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Politik und Sprache

von Georg Diez

Der Tabubruch

Die Grenzen des Sagbaren werden von Politikern in aller Welt verschoben. Worte werden wieder zu Waffen. Das treibt Menschen auseinander – und fordert viele Opfer.

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Sprache ist Welt. Und man muss kein französischer Philosoph der Postmoderne sein, um zu wissen, was das bedeutet. Es reicht schon, wenn man ein deutscher Politiker der Postpostmoderne ist. Erst sagt man, dass man auf Flüchtlinge schießen würde und schaut zu, welchen Schaden diese Worte anrichten. Dann sagt man, dass man das natürlich nicht so gesagt oder jedenfalls nie so gemeint habe. Der Schaden bleibt.

Das ist Politik in Zeiten der Verantwortungslosigkeit. Die Grundlagen lösen sich auf. Demokratie ist ein kompliziertes Spiel, wie sich nun zeigt. Sie hat nicht den unmittelbaren Vorteil der Plausibilität, wie eine ganze Weile gedacht. Politik war ein Versuch, den Egoismus der Einzelnen in Schach zu halten. Politik war Sprache, Debatte, Überzeugung, nicht Lautstärke. Die Sprache verwandelte dabei den Konflikt in etwas Gemeinsames, Verfügbares, Verhandelbares. Heute ist die Sprache selbst der Konflikt. Es galt einmal, dass die Worte Waffen ersetzen sollten. Das ist die Grundlage der Demokratie, das ist die Geschichte der „Orestie“: Das antike Drama erzählt davon, wie der ewige und gottgegebene Krieg durch die Macht des Menschen zum Kompromiss beendet wird.

Die Politiker waren es!? - Eine Entgegnung von Joachim Klose, Leiter des Bildungsforums Sachsen der Konrad-Adenauer-Stiftung

Die Rückverwandlung von Worten in Waffen

Die Moderne kennt eine andere Geschichte; es ist die Rückverwandlung von Worten in Waffen. Die Propaganda der totalitären und faschistischen Regime des 20. Jahrhunderts beruhte darauf, dass Worte Wirklichkeit schaffen können – ohne den störenden Umweg über die Wahrheit. Die Lüge also als Mittel der Politik; heute nennen viele Kommentatoren das „post-truth politics“. Aber es gibt keine Politik ohne Wahrheit – oder wenigstens den Versuch, die Wahrheit des anderen als eine Möglichkeit anzusehen, denn nur so kann man darüber verhandeln.

Und so ist das, was wir gerade erleben, der Versuch der Abschaffung der Politik mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts. Als Niccolò Machiavelli vor fast genau 500 Jahren zu Beginn des rationalistischen Zeitalters über Politik und Lüge schrieb, hatte er etwas anderes im Sinn. Der Unterschied ist, dass eine Lüge heute in der Echo-Kammer des Internets nicht mehr als Lüge wahrgenommen wird: Die Lüge wird damit nicht Mittel der Täuschung, sondern ersetzt direkt die Wahrheit und gewinnt eine eigene Wirklichkeit und Plausibilität.

Die Rhetorik von Donald Trump im amerikanischen Wahlkampf ist ein Beispiel dafür. Genauso aber auch die Weigerung vieler Wähler, den Einwand zu akzeptieren, dass das, was Trump sagt, objektiv falsch ist. Frauke Petry ist dafür ein Beispiel, das lächelnde Gesicht der gegenwärtigen Mittelschichts-Paranoia, die sich sehr einfach in alten, dumpfen, deutschen Rassismus verwandeln lässt. Auch Boris Johnson, Nigel Farage können als Beispiel dafür angeführt werden. Wort um Wort verschieben sie die Grenzen des Sagbaren und damit die Grenzen des Machbaren. Sie kultivieren den Tabubruch, weil sie wissen, dass man sich an Scherben schneiden kann.

Als die Labour-Abgeordnete Jo Cox am 16. Juni 2016 starb, war sie das Opfer des Hasses, der sich über Monate aufgebaut hatte und von manchem Politiker scheinbar gezielt geschürt wurde; es war die Angst, die schließlich zum Brexit führte; es war die Irrationalität, die in Worten liegen kann und Gewalt birgt. Ihr Mörder hasste Menschen, er hasste die Flüchtenden, die Menschen auf der Flucht, die Flüchtlinge – so werden sie genannt, so werden sie gebannt, so werden sie zu Abhängigen unserer Gnade, so werden sie zu Schwachen, denen wir helfen können oder auch nicht, so werden sie zu Opfern.

Es ist diese Sprache, die die Politik prägt, es ist aber auch die Sprache, die die Medien prägen durch eine oft kopf- und herzlose Verwendung von Worten, die ihr die Politik souffliert. Wer sagt zum Beispiel, dass es eine „Flüchtlings-Krise“ gibt? Für wen ist es eine Krise, wenn nicht für die Menschen, die fliehen? Das ganze Versagen, einen rationalen Diskurs um dieses Thema Flucht, Krieg, Syrien, Islam, Einwanderung und Integration zu führen, wird hier deutlich – und die plapprige Dummheit einiger Politiker auch aus Unionskreisen ist nur der offensichtlichste Ausdruck einer Unfähigkeit in Teilen des politisch-medialen Establishments, das Richtige zu tun.

Es scheint tatsächlich, als habe es ein stilles Arrangement gegeben, die Bedingungen unserer Demokratie in diesen Tagen zu verschieben, indem man gemeinsam den Notstand ausruft und den Feind im Fremden sucht. Das war die traurige Erkenntnis des vergangenen Jahres, als so viel von Krise die Rede war und von Obergrenzen und Kontingenten – und als Menschen, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, mit der Härte der Bürokratie benannt wurden. Die Flüchtenden wurden systematisch enthumanisiert, indem man sie zu Zahlen machte, zu Problemen, die man lösen soll, wenn man nur bereit ist, die richtigen Mittel einzusetzen und sich an die Gesetze der Arithmetik zu halten. Die metaphysische Katastrophe des Syrien-Krieges wurde in abwaschbare, austauschbare oder brandgefährliche Worte verwandelt.

Es sind Worte, die oft von der Metaphorik der Katastrophen oder der Krankheiten geprägt sind – und diese Worte werden gezielt eingesetzt; sie sind das Werk von Menschen, die einen konkreten Plan verfolgen: Mit jedem dieser Worte schwächen sie die Grundlagen des humanitären Denkens, lösen den Zusammenhalt der Gesellschaft, die auf Respekt und Gleichheit gründet. Worte, das haben sie in den Kulturkämpfen der vergangenen Jahre gelernt, sind ein effektives Mittel, um Menschen auseinanderzutreiben, anzustacheln, zu spalten. Worte sind die Welt, wie wir sie bauen, wie wir sie verstehen, wie wir sie haben wollen. Worte sind Werkzeuge, die konstruktiv oder destruktiv eingesetzt werden können. Worte sind Taten, weil der Mensch alles ist, was der Fall ist.

Georg Diez ist ein deutscher Journalist, Kolumnist und Buchautor. Seit August hält sich Diez für ein Jahr als Nieman Fellow in Harvard auf. Er forscht dort nach Wegen und Möglichkeiten, die Demokratie für das 21. Jahrhundert neu zu erfinden.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Berlin Deutschland