Deutschland und Amerika entfernen sich voneinander / Von Elisabeth Noelle
(in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.07.2003)
Eines ist sicher. Der Irak-Krieg hat das deutsch-amerikanische Verhältnis sehr gestört. Fast die Hälfte der Deutschen meint, die Vereinigten Staaten und Europa hätten sich auseinanderentwickelt.
Dabei wurde das deutsch-amerikanische Verhältnis von demoskopischen Umfragen seit langer Zeit als freundlich beschrieben. "Unsere Vettern, die Amerikaner" lautete schon eine vor Jahrzehnten in einer deutschen Illustrierten veröffentlichte Kolumne. Die deutsch-amerikanische Freundschaft wurde seit Ende der fünfziger Jahre in Allensbacher Umfragen laufend bestätigt, gab den Deutschen Rückhalt.
Die Mehrheit der Deutschen (68 Prozent) verteidigt in der Frage des Irak- Krieges Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sie lobt, daß er gleich bei Ausbruch des Krieges ohne jedes Wenn und Aber die amerikanische Entscheidung, einen Krieg anzufangen, für falsch erklärte. Sie zweifelt nicht, daß Saddam Hussein ein Diktator war, vor dessen Grausamkeit sich jeder fürchten mußte. Aber die Behauptung der Amerikaner, ihr Kriegsziel sei, die Bevölkerung im Irak zu befreien, akzeptiert die deutsche Bevölkerung nicht, sondern sie ist überzeugt, daß es den Amerikanern in Wirklichkeit um das Öl gegangen sei.
Ohnehin hat die Bevölkerung das Gefühl, daß die Zeit der Kriege vorbei ist. Allenfalls Blauhelme der Vereinten Nationen dürften eingesetzt werden, um da, wo sich Chaos ausbreitet, für Ordnung zu sorgen. Aber daran, an einer Unterstützung durch die UN, fehlte es ja gerade im Fall des amerikanischen Eingriffs im Irak.
Zu den Motiven, die die Amerikaner den Deutschen entfremden, wird man auch die Ablehnung rechnen müssen, die die Deutschen gegen den amerikanischen Präsidenten hegen. Bei der ersten Umfrage über die Meinung zu George W. Bush 2001 gab es noch eine Balance der Für- und Gegenstimmen. Aber in den folgenden Jahren nahm die Zahl der Kritiker rasch zu.
Aus amerikanischen Umfragen ist bekannt, daß die Meinungen in Texas über Bush ganz enthusiastisch sind, im Osten dagegen ist er überwiegend unpopulär.
In Deutschland sind - trotz aller Unterschiede zwischen Ost und West - derartig starke regionale Unterschiede in der Bevölkerungsmeinung selten. Ganz im Gegenteil konnte man aus den monatlichen Allensbacher Umfragen seit 1950 über das Einverständnis mit Adenauer erkennen, daß Zunahme und Abnahme der Stimmung jeweils in kürzester Zeit über das ganze Land schwappten. Das steht in Übereinstimmung mit der Theorie der öffentlichen Meinung, nach der sie wie das Klima zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort alle umfängt. Darum ist es auch so wichtig, die öffentliche Meinung zu erobern. Ihr Druck zwingt alle, ihr zuzustimmen oder - wenn man sie nicht teilt - zu schweigen.
In der Substanz geht es in Verbindung mit dem Irak-Krieg von Deutschland aus gesehen vor allem um das deutsch-amerikanische Verhältnis. Auch heute sagt noch die Mehrheit der Deutschen: Die Amerikaner brauchen uns, und wir brauchen die Amerikaner. 69 Prozent vertreten diese Ansicht, nur 17 Prozent widersprechen. Doch viele Deutsche bezweifeln, daß die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von beiderseitiger Sympathie getragen ist. Bei der Frage "Glauben Sie, daß die Amerikaner uns Deutsche eigentlich mögen, oder mögen sie uns nicht besonders?" zeigt sich die Bevölkerung gespalten. 32 Prozent meinen, die Amerikaner mögen die Deutschen, 31 Prozent glauben das nicht. 1989 waren noch 55 Prozent von der Sympathie der Amerikaner für die Deutschen überzeugt.
Das Bild, das sich heute die Deutschen von den Amerikanern machen, ist gemischt. Als typisch amerikanisch gelten: "Fast food", "Popcorn", "Kitsch", "Jazz", "breite Straßen". Befragt, was denn ihr Meinungsbild über die Amerikaner am meisten geprägt habe, sagen 75 Prozent: "der Terrorangriff vom 11. September 2001". Die großen verbindenden Ereignisse aus der Geschichte der deutsch-amerikanischen Freundschaft, die Berliner Luftbrücke, der Marshall-Plan und der Kennedy-Besuch in Berlin vor 40 Jahren, sind vor allem der älteren Generation noch lebhaft in Erinnerung. Selbst die Unterstützung der Amerikaner bei der Verwirklichung der deutschen Einheit wird, obwohl sie erst wenige Jahre zurückliegt, vor allem von den Sechzigjährigen und Älteren als Ereignis genannt, das ihr Amerika-Bild geprägt habe. Das Grundmotiv der Dankbarkeit ist im Amerika-Bild der Jüngeren weniger stark präsent.
Der Irak-Krieg war eine Probe auf die deutsch-amerikanische Freundschaft. Die Ablehnung des Irak-Krieges durch die Deutschen war überwältigend. "Waren Sie selbst für oder gegen den Irak-Krieg?" wurde gefragt. "Für den Irak-Krieg", sagten 12 Prozent. "Ich war dagegen", sagten 76 Prozent.
In öffentlichen Äußerungen wird ganz allgemein von den deutsch- amerikanischen Beziehungen als Verhältnis unter Verbündeten ausgegangen. Aber so selbstverständlich ist das nicht. Hier spielt die jahrzehntelange Trennung der Ost- und Westdeutschen eine Rolle. Das zeigt sich, wenn man beispielsweise fragt, ob die Amerikaner herzlos sind. Die Westdeutschen lehnen einen solchen Gedanken ganz klar ab. Anders die Ostdeutschen. Im Verhältnis von eins zu eins meinen sie: "Ja, die Amerikaner sind herzlos" oder: "Nein, sind sie nicht."
Das Fazit lautet: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen müssen gepflegt werden, sie sind sensibler, als mancher denkt. Es ist nicht abwegig, sich vorzustellen, daß in der Mitte unseres Jahrhunderts Amerikaner und Europäer sich ganz voneinander entfremdet haben. Das hängt vor allem auch mit der deutsch-französischen Freundschaft zusammen. So erfreulich es ist, daß die jahrhundertelange "Erbfeindschaft" zwischen Deutschland und Frankreich ein Ende hat - der französische Ehrgeiz, der Führungsanspruch, wie man ihn von de Gaulle kennt und an Chirac beobachten kann, könnte sich für Europa und die Vereinigten Staaten trennend bemerkbar machen.
Es gibt manche Anzeichen, daß sich eine solche Trennung schon vorbereitet. In der neuen Umfrage für diese Zeitung gab es eine sogenannte Dialog-Frage, bei der einer der zwei Beteiligten den Standpunkt einnahm: "Die Europäer müssen eng mit den Amerikanern zusammenarbeiten." 31 Prozent stimmten zu. Der andere erklärte: "Die Europäer müssen verstärkt eigene Wege gehen, sich von den Amerikanern lösen." Das war die Ansicht der Mehrheit, von 52 Prozent.
Große Aufmerksamkeit widmet die deutsche Bevölkerung diesen Entwicklungen allerdings nicht. Das kann man schon daran erkennen, daß etwa die Hälfte der Bevölkerung noch nie von der Redeweise vom "Alten Europa" und "Neuen Europa" gehört hat. Das "Alte Europa": Das wird manchmal nostalgisch, doch überwiegend abschätzig verstanden, wie es ja auch anfänglich gemeint war.
Wie stark sind heute in Deutschland antiamerikanische Stimmungen?
Um das herauszufinden, wurde gefragt: "Man hört oder liest gelegentlich etwas über eine antiamerikanische Stimmung in der deutschen Bevölkerung. Wie ist da Ihr Eindruck . . .?" - "Eine antiamerikanische Stimmung gibt es", sagten zwei Fünftel (39 Prozent), und ebenso zwei Fünftel (40 Prozent) antworteten: "Gibt es nicht."
Als Ursache antiamerikanischer Stimmung wird nahezu ausschließlich der Irak-Krieg genannt.
Um diese Reaktionen in Deutschland zu verstehen, muß man sich einmal wieder vergegenwärtigen, wie sehr die Deutschen jedes Risiko - das mit einem Krieg immer verbunden ist - verabscheuen, wie sehr ihnen Sicherheit über alles geht. Eine Frage in der aktuellen Umfrage lautete: "In welchem Land würden Sie lieber leben: in einem Land, in dem Risikobereitschaft belohnt wird, oder in einem Land, in dem großer Wert auf Sicherheit gelegt wird?" Die Deutschen entscheiden sich zu 17 Prozent für das Land, in dem Risikobereitschaft belohnt wird. 71 Prozent votieren für das Land, in dem Sicherheit garantiert ist.
Hier liegt wahrscheinlich jenseits aller Verwandtschaftsgefühle für die Amerikaner ein tief verankerter Dissens. Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Die Deutsch-Amerikanische Freundschaft
Was hat das Amerika-Bild der Deutschen geprägt?
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