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„Das kann man auf keiner normalen Grundschule finden, es ist eine gute Förderung“

Reportage zur Publikation "Jedes Kind ist anders"

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Bild: Robert Kneschke, shutterstock

„Man probiert im Prinzip alles anzuzapfen, alle erdenklichen Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen“, so schildert die Mutter eines elfjährigen Jungen mit Förderbedarf den mühsamen Versuch, eine geeignete Schule für ihr Kind zu finden. Die sozial-emotionale Beeinträchtigung, die das Kind hat, ist eine große Herausforderung für alle Beteiligten – vom Kind, über die Eltern bis hin zur Schule.

„Also mit meinem Sohn gab es schon immer Schwierigkeiten. Bloß, ich habe es nicht so wahrgenommen, so wie die Umwelt um mich herum. Bis ich den direkten Vergleich hatte.“ „Er hatte schon als Kleinkind viel mehr Streitigkeiten und viel mehr Schwierigkeiten im Kindergarten, als es normal ist. Und hat schlechter verstanden, was andere Menschen von ihm möchten“, die Mutter fährt fort: „Er konnte sich früher schon als Kleinkind nicht so gut konzentrieren.“ Tobsuchtsanfälle begleiten den Alltag der Familie. Wenn der Sohn eine solche plötzliche Entladung seiner Emotionen hat, kann das auch mit Beleidigungen und Handgreiflichkeiten seinerseits gegenüber Dritten einhergehen, wie die Mutter berichtet: „Wenn das Kind tobt und man kann es sich einfach nicht vorstellen. Man denkt, dass gleich jemand die Polizei ruft, weil es sich so schlimm anhört.“

Die Mutter hat noch zwei weitere Kinder, beide jünger und beide ohne Förderbedarf. Alle drei Kinder besuchen unterschiedliche Schulen, bzw. der Jüngste noch den Kindergarten. Der Alltag der Familie ist deshalb jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung. Morgens vergehen fast drei Stunden zwischen dem Aufstehen des ersten Kindes um 06:15 Uhr und dem Beginn des Kindergartens für den kleinsten Sohn um 09:00 Uhr. Während die Kinder die Schule und den Kindergarten besuchen und der Elfjährige auch eine Nachmittagsbetreuung an seiner Förderschule wahrnimmt, geht die Mutter ihrer Arbeit nach und kümmert sich zugleich um den Haushalt. Wenn der Junge am späten Nachmittag von der Schule kommt, wird zu Abend gegessen, abends noch ein wenig Fernsehen geguckt und früh zu Bett gegangen.

Im Familien- und Freundeskreis stößt die Familie auf geteilte Reaktionen, was die Beeinträchtigung des Sohnes anbetrifft. „Ich glaube, die sind immer noch in der Entwicklungsphase, es manchmal zu akzeptieren“, und erzählt: „Teilweise waren die sehr geschockt und teilweise, gerade von meinen Eltern, eine ablehnende Haltung gegenüber dieser Diagnose.“ Es sei nicht immer leicht, mit ablehnenden und bisweilen verletzenden Reaktion der Mitmenschen umzugehen. Manchmal sei es so, dass „man schon sehr viel Rückgrat als Person braucht, um das auszuhalten und einfach hinzunehmen und nicht persönlich zu nehmen.“ Sie empfindet die Reaktionen ihres Umfelds als „nicht immer passend.“ Die Belastung, die damit einhergeht, sei enorm.

Viele Freunde hat die Familie deshalb schon verloren, manchen Menschen fehle es einfach an Empathie: „Die Familie hat sich zum Teil auch abgewandt, für eine gewisse Zeit.“ Die Probleme, die damit einhergehen, sind deutlich, sie drücken sich auch in einer seelischen Belastung aus: „Es ist natürlich auf der einen Seite sehr schwierig. Sehr traurig. Manchmal ist man auch enttäuscht von anderen Menschen und auch von seinem Kind.“ Dennoch macht sie ihrem Sohn keine Vorwürfe: „Aber ich hatte nie das Gefühl, daran ist jetzt mein Sohn schuld. Er kann dafür nichts. Für mich war es immer schon klar, dass wir dahinter stehen.“

Die sozial-emotionale Störung behindert ihren Sohn auch im Aufbau und in der Pflege von Freundschaften. Einen besten Freund, der unter der gleichen Beeinträchtigung leidet, hat er, zu anderen Kindern pflegt er weniger Kontakt, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass die Förderschule weit weg vom Elternhaus ist und dementsprechend die Klassenkameraden nicht in seiner Nähe wohnen.

Die Beeinträchtigungsbiographie des Kindes begann schon im Kindergarten, dort wurden erstmals seine Verhaltensauffälligkeiten bekannt und diagnostiziert. Als dann die Einschulung anstand, wurde in Zusammenarbeit mit Behörden und Psychologen eruiert, welche Schulform für ihren Sohn infrage käme. Auch die Möglichkeiten, das Kind privat zu Hause zu unterrichten oder gar von der Schulpflicht zu entbinden, standen zur Debatte. Der Besuch einer Regelschule war allerdings ausgeschlossen, so entschied man sich, das Kind an einer Förderschule einzuschulen, an der viele Kinder mit ähnlichen Verhaltensauffälligkeiten unterrichtet werden. „Die Grundschulen sind einfach noch nicht reif für das Inkludieren“, fasst seine Mutter zusammen. Der Weg war jedoch mühselig: „Es ist leicht gewesen, mit den Schulen zu sprechen, aber nicht leicht gewesen, eine Schule zu finden.“

Die Förderschule, die ihr Sohn zunächst besuchte, stellte die Eltern insgesamt nicht zufrieden. Es habe zu wenig Integration stattgefunden, der Junge wurde zu oft von seiner Klasse separiert und einzeln unterrichtet, so dass ein Entstehen eines Gemeinschafts- und Klassengefühls nicht richtig gedeihen konnte. Die Entwicklung sozialer Kompetenzen sei dadurch zu kurz gekommen.

Die jetzige Schule, die ihr Sohn nun besucht, ist nach Meinung der Mutter alles in allem besser. Die Klassen seien zwar etwas größer, aber es gäbe auch mehr Lehrkräfte und Betreuungspersonal in den Klassen. Auch die Vermittlung von sozialen Kompetenzen sei gut: „Die Ausbildung ist exzellent“, kommentiert die Mutter und führt aus: „Das kann man auf keiner normalen Grundschule finden, es ist eine gute Förderung.“ Die Lerninhalte rückten allerdings in den Hintergrund, befindet die Mutter. So müsse sie mitunter noch am Abend, wenn das Kind nach Hause kommt, Lernstoff wiederholen und aufarbeiten. „Ich bin dann die Böse zu Hause, die ihn sowieso nur zwei Stunden sieht und dann noch zum Lernen zwingt.“

Der Junge spüre manchmal, dass er nun mal nicht auf einer normalen Schule mit normalen Kindern sei und das belaste ihn, auch wenn er selbst in seiner Klasse beliebt sei und sich wohl fühle. Das Optimum wäre daher eine Regelschule für Kinder mit und ohne Förderbedarf, die den Anforderungen, die mit sozial-emotionalen Beeinträchtigungen einhergehen, gewachsen sei und mit kleinen Klassen und einem hohen Personalschlüssel gut ausgestattet sei, betont die Mutter. Von der Politik wünscht sich die Mutter eine weniger ideologiegeleitete, sondern pragmatischere Betrachtung der Gesamtsituation: „Die Politik muss sich einfach damit abfinden, dass wir weder in Norwegen noch in Schweden sind und nicht immer versuchen, die skandinavischen Länder nachzuahmen.“ „Ganz wichtig“ sei auch eine psychologische Anlauf- und Beratungsstelle für Lehrer an Inklusionsschulen. Die Ausbildung der Lehramtsstudenten heutzutage müsse das Thema Inklusion noch weiter in den Blick nehmen: „Wie kann denn die Inklusion funktionieren, wenn es keiner kann?“

Inklusion begrüßt die Mutter ausdrücklich und wünscht sich einen stärkeren Ausbau dieser. Für ihr Kind wünscht sie sich, dass dieses zumindest einen Abschluss schaffen möge: „Ich bin hochzufrieden, wenn er einen Abschluss in diesem System kriegt.“

Wenn das eigene Kind sozial-emotional verhaltensgestört ist, stellt dies eine enorme Belastung dar, für das Kind selbst, für sein Umfeld, für die Familie sowie auch für die Schulen. Auch der Umstand, dass beide Eltern arbeiten, die Mutter als Selbstständige und der Vater im Schichtsystem, erhöhen die Belastung auf die Familie. Mehr Unterstützung durch den Staat und eine vertiefte Inklusion in der Gesellschaft wünscht sich die Mutter daher, damit ihr Kind nicht ‚auf der Strecke bleibt‘.

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