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...„ist ja eine tolle Sache, wenn es klappt.“

Reportage zur Publikation "Jedes Kind ist anders"

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Bild: Robert Kneschke, shutterstock

„Inklusion – ist ja nicht ausgereift!“, so die deutlichen Worte einer Mutter, dessen Sohn eine Lernbehinderung hat. Mit einem Kind mit Lernbehinderung ist der Alltag schon meist eine Herausforderung, weshalb sich eine gewisse Skepsis gegenüber dem Konzept der Inklusion und vor allem seiner Umsetzung entwickelt hat. Der neunjährige Sohn der Familie hat eine Lernbehinderung, die sich erst herausstellte, als der Junge noch eine Regelgrundschule besuchte.

Der Alltag bedarf einer klaren Struktur: Da die Förderschule, die der Sohn inzwischen besucht, weiter entfernt ist, fährt ihn die Mutter morgens zur Schule und holt ihn nachmittags, meist gegen 16:00 Uhr, auch wieder ab. Mehrmals wöchentlich stehen des Weiteren Therapien an, Physio- und Ergotherapie. Abends, das ist der Familie wichtig, wird zusammen zu Abend gegessen und werden die Hausaufgaben erledigt. So entsteht eine Routine, die den Familienzusammenhalt befördert und dem Wohle des Kindes dienen soll.

Im sozialen Umfeld der Familie wird die Lernbehinderung nicht verschwiegen, sondern klar artikuliert – dabei wird der Junge voll und ganz angenommen, „man akzeptiert ihn so, wie er ist.“ Die Lernbehinderung kommt im Alltag des Kindes auch weniger zum Vorschein, was seine Integration begünstigt. In seinem Freundeskreis befinden sich sowohl Kinder mit als auch ohne Förderbedarf, was der Mutter wichtig ist und worauf sie unterstützend hinwirkt. Er wird auch nach wie vor von seinen alten Klassenkameraden von der Regelschule zu Geburtstagen eingeladen und pflegt Freundschaften zu Kindern in der Nachbarschaft, außerdem engagiert er sich bei der Jugendfeuerwehr, wo es ebenfalls kein Problem ist, dass der Neunjährige weniger schnell lernen kann als Gleichaltrige.

Was den Wechsel von der alten Regelschule zur neuen Förderschule anbetrifft, so ist dies ein eindeutiger Gewinn für das Kind. Wie oben erwähnt, besuchte der Neunjährige zunächst eine Regelgrundschule, nicht wissend, dass eine Lernbehinderung vorhanden war. Als sich abzeichnete, dass er nicht mit dem Tempo seiner gleichaltrigen Klassenkameraden mithalten konnte und eine Lernbehinderung diagnostiziert wurde, entschieden sich die Eltern im Dialog mit der Regel- wie auch der Förderschule, ihr Kind umzuschulen. Dies hat sich als sehr positiver Schritt herausgestellt. Nicht nur, dass der Junge nun besser gefördert wird und viel mehr Fortschritte macht – auch auf das Wohlbefinden des Kindes wirkt sich der Besuch der Förderschule erheblich positiv aus. Denn der Junge litt arg unter dem Umstand, langsamer als seine Klassenkameraden, vermeintlich dümmer als seine Mitschüler zu sein. Das ständige Gefühl, nicht mithalten zu können, minderte in erheblichem Maße sein Selbstwertgefühl, „er hat ganz wenig Selbstbewusstsein“, wie die Mutter betont. Außerdem konnte sich ihr Sohn nicht mehr für die Schule motivieren. Nun aber, mit dem Wechsel zur Förderschule, ändern sich diese Umstände zum Positiven, auf der Förderschule „blüht er jetzt auch auf“, erzählt seine Mutter. Er wird gelobt und motiviert und wenn er von der Schule nach Hause kommt, erzählt er freudig, „Mama, ich hab schon wieder ein Lob bekommen!“ Er traut sich mehr zu, er merkt, „er ist doch nicht dumm“, und das spiegelt sich auch in seinem Alltag durch verstärktes Selbstbewusstsein und erhöhte Motivation wider, sowohl in der Schule als auch in seinen Freundeskreisen.

Es gibt nichts, was die Mutter an der neuen Förderschule zu bemängeln hätte. „Wenn das Kind schon lachend nach Hause kommt und sich auf den nächsten Tag freut“, sieht sich die Mutter in der Entscheidung des Schulwechsels bestätigt. Neben dem positiven Effekt auf die Entwicklung ihres Kindes ist die Mutter ferner vom Konzept der Förderschule überzeugt: Das „soziale Umfeld, das ist einfach anders. Besser“, die Kinder gingen miteinander besser um, befindet die Mutter, es sei familiärer, ruhiger, einfach „toll“ und „super, wir haben alles richtig gemacht. Man freut sich doch auch, wenn das Kind sich freut und wenn man dann diese Fortschritte sieht.“

Ihn weiter auf einer Regelschule zu belassen, sei überhaupt keine Option: „Da sehe ich keine Vorteile“, befindet die Mutter. Ihrer Meinung zu Inklusion wohnt eine deutliche Skepsis inne: „Ich finde es lächerlich, extrem lächerlich. Inklusion – ist ja nicht ausgereift!“ Inklusion bedeutet für die Mutter, wenn ein Kind mit Förderbedarf an einer Regelschule ist und gar nicht merkt, „dass es anders ist.“ Inklusion finde in erster Linie nicht über die Pädagogik, nicht über den Unterricht an einer Regelschule statt, sondern im sozialen Umfeld an einer Regelschule. Wenn Kinder mit Förderbedarf gehänselt würden und ausgelacht würden dafür, dass sie einfach nicht so schnell seien wie ihre Mitschüler, könne von Inklusion nicht gesprochen werden. Ebenso sei nicht an Inklusion zu denken, wenn Lehrer an Regelschulen nicht über eine fundierte sonderpädagogische Ausbildung verfügen. Des Weiteren fühlt sich die Mutter über Inklusion schlecht beraten und mangelhaft informiert. Man müsse sich selbst über das Thema informieren, anstatt von der Schule darüber aufgeklärt zu werden, was dem zu inkludierenden Kind an einer Regelschule zustünde, wie die Förderung aussähe, welche Möglichkeiten vorhanden seien und welche Rechte Eltern mit Kindern mit Förderbedarf zustünden. In der alten Regelgrundschule, die ihr Sohn zuvor besuchte, fühlte sich die Mutter mit ihren Problemen im Stich gelassen, „man wird dort nicht wirklich ernst genommen.“

Auch von der Politik fühlt sich die Familie allein gelassen. Die Politik „guckt sich das einfach an und entscheidet von da oben. Aber genau hingucken tut keiner!“ Die Mutter beklagt, dass die Inklusionspolitik zu oberflächlich, zu weit weg von den wahren Bedürfnissen betroffener Familien und zu wenig individuell sei, „man kann nicht alles über einen Kamm scheren.“

Funktionierende Inklusion bestehe, so die Mutter, aus Regelschulen, an denen die Lehrkräfte eine sonderpädagogische Zusatzqualifizierung haben und in deren kleinen Klassen nicht nur ein oder zwei Kinder mit Förderbedarf sind, sondern eine größere Gruppe an zu fördernden Kindern, so dass diese auch separat unterrichtet werden könnten. Wenn die Anzahl an Kindern mit Förderbedarf in einer Klasse größer sei, könnten diese auch weniger von den Kindern ohne Förderbedarf ausgegrenzt werden. Grundsätzlich begrüßt die Mutter Inklusion, „ist ja eine tolle Sache, wenn es klappt.“ Aber in der derzeitigen Umsetzung sieht die Mutter seitens der Politik deutlichen Handlungsbedarf.

An einer Förderschule ist ihr Kind gut aufgehoben, für eine Inklusion an Regelschulen müsse noch einiges getan werden – sowohl vonseiten der Politik sowie des Bildungssystems, befindet sie.

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