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„Das Kind kann nicht von ihrem Sohn sein, weil sowas gibt es in ihrer Familie nicht.“

Reportage zur Publikation "Jedes Kind ist anders"

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Bild: Robert Kneschke, shutterstock

„Immer was zu tun!“, so beschreibt eine Mutter zweier Kinder, von denen eines Down-Syndrom hat, ihren Alltag. Die Mutter hat neben einem 13-jährigen gesunden Jungen eine siebenjährige, durch das Down-Syndrom beeinträchtigte Tochter. Die Tochter, die zugleich – was beim Down-Syndrom nicht unüblich ist – eine schwere Gehörschädigung hat, besucht eine mit dem Auto nur wenige Minuten entfernte Förderschule mit besonderem Schwerpunkt auf der Förderung von Kindern mit Hörschädigungen. Außerdem ist das Kind sehr aufgeweckt und sucht ständig Beschäftigung und Aufmerksamkeit. Wenn diese der Tochter nicht zuteil wird, provoziert sie gern die Aufmerksamkeit, indem sie beispielsweise Sachen hinwirft, wie die Mutter zu berichten weiß.

Der strukturierte Alltag fordert viel von der Familie ab. Schon früh am Morgen, um 5:30 Uhr, steht die Mutter auf, bereitet das Frühstück für ihre Kinder vor und erledigt erste Tätigkeiten im Haushalt. Noch bevor sie ihre Tochter um 07:45 Uhr zur Sonderschule bringt, wird eine Ladung Wäsche gewaschen und in der Wohnung gestaubsaugt. Der erst 13 jährige ältere Bruder ist weitgehend selbstständig, steht allein auf, versorgt sich eigenständig und geht auch eigenverantwortlich zur Schule. Während die Kinder die Schule besuchen, erledigt ihre Mutter weitere Arbeiten im Haushalt und Einkäufe. Viel Zeit nehmen auch besondere Erledigungen für ihre Tochter mit Down-Syndrom in Anspruch, beispielsweise Behördengänge oder Apothekeneinkäufe. Um 17:30 Uhr holt sie ihre Tochter von der Schule ab, dann wird zusammen zu Abend gegessen und noch zu Hause gespielt, meist gegen 19:00 Uhr geht die Tochter bereits schlafen, „länger als 19:00 Uhr schafft sie nicht.“

Im privaten Umfeld hat die Mutter positive wie auch negative Erfahrungen gemacht. Vor allem die Familie ihres damaligen Partners und Vater der behinderten Tochter sei nach der Geburt entsetzt gewesen. „Das Kind kann nicht von ihrem Sohn sein, weil sowas gibt es in ihrer Familie nicht“, habe ihre Schwiegermutter damals gesagt. Anfangs habe die Schwiegermutter die junge Familie noch unterstützt, seitdem erfährt die Mutter allerdings keine Hilfe mehr vonseiten der Familie des Vaters. Der Umgang der eigenen Familie und des eigenen Freundes- und Bekanntenkreises mit der Behinderung der Tochter zeichnet sich insgesamt positiv: „Dachte, ich bin ja alleine mit allem. Aber es ist nicht so.“

Die geistige Behinderung der Tochter wird transparent und offen behandelt. Man habe gelernt, damit umzugehen: „Bleibt ja nichts anderes über.“ Aus der Behinderung wird kein Hehl gemacht – im Gegenteil: Durch den offenen Umgang kommt die Mutter häufiger in Kontakt mit Eltern in ähnlichen Situationen und begrüßt den Erfahrungsaustausch. Auch aus diesem Grunde ist sie mit ihrer Tochter Teil einer Selbsthilfegruppe, einem privaten Förderverein für geistig behinderte Kinder. Dort, in der Selbsthilfegruppe, gebe es „Leute, die kennen sich richtig gut aus.“ Man berate sich gegenseitig und helfe sich. Auch eine Juristin, die ebenfalls Mutter eines behinderten Kindes ist, besuche die Gruppe und helfe den betroffenen Eltern bei Behördengängen und Verwaltungsakten.

Freundschaften pflegt das siebenjährige Kind ebenfalls, gleichwohl keine intensiven. Ihre Tochter sei schwierig im Umgang mit anderen Kindern: „Da muss man aufpassen.“ Merke sie, dass ein anderes Kind körperlich unterlegen sei, werde ihre Tochter gemein und schubse und ziehe an den Haaren. Mit gleichaltrigen Kindern hingegen sei der Umgang entspannter: „Da spielt sie dann ganz normal auch.“ Zu Kindergeburtstagen war ihre Tochter auch bereits eingeladen, auch von Kindern ohne Förderbedarf, das hat aber die Mutter nicht zugelassen: „Weil L. kann man nicht alleine lassen“, und fährt fort: „L. ist zu unberechenbar.“

Was die Schule anbetrifft, ist die Mutter zufrieden. Ihre Tochter besucht die erste Klasse einer in der Nähe des Elternhauses befindlichen Förderschule, in der schwerpunktmäßig Kinder mit Hörschädigungen unterrichtet werden. Angetan ist die Mutter von den Klassengrößen: Es werden sechs bis sieben Kinder pro Klasse unterrichtet, in denen zugleich mehrere Pädagogen arbeiten. Außerdem bestehe keine Möglichkeit für die Kinder, unerlaubt Türen oder Fenster zu öffnen, „wenn L. den Dreh raus hat, ist sie ganz schnell weg“, doch könne dies auf der Schule nicht passieren. Die Nachmittagsbetreuung bis 18:00 Uhr kommt der Mutter ebenfalls gelegen, auch wenn sie ein ungutes Gefühl hat: Die Betreuer „gucken dann immer so mit Absicht auf die Uhr. Nach dem Motto: ‚Na endlich kommt jemand und holt das Kind ab.“ Sie bringt aber auch Verständnis dafür auf: „Anders herum kann ich es auch verstehen. Die Kinder da, ich ziehe den Hut vor den Leuten. Ich möchte da nicht arbeiten. Ich könnte es nicht. Man muss es können.“ Mitunter wirkt ihrer Meinung nach die Betreuung der Kinder unmotiviert: „Die machen halt ihren Job. Nicht so vom Herzen.“ Ein weiteres Problem tut sich bei der Finanzierung von weiteren Therapiestunden auf: Die Schule habe kein Geld für eine zweite Logopädie-Stunde für ihre Tochter. Doch gerade Logopädie sei der Schlüssel zu einer guten Entwicklung, betont die Mutter. Insgesamt – auch unter Berücksichtigung der günstigen Lage und in Anbetracht dessen, dass sich ihre Tochter immer sehr auf die Schule freut – ist die Mutter mit der Schule aber zufrieden.

Zum Thema Inklusion herrschen bei der Mutter sowohl Unwissenheit als auch Skepsis. Viel könne sie mit dem Inklusionsbegriff nicht anfangen, sie habe auch bisher nur wenig davon in den Medien mitbekommen. Inklusion könne ihrer Meinung nach nicht funktionieren. Aus eigener Erfahrung heraus könne sie sich nicht vorstellen, dass gemeinsamer Unterricht für geistig behinderte und geistig gesunde Kinder funktionieren könne. Die Kinder seien unterschiedlich „wie Tag und Nacht. Das geht einfach nicht. Wenn ich mir vorstelle, dass meine Tochter in einer Gruppe ist, wo die Kinder auch acht Jahre sind.“ An einer Regelschule unterrichtet zu werden, würde große Probleme für ihre Tochter nach sich ziehen: „Die würde untergehen.“ Zwar findet sie den Gedanken, dass Kinder ohne Förderbedarf eine andere Einstellung zu Kindern mit Förderbedarf entwickelten, wenn diese vermehrt Kontakt zu einander hätten, reizvoll, allein ihr fehlt der Glaube, dass dies umsetzbar sei.

Von der Politik erwartet die Mutter nicht viel: „Ich glaube, jemand, der so ein Kind nicht hat, der kann sich auch da nicht reinversetzen.“ Eine Möglichkeit seitens der Politik bestehe jedoch darin, größere finanzielle Mittel bereitzustellen.

Als Mutter zweier Kinder, schwanger mit einem dritten Kind und alleinverantwortlich für die Erziehung der Kinder, wenn noch eines der Kinder das Down-Syndrom hat, empfindet sie den Alltag belastend. Für sie ist dennoch klar: „Ich bin ja jetzt auch schwanger im dritten Monat und da musste ich die Untersuchung machen wegen Down-Syndrom. Heute, und da haben wir gesagt, wenn es auch wieder Down-Syndrom hat, dann würde ich es behalten. “

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