Regierung Batlle 100 Tage im Amt - www.kas.de
Länderberichte
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Politische Situation
Der Regierungsstil und das persönliche Auftreten des Staatspräsidenten Batlle haben offenbar die ihn tragenden konservativen Regierungsparteien, die Colorados, deren Präsidentschaftskandidat Batlle war, und die Blancos (Partido Nacional), ebenso verunsichert oder erstaunt wie die sozialistische Oppositionsallianz Frente Amplio-Encuentro Progresista (FA-EP), deren Präsidentschaftskandidat Tabaré Vázquez in der ersten Wahlrunde noch die meisten Stimmen erhalten hatte, aber Batlle in der Stichwahl unterlegen war. Von einer Debatte der Parteien untereinander ist momentan wenig zu hören. Reflexion und Analyse der Landessituation konzentrieren sich auf innerparteiliche Diskussionen mit folgenden Schwerpunkten:
Durch die Wahlrechtsreform des Jahres 1997 , durch die eine Stichwahl eingeführt wurde, falls der Präsidentschaftskandidat im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit erhält, hat sich die politische Landschaft verändert. Die Konsequenzen für die Bedeutung der Parteien und für die politische Kultur waren offensichtlich von den Parteien nur unzureichend bedacht worden. Für das Linksbündnis FA-EP war es wohl eine Überraschung, daß man den Vorsprung von fast 8%, den Tabaré Vázquez im Oktober letzten Jahres im ersten Wahlgang erreicht hatte, im zweiten Wahlgang (November 1999) nicht halten konnte, sondern daß sich die Uruguayer mit fast 52% für den konservativen Batlle entschieden. Parteiintern gibt man heute der Debatte um eine ‚gerechtere' Einkommensbesteuerung die Schuld daran, daß man die Wähler des Kandidaten Lacalle (Blancos), der im ersten Wahlgang ca 22% erhalten hatte, nicht für die FA-EP gewinnen konnte.
Die Suche nach thematisch bestimmten Allianzen hat mehr Gewicht bekommen. Der FA-EP-Abgeordnete Carlos Pita wird zitiert mit der Aussage, man sei auf die Stichwahl thematisch nicht hinreichend vorbereitet gewesen und habe daher der Nationalen Partei (Blancos) auch keine attraktiven programmatischen Angebote machen können.
Die Suche nach einer ‚nationalen Position' für Uruguay im Rahmen der Globalisierung wird vorrangig von der Linken geführt. Senator Jorge Mujica von dem zum Linksbündnis gehörenden Movimiento de Participación Popular (Bewegung für die (aktivere) Beteiligung des Volkes) fordert eine Staatsreform, da der uruguayische Staat in seiner jetzigen Form nicht in der Lage sei, seine Interessen im Globalisierungsprozeß zu verteidigen. Diese Staatsreformdebatte wird auch von konservativen Kreisen geführt, allerdings unter dem Gesichtspunkt der Dezentralisierung und Deregulierung.
Die Diskussion, ob sich für Uruguay die weitere Teilnahme an der Integration mit Brasilien, Argentinien und Paraguay im MERCOSUR lohnt oder ob man sich mehr auf das Zustandekommen der von Clinton angeregten Amerikanische Freihandelszone ALCA/AFTA konzentrieren solle, ist ebenfalls im Zusammenhang mit der Bestimmung der nationalen Position zu sehen. Nach dem MERCOSUR-Gipfel in Buenos Aires im Juni dieses Jahres hatte sich Batlle, sicher auch aus Enttäuschung über die nicht gelungene Einbindung Chiles, vor allem aber wegen der Übermacht der Achse Argentinien-Brasilien, skeptisch zur weiteren Entwicklung des MERCOSUR und positiv zu den ALCA/AFTA-Bestrebungen geäußert.
Präsident Batlle sieht die Prioritäten in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (s. Punkt 2), der Marginalisierung eines wachsenden Teils der Bevölkerung, von der heute schon etwa 150.000 der 3.3 Millionen Uruguayer betroffen ist, und in der Stabiliserung des öffentlichen Gesundheitssystems, das wegen der Krise des bisherigen auf Solidarität basierenden Versicherungssystems durch Schließung von Gesundheitseinrichtungen und Entlassungen des Personals gefährdet ist.
Diese Sozialprobleme haben die von der Linken kontrollierte Gewerkschafts-zentrale PIT-CNT am 8. Juni zu einem nur in Montevideo massiv befolgten Generalstreik unter dem Slogan "Arbeit für alle" veranlaßt. Batlle, der ursprünglich durch intensive Gespräche mit Gewerkschaftern eine Partnerschaft suchte, aber nun in eine ähnliche Position zu den Gewerkschaften zu kommen scheint wie sein Vorgänger Dr. Julio Maria Sanguinetti, kritisierte den Generalstreik als "Maßnahme, die der Gewerkschaftsbewegung schadet, da sie kein konkretes Ziel habe und bereits einen Monat zuvor beschlossen worden war" Er hätte, so Batlle, ein Gesprächsforum mit den Gewerkschaften vorgezogen, auf dem man die Bemühungen der Regierung, bei den großen Staaten eine Öffnung der Märkte für die Produkte Uruguays zu erreichen, unterstützt hätte. Diese Haltung liegt auf der Linie seiner in den letzten zwei Monaten wiederholt angemahnten Öffnung der Handelspartner, die er in seinem bei dem MERCOSUR-Gipfel im Juni in Buenos Aires gehaltenen Vortrag über Ungleichheit im Welthandel erneut forderte und bei dem er - wie oben erwähnt - der ALCA/AFTA-Bestrebung den Vorzug gegenüber dem MERCOSUR gab. Die Linke Uruguays kritisiert Batlles generelle Wirtschaftshaltung als ‚neoliberal', lobt ihn allerdings auch für sein Engagement zur Beachtung der Menschenrechte und Aufklärung des Schicksals der in der Militärdiktatur Verschwundenen.
Nach der ‚Präsidentenschelte' wegen des Generalstreiks hat die FA-EP Anfang Juli eine ‚Sozialagenda' der Öffentlichkeit präsentiert, die 5 Punkte enthält: Beschäftigung, Ausbildung, Armutsbekämpfung, Integration der marginalisierten Bevölkerung und Respektierung der sozialen Rechte. Damit will man auf wirtschaftlichem und sozialem Terrain eine konzeptionell klarere Opposition zeigen und das Parlament sowie die erklärte Gesprächsbereitschaft Batlles nutzen, um den ‚sozialen Abstieg' des Landes aufzuhalten. Seitens der Regierungsparteien ist bisher keine konzeptionelle Initiative erfolgt.
Wirtschaftssituation
Die Chase-Manhattan-Bank veranstaltete Anfang Juni in New York ein Treffen mit Investoren. Der Wirtschafts- und Finanzminister Uruguays, Alberto Bensión, betonte dabei, daß Uruguay eines der wenigen Länder Lateinamerikas sei, daß bei Investoren ein hohes Vertrauen, ausgedrückt im 'investment-grade', genieße. Dabei nannte er folgende Daten für Uruguay:
Das Pro-Kopf-Einkommen liegt über US$ 6.000 pro Jahr.
Nach Studien der UNO-Organisationen ist Uruguay das Land mit der besten Einkommensverteilung Lateinamerikas.
Das akkumulierte durchschnittliche Wirtschaftswachstum Uruguays in den letzten 14 Jahren beträgt 3,6%.
Das Pro-Kopf-Einkommen ist in den letzten Jahren um mehr als 3% gestiegen.
Uruguay verfügt über Währungsreserven, die 12% des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, 9 Monate für die Bezahlung von Importen und 14 Monate für die Schuldendienstleistungen ausreichen.
Diesem optimistischen Bild, das der Wirtschafts- und Finanzminister gezeichnet hat, muß man allerdings einige kritische Anmerkungen gegenüberstellen:
Die Abwertung des Real in Brasilien hat dem Außenhandel Uruguays ebenso wie die Rezession in Argentinien sehr geschadet.
Der Zugang zu den internationalen Märkten mit uruguayischen Exporten, besonders denen der Landwirtschaft, hat sich verengt.
Der Anstieg des Ölpreises hat die uruguayische Wirtschaft sehr belastet.
Die Trockenheit des letzten Sommers hat die Landwirtschaft Uruguays stark in Mitleidenschaft gezogen.
Dennoch erwarten die Wirtschaftsforschungsinstitute eine Erholung der Wirtschaft mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 2 bis 2,5% im Jahre 2000, das im wesentlichen auf Exporte und Privatinvestitionen zurückzuführen sein dürfte.
Vorrangig wird die Regierung folgende drei Probleme in Angriff nehmen müssen:
a)Inflation
Der Index der Verbraucherpreise ist im Juni um 0,5% gestiegen, also, fünfmal mehr als im Juni des vergangenen Jahres. Man schätzt, daß die Inflation im Jahr 2000 bei 4,7% liegen wird, ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr (2,8%). Dieser Preisanstieg wird auf die Angleichung der Preise für heimische Produktion an das internationale Niveau und auf höhere der Importpreise, besonders beim Öl, zurückgeführt.
b)Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosigkeit ist im ersten Halbjahr dieses Jahres auf 12,4% der wirtschaftlichen aktiven Bevölkerung gestiegen. In Orten mit 5000 und mehr Bewohnern summiert sich dies auf 155.000 Personen, die keine regelmäßige Arbeit haben. Gegenüber dem ersten Halbjahr des Vorjahres, in dem 11,1% der Bevölkerung arbeitslos war, ist somit ein leichter Anstieg zu vermerken. Dieser konzentriert sich auf die Orte im Inneren des Landes und hier auf die Bevölkerung, die jünger als 25 Jahre ist. Hierdurch erklärt sich ein kontinuierlicher Zuzug in die Hauptstadt Montevideo, deren Gemeindeverwaltung nach Auskunft des Bürgermeisters Mariano Arana erhebliche Probleme mit den sogenannten "wilden Siedlungen" hat.
c)Staatsdefizit
Nach Daten der Zentralbank Uruguays beläuft sich das Defizit des Staates auf 983 Millionen US$. Hierbei sind die Haushalte der Zentralregierung, der öffentlichen Unternehmen und der öffentlichen Einrichtungen erfaßt. Dieses Defizit macht 4,7% des Bruttoinlandsprodukts aus. 1995 (1998) lag das Defizit noch bei 1% (1,8%) des Bruttoinlandsprodukts, hatte sich aber bereits 1999 auf 3,8% erhöht.
Gegenüber dem internationalen Währungsfond hat sich Uruguay verpflichtet, das Defizit des öffentlichen Sektors im Jahr 2000 auf 1,8% zu senken. Dies erfordert erhebliche Anstrengungen bei der Reduzierung der öffentlichen Ausgabenoder bei der Steigerung der Produktion. Die Ausgabenkürzung wird von der linken Opposition scharf kritisiert, die eine Steuererhöhung für das bessere Mittel zum Ausgleich des Defizits ansieht. Nach diesem Vorschlag soll die bisherige Einkommenssteuer, die sich zwischen 2 und 6% bewegt, erhöht oder ergänzt werden. Ein entsprechendes Programm will die FA-EP im August präsentieren.
MERCOSUR
Uruguay setzte große Hoffnungen auf die Kooperation mit Argentinien und Brasilien im Rahmen des Mercosur. Hier macht sich Enttäuschung breit. Präsident Batlle äußerte sich bei dem MERCOSUR-Gipfel in Buenos Aires sehr deutlich: "Die Realität ist, daß wir (Uruguay und Paraguay) die weniger wichtigen Mitglieder sind. Brasilien und Argentinien konsultieren uns kaum einmal und teilen uns sogar ihre Entscheidungen nicht immer mit. Da Uruguay fast 40% seines Exports mit den MERCOSUR-Ländern abwickelt, ist dies ein schwerwiegender Vorwurf. Batlle ging noch einen Schritt weiter und irritierte die MERCOSUR-Partner mit der Aussage: "Unser Ziel muß die amerikanische Freihandelszone (ALCA-AFTA) sein. Eine Integration mit der Europäischen Union wäre aus unserer Sicht wenig klug, da nicht anzunehmen ist, daß die Europäische Union ihr Programm der Protektion des Agrarsektors aufgibt."
Diese Position Batlles wurde energisch von der FA-EP kritisiert. Dessen Senator Danilo Astori wies auf den Widerspruch hin, die Europäische Union wegen ihres Protektionismus zu verdammen und sich mit dem am meisten protektionistisch gebärdenden Staat der Welt, den USA, in eine Allianz zu begeben. Ebenso wie Präsident Batlle betont der Minister für Industrie, Energie und Bergbau, Sergio Abreu, die Schwierigkeiten, die Europäischen Union als prioritären Partner zu betrachten. Die Asymmetrie sei deutlich, da die Europäische Union ihren Export in die MERCOSUR-Länder um 150% gesteigert habe, während der MERCOSUR nur eine Steigerung von 25% der Exporte in die Europäische Union erreicht habe.
Diese anfangs sehr hektische Diskussion hat sich inzwischen beruhigt, wird aber sicherlich fortgeführt. Die Reaktion der EU-Kommission war verhalten. Außerdem ist mit einer neuen Initiative Brasiliens zur Vertiefung und/oder Erweiterung des MERCOSUR Ende August zu rechnen. Die Reaktion Batlles darauf wird interessant sein.
Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, PNUD
Der Bericht über die soziale Entwicklung 2000, den PNUD Ende Juni veröffentlicht hat, klassifiziert 174 Länder nach den Kriterien
- Lebenserwartung
- Analphabetismus
- Bruttoinlandsprodukt pro Kopf
- Anteil der Bevölkerung ohne Zugang zu fließendem Wasser
- Anteil der Bevölkerung ohne Zugang zur Gesundheitsversorgung
Ausblick
Es ist nicht zu erwarten, daß es in den nächsten Monaten zu einer Verschärfung der Probleme in Uruguay kommt. Man muß allerdings damit rechnen, daß die linke Opposition die zuneh-mende Arbeitslosigkeit und die wachsenden Wohnungs- sowie Gesundheitsprobleme zum Anlaß nimmt, die Regierung öffentlich und im Parlament stärker zu kritisieren. Der Abbau des Staatsdefizits wird dem Präsidenten allerdings enge Grenzen bei der Lösung dieser Probleme setzen.
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