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Endergebnisse der ungarischen Parlamentswahlen und erste politische Konsequenzen

von Frank Spengler, Bence Bauer, LL.M
Die offiziellen Endergebnisse der Wahlen zur Ungarischen Nationalversammlung wurden am späten Abend des 14. April 2018 veröffentlicht. Die Regierungsparteien erreichten hinsichtlich der absoluten Stimmen ihr bisher bestes Ergebnis. Das amtliche Ergebnis der Wahlen vom 8. April 2018 konnte erst mit einigen Tagen Verzögerung vorgelegt werden, da erst noch die Stimmzettel von Wahlberechtigten ausgezählt werden mussten, die nicht in ihrem Heimatwahlkreis gewählt hatten. Im Vergleich zu den vorläufigen Ergebnissen hat es in den Wahlkreisen jedoch keine Veränderungen gegeben.

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Dieser Text ergänzt die beiden Berichte: „Ungarische Regierungsparteien gewinnen Zweidrittelmehrheit“ (http://www.kas.de/ungarn/de/publications/52031/) und „Ungarn vor den Wahlen 2018“ (http://www.kas.de/ungarn/de/publications/51718/).

Das amtliche Ergebnis der Wahlen vom 8. April 2018 konnte erst mit einigen Tagen Verzögerung vorgelegt werden, da erst noch die Stimmzettel von Wahlberechtigten ausgezählt werden mussten, die nicht in ihrem Heimatwahlkreis gewählt hatten. Im Vergleich zu den vorläufigen Ergebnissen hat es in den Wahlkreisen jedoch keine Veränderungen gegeben. In der Zuteilung der Listenmandate allerdings verlor Fidesz/KDNP ein Mandat an Jobbik. Die Regierungsparteien gewannen damit dieselbe Anzahl von Mandaten wie bei der Wahl vor vier Jahren, d.h. die geringste nötige Anzahl von Parlamentssitzen für eine Zweidrittelmehrheit.

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Gelegentlich werden geringfügig höhere Prozentsätze angegeben. Dies ist dadurch zu erklären, dass sich die Prozentangaben nur auf die Parteilisten beziehen und die Listen der Nationalitäten (0,67% aller Listenstimmen) nicht berücksichtigt werden.

Die Mandatsberechnung erfolgte nach d´Hondt. Es werden dabei aber nicht nur die Listenstimmen der die 5%-Hürde überschreitenden Wahlvorschläge berücksichtigt, sondern auch die sog. Bruchstimmen (Verlierer- und Gewinnerkompensation):

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Die Mandatsverteilung in der Ungarischen Nationalversammlung:

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Hinzu kommt noch der Vertreter der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, Emmerich Ritter, der über die Wahlliste der Landesselbstverwaltung mit 26.477 Stimmen gewählt wurde (notwendig waren mindestens 23.829 Stimmen). Sein Mandat reduziert die Gesamtzahl der Listenmandate der Parteien der Ungarischen Nationalversammlung auf 92.

Ergänzende Wahlanalyse sowie wichtige politische Entwicklungen nach dem Urnengang (stichwortartig):

• Die hohe Wahlbeteiligung von fast 69% begünstigte nicht wie allgemein erwartet die Oppositionsparteien, sondern sie stagnierten. Fidesz/KDNP konnte eine noch nie erreichte Zahl an 2.824.206 Wählern mobilisieren (2010 = 2.706.292).

• Von den 378.449 registrierten Auslandsungarn gaben nur 225.471 eine gültige Stimme ab (Wahlbeteiligung 59,58%). Davon votierten 216.120 für die Regierungsparteien; dies entsprach zwei Listenmandaten.

• Die in der Vergangenheit niedrigere Wahlbeteiligung in den Regionen des Landes näherte sich der stets hohen Wahlbeteiligung von Budapest an. In den ländlichen Gebieten konnten die Regierungsparteien noch erhebliche Wählerreserven mobilisieren und gewannen 85 von 88 Wahlkreisen, die restlichen drei gingen an Jobbik, MSZP und an einen Unabhängigen. Fidesz/KDNP eroberte einen Wahlkreis in Miskolc von der MSZP zurück und verlor einen an Jobbik sowie in Pécs an den unabhängigen Tamás Mellár.

• Ungarns Hauptstadt präsentierte ein buntes Bild: Von den 18 Wahlkreisen gewinnt Fidesz/KDNP nur sechs Wahlkreise, 12 gehen an die Opposition: 7 MSZP, 3 DK, 1 LMP und 1 Együtt. Fidesz verlor damit vier Wahlkreise an die Opposition, in den Budaer bürgerlichen Stadtteilen verlor sie massiv und kann dort von vier Wahlkreisen nur drei halten – und dies nur sehr knapp.

• Das Wahlergebnis war auch deshalb eine Überraschung, weil die von Analysten prophezeite Überraschung ausblieb. Die zuvor publizierte schlechte Stimmung für Fidesz/KDNP hat sich nur in der Hauptstadt und den dortigen Meinungseliten widergespiegelt, in den ländlichen Regionen stieg hingegen die Popularität der Regierungsparteien.

• Bei der Wählergruppe der An- und Umgemeldeten, vermutliche Wähler mit einer höheren Mobilität, schneiden die relativ jungen Parteien Jobbik, LMP und Momentum überdurchschnittlich gut ab.

• Die Opposition steht vor einem politischen Scherbenhaufen. Die Parteivorsitzenden von Jobbik, MSZP und ein Kovorsitzender von LMP traten zurück.

• Der Jobbik-Vorsitzende Gábor Vona wird sein Listenmandat nicht annehmen und will seine politische Laufbahn vorerst beenden. Die hohen Erwartungen der Opposition, insbesondere von Jobbik, wurden enttäuscht. Jobbik errang nur ein Direktmandat, aber nicht in der vermeintlichen Hochburg Nordostungarn, sondern überraschend in Mittelungarn.

• Im linken Spektrum haben sich die Größenverhältnisse der Parteien zueinander verschoben, neue Wähler konnten nicht gewonnen werden. Verlierer ist die MSZP, während DK und LMP zulegten. Die DK von Ferenc Gyurcsány kann eine Fraktion bilden und macht weiterhin der MSZP die Führerschaft im linken politischen Spektrum streitig.

• Der Listenführer der MSZP, Gergely Karácsony, erklärte ebenfalls, sein Mandat nicht annehmen zu wollen. Er will weiter Bürgermeister des Budapester Stadtbezirks Zugló bleiben. Auch andere Vertreter von MSZP nahmen ihr Mandat nicht an, sondern wollen Platz für (jüngere) Nachrücker machen.

• Parteien mit regionalen Hochburgen (wie etwa MSZP, DK und Fidesz/KDNP) profitierten von den Elementen des Mehrheitswahlrechts.

• Die Bereitschaft, den „aussichtsreicheren“ Kandidaten zu unterstützen, war bei den Unterstützern der linken Parteien ausgeprägter als bei Jobbik-Wählern. Die Parteien des linken politischen Spektrums sind im Wesentlichen nur noch in Budapest stark. In den ländlichen Regionen konkurrieren Fidesz/KDNP und Jobbik.

• Einige gewählte Listenkandidaten von LMP und Jobbik, die Bürgermeisterposten innehaben, werden ihre Mandate nicht antreten, da Doppelmandate gesetzeswidrig sind.

• Ministerpräsident Viktor Orbán gab am Dienstag nach der Wahl in einer internationalen Pressekonferenz bekannt, dass das Amt aller Minister und Staatssekretäre in der Wahlnacht endete. Es werde eine „neue Regierung“, mit anderen Gesichtern und Ressortzuschnitten geben. Das nächste Kabinett werde nach den zukünftigen Aufgabenschwerpunkten der Demografie, der nationalen Identität und der Migrationskrise gebildet.

• Die konstituierende Sitzung der Ungarischen Nationalversammlung findet am 8. Mai 2018 statt. Das Parlament soll dann, nach Informationen aus Regierungskreisen, auch die umstrittene Gesetzesvorlage „Stop Soros“ behandeln.

• In einigen Wahllokalen soll es zu Ungenauigkeiten bei der Stimmauszählung und der Aushändigung von Wahlunterlagen gekommen sein. Diese menschlichen Fehler sollen das Ergebnis der Wahl aber nicht beeinflussen. Die DK kündigte an, in den 40 Wahlkreisen die Wahl anzufechten, in denen ihre Direktkandidaten nicht gewannen.

• Am Samstag, den 14. April 2018, kam es in Budapest zu einer Demonstration, an der nach Angaben einiger Medien etwa 100.000 Personen teilnahmen. Sie gingen gegen die Wiederwahl von Viktor Orbán auf die Straße und forderten Neuwahlen mit einem „fairen Wahlrecht“. Die Oppositionsparteien unterstützten diese Demonstration, die nächsten Samstag wiederholt werden soll.

• Die OSZE-Beobachter stellten in ihrem vorläufigen Abschlussbericht fest, dass die Wahlen grundsätzlich „sauber“ und die technische Abwicklung professionell gewesen sei. Sie bemängelten jedoch eine Übermacht der Regierungsparteien in den öffentlich-rechtlichen Medien und kritisierten, dass die Anwendung der Grundrechte nur in einem „feindlichen Umfeld“ möglich gewesen sei. Ferner rügten sie den geringen Anteil der Frauen in der Politik und beanstandeten, dass die Grenzen zwischen Regierungskommunikation und der Wahlwerbung der Regierungsparteien fließend gewesen seien. Außerdem habe eine einschüchternde und xenophobische Atmosphäre geherrscht. Die Regierungsparteien wiesen die Kritik umgehend zurück.

• Der Medienunternehmer und Regierungsgegner Lajos Simicska stellte aus wirtschaftlichen Gründen die konservative, regierungskritische Traditionszeitung „Magyar Nemzet“ einige Tage nach der Wahl ein. Das Blatt erreichte zuletzt eine Auflage von knapp 14.000 Exemplaren. Jedoch wurden Verhandlungen mit einem Kaufinteressenten aufgenommen.

Stand der Bearbeitung: 17. April 2018

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