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Der Syrienkrieg: Stellvertreterkrieg und konfessioneller Konflikt

Ursachen, Entwicklung und Auswege aus der syrischen Krise und die schwierige Lage der syrischen Christen

Von einem anfangs friedlichen Protest gegen das Assad-Regime zu Beginn des Jahres 2011 hat sich die Lage in Syrien hin zu einem Stellvertreterkrieg entwickelt, dem bis November 2013 bereits mehr als 130.000 Syrer zum Opfer gefallen sind. Millionen Vertriebene und Hunderttausende Verwundete kennzeichnen darüber hinaus die dramatische humanitäre Lage.

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Die syrische Gesellschaft ist tief gespalten, wenn es um die Befriedung des Konfliktes geht – und auch die Weltgemeinschaft ist weit davon entfernt einen gemeinsamen Lösungsansatz zu finden. Erst am vergangenen Wochenende (9./10.11.2013) beriet in Istanbul ein wichtiges Oppositionsbündnis, die Syrische Nationale Koalition, über ihre Teilnahme an den „Genf 2“ genannten Verhandlungen, die zwar bereits im Mai 2013 von den USA und Russland angeregt worden war, aber voraussichtlich frühestens im Dezember 2013 stattfinden wird.

Diskussion mit syrischen und deutschen Experten

Die religiösen, politischen, militärischen, historischen und sozio-ökonomischen Dimensionen des syrischen Konflikts und die Vielzahl der verschiedenen involvierten - inneren und äußeren - Akteure waren zur gleichen Zeit das Thema des 14. Mülheimer Nahostgesprächs. Unter dem Titel „Der syrische Konflikt – Perspektiven für ein zerstörtes und traumatisiertes Land“ trafen auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Katholischen Akademie Die Wolfsburg Experten aus Deutschland, Syrien und der Region, Politiker, Diplomaten, sowie Vertreter unterschiedlicher deutscher und syrischer humanitärer und religiöser Institutionen und politisch Interessierte zusammen.

Das Flüchtlingsdrama destabilisiert die Nachbarstaaten

Die ehemalige christdemokratische Bundestagsabgeordnete und Gründerin sowie Sprecherin des Stephanus-Kreises der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der sich dem weltweiten Einsatz für Religionsfreiheit verpflichtet hat, Ute Granold, erinnerte daran, wie sehr sich die Situation seit ihrem letzten Besuch in Syrien gewandelt hat: Als sie im Jahr 2008 nach Damaskus gefahren war, da hatte Syrien 1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen, darunter auch viele Christen. Heute hat sich Situation in Syrien dermaßen verschlimmert, dass diese Flüchtlinge teilweise sogar wieder in den Irak zurückkehren, obwohl auch im religiös und ethnisch tief gespaltenen Irak noch tagtäglich Dutzende Menschen bei Anschlägen umkommen.

Granold, die im Sommer ein Flüchtlingslager in Jordanien und der Türkei besucht hatte, schilderte die dramatische Lage in den Nachbarländern Türkei, Jordanien und Libanon, die durch die hohe Zahl von Flüchtlingen - insbesondere hinsichtlich knapper Ressourcen, wie Trinkwasser (insbesondere im wasserarmen Jordanien ein großes Problem), Schulen und Arbeitsplätzen, belastet werden. Hilfsgelder der internationalen Gemeinschaft – nach den USA und der EU ist Deutschland mit 350 Millionen Euro Flüchtlingshilfe der drittgrößte Geber - kämen oft nicht an, bürokratische Hürden einerseits, und „Kontrollpunkte in Syrien“ die die Hilfe „abkassieren“ andererseits, nannte sie hier als Probleme. Granold plädierte vor diesem Hintergrund für eine weitere Erleichterung der Aufnahme in Deutschland, beispielsweise im Rahmen der Familienzusammenführung. Heute kämen viele Syrer durch Schlepper nach Deutschland und Europa, wofür der Preis von 5.000 auf 10.000 Euro gestiegen sei.

Die ehemalige christdemokratische Bundestagsabgeordnete vertrat die Ansicht, dass eine gezielte Unterstützung für die christlichen Glaubensbrüder in Syrien richtig sei. Damit verband sie jedoch die Hoffnung für die syrischen Christen auf einen möglichen Verbleib in den jeweiligen, über ganz Syrien verstreuten Heimatregionen, oder eine spätere Rückkehr dorthin.

Um dies zu ermöglichen und eine Verbesserung der Lage in Syrien zu erreichen, sei es wichtig, dass sich die verschiedenen Akteure ohne Vorbedingungen an einen Tisch setzten. Problematisch sei allerdings, dass die „gemäßigten Akteure zu schwach“ seien, „um sich durchzusetzen“. Die vorhandenen Strukturen der Bürgergesellschaft müssten daher unterstützt werden. Deutsche Waffenlieferungen für Saudi-Arabien, das als Unterstützer und Waffenlieferant der militanten Jihadisten gilt, lehnte sie ab.

Zweifrontenkrieg gegen Regime und Jihadisten

Doch wie konnte es soweit kommen, dass seit vielen Monaten ausländische Jihadisten das Leben der Syrer bedrohen und sich die moderateren Kräfte inzwischen einem Zweifrontenkrieg gegen das Assad-Regime und den -insbesondere aus Saudia-Arabien und Katar unterstützten- syrischen und ausländischen Jihadisten -gegenüber sehen?

Petra Becker, die in der Stiftung Wissenschaft und Politik zu Syrien forscht und zwischen 1987 und 2012 für viele Jahre dort gelebt hat, schilderte die wesentlichen Entwicklungen des syrischen Krieges. Für die schnelle und bis heute anhaltende Gewalteskalation machte sie das syrische Regime verantwortlich, das sich „von Anfang an auf das brutale Niederschlagen der Proteste versteift“ habe. Die Proteste bewertete sie als „genuinen Volksaufstand“, der nicht von der Bürgerrechtsbewegung initiiert worden sei. Die Bürgerrechtsbewegung habe jedoch versucht, die Proteste in die „richtige Richtung zu lenken“, um zu verhindern, dass sie in einen „Aufstand gegen die Alewiten“ mündeten. Dies war durchaus nicht auszuschließen, da Assad – wie auch viele andere in der Herrschaftselite - Alewit ist.

Durch die von außen geförderte Bewaffnung und Militarisierung habe sich der Konflikt sehr radikalisiert. Zudem habe die Opposition gegen Assad, die im Jahr 2011 zuerst den „Syrischen Nationalrat“ und später die politisch breiter aufgestellte „Syrische Koalition“ gegründet hatte, „keine Kultur des Dialoges, keine Möglichkeit miteinander zu reden“ entwickelt. Die unterschiedliche Unterstützung von außen – für die Muslimbrüder zum Beispiel aus der Türkei und Katar, für die Säkularen unter anderem aus den USA und Frankreich, für Assad aus Iran, durch die libanesische Hisbollah und Russland und für die Jihadisten aus Saudi-Arabien – trug bislang nicht dazu bei, einen zivilen innersyrischen Dialog zu fördern.

Die aktuelle Situation beschrieb Becker als „Patt“: „Keiner kann den anderen besiegen. Trotz sich täglich leicht verschiebender Frontverläufe hat man seit einem Jahr praktisch keine relevanten Verschiebungen mehr gesehen.“ Aktuell seien etwa 60% des syrischen Territoriums „in Rebellenhand“, 40% dagegen noch „in der Hand des Regimes“.

Zwischen Chemiewaffeneinsatz und Politik der „verbrannten Erde“

Die militärischen und humanitären Folgen des Einsatzes von Chemiewaffen am 21. August 2013, beim dem an einem einzigen Tag über 1.400 Menschen ums Leben kamen, bewertete Becker kritisch: „Das Regime bombardiert die Rebellengebiete nun noch heftiger konventionell, blockiert Lebensmittellieferungen in diese Gebiete, so dass Menschen in den Vororten von Damaskus verhungern, sowie Mangelkrankheiten, die zur Erblindung von Kindern führen und Polio ausbrechen.“

Andre Bank, Referent am GIGA Institute for Middle East Studies in Hamburg, beschrieb eine „Regimestrategie der verbrannten Erde in Form von Flächenbombardements und Strafmaßnahmen“ der Assad-Truppen in den von der Opposition kontrollierten Gebieten: „Das Regime macht den Menschen das Leben in den Gebieten, die es nicht zurück erobern kann, zur Hölle“, so Bank. Allerdings sei unklar, wie viel Kontrolle Assad noch über die „regimenahen Milizen“ habe. Iran, als „zentraler, regionaler Unterstützer des Assad-Regimes und Lieferant militärischer Expertise und Kämpfer“ stehe hinter dieser Strategie der „verbrannten Erde“, meinte Bank.

In dem von Bank ausführlich dargestellten „Stellvertreterkrieg“ spielen auch die Unterstützer der Assad-Gegner, wie Saudi-Arabien, eine die Situation eher verschlimmernde Rolle.

Jihadisten als Gefahr für humanitäre Helfer

Vor diesem Hintergrund schilderte der Mitbegründer der „Grünhelme“, Rupert Neudeck, wie gefährlich es in der aktuellen Situation ist, vor Ort direkt Hilfe zu leisten, wie seine Organisation es beispielsweise durch den Wiederaufbau von zerbombten Krankenhäusern tut. Drei seiner Mitarbeiter waren im Sommer entführt worden. Zwei Monate lang blieb Neudeck ohne jedes Lebenszeichen von ihnen. Neudeck vermutet hinter den Entführungen deutsche Jihadisten. Diese kämpften oftmals nicht auf der Seite der Anti-Assad-Truppen der Freien Syrischen Armee (FSA), sondern verübten vielmehr kriminelle Handlungen, womit sie der FSA bei deren Kampf gegen Assads Truppen eher in die Quere kämen. Mit sehr deutlichen Worten wies Neudeck auf die Hintermänner und Geldgeber der Jihadisten in Saudi-Arabien hin und forderte die deutsche Politik zu einer politischen Antwort auf: „Wir dürfen nicht mehr mit Saudi-Arabien kooperieren. Wo ich hinkomme, ob in Syrien oder in Mali, wird mit saudischem Geld Terror kreiert.“

Hinsichtlich der Lage der Christen in Syrien betonte Neudeck, dass die große Zahl von christlichen Stätten im Land, Syrien neben Palästina zu einem der wichtigsten Länder für unsere Religion und die orientalischen Christen mache. Es sei verkehrt, alle Christen aus dem Lande zu holen. Hinsichtlich der humanitären Herausforderung sollte nicht nur „die eigene Klientel bedient werden, sondern die wirklich Bedürftigen“ – unabhängig vom jeweiligen Glaubensbekenntnis.

Neudeck plädierte für die Aufnahme von insgesamt weit mehr syrischen Flüchtlingen durch Deutschland. Hier könnten auch die Bundesländer unterstützend wirken. Er erinnerte daran, dass in der Bosnien-Krise 1992 sogar 300.000 Bosnier aufgenommen worden waren. Deutschland hat die meisten der bislang rund 45.000 nach Europa geflüchteten Syrer aufgenommen.

Die Lage der syrischen Christen

25 Jahre hat der katholische Geistliche Msgr. Jihad Nassif im syrischen Lattakya gearbeitet und er kennt die beiden Gesichter des syrischen Regimes gegenüber den syrischen Christen: Die Überwachung seiner Gottesdienste durch den syrischen Geheimdienst hat Nassif einerseits ebenso erlebt, wie andererseits die Bezahlung der Schulbücher und Lehrer für den Religionsunterricht durch den syrischen Staat. Die „Diktatur“ lehnte Nassif ab, aber auch die die gegen Assad kämpfenden Jihadisten, in denen er eine große Bedrohung für die in Syrien lebenden Christen sieht:

„Die Jihadisten kommen aus politischen Gründen aus Tschetschenien, ohne uns zu fragen was wir wollen. Wir sind hier nicht eingewandert – Syrien ist unsere Heimat. Versuchen Sie mich nicht zu überzeugen, dass die Saudis und die Kataris für unsere Freiheit kämpfen“, betonte Nassif.

Wie eng die Machtfrage mit dem konfessionellen Gefüge in Syrien verbunden ist, machte Nassif deutlich, als er den Slogan der Aufständischen „Das Volk wird das Regime stürzen“ kritisierte: Dies würde auch den „Sturz von 2-3 Millionen Alewiten und anderen religiösen Minderheiten bedeuten“, so Nassif.

Der Orientalist und Kirchenhistoriker Martin Tamcke beschrieb in seinem Statement die wechselhafte Geschichte und die besondere Rolle Syriens für die Christen in der Region: Die Zahl der Christen in Syrien sei noch recht hoch, da Syrien auch immer wieder Christen aus anderen Ländern eine sichere Heimat geboten habe. So zum Beispiel nach dem Völkermord an den Armeniern in der Türkei 1915 und nach den Pogromen im Irak. Die heute in Syrien existierenden christlichen Gemeinschaften beschrieb er als „vital und produktiv“. Trotz aller Schwierigkeiten und der engen, vom Regime gesetzten Grenzen, sei es doch in Syrien „immer leichter gewesen, eine Kirche zu gründen als eine Nichtregierungsorganisation“.

Matthias Vogt, Nahostreferent bei missio, beschrieb die vom Regime erzwungene Loyalität der Kirchenführer: „Opposition gehörte nicht zu den Tugenden eines Bischofs, sonst hätte er sein Amt auch nicht ausüben dürfen. Das Regime erwartet mit Nachdruck, dass man sich positiv zu ihm stellt.“ Seit dem Beginn des Aufstands 2011 sei die Situation für die Kirchen sehr herausfordernd: „Die Kirche muss umlernen, um glaubwürdig zu bleiben. Ihr fehlt es in Syrien nicht an Gebäuden, sondern an gesellschaftlichem Engagement.“ Es falle der Kirche schwer, „im Ausland ihre Lage glaubwürdig darzustellen“, so Vogt. Die aktuelle Situation beschrieb er als „Propagandakrieg“: „Man kann alles glauben, aber auch das Gegenteil“, so Vogt. Bitter resümierte er: „Die Christen werden in einem Konflikt zerrieben, in dem sie nicht Partei sind“.

Was dieses „Zerriebenwerden“ konkret bedeuten kann, stellte Daniyel Demir, Vorsitzender des Bundes der Aramäer in Deutschland, am Beispiel zweier christlicher Städte dar, die, wie Demir ausführte, erst vor kurzer Zeit von Jihadisten überfallen und zerstört wurden, wobei viele der überwiegend christlichen Einwohner ermordet worden seien. Demir verwies darauf, dass insgesamt bereits ein Viertel der zwei Millionen syrischen Christen geflohen seien. Der brutale und gewaltsame Druck auf die Christen würde auch durch Katar und den katarischen Sender Al-Jazeera erhöht, indem dieser Sender islamische Prediger live Fatwas (das sind religiöse Aufrufe) zur Ermordung und Entführung christlicher Geistlicher ausstrahle. Zwei Erzbischöfe seien in Syrien seit über 200 Tagen verschwunden: „Damit setzen die Jihadisten ein Zeichen und nehmen alle syrischen Christen in Geiselhaft“, so Demir.

Lamya Kaddor, Vorsitzende des Liberal-islamischen Bundes, warnte vor einer zu einseitigen Betonung der Notlage allein der syrischen Christen: „Es gibt keine systematische Christenverfolgung in Syrien. Christen sollten sich nicht zu stark als Opfer darstellen. Christen sind Opfer in dem Konflikt, aber man sollte das nicht nur auf ihr Christsein schieben“, meinte Kaddor.

Ausführlich schilderte sie die Radikalisierung von islamischen deutschen Jugendlichen, die – teilweise von salafitischen Wanderpredigern und jihadistischen Propagandavideos aufgehetzt - in den Heiligen Krieg nach Syrien ziehen, „um dort als Märtyrer zu sterben“. In ihren Facebook-Profilen ließen sie sich dafür von ihren Freunden feiern.

Es sei heute ein großes Problem für Syrien, dass man die oft finanziell gut ausgestatteten Jihadisten in großer Zahl ins Land gelassen habe, da sie Waffen, Geld und andere für die Bevölkerung notwendige Dinge mitgebracht hätten. Die Jihadisten haben die Lücke gefüllt, die der Westen gelassen hat, indem er die syrische Opposition nicht entsprechend ausgerüstet hatte, meinte Kaddor.

Der schiitisch-sunnitische Gegensatz

Wie sehr auch der schiitisch-sunnitische Gegensatz den Konflikt in Syrien beeinflusst, machte Stephan Rosiny vom GIGA Institut in Hamburg deutlich. Er sieht bereits Anzeichen dafür, dass der Konflikt auf den Libanon und den Irak überspringen könnte. Auch Bahrain und schiitische Provinzen in Saudi-Arabien seien hiervon bedroht. Die betroffenen Länder müssten erkennen, dass sie den Konflikt nicht gewinnen könnten. Insbesondere Iran habe kein Interesse an einer Ausweitung des Konflikts, weil dieser die anti-schiitischen Ressentiments verstärke.

Am Beispiel des Libanon erläuterte Rosiny mögliche Lösungsansätze auch für Syrien: „Machtteilung und Institutionen, die die Konfessionen zur Zusammenarbeit motivier

ten, sollten im Libanon mit dem Ta’if –Abkommen eigentlich den Konfessionalismus abschaffen“, führte Rosiny aus. Allerdings habe sich diese gewünschte politische Dynamik nach dem Abschluss des Abkommens nie entfaltet.

Hinsichtlich der Zukunft der Religionsgemeinschaften in Syrien sprach sich Kamal Sido, syrischstämmiger Mitarbeiter der Gesellschaft für bedrohte Völker, für eine „vollständige Glaubensfreiheit“ aus, die auch den Glaubenswechsel ermögliche. Man wolle für Syrien keine Situation wie im Irak, wo zehn Jahre nach der Intervention immer noch täglich bis zu 100 Menschen bei Anschlägen ums Leben kommen. Sido zitierte Mahatma Gandhi, der gesagt habe, man solle die Nationen danach bewerten, wie sie mit ihren Minderheiten umgingen.

Der notwendige institutionelle Aufbau einer syrischen Demokratie

Ghiath Bilal, von der Nahda Group, erinnerte an die kurze Phase demokratischen Lebens nach der Unabhängigkeit des syrischen Staates, als der Christ Faris al-Khoury auch von den syrischen Muslimen zum syrischen Ministerpräsidenten gewählt worden war – die höchste politische Position, die ein syrischer Christ jemals in Syrien erreicht hat . Doch wie die deutsche Demokratie in der Weimarer Republik, sei die syrische Demokratie damals zu schwach gewesen.

Bilal beschrieb die fünf seiner Ansicht nach wichtigsten Elemente zum Aufbau eines demokratischen syrischen Staates:

  1. Eine moderne Verfassung als gesellschaftlicher Vertrag für alle syrischen Bürger
  2. Eine dezentralisierte Verwaltung und eine moderne Verwaltungsstruktur, statt des zentralistischen Polizeistaats
  3. Politischer Pluralismus durch ein modernes Parteiengesetz
  4. Soziale Marktwirtschaft als Basis für den 50-200 Milliarden Dollar teuren Wiederaufbau des Landes
  5. Gewaltenteilung
Diese demokratische Nachkriegsordnung sollte, nach Ansicht Bilals, schon heute vorbereitet werden, wobei Deutschland aufgrund seiner eigenen historischen Erfahrung einen wichtigen Beitrag leisten könnte. Bilal betonte, dass es wichtig sei, dass sich die Syrer als „Bürger einer Republik“ definieren. Dies sei auch für die Christen wichtig: „Wenn sich die Christen als Syrer definieren, dann sind sie keine Minderheit in Syrien und werden nicht auf Basis der Religion ausgegrenzt“, so Bilal.

Unterstützt wurde er darin von Jihad Nassif: „Eine syrische Verfassung, in der alle ihren Platz haben, ist meine einzige Hoffnung“, betonte der syrische Geistliche.

Bilanz

Die humanitäre Tragödie in Syrien und die bereits unvorstellbar große Zerstörung von weiten Teilen des Landes und seiner Infrastruktur verlangt nach einer schnellen Beendigung des Krieges. Die Beiträge der Referenten machten aber wenig Hoffnung, dass dies angesichts der „Patt-Situation“ zwischen den Assad-Truppen und seinen sehr unterschiedlichen und tief zerstrittenen Gegnern, die sich teilweise stärker selbst bekämpfen als gegen die Regimekräfte vorzugehen, möglich sein wird.

Die finanzielle und humanitäre Hilfe von außen ist nicht nur ungenügend, sie kommt auch bei den Bedürftigen oftmals gar nicht an. Ausländische Mächte, die – wie Russland und Iran - auf Seiten Assads oder – wie Katar und Saudi-Arabien- auf Seiten seiner mindestens ebenso brutalen und menschenverachtenden jihadistischen Gegner stehen – behindern den Kampf derjenigen Syrer, die unter Einsatz ihres Lebens für Freiheit, Würde, Menschenrechte und Demokratie eintreten.

Die geplanten „Genf 2“-Verhandlungen müssen möglichst noch in diesem Jahr beginnen. Je länger der Krieg andauert, desto wahrscheinlicher wird ein Auseinanderbrechen des syrischen Staates in verschiedene Einflusszonen. Eine Teilung des Landes nach religiösen und ethnischen Kriterien wird aber die Bevölkerungsgruppen, die nicht in relativ geschlossenen Teilen leben, wie vor allem die über weite Teile verstreuten christlichen Gemeinden, weiter einem hohen Vertreibungsdruck aussetzen. Europa und die USA müssen ihre Verhandlungsposition nutzen, die „Nachkriegsordnung“ so zu gestalten, dass die notwendige Machtteilung zu einer inneren Stabilisierung beiträgt und auch langfristig die Einheit des Landes gesichert wird.

„Die Syrer sind das verlassenste Volk der Erde.“ Dieser Satz von Rupert Neudeck, gesprochen im Mülheimer Nahostgespräch, ist ein vernichtendes Urteil über das Versagen der Weltgemeinschaft. Es darf nicht das letzte Wort bleiben.

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