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Die EU-Erweiterung im Kontext der transatlantischen Beziehungen

von Dieter Althaus, MdL
Vortrag des Präsidenten des Bundesrates und Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus anläßlich des Luncheon Roundtables der Konrad-Adenauer-Stiftung am 21. Januar 2004 in Washington

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  1. Franz-Josef Reuter, Leiter der Außenstelle der Konrad-Adenauer-Stiftung, sehr geehrte Damen und Herren!

  2. Ich freue mich sehr, heute Mittag im Kreis der Freunde der Konrad-Adenauer-Stiftung sprechen zu dürfen. Herzlichen Dank, verehrter Herr Reuter, für die Einladung!

    Ohne Zweifel gehört das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington zu den wichtigsten Zentren der deutsch-amerikanischen Verständigung. Es ist Pfeiler einer tragfähigen Brücke über den Atlantik – ein unerlässlicher Pfeiler, um das Friedenswerk Konrad Adenauers fortzuführen.

    Die atlantische Partnerschaft und Freundschaft hat in diesem Werk eine grundlegende Bedeutung – ebenso wie die Schaffung eines freien und geeinten Europas. Beides ist untrennbar miteinander verknüpft. Das galt für die Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland. Es ist heute nicht weniger gültig: Die doppelteIntegration ist das Grundaxiom deutscher Außenpolitik und sollte es bleiben!

    Seit einem halben Jahrhundert haben die USA den Zusammenschluss Europas gefördert oder zumindest mit Wohlwollen begleitet. Ohne die Vereinigten Staaten von Amerika stünde die Europäische Union heute nicht an der Schwelle, die Teilung des Kontinents endgültig zu überwinden und acht mittel- und osteuropäische Staaten sowie Malta und Zypern aufzunehmen. Europa lässt sich nur mit und niemals gegen die USA einen. Wer das transatlantische Bündnis in Frage stellt und beschädigt, schafft zugleich neue Gräben innerhalb Europas. Wir haben es erlebt: Die Folge der Auseinandersetzungen über den Irak war auch eine Krise der Europäischen Union – statt europäischer Einheit ein Europa, das – wie am Ende des 19. Jahrhunderts – in Mächtegruppen geteilt war.

    Die neuen Schlagworte – „atlantisches Europa“ versus „europäisches Europa“ – führen nicht weiter. Es bleibt die Erkenntnis, dass die Europäische Union – ebenso wie in der Vergangenheit – nur als Teil der atlantischen Partnerschaft Frieden und Zusammenhalt bietet und zu Sicherheit und Stabilität in der Welt beitragen kann.

    Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Auch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist der militärische Schutz Europas durch die USA unverzichtbar. Verständlicherweise betrachten gerade die mittel- und osteuropäischen Staaten ihre neu erworbenen Sicherheitsgarantien als ein besonders kostbares Gut.

    Doch geht es nicht um Sicherheit allein: Noch immer hilft die amerikanische Präsenz, das historisch begründete Misstrauen unter den europäischen Staaten zu besänftigen, ist das Gewicht Amerikas notwendig, um die Machtunterschiede innerhalb Europas auszugleichen und für alle erträglich zu gestalten. Nicht zuletzt davon hängt ab, ob es uns Deutschen gelingt, die einst „ruhelose“ Zentrallage auf dem Kontinent in einen politischen und wirtschaftlichen Vorteil umzumünzen.

  3. Deutschlands geschichtlich begründetes und geopolitisches Hauptinteresse besteht auch künftig darin, Amerika als Sicherheitsanker in Europa zu halten. Und sich mit aller Kraft für einen europäischen Integrationsprozess einzusetzen, der neue Spaltungen in Europa nicht hervorbringt, sondern verhindert. Liegt es auch im Interesse der Vereinigten Staaten, ihr Engagement für Europa fortzuführen? Was kann Deutschland tun, um dieses Interesse zu fördern?

    Es gibt Stimmen in Amerika, die Europa zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben für wenig relevant halten. Nicht alle darf man als Retourkutschen auf Unbedachtsamkeiten aus Europa verstehen. Zum Beispiel macht der Politikwissenschaftler Robert Kagan das enorme militärische Machtgefälle zwischen Amerika und Europa für divergierende außenpolitische Perspektiven verantwortlich.

    Uns Europäern darf es nicht gleichgültig lassen, wenn diesseits des Atlantiks der Eindruck entsteht, dass mit Europa nicht mehr zu rechnen sei.

    Europa hat während des Irak-Konflikts, in der Auseinandersetzung um den europäischen Stabilitätspakt und beim Scheitern eines Europäischen Verfassungsvertrages tatsächlich kein ermutigendes Bild von sich abgegeben. Dennoch gibt es genügend Gründe, Europa nicht abzuschreiben. Im Gegenteil: Die Entwicklung der Europäischen Union ist noch lange nicht am Ende.

    Gegen zahlreiche innere Widerstände und Selbstzweifel hat sich in Europa eine Staaten-, Werte- und Wirtschaftsgemeinschaft mit erheblicher ökonomischer Kraft gebildet. Ein Blick auf die Geschichte Europas mit ihren zahllosen Krisen und Kriegen zeigt, welcher Fortschritt darin liegt. Und deswegen sind – trotz mancher unerfreulicher Entwicklungen in Europa – die Festschreibung der EU- und Nato-Erweiterung die entscheidenden und zukunftweisenden Ereignisse des vorigen Jahres. An ihnen sollten wir uns orientieren – jenseits, aber auch diesseits des Atlantiks.

    Es gehört zu den großen weltpolitischen Leistungen nach dem Ende des Kalten Krieges – vor allem auch der USA –, dass der schwierige Neuordnungsprozess in Europa weitgehend friedlich gestaltet und die mittel- und osteuropäische Staatenwelt mit den Bezugssystemen EU und Nato verbunden werden konnte. Man muss heute daran erinnern: Es hätte auch anders kommen können. Gott sei Dank ist das Chaos im ehemaligen Jugoslawien die Ausnahme geblieben!

    Wer sich zurückbesinnt, wird sagen: Der Nato-Beitritt Polens und Ungarns war ein Wunder. Und die im Gang befindlichen Erweiterungsrunden der EU und der NATO sind es ebenso! Es liegt an uns, ob wir diese Chancen ergreifen oder verspielen! Lassen wir es nicht zu, dass die Auseinandersetzungen um den Irak-Konflikt langfristig auf diese Prozesse ausstrahlen!

  4. Zweimal haben die Vereinigten Staaten unter Aufbietung aller Kräfte und mit tausenden Opfern den Frieden in Europa wiederhergestellt. Auch für die USA ist der Zusammenschluss der europäischen Staaten die beste Garantie gegen militärische Konflikte innerhalb Europas.

    In der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus galt stets: Der Westen ist so stark wie die Summe seiner Mitglieder. Deswegen war den USA an einem geschlossenen und starken West-Europa gelegen. Trifft das auch für die Welt nach dem 11. September zu? Tragen die gemeinsamen Ziele und Werte oder laufen die grundlegenden Perspektiven zwischen Amerika und Europa tatsächlich auseinander?

    Wer die Weltlage insgesamt betrachtet, wird erkennen, dass der Westen – mit seiner Modernität und Freiheit, seinem Wohlstand und seiner kulturellen Präsenz – Begehrlichkeiten und Abwehrreaktionen hervorruft. Die USA sind sein Exponent, aber die Bedrohung betrifft den Westen als Ganzes.

    Man muss alles tun, um einen „Kampf der Kulturen“ zu verhindern. Dennoch kommt niemand an der Einsicht vorbei, dass sich der internationale Terrorismus gegen unsere Leitbilder von der Würde des Menschen, von Freiheit und Demokratie richtet.

    Gemeinsam müssen wir dieser Bedrohung Einhalt gebieten: besonnen, wachsam und entschlossen, im Gespräch mit anderen Kulturen. Aber – wenn es nicht anders geht –, auch durch militärisches Handeln!

    Es trifft zu, dass sich – trotz der zahlreichen Anschläge von New York bis Istanbul – in einigen europäischen Gesellschaften noch kein tiefes Bewusstsein über die weltpolitischen Herausforderungen des Terrorismus herausgebildet hat. Der Paradigmenwechsel des 11. Septembers bedeutete in gewisser Weise auch eine Umkehrung in der Wahrnehmung: Erstmals in der jüngeren Geschichte ist Amerika ein Frontstaat, während Europa aus dem Zentrum der weltpolitischen Konfliktlinien gerückt ist. Timothy Gordon Ash hat kürzlich von einer „Inselmentalität“ der Kontinental-Europäer gesprochen.

    Nun ist es die Aufgabe der politischen Verantwortlichen auf der anderen Seite des Atlantiks, insbesondere Deutschlands, den Tendenzen zu einem „europäischen Isolationismus“ und zu einem falsch verstandenen radikalen Pazifismus entgegen zu wirken. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Risiken und Bedrohungen der heutigen Weltlage nicht teilbar sind.

  5. Amerika und Europa verfügen über das Bindemittel gemeinsamer Werte und sind herausgefordert, sie zu bewahren. Doch stellt sich die Frage, ob Europa angesichts des unübersehbaren Gefälles bei der „hard power“ (Joseph Nye) ein akzeptierter Partner sein kann?

    Ich meine, ja: Amerikaner und Europäer bleiben – trotz unterschiedlicher Ausgangspositionen – voneinander abhängig: Nicht allein durch eine umfassende wirtschaftliche und gesellschaftliche Vernetzung – die EU und die USA sind die weltweit am stärksten verflochtenen Wirtschaftsräume. Sondern die gegenseitige Abhängigkeit besteht auch auf politischer Ebene.

    Denn Stärke und Ansehen Amerikas beruhen nicht allein auf Militärpotenzialen und wirtschaftlichem Gewicht, sondern vor allem auf politischem Einfluss. Selbst für die einzige „Supermacht“ gilt, was Niccolò Machiavelli so beschrieben hat: „Wer nur Löwe sein will, versteht seine Sache schlecht.“

    Die Vereinigten Staaten brauchen Partner: Zum einen, weil Macht allein keine tragfähige Legitimationsbasis für internationales Handeln darstellt. Zum anderen, weil auch Amerika auf Unterstützung angewiesen ist: Die Finanzströme von Terrornetzwerken wie al-Qaeda werden sich nur im internationalen Verbund wirksam unterbinden lassen.

    Wenn die USA und Europa vereint vorgehen, wächst ihr Einfluss. Noch fehlt es aber an den Voraussetzungen, damit Europa noch mehr als außenpolischer Akteur wahrnehmbar und handlungsfähig werden kann. Sie alle kennen die spöttische Bemerkung Henry Kissingers: „Welche Telefonnummer hat Europa?“ Nach dem vorläufigen Scheitern des Europäischen Verfassungsvertrags trifft sie leider immer noch den Kern des Problems!

    Die EU braucht mehr außenpolitische Kompetenzen – auch deshalb wünsche ich mir von den europäischen Regierungen, dass sie die irische Ratspräsidentschaft unterstützen und doch noch zu einer Einigung über den Verfassungsvertrag finden.

  6. Viel wird künftig von Deutschland abhängen: Deutschland ist aus geostrategischer Sicht die Nato-Macht in der Mitte Europas und gehört gemeinsam mit Frankreich zu den EU-Schlüsselmächten. Wir Deutschen müssen daher beachten, dass unsere Verlässlichkeit und unser Beitrag das Interesse Washingtons am Atlantischen Bündnis zu einem wesentlichen Teil mit bestimmt.

    Glücklicherweise wächst die Bereitschaft der Regierungen, wieder aufeinander zu zugehen. Im September haben Präsident Bush und Bundeskanzler Schröder erklärt, sie hätten „die Differenzen hinter sich gelassen.“ Auch dass Präsident Bush das in der Tat beachtenswerte, deutsche Engagement in Afghanistan (10.000 Soldaten) ausdrücklich gewürdigt hat, ist in Deutschland als positives Signal aufgenommen worden.

    Das ist ein Neuanfang. Aber nach meinem Eindruck muss Deutschland als Partner und Verbündeter der USA auftreten. Das stärkt die Glaubwürdigkeit.

    Über Jahrzehnte galt in der Bundesrepublik der Primat der Außenpolitik. Auf der Grundlage dieser Erfahrung sprach der Vater des heutigen Präsidenten, George Bush sen., Deutschland die Rolle eines Partners „in leadership“ zu. Der Sommer 2002 hat Probleme hinterlassen. Deutschland braucht eine verlässliche und realitätsorientierte Außenpolitik.

    Die Frage des irakischen Wiederaufbaus, die Stabilisierung des Iraks und des Nahen Ostens liegt auch im zentralen europäischen und deutschen Interesse. Nichts oder zu wenig zu tun, könnte gerade für Europa schmerzliche Konsequenzen haben.

    Bundeskanzler Schröder hat gegenüber James Baker Entgegenkommen beim Erlass der 4,4 Mrd. irakischen Staatsschulden signalisiert. Auch hat die Bundesregierung kürzlich die Entsendung eines Lazarett-Flugzeugs der Bundeswehr in Aussicht gestellt. Das sind Schritte nach vorn.

    Letztlich entscheidet sich die Frage deutscher Bündnisfähigkeit aber in der Nato: Der neue Generalsekretär de Hoop Scheffler hat angekündigt, dass der Irak „zu einem bestimmten Zeitpunkt“ auf der Tagesordnung der Nato stehen werde. Einem gemeinsamen Einsatz darf sich Deutschland dann nicht in den Weg stellen.

  7. Auch künftig ist die Nato die wichtigste Klammer des atlantischen Bündnisses. Sie zu erhalten, ist deutsche Staatsraison.

    Keineswegs sind damit aber verteidigungspolitische Initiativen auf EU-Ebene ausgeschlossen. Im Gegenteil: Die militärische Schwäche Europas macht sie sogar erforderlich. Doch darf eine europäische Verteidigungskomponente nicht in Konkurrenz zur NATO treten, sondern sie muss die Allianz stärken.

    Nicht allein wir Deutschen sollten uns immer wieder vor Augen führen: Der Kern des europäischen Vereinigungsprozesses bleibt die Schaffung von Frieden und Stabilität. Und dazu bedarf es der Nato und der atlantischen Partnerschaft. Zentralen Charakter hat aber auch ein enges und freundschaftliches Verhältnis von Deutschland und Frankreich.

    Deswegen ist eine vermittelnde Haltung zwischen atlantischer Partnerschaft und deutsch-französischer Freundschaft gute deutsche, außenpolitische Tradition.

    Fast genau vor einem Jahr waren die Gewichte einseitig verschoben.

    Damals hat man in Paris auch 40 Jahre „Elysée-Vertrag“ gefeiert. Aber es waren eben auch 40 Jahre parlamentarische „Entschließung“: Denn der Bundestag stellte im Ratifizierungsgesetz jene Präambel voran, die dem deutsch-französischen Vertrag die Exklusivität nahm. Von einer „engen Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten“ ist darin die Rede. Auch daran hätte man sich erinnern sollen.

  8. Der 11. September hat die Welt verändert. Deutschland ist auf dem Weg, sich der neuen Dynamik einer globalisierten Welt anzupassen, seine Wirtschaftskrise zu überwinden und die Strukturprobleme zu bewältigen.

    Die existentielle Bedeutung der großen Bezugskreise deutscher Außenpolitik – transatlantisches Bündnis und Europäische Union – wird dadurch nicht geschmälert. Im Gegenteil: Sie bleiben die Grundlagen für Sicherheit, Frieden und Wohlstand!

    Deutschland muss sich ändern und erneuern, aber es darf seine Fundamente nicht aus den Augen verlieren. Zu Recht hat man ein gutes deutsch-amerikanisches Verhältnis als „die ungeschriebene zweite deutsche Verfassung“ bezeichnet.

    Deutschland und Europa einerseits, die Vereinigten Staaten andererseits bleiben aufeinander angewiesen. Und je mehr wir uns dessen bewusst sind, desto stärker wächst das gegenseitige Vertrauen. Dennoch meine ich, dass ein guter Beobachter der transatlantischen Beziehungen zu kurz greift, wenn er sagt: „Die neue Zusammenarbeit kommt durch den Kopf, nicht durch den Bauch zustande.“ (Christoph Bertram)

    Ich stehe heute hier, im 15. Jahr nach der friedlichen Revolution in den ehemaligen sowjetisch dominierten Ländern Europas. Und ich gestehe: Es bewegt mich!

    Ich bin sto lz und dankbar, in diesen Tagen hier zu sein können – als Vertreter eines wiedergründeten Freistaats Thüringen und eines in Freiheit vereinigten Deutschlands. Aber ich stehe hier auch als Angehöriger der Völker Europas und Nord-Amerikas, der größten Gemeinschaft freier Menschen, die es je gab. Auch das erfüllt mich mit Stolz und Dankbarkeit.

    (Nicht allein gemeinsame Interessen sind ausschlagend für die Gestaltung der Zukunft. Gemeinsame Werte und Erfahrungen, die Anstrengungen und Erfolge der Vergangenheit sind es ebenso.

    Auch deshalb bin ich zuversichtlich, dass das Friedensprojekt eines freien und geeinten Europas auch künftig der Unterstützung Amerikas sicher sein kann.)

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Sankt Augustin Deutschland