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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

Länderberichte mal anders

Inklusion von Menschen mit Behinderung im israelischen Bildungssektor

von Laura Gabler

Inklusion weltweit – aktueller Stand aus Israel

Im Jahr 2020 wiesen rund 20 Prozent der israelischen Bevölkerung – und damit mehr als 1,5 Millionen Menschen – eine psychische oder physische Behinderung auf. Von einer Behinderung betroffen sind auch elf Prozent aller Kinder in Israel und 16 Prozent der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter. Zwar hat die israelische Regierung durch verschiedene Gesetzesakte dieser Bevölkerungsgruppe den Zugang zu den unterschiedlichen Bildungseinrichtungen mittlerweile erleichtert, allerdings kämpfen Schülerinnen und Schüler sowie Studierende dennoch mit einer nur wenig ausgebauten behindertengerechten Infrastruktur, aber auch mit einer mangelnden akademischen und sozialen Inklusion aufgrund von Stigmatisierung (Barlev, Pur and Bachar, 2021). Auch für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel ist es von Bedeutung, die Hürden, die diese Gruppe in Bezug auf den Zugang zum Bildungssystem erfährt, zu kennen. Nur so ist es möglich – vor allem in Zusammenarbeit mit unseren Partnern, darunter auch den zivilgesellschaftlichen Organisationen – diese Barrieren stückweise abzubauen und damit insbesondere an der Umsetzung der UN-Agenda 2030 „Leave no one behind“ mitzuwirken.

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Die größten Hürden für Menschen mit Behinderung im israelischen Bildungssystem

Eine Studie der Universität Haifa untersuchte auf Grundlage eines Vergleichs von Studierenden mit und ohne Behinderung an israelischen Hochschulen deren Leistungsniveau. Die Ergebnisse zeigen, dass die akademischen Leistungen von Studierenden mit Behinderung fast genauso hoch sind wie die jener ohne Behinderung. Allerdings wird auch deutlich, dass erstere Gruppe mehr Zeit aufwenden muss, um den Anforderungen des Studiums gerecht zu werden. Überdies nehmen behinderte Studierende weniger an sozialen und außeruniversitären Aktivitäten teil als ihre nicht behinderten Kommilitoninnen und Kommilitonen (Sachs and Schreuer, 2011). Trotz des fast identischen Leistungsniveaus, stehen israelische Schülerinnen und Schüler sowie Studierende mit einer psychischen oder einer physischen Behinderung vor einigen Barrieren – sowohl in der Primar-, als auch in der Sekundarbildung.

Für Studierende mit einer physischen Behinderung stellen vor allem materielle Barrieren ein Problem dar. So fehlt es in Israel in zahlreichen Schul- und Hochschulgebäuden an einer grundlegenden Infrastruktur, wie Rampen und Aufzügen für Rollstühle oder geeigneten Fließenmarkierungen für Schülerinnen und Schüler sowie Studierende mit Sehbehinderung, die ihnen den Zugang zu Lehrveranstaltungen erleichtern würden (Barlev, Pur and Bachar, 2021).

Psychisch behinderte Schülerinnen und Schüler sowie Studierende kämpfen primär mit einer mangelnden akademischen und sozialen Inklusion innerhalb der Bildungseinrichtungen. Ersteres meint dabei Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Lernaktivitäten und studienbezogenen Fähigkeiten aufgrund von Funktionseinschränkungen wie Müdigkeit, Erschöpfung und Konzentrationsproblemen, die infolge von Psychopharmaka hervorgerufen werden. Studien zeigen, dass die größte Herausforderung in diesem Zusammenhang die Bewältigung von den ihnen übertragenen Aufgaben, aber auch organisatorische Tätigkeiten wie Zeitmanagement sind. Zudem stellt die Bewerkstelligung von Stressoren während Prüfungen eine große Hürde für behinderte Schülerinnen und Schüler sowie Studierende dar. Schwierigkeiten in Bezug auf die soziale Inklusion erfahren Schüler und Studierende vorrangig aufgrund von Stigmatisierung und einer mangelnden Akzeptanz von Kommilitonen. Dabei führen die Hürden beim Aufbau von Beziehungen zu anderen Studenten und Schülern nicht selten zu sozialer Isolation. Als weniger signifikante, aber dennoch bedeutende Hürde für Menschen mit einer psychischen Behinderung im israelischen Bildungssystem werden die fehlende Unterstützung von anderen Schülern und Studenten sowie ökonomische Schwierigkeiten gesehen (Shor et al., 2021).

 

Der Zugang zu Bildungseinrichtungen und inklusive Bildung in Israel

In Israel haben nur 21 Prozent der Menschen mit einer Behinderung eine akademische Ausbildung, im Gegensatz zu 36 Prozent der Menschen ohne Behinderung. Ist das Bildungsniveau der arabischen Bevölkerung in Israel im Allgemeinen geringer als innerhalb der jüdischen, so setzt sich dieser Trend auch unter den Menschen mit Behinderung fort. Darüber hinaus gaben 42 Prozent der Studierenden mit Behinderungen an Hochschulen an, dass sie nicht alle ihnen zustehenden akademischen Hilfen erhalten hätten. Ferner beklagten 33 Prozent, das Studium aufgrund mangelnder Zugänglichkeit oder weil die nicht die erforderlichen Unterkünfte erhalten hätten, abgebrochen zu haben (Shor et al., 2021).

Für die Hochschulen in Israel selbst stellt der Umgang mit Studierenden mit Behinderung ein Dilemma dar. Auf der einen Seite signalisieren die akademischen Einrichtungen grundsätzlich Offenheit für die Aufnahme von Studierenden mit Behinderung. Auf der anderen Seite äußern sie immer wieder Befürchtungen, dass behinderte Studenten die Lehre im negativen Sinne beeinträchtigen könnten oder die speziellen Anpassungen, die beispielsweise für Lehrveranstaltungen oder Prüfungen für behinderte Studenten vorgenommen werden müssen, nicht zu bewältigen seien (Mandelblit, 2020).

 

Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung durch die Regierung

In Bezug auf die Inklusion von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden mit Behinderung stellt das Sonderschulgesetz von 1998 einen Wendepunkt in der Bereitstellung von sonderpädagogischen Leistungen in Israel dar. Das Gesetz wurde mit der breiten parteiübergreifenden Hoffnung verabschiedet, dass es dort Verfahrenssicherheit schaffen und Richtlinien kodifizieren würde, wo vorher keine waren. Dieser legislative Akt besagt nicht nur, dass Menschen mit Behinderungen das Recht haben, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen wie jeder andere Bürger auch. Es ebnete Menschen mit Lernbehinderungen darüber hinaus den Weg zur Hochschulbildung. Eine Novelle des Gesetzes aus dem Jahr 2005 legt Hilfsmittel fest, die eingesetzt werden können, um Menschen mit Lernbehinderungen die Zulassung zu Hochschuleinrichtungen zu erleichtern. Durch das Gesetz gab es einen signifikanten Anstieg von Studierenden mit Behinderungen an Hochschuleinrichtungen (Meadan and Gumpel, 2002).

Im Jahr 2018 verabschiedete die Knesset abermals eine Novelle des Sonderschulgesetzes. Die Umsetzung des Gesetzes findet in der Abteilung für Sonderpädagogik des Bildungsministeriums im Rahmen eines systematischen Prozesses statt, der die Inklusion und Integration von Schülerinnen und Schülern mit verschiedenen besonderen Bedürfnissen im Bildungssystem fördert. Der Prozess ist so angelegt, dass die individuellen Fähigkeiten und einzigartigen Bedürfnisse jedes einzelnen Schülers berücksichtigt werden, um das akademische und soziale Potential des Schülers zu maximieren. Im Kern der Gesetzesnovelle stehen folgende drei Punkte: Die Änderung des Verfahrens zur Bestimmung des Anspruchs auf und der Einstufung in die Sonderschule; das Recht der Eltern, die Art der Bildungseinrichtung und Schulform zu wählen, in der das Kind lernen soll und die detaillierte Darstellung des Umfangs der Leistungen, auf die Schüler mit Behinderung Anspruch haben (Unesco, 2021).

Im Jahr 2022 wurde überdies erstmals ein Gesetzentwurf verabschiedet, der die Rechte und Leistungen von allen Menschen mit Behinderung offiziell gesetzlich festlegt. Dieses Gesetz sieht vor, dass rund zwei Milliarden Schekel (ca. 561 Millionen Euro) für eine Reihe von Dienstleistungen wie die Unterstützung durch Sozialarbeitern oder stenographische Dienste bereitgestellt werden. Um auch die Mobilität für behinderte Menschen zu erhöhen, sieht das Gesetz überdies 100 neue barrierefreie Überlandbusse und die Nutzung von Shuttle-Services vor (Israelische Botschaft in Österreich, 2022).

 

Fördern wir als Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen unserer Partnerstrukturen Bildungseinrichtungen oder zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für die Förderung dieser jungen Menschen einsetzen?

Der Schwerpunkt der Maßnahmen der Konrad-Adenauer-Stiftung Israel liegt nicht auf dem Thema Inklusion. Allerdings arbeitet die Konrad-Adenauer-Stiftung Israel mit verschiedenen Hochschulen zusammen, die sich im Speziellen für behinderte Studenten einsetzen. Beispielsweise ist die Bar Ilan University, ein Partner der Konrad-Adenauer-Stiftung Israel, ein Teil der „Inclusive University“. Dieses Programm zielt darauf ab, Menschen mit komplexen Lern- und Anpassungsschwierigkeiten die gleichen Möglichkeiten zu bieten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und ihre Persönlichkeit zu stärken wie ihre nichtbehinderten Kommilitonen. Überdies ist die „Inclusive University“ ein Vorreiter bei der Entwicklung von Methoden zur kognitiven Zugänglichkeit und zur Vereinfachung des akademischen Materials (Beit Issie Shapiro, 2017).

Auch die Reichmann University, institutioneller Partner der Konrad-Adenauer-Stiftung Israel, unterstützt und fördert Studierende, bei denen eine Lernbehinderung oder ein Aufmerksamkeitsdefizit diagnostiziert wurde. Beispielsweise erhalten jene Studenten eine Verlängerung der Prüfungszeit um 25 Prozent oder können Prüfungen in einem Computerraum absolvieren, in dem sie die Antworten abtippen können. Darüber hinaus können sich die Studenten die Vorlesungen auch in englischer Sprache von einer Computersoftware vorlesen lassen (Reichmann University, 2022).

 

Können wir diesbezüglich mit unseren globalen Bildungsaktivitäten zur Umsetzung der Agenda 2030 („Leave no one behind“) beitragen?

Die nachhaltigen UN-Entwicklungsziele – the Sustainable Development Goals – traten am 1. Januar 2016 in Kraft und sollen bis 2030 verwirklicht werden. Mit dem Motto „Leave no one behind“ („Lass niemanden zurück“) stellen diese 17 Ziele ein Instrument da, um Inklusion auf allen Ebenen einzufordern. Sie lösten die Millenniums-Entwicklungsziele ab und sollen eine nachhaltige, gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Entwicklung sicherstellen. Diese Agenda steht für die unmissverständliche Verpflichtung aller UN-Mitgliedsstaaten, die Armut in all ihren Formen zu beseitigen, Diskriminierung und Ausgrenzung zu beenden und die Ungleichheiten und Schwachstellen zu verringern, die Menschen zurücklassen und das Potential des Einzelnen und der Menschen insgesamt untergraben (Renner et al., 2018).

Im Rahmen unserer globalen Bildungsaktivitäten kann die Konrad-Adenauer-Stiftung Israel auf unterschiedliche Art und Weise zu dieser Agenda beitragen. Leider ist die erste Etappe des Konrad-Adenauer-Stiftung-Büros in Israel aufgrund des unter Denkmalschutz stehenden alten Gebäudes nur über Treppenstufen erreichbar und damit nicht barrierefrei. Damit an den Bildungsveranstaltungen der Konrad-Adenauer-Stiftung Israel aber auch Menschen mit einer physischen Behinderung teilnehmen können, führen wir diese meistens in modernen Hotels oder barrierefreien Räumen durch und leisten damit einen Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030.

Trotz dieser Bemühungen kann und muss noch mehr getan werden, um die Inklusion als Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel zu fördern. Ein Vorschlag für unser Büro, aber auch für die anderen Büros weltweit wäre die von den Mitarbeitern geschriebenen Auslandsberichte auch in Leichte Sprache zu übersetzen. Leichte Sprache ist eine vereinfachte Form des Deutschen und damit ein Instrument für Barrierefreiheit. Sie folgt dabei bestimmten Regeln: Der Text besteht zum Beispiel nur aus kurzen Sätzen und einfachen Wörtern. Außerdem helfen Bilder und Symbole, den Text besser verstehen zu können (Netzwerk Leichte Sprache, 2022). Durch eine solche Maßnahme könnten auch Menschen mit einer kognitiven Be-hinderung die Informationen eigenständig erschlie-ßen und die Konrad-Adenauer-Stiftung Israel würde somit einen weiteren Beitrag zur „Leave no one behind“-Agenda leisten.

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Leiter des Auslandsbüros Israel

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Barbara Bergmann

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Referentin für Inklusionsfragen in der Europäischen und Internationalen Zusammenarbeit

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