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Veranstaltungsberichte

„Doch auch ein Schluck genügt, um zu wissen wie das Meer schmeckt.“

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. setzt Zeichen mit den ersten „Belter-Dialogen – Impulse Zu Widerstand und Zivilcourage“

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Um das öffentliche Bewusstsein für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zu sensibilisieren, hat das Bildungswerk Dresden der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen mit der Leipziger Universität am Dienstag, den 19. Mai 2009, ein kleines Symposium veranstaltet, welches, veranschaulicht durch die Beltergruppe, Zeugnis von Zivilcourage und studentischem Widerstand an der Universität Leipzig ablegen und die verschiedenen Aspekte des Terrors an ostdeutschen Bildungseinrichtungen zur Geltung bringen sollte.

Dr. Joachim Klose, sächsischer Landesbeauftragter der KAS, begrüßte das Publikum, darunter auch fünf ehemaligen Mitglieder der Beltergruppe, im Senatssaal der Universität und machte auf das Anliegen und Ziel der Veranstaltung aufmerksam, die Formen erlebter Zivilcourage zu erforschen.

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Prof. Dr. Siegfried Jenkner

Daran anschließend wurde das Wort an Herrn Prof. Dr. Siegfried Jenkner, ehemaliger Angehöriger der Beltergruppe und Professor für Politikwissenschaft übergeben. Dieser setzte sich mit dem nur kurz währendem demokratischen Neubeginn der Hochschulen und der darauf folgenden sozialistischen Umgestaltung in der SBZ und der frühen DDR auseinander. So lies er das Auditorium wissen, dass zu Beginn der SBZ völlig unvorbereitete sowjetische Hochschuloffiziere nach Deutschland kamen, mit dem Befehl, den Hochschulbetrieb so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. Durch die sowjetische Wertschätzung des deutschen Hochschulsystems und um der weiteren drohenden Abwanderung, des ohnehin durch Krieg, Entnazifizierung und Flucht in den Westen hervorgerufenen Personalmangels von 23% an der Universität Leipzig zuvorzukommen, wurde die alte Hochschulreform beibehalten. Dies lies Raum für die Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang und die Entstehung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung in der SBZ. Dennoch, so Jenkner, zeichnete sich eine Umgestaltung des Hochschulbetriebs ab, welches Anfang der 50er Jahre in der zweiten Hochschulreform endete. Die Organe der Selbstverwaltung blieben zwar erhalten, verloren aber wichtige Funktionen. Studentischen Interessen wurden nun allein von der FDJ vertreten. Aber der radikale Umbau im Hochschulewesen wurde keinesfalls kritiklos hingenommen, wie das 1958 unterzeichnete Papier der Universität Rostock zeigte. Kritisiert wurden darin vor allem die materielle Lage der Studenten, die Studienzulassung und die Stipendienvergabe. Im weiteren Verlauf seines Vortrags ging Jenkner auf den Widerstand an den Universitäten, insbesondere auf die Leipziger Beltergruppe ein. Wichtig war Ihm dabei zu betonen, dass an jeder ostdeutschen Universität Kritik und Aufbegehren gegen die SED-Diktatur vorhanden war, welches heute leider nur wenig bekannt sei.

Auch Prof. Dr. Ulrich von Hehl, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Leipzig, beschäftigte sich mit der Hochschulentwicklung in der SBZ, konkretisierte dies aber an der Universität Leipzig. Den Fokus legte er auf das Spannungsfeld zwischen der bürgerlichen Wissenschaft und der sozialistischen Umgestaltung.

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Auch fünf ehemalige Mitglieder der Beltergruppe waren zu Gast (alle Fotos © Angelika Hüneburg)

Mit dem Angriff auf Leipzig am 17., der Besetzung am 19. und der Kapitulation der Stadt am 20. April 1945, war der Krieg, erklärte von Hehl, auch für die Universität Leipzig zu Ende. Am 5. Februar 1946 wurde die Universität im Kapitol, dem Kino der Stadt, nicht aber in der Universitätskirche, wiedereröffnet. Schon dieser bezeichnende Akt verdeutlichte, dass sich das eine totalitäre Regime in einem Anderen aufgelöst hatte. Die Auswahl der Studenten nach ihrer Herkunft und die damit verbundenen Privilegien für Studenten aus Arbeiter und Bauernfamilien sollten, so von Hehl, zur „Brechung des Bildungsprivilegs der Ausbeuterklasse an den Hochschulen“ führen. Dieses Anliegen spiegelte sich 1949 in der Gründung der Arbeiter- und Bauernfakultät wider. Dennoch, konstatierte er, blieb trotz der 1951 stattfindenden Grunderneuerung der Hochschulreform der traditionelle Aufbau der Universität bis 1952 erhalten und die Mehrheit der Studierenden bürgerlich geprägt. Allerdings kam es zu einer deutlichen Verstärkung des direkten und indirekten ideologischen Einflusses an der Bildungseinrichtung, sodass „nur noch Fassadenreste der traditionellen Freiheit“ stehen blieben. Mit dem neuen Kurs der SED 1953, schilderte von Hehl, wurde der stalinistische Terror und der Einfluss der SED an den ostdeutschen Hochschulen systematisch verstärkt und der bürgerlicher Wissenschaftler eingeschränkt, welches unter anderem stellvertretend durch die Umbenennung der Leipziger Universität in Karl-Marx-Universität dargestellt wurde. Diese Vorgehensweise gipfelte in der Verdrängung aller bürgerlicher Elemente aus der Universität in den 60er Jahren. Angehende Studenten wurden nun nach dem materialistisch-marxistischen Menschenbild geformt.

Nachdem sich der Vormittag des Symposiums der Hochschulentwicklung vor allem zwischen 1950 und 1953 zugewendet hatte, sollte im Folgenden der studentische Widerstand in der DDR konkreter im Spiegel der Überlieferung betrachtet werden.

Prof. Dr. Gerald Wiemers, Professor für Archivwissenschaften und neuere Geschichte, berichtete von dem jetzigen Stand der Archivwissenschaften und der Schwierigkeit der Aufarbeitung der SBZ-DDR Vergangenheit. Ursache dafür ist der mit der Auflösung der sowjetischen Häftlingslager einhergehende Verlust von Akten und die nur schwer zugänglichen und schlecht ausgestatteten heutigen russischen Archive. Weiter formulierte Wiemers, das durch die Verdrängung zeitgeschichtlicher Bilder, die Relativierung der eigenen Vergangenheit und das Aufwiegen der eigenen Fehler gegen Fehler der jetzigen Bundesrepublik kaum eine vorurteilsfreie Forschung erlaube. Subjektiv verfasste Berichte seien daher gegenwärtig klarer als die derzeitige Aktenlage. Aus diesem Grund sei es für ihn unabdingbar auf narrative Angaben zurückzugreifen. Die Aussagen und Tagebücher ehemaliger Häftlinge, meinte Wiemers, geben eine Wirklichkeit wieder, die geschönte Akten nicht ermöglichen.

Um die durch die Referate hervorgerufenen Eindrücke des Tages und die entstandenen Bilder abzurunden, wurde Prof. Dr. Werner Gumpel, ehemaliges Mitglied der Beltergruppe und Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Südosteuropas, gebeten, über das persönliche Erleben nach der Verhaftung der Beltergruppe in den Lagern des Gulag zu berichten.

Gumpel, der sich 1950 der studentischen Widerstandsgruppe angeschlossen hatte, wurde im Oktober des selben Jahres mit den weiteren Mitgliedern der Gruppe verhaftet. Mit dieser Konsequenz, erzählte Gumpel, hätte er gerechnet. Nicht jedoch damit, dass die Beltergruppe an das sowjetische Militärtribunal übergeben und ein Todesurteil vollstreckt wurde. Gumpel, angeklagt nach dem Strafgesetzbuch der UdSSR, wurde zu 25 Jahren Haft wegen „Spionage und antisowjetischer Propaganda“ verurteilt. Während des Verfahrens wurde ihm kein Rechtsbeistand zur Seite gestellt. Die Beweisführung unschuldig zu sein, lag bei dem Beschuldigten. Nach mehreren Haftverlegungen in der DDR wurde er 1951 nach Workuta, in die UdSSR, deportiert um schwere Zwangsarbeit zu verrichten. Eindrücklich schilderte Gumpel im Folgenden den Kampf ums Überleben, der bei Minusgraten zwischen 30°C und 50 °C und nur 70 frostfreien Tagen im Jahr, vor allem durch den Schutz vor Erfrierungen bestimmt war. Hier, so Gumpel wartete ein zwölf Stunden Tag mit harter Arbeit auf die, durch lange Haft von der Arbeit entwöhnten, Studenten. Untergebracht wurden sie in primitiven Baracken, die jegliche Privatsphäre verweigerte. Verstärkt wurde diese Entpersonalisierung durch das Anbringen von Gefangenennummern an Ärmel und Hosenbein. Auch die Bildung von Freundschaften, sowie der Kontakt zur Heimat wurde unterbunden. Das Lager, beendete Gumpel seinen Vortrag, war geprägt vom täglichen Bild des Hungers, der Krankheit und der menschlichen Entwürdigung.

Der Höhepunkt des Tages war die Festveranstaltung am Abend. Gemeinsam mit dem sächsischen Staatsminister der Justiz, Dr. Geert Mackenroth, dem Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Burkhard Jung, und dem Rektor der Universität Leipzig, Prof. Dr. Franz Häuser, wurde noch einmal dem studentischen Widerstand in der DDR gedacht.

Dr. Klose machte in seiner Begrüßung deutlich, dass das Eintreten junger Menschen für die Ideale der Freiheit in der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR, wie ihre Vorbilder des nationalsozialistischen Widerstands, mit der ganzen Härte des Systems verfolgt wurden. Allein an der Universität Leipzig fielen dem SED-Terror, in den Jahren zwischen 1945 und 1955, 104 Studenten zum Opfer, neun von ihnen wurden hingerichtet. Mit der Mahnung, dass wir nur im Wissen um unsere Vergangenheit die Zukunft gestalten können, übergab er das Wort an Oberbürgermeister Jung.

In seinem Grußwort führte Jung an, dass das 600-jährige bestehen der Universität nicht nur jubelnd gefeiert werden soll, sondern wir auch angehalten sind, bewusst zurückzublicken. Er machte darauf aufmerksam, dass man nicht kämpft um frei zu sein, sondern weil man schon frei ist. In seiner Erklärung dazu fügte er an, dass die Beltermitglieder sich schon von ihren konventionellen Sichtweisen befreit hatten und die Gefahren und die damit verbundenen Konsequenzen bewusst auf sich nahmen. Sie seien Menschen mit Zweifeln gewesen, die die Kraft hatten zu widerstehen. Aus diesem Grund warnte der Oberbürgermeister vor einer pauschalen, märchenhaften Heroisierung. Auch machte er auf die doppelte Bindung von Gruppenzugehörigkeit und innerer Stärke, der es scheinbar bedarf um zu widerstehen, aufmerksam. Zum Ende seines Grußwortes äußerte er den Wunsch, die ruhigen Momente in unserer heutigen Zeit zu suchen, um sich zu erinnern und Wege zu finden, Wahrheit zivilcouragiert öffentlich auszusprechen.

Daran schloss sich Prof. Dr. Franz Häuser mit einer Laudatio auf die Beltergruppe an. Durch den gegebenen Anlass des Universitätsjubiläums der zweitältesten Universität mit durchgängigen Hochschulbetrieb in Deutschland, verwies er auf die Geschichte der Universität und deren Rolle im gesellschaftspolitischen Raum. Im Anschluss daran beschrieb Häuser am Beispiel der Beltergruppe, wie Gewalt und Arroganz Gegengewalt hervorriefen. Wichtig war es ihm zu konkretisieren, dass neben der Aufgabe der Universität von Forschung und Lehre, nicht vergessen werden dürfe, die jungen Menschen zu freiheitlich denkenden und selbstständigen Personen zu erziehen. Dabei sollte der aufrechtstehende Student nicht aus den Augen verloren werden. In die Zukunft blickend teilte er mit, dass es geplant ist, im Neubau der Universität einen Erinnerungsort, im Gedenken an den studentischen Widerstand, einzurichten.

Den Festvortrag des Abends hielt Dr. Geert Mackenroth. Zu den Worten aus der Bergpredigt „Seid das Salz der Erde“ äußerte er sich zur Zivilcourage und dem Widerstand als gesellschaftliche Herausforderung. Bevor er sich der Thematik zuwendete, setzte er sich mit der begrifflichen Definition von Zivilcourage und Widerstand auseinander. Den Begriff Zivilcourage, geprägt von dem deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck, verstand er dabei als: unerschrocken für seine feste Meinung offen und aktiv einzutreten. Widerstand definierte er als aktives Handeln, um Macht zu überwinden oder an ihr teilzuhaben. Dieser Begriff, so Mackenroth, fragt nicht nach Legalität, dennoch ist er wertvoll. Doch der Widerstand benötigt, juristisch ausgedrückt, eine direkte Beweisführung. Der „Mantel des Rechts“, die Rahmenbedingungen sind entscheidend. Die Macht in einer Diktatur, argumentierte er, kann kein Recht sein, da keine gesellschaftliche Partizipation vorhanden ist. In diesem Fall gewinnt Brechts Satz: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“, an Bedeutung. Wo aber Recht Frieden stiften kann, gibt er zu bedenken, ist Widerstand keine Pflicht sondern Gefahr. Wozu, schlussfolgerte Mackenroth fragend, noch das Widerstandsrecht nach Artikel 20, 4 im bundesdeutschen Grundgesetz als konkrete Ausprägung von Zivilcourage verankern? Hier räumte er ein, das dieser Artikel vor allem eine symbolische Kraft inne habe. Der Staatsbürger ist aufgefordert sich aktiv zu beteiligen und die Macht, die ihm anvertraut ist, zu bewahren.

In einer Demokratie darf die Widerstandspflicht jedoch kein Selbstzweck sein, hier ist sie nur wahrzunehmen, wenn der „rechtsstaatliche Sicherheitsgurt schon gerissen ist“ und es gilt, den Rechtsstaat mit dem letzten Mittel zu erhalten beziehungsweise wieder herzustellen. Zum Schluss seiner thematischen Reflexion ging er auf die praktische Form der Zivilcourage im Alltag ein und ermunterte, das es dazu keines Leichtsinns bedarf, sondern oftmals ein entschlossenes Wort genüge.

Umrahmt wurde der Abend von Prokofjews Sonate für Violoncello und Klavier op. 119, durch Andreas Reuter am Klavier und Tobias Tauber am Violoncello. Das Publikum hatte bei einem kleinem Empfang im Anschluss, die Möglichkeit miteinander ins Gespräch zu kommen und den Abend unterhaltsam ausklingen zu lassen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Aufarbeitung und Würdigung des Einsatzes von Studenten für Demokratie und Freiheit in der DDR bisher wenig Resonanz im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands fand. Die Belter-Dialoge, die von nun an jährlich stattfinden werden, sollen die Lücken über die Aspekte der Verfolgung und des Widerstandes an ostdeutschen Schulen und Hochschulen, schließen und ein Plädoyer für Freiheit und Demokratie darstellen.

Es versteht sich, dass dieser 19. Mai 2009 nur der Versuch eines Rundumblicks auf ein noch relativ unerforschtes Terrain sein konnte. Es lässt sich aber abschließend sagen, dass dies ein gelungener Versuch, aber vor allem ein Anfang war.

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