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„Das hätte doch in der Schule auffallen müssen …“

Reportage zur Publikation "Jedes Kind ist anders"

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Bild: Robert Kneschke, shutterstock

„Man versucht alles, seinem Kind zu helfen und am Ende steht man vor einer Mauer und kommt einfach nicht weiter.“ Diese deutlichen Worte findet eine Mutter, deren zehnjähriger Sohn, der unter einer Lese- und Rechtschreibschwäche leidet, eine Regelgrundschule besucht und dort nicht ausreichend gefördert wird. Die Grundschule gehe viel zu wenig auf seine Bedürfnisse ein und auch vonseiten der zuständigen Behörden bekomme die Familie keine Hilfe.

Zwei Söhne hat die Mutter, von denen der jüngere zehn Jahre alt ist und eine Lese- und Recht-schreibschwäche hat. Der Alltag der Patchwork-Familie ist durch die Vollzeitberufstätigkeit beider Eltern bestimmt, wobei erschwerend hinzukommt, dass der Vater im Schichtsystem arbeitet. Dementsprechend ist der Tagesablauf „häufig sehr anstrengend“. Bereits um 05:30 Uhr steht die Mutter auf und bereitet Frühstück vor. Um 07:30h verlässt dann der Junge die Wohnung und geht zur Schule – für gewöhnlich bis 15:00 Uhr. Wenn sie, was durchaus vorkommt, auch nach 15:00 Uhr arbeiten muss, kommt ihr Sohn zu ihr auf die Arbeit.

Die Beeinträchtigung des Kindes macht sich nicht im Alltag bemerkbar. Er hat viele Freunde und ist ein beliebter Mitschüler, dabei spielt es keine Rolle, dass er eine Lese- und Rechtschreibschwäche hat. Auch gehen die Eltern offen mit der Beeinträchtigung ihres Kindes um. Im Familien- und Freundeskreis stoßen sie damit auf Verständnis und Hilfe: „Man unterhält sich darüber und die wissen das auch alle und jeder hat immer versucht, zu helfen.“ Einzig in der Familie des leiblichen Vaters bestehe eine Art Schamgefühl, worauf die Mutter mit Unverständnis reagiert. Sie habe dem entgegengehalten: „Hört auf mit dem Blödsinn, ihr tut dem Kind keinen Gefallen damit!“

Die Lernschwäche wurde erst während des Besuchs der Grundschule festgestellt. Die Lehrer stellten zwar Defizite beim Lesen und Schreiben fest und der Junge hat deshalb auch die zweite Klasse wiederholt, aber um eine korrekte Diagnose und Feststellung des Förderbedarfs kümmerte sich die Schule aber nicht. Hier mussten die Eltern Eigeninitiative zeigen. „Das hätte doch in der Schule auffallen müssen. Aber das ist alles egal. Ich habe keine Information bekommen, kein Einladungsgespräch bekommen. Man muss sich um alles selber kümmern. Das ist wirklich sehr anstrengend.“

„Das hat mich auch sehr geärgert“, so die Mutter. Erst nach dem Besuch einer Kinderärztin wurde schließlich die Lese- und Rechtschreibschwäche diagnostiziert. Doch auch dadurch veränderte sich die Situation in der Schule nicht. Zwar wurde dem Jungen ein Förderbedarf ausgestellt, die Schule kam dem allerdings einfach nicht nach und bot keinen Förderunterricht an. Schließlich entschieden sich die Eltern, private Nachhilfe zu organisieren. Jedoch mussten sie, die beide vollbeschäftigt sind, aber im Niedriglohnsektor arbeiten, von einer privaten Förderung absehen, da diese zu kostenintensiv geworden wäre. Letztlich konnte doch noch eine Möglichkeit gefunden werden, indem das städtische Amt für Soziales und Gesundheit die Kosten seither übernimmt. Auch hierbei mussten die Eltern selbst aktiv werden. Nicht etwa die Schule hatte die Familie informiert, die Eltern mussten hierbei aktiv werden und selbst herausfinden, welche Behörden welche Kosten übernehmen.

Aufgrund der mangelnden Information durch die Schule und der kaum stattfindenden Kommunikation mit der Schule ist die Mutter von der Schuleinrichtung schwer enttäuscht. „Die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrern, die fehlt.“

Verantwortlich hierfür ist nach Meinung der Mutter der Wechsel der Schulleitung und damit einhergehend eine Fülle von Umstrukturierungsmaßnahmen und neuer Konzepte, die dem Unterricht der Kinder eher geschadet als genützt haben.

Für ihr Kind hält sie den Besuch einer Förderschule für zweckmäßiger. Zwar gebe es eine Förderschule in der Stadt, in der die Familie wohnt, aber die ist zu weit entfernt, als dass es dem Kind zumutbar wäre. Dort fühlt sie sich von der geringeren Klassengröße und der besseren sowie individuelleren Betreuung der Kinder angesprochen. Allerdings hegt sie auch die Angst, dass ihr Kind keinen Realschulabschluss erreichen könnte, wenn es eine Förderschule besucht.

Zum Thema Inklusion weiß sie nicht viel zu sagen, der Begriff ist ihr nicht geläufig. Zwar findet die Mutter das gemeinsame Lernen beeinträchtigter Kinder mit nicht-beeinträchtigten Kindern für wenig sinnvoll, allerdings sieht sie im Umstand, dass gesunde Kinder lernbehinderte Kinder mitziehen und unterstützen könnten, einen positiven Aspekt am gemeinsamen Unterricht.

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