahtzieher, Hintermänner, Seilschaften und die konkreten Auswirkungen zu sagen. Die Regierung zeigt jetzt erst einmal, dass sie die Drahtzieher dingfest machen und Ruhe und Ordnung wiederherstellen kann – und vor allem eine Wiederholung eines solchen Putschversuches ein für alle Mal unterbinden will.

Genau daran scheint die Regierung jetzt zu arbeiten. Erdogan sagte, dass er das Land radikal „säubern" wolle. Vielee Staatsbedienstete hat er entlassen, oder sogar festnehmen lassen, Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Soldaten, sogar 30 Gouverneure. Wie wird es jetzt weitergehen am Bosporus?

Beim Putschversuch wurden unter anderem der Aufenthaltsort Erdogans, sowie das Parlament und Einrichtungen der Sicherheitskräfte bombardiert. Das hat die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt. Erdogan wird diese Stimmung in der Bevölkerung gegen die Putschisten konsequent dazu nutzen, um sich seiner Widersacher zu entledigen.

Letztendlich bedeutet das, dass sich die verbliebenen Freiheitsräume in der Türkei noch weiter einengen werden. Das gilt dann auch für Akademiker und Journalisten. Viele Stimmen sagen, dass Erdogan jetzt durch Neuwahlen versuchen wird, seine Position im Parlament noch einmal zu stärken und bei einer solchen Wahl die Zweidrittelmehrheit zu erreichen – was dann seiner Partei erlauben würde, die notwendigen Verfassungsänderungen sowohl für die Einführung eines Präsidialsystems als auch für andere Verfassungsreformen dann zu geben.

Wie wirken sich der Putsch und dessen Folgen auf das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei aus?

Was sich auch jetzt abzeichnet: Die Türkei wird ein noch schwierigerer Partner für Deutschland. Erdogan ist noch gestärkter aus diesem Putschversuch hervorgegangen. Andererseits wird natürlich die Bedeutung der Türkei weiterhin groß sein, weiterhin wachsen bei der gemeinsamen Bekämpfung des IS, von Flucht und Migration. Eine Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen wäre eine Lose-Lose-Situation für beide Seiten.

Eine Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe forderte Erdogan. Damit wäre ein Beitritt zur EU unmöglich. Driften die Türkei und Europa jetzt weiter auseinander?

Sowohl Erdogan als auch Ministerpräsident Yildirim haben in der Öffentlichkeit über die Wiedereinführung der Todesstrafe gesprochen. Es ist auch so, dass viele Bürger jetzt die Einführung der Todesstrafe einfordern. Im Moment ist es natürlich in dieser aufgekochten Situation erst einmal sehr viel Rhetorik, es sind starke Worte nach einem sehr einschneidenden Putschversuch. Sollte die Todesstrafe aber tatsächlich per Gesetz in der Türkei eingeführt werden, wäre dies automatisch das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen.

Ist der sogenannte Flüchtlingsdeal nun in Gefahr?

Der Flüchtlingsdeal ist für Europa und die Türkei sehr wichtig. Die Türkei hat ihren Part der Vereinbarung erfüllt und dafür gesorgt, dass keine weiteren Flüchtlinge über die Türkei nach Europa gelangen. Als Gegenleistung für dieses Entgegenkommen wurde der Türkei eine Beschleunigung der Einführung der Visa-Liberalisierung in Aussicht gestellt. Dafür müssen allerdings als Voraussetzung die Antiterrorgesetze entschärft werden. Es sieht aber so aus, dass im Moment die Türkei nicht bereit sein dürfte in dieser Situation – gerade auch nach dem Putsch und wegen der andauernden Terroranschläge in der Türkei. Insofern scheint es auch fraglich, wie es konkret mit den Visaverhandlungen mit der EU weitergehen wird.

Das Interview führte Stefan Stahlberg von der Online-Redaktion.

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Ein beschädigtes Fenster des Polizei-Hauptquartiers in Ankara, 18. Juli 2016 | Foto: Osman Orsal / Reuters