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Als alle Augen auf das „Lampedusa Deutschlands“ schauten

Hochschulgruppen Passau und JONA Bayern diskutierten Flüchtlingshilfe und die Rolle der Medien

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Passau – Christian Reidel vom Helfernetzwerk „Passau Verbindet“ erinnert sich noch gut daran, wie es war, als im Sommer 2015 die Zahl der syrischen und irakischen Flüchtlinge in der niederbayerischen Grenzstadt anschwoll. Passau liegt am verlängerten Ende der Balkanroute, über die seit Juni erst mehrere hundert, dann immer mehr Menschen auf der Flucht vor Krieg und Zerstörung in Bayern eintrafen. „Die Zeit war zu anstrengend, um überfordert zu sein“, sagt Rechtsanwalt Reidel, der selbst vor 20 Jahren als „Zu’greister“ aus Franken nach Niederbayern kam und dort blieb. Die Österreicher karrten im Sommer/Herbst 2015 Tausende mit Bussen und in Zügen über die Grenze. Meist waren es täglich rund 2.500 Menschen, im Oktober 2015 kurzzeitig sogar bis zu 10.000 am Tag. In diese Zeit fiel Angela Merkels berühmter Satz „Wir schaffen das!“. Sie reagierte damit auf die Macht des Faktischen. Mit der Form der Willkommenskultur sei aber auch ein Signal „kommt zu uns“ bei den Menschen angekommen, sagt Dr. Holm Putzke, Strafrechtsprofessor in Passau und Beisitzer im Kreisvorstand der CSU, rückblickend.

In Passau kamen die Flüchtlinge in eine Stadt, in der die Menschen seit Jahren wegen der Donauhochwasser gewohnt sind, zusammenzustehen, es zu schaffen, zuletzt 2013. Im Spätsommer 2015 gründeten Reidel und viele Freiwillige das Helfernetzwerk „Passau Verbindet“, das in den folgenden Monaten die Versorgung von Menschen, die alles zurückgelassen hatten, sicherstellte. Dutzende Freiwillige standen rund um die Uhr bereit, zu helfen, hatten kein freies Wochenende mehr. Nicht immer stießen da die bunten „Refugee Welcome“-Bilder aus der bayerischen Landeshauptstadt auf Begeisterung, wie sich Helmut Degenhart vom regionalen TV-Sender TRP1 erinnert: „Die Münchner haben Fähnchen geschwenkt, die Passauer haben die Arbeit gemacht.“. Tausende wurden in der Passauer Dreiländerhalle untergebracht, bis die Weiterreise der Menschen geklärt war. Erst mit dem Türkeivertrag im November 2015 sank die Zahl der Flüchtlinge in Passau wieder drastisch.

In der Hoch-Zeit der Flüchtlingsankunft berichtete die Passauer Neue Presse (PNP) täglich über die Flüchtlinge, erinnert sich Lokales-Chef Wolfgang Lampelsdorfer. Zuerst wollte man durch die Darstellung einzelner Schicksale den namenlosen Flüchtlingen ein Gesicht geben. Heute steht für die Lokalzeitung der Aspekt der Integration der im Landkreis Passau gebliebenen Flüchtlinge im Vordergrund. Und die zweitgrößte Zeitung Bayerns berichtet, wie schon 2014, über illegale Einreisen und Schleuserkriminalität, durch die noch Einzelne den Weg nach Deutschland suchen.´

Unrühmlich haben alle vier Teilnehmer der von der bayerischen Netzwerkgruppensprecherin der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) Jana Pecikiewicz moderierten Podiumsdiskussion die Rolle überregionaler Medien in Erinnerung. Es seien die „eingeflogenen“ Medien, die kurze Momentaufnahmen machten, Einzelmeinungen aufbauschten und dann wieder verschwänden. Die Medien bauschten oft das Nichtwissen auf und spekulierten, weil sie nichts wüssten, kritisiert Prof. Putzke, der auch einer von zwei Vertrauensdozenten der KAS in Passau ist. „Mein Eindruck ist, Medien verschaffen erst die Relevanz für eine Einzelmeinung.“

Das könne man sich als Lokalmedium gar nicht erlauben, ist Helmut Degenhart vom Regionalsender TRP1 überzeugt. „Wir im Regionalen müssen Gesicht zeigen.“ Und PNP-Redaktionsleiter Lampelsdorfer ergänzt: „Wir schreiben, was wir wissen, sagen aber auch, was wir nicht wissen“. Oder klären auf, wenn etwas nicht stimmt. Wenn die Zeitung beispielsweise Gerüchten in sozialen Netzwerken um eine vermeintliche Schießerei nachrecherchieren muss, die zu Hysterie und dem Anrücken von Polizeieinheiten führten. Die sich dann als Schüsse eines deutschen Jugendlichen mit einer Schreckschusspistole herausstellten, der einem befreundeten anerkannten Asylbewerber imponieren wollte. Oder wenn es um Vergewaltigungen geht: „Da haben die Medien aufgeklärt, aber auch geschrieben, wenn etwas stimmte“, sagt Lampelsdorfer.

Einig ist sie die Diskussionsrunde vor 27 jungen Zuhörern aus beiden Passauer Hochschulgruppen, JONA-Stipendiaten aus Bayern und Journalismus-Stipendiaten der PNP, dass man über alle Vorgänge berichten müsse, um nicht durch Verschweigen dem populistischen Vorwurf der „Lügenpresse“ Nahrung zu geben. Das heißt für Rechtsprofessor Holm Putzke aber auch, dass die Ziffer 12.1 des Pressekodex des Deutschen Presserats, nach dem Journalisten nur die nationale Herkunft eines Tatverdächtigen erwähnen dürfen, wenn es einen sachlichen Zusammenhang zur Tat gibt, unbedingt gestrichen werden müsse. „Das hat den Vorwurf der Lügenpresse durch Verschweigen befördert.“

Glaubwürdigkeit gewönnen Medien zurück, so ist die Runde sich einig, wenn sie nötige kritische Distanz bei der Berichterstattung befolgten. Nüchterne Recherche sei dazu nötig. Man müsse wieder wegkommen von ungeprüftem Übernehmen von Pressemitteilungen oder verknappten, aus dem Zusammenhang getrennten Zitaten. Aber auch jeder einzelne Mediennutzer müsse aufpassen, so Prof. Putzke, in seiner „Follower-Blase“ in sozialen Medien, z.B. bei Facebook oder Twitter, nicht in eine reduzierte Realitätswahrnehmung zu geraten.

Sollte eines Tages die Zahl der Flüchtlinge am Zusammenfluss von Donau, Inn und Ilz wieder steigen, beispielsweise durch noch in der Türkei lebende syrische Flüchtlinge, steht das Passauer Helfernetzwerk erneut bereit. Bis zu 3.600 Menschen am Tag können versorgt werden, binnen 48 Stunden kann das Helfernetzwerk reaktiviert werden. „Wollen tun wir es nicht“, sagt Initiator Christian Reidel, wenn er an die pausenlose Arbeit in 2015 denkt, „aber wir würden es wieder machen.“

Dr. Marcus Nicolini

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