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Veranstaltungsberichte

III. Internationales Seminar in Bogotá: Belagerte Demokratien

Am 27. und 28. April 2023 fand in Bogotá das III. Internationale Seminar zum Thema “Belagerte Demokratien” statt; es handelt sich um eine gemeinsame Initiative der Mission zur Wahlbeobachtung MOE, der Konrad-Adenauer-Stiftung KAS Kolumbien, der Schwedischen Botschaft, der Europäischen Union und der Open Society Foundation.

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Zunächst begrüßte die Direktorin der MOE, Alejandra Barrios Cabrera die Anwesenden und dankte ihnen für ihre Teilnahme. Ziel der Veranstaltung war es, angesichts der bevorstehenden Regionalwahlen in Kolumbien im Oktober 2023 über den Zustand der Demokratien in Lateinamerika zu diskutieren; dabei wurde die Situation in verschiedenen Ländern der Region analysiert. Die stellvertretende Botschafterin Schwedens, Madelene Spencer nannte die Demokratie ein ständiges Bemühen verschiedener Akteure, Pluralismus und Dialog zu garantieren und einen Konsens und ein partizipatives Abkommen darüber zu erreichen, wie wir in der Gesellschaft leben wollen und mit welchen Spielregeln.

Anschließend stellte der Repräsentant der KAS Kolumbien, Stefan Reith die Arbeit der Stiftung zur Demokratieförderung anhand von fünf thematischen Achsen vor: nachhaltige Entwicklung, Friedenskonsolidierung, Sicherheit und Verteidigung, Dezentralisierung und Stärkung der demokratischen Institutionen, wobei letztere ein ständiges Bemühen der gesamten Gesellschaft voraussetze. Der Leiter der Regionalen Zusammenarbeit zwischen Zentralamerika und der Europäischen Union, Alberto Mhenghini wies auf die Schwierigkeiten hin mit denen die demokratischen Regime derzeit konfrontiert seien sowie auf die allmähliche Verschlechterung in etwa Dreiviertel der Länder in denen Demokratie herrsche.

Der Richter Altus Alejandro Baquero vom Nationalen Wahlrat (CNE) erläuterte daraufhin, wie die einzelnen Institutionen an der Stärkung der demokratischen Prozesse arbeiten, obwohl die Wahlreformen der vergangenen Jahre ihren Zweck nicht erfüllt haben. Der Richter verteidigte auch die Arbeit des CNE und die Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichts, das den während des bewaffneten Konflikts schwer getroffenen Bewegungen und Kollektiven einen Platz im Parteiensystem zugestanden hatte.

Das Seminar wurde mit zwei Vorträgen von internationalen Gästen fortgesetzt. Der erste Vortrag mit dem Titel „Informieren unter einem Regime“ wurde von dem salvadorianischen Journalisten Oscar Martínez von der Tageszeitung El Faro gehalten und befasste sich mit der aktuellen Situation im Land unter dem Mandat von Nayib Bukele, den er als messianischen und autoritären Führer bezeichnete, der durch den seit über einem Jahr geltenden Ausnahmezustand auch die Justiz und die Legislative an sich gerissen hat. Der Journalist nannte vier Hauptursachen für diese Erosion des demokratischen Systems des Landes: 1) die in den 1990er Jahren unterzeichneten Friedensabkommen zwischen verschiedenen Politikern und nicht mit der Gesellschaft, 2) der hohe Index an informeller Beschäftigung, die die Gesellschaft dazu zwingt, ihre Anstrengungen auf das Überleben zu konzentrieren, 3) die Machtübernahme durch eine korrupte politische Klasse, die die Ankunft von Bukele als Außenseiter begünstigte, und 4) das Propagandasystem des Regimes, das ein eher undurchsichtiges Narrativ von Sicherheit und Wohlstand verbreite.

Die zweite Konferenz mit dem Titel "Wahlen im digitalen Zeitalter" wurde von der mexikanischen Anwältin und Beraterin Pamela San Martín gehalten; sie erläuterte, wie die Pandemie den Prozess der Abhängigkeit von der Technologie und ihrer Nutzung im Alltag beschleunigt habe. Weiterhin erklärte sie, dass diese Auswirkungen nicht nur das politische System und das Wahlsystem beträfen, das nun zu einer Reform seiner Zugänglichkeit gezwungen werde. Dies bedeute Herausforderungen in Bezug auf die Transparenz und den Zugang zu den Daten vor und nach den Wahlen sowie die Verantwortung für die Verwaltung der Software, die vorzugsweise in den Händen des Staates liegen sollte und nicht in den Händen von Dritten, die den Prozess einer Überprüfung behindern würden. Dies setze jedoch eine Neukonfiguration der Wahlsysteme in Übereinstimmung mit den neuen Technologien voraus, ohne dass dies eine Einschränkung der Anwendung der elektronischen Stimmabgabe darstelle, sondern im Gegenteil einen Demokratisierungsprozess, an dem die Zivilgesellschaft umfassend beteiligt sei.

Es folgten vier simultane Expertenrunden unter dem Motto „Dialog und Kontroverse” mit jeweils einem internationalen Experten:

 Expertenrunde Nr.1: “Medien und soziale Netzwerke als demokratisierende Instrumente”; dabei wurden positive Kommunikationserfahrungen vorgestellt, mit denen die Herausforderungen für den Journalismus in Lateinamerika bewältigt werden konnten.

Expertenrunde Nr. 2: “Gewalt als „entstabilisierender“ Faktor der Demokratie”.  Ziel war es, die Gründe für politische Gewalt, soziale Aufstände und gewalttätige Aktionen gegen die Pressefreiheit sowie deren Auswirkungen auf die politische Stabilität und Regierungsfähigkeit zu analysieren. Auch diskutierte man über Strategien und Aktionen gegen diese Problematik oder zu deren Vorbeugung, um gleichzeitig mehr Stabilität für die Regierungen der Region zu erreichen.  

Expertenrunde Nr. 3: “Zugang zu Informationen und Einsatz neuer Technologien in Wahlprozessen”. Es entwickelte sich ein Dialog über die schrittweise Einführung neuer Technologien in den einzelnen Phasen des Wahlprozesses, die zwar großes Interesse gefunden aber auch Besorgnis erregt haben, sowohl in der Bevölkerung als auch bei den zuständigen Wahlbehörden.

Expertenrunde Nr. 4: “Korruption: Der Elefant im Raum der Demokratie?”. Eine Diskussion darüber wie politische Systeme einen gleichberechtigten Zugang zur Macht verweigern, wie die Abzweigung öffentlicher Mittel die Entwicklung der Länder beeinflusst und wie durch die Verweigerung des allgemeinen Zugangs zu Gütern und Dienstleistungen für das Wohlergehen der Bevölkerung, Menschenrechte verletzt werden.

Der zweite Tag des Seminars begann mit den Grußworten von Alejandra Barrios und der Vorstellung der Gastredner. Der Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Peru zwischen Polarisierung und Instabilität“ wurde von dem Professor und Leiter des Nationalen Büros für Wahlprozesse in Peru, Fernando Tuesta gehalten. Der Referent erläuterte den Demokratisierungsprozess, den Peru Ende der 1980er Jahre durchlief, und die Art und Weise, wie die bewaffnete Gruppierung „Leuchtender Pfad“ zur gleichen Zeit Anschläge in verschiedenen Teilen des Landes verübte. Dies ging einher mit einer Wirtschaftskrise, die eine Hyperinflation verursachte, und einer wachsenden Kokaproduktion, die den Drogenhandel förderte.

In der Folge kam Alberto Fujimori an die Macht. 1992 schaltete er den Kongress durch einen Staatsstreich aus und schlug eine verfassungsgebende Versammlung vor, die ihn an der Macht hielt und den Staat mit korrupten Praktiken und Menschenrechtsverletzungen durchsetzte. Im Jahr 2001 verließ Fujimori die Macht und es begann ein Übergang zur Demokratie, der mit einem positiven Wirtschaftswachstum in der Region einherging. Im Jahr 2016 gewann Pedro Pablo Kuczynski die Wahlen und die Opposition erlangte Mehrheiten im Kongress, was eine effiziente Regierung und Gesetzgebung unmöglich machte. Dies und eine Reihe von Korruptions- und Geldwäschevorwürfen führten zum Rücktritt des Präsidenten und zu politischer Instabilität in der Exekutive, was zum Amtsantritt von Pedro Castillo führte, der über keinerlei Erfahrung oder politische Ausbildung verfügte.

Der Referent führte weiterhin aus, dass es Castillo nicht gelungen sei, die politischen Kräfte zu vereinen und Regierungsfähigkeit herzustellen, so dass er einen Staatsstreich zur Auflösung des Kongresses improvisierte, woraufhin er gefangen genommen wurde. Mit einem verfassungsmäßigen Mandat übernahm Vizepräsidentin Dina Boluarte die Führung der Exekutive, was jedoch zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung führte, die auf die Straße ging und demonstrierte, wobei mehr als 60 Menschen umgekommen sind. Dies machte es für Boluarte unmöglich, ihr Amt aufzugeben, da sie für die Ereignisse verantwortlich war. Neben dem hohen Maß an Korruption und einem schlecht funktionierenden Justizsystem erklärt dies die Instabilität, die Peru derzeit erlebt.

Der Politikwissenschaftler der Universität von Costa Rica, Eduardo Nuñez nannte seinen Vortrag „Auf dem Weg zu einer neuen demokratischen Reformagenda in Lateinamerika“. Er sprach über die Herausforderungen für die Demokratie und die Tendenz in der Region zur Machtkonzentration, die Verhinderung von Chancen für die Opposition, gescheiterte Neuerungen im Parteiensystem, emotionale Polarisierung, Desinformation und Narrative bezüglich des Ausschlusses bestimmter Bevölkerungsgruppen, Entmilitarisierung und die Artikulation zwischen legaler und illegaler Macht.

Ebenso betonte der Redner, dass Lateinamerika einen niedrigen Index in Bezug auf die demokratische Gleichheit aufweise und ständig auf messianische Führungen warte, die die Gesellschaft fragmentiert und die Ausübung von Gewalt gegen die Opposition normalisiert. Er wies auch darauf hin, dass soziale Unruhen weit verbreitet seien, die nicht durch institutionelle Kanäle kanalisiert werden könnten und sich auf der Straße durch Demonstrationen und soziale Mobilisierung äußerten, wodurch die in der Region recht schwachen Demokratien untergraben werden könnten.

Das Seminar schloss mit vier weiteren Expertenrunden über folgende Themen:   

Expertenrunde Nr. 5: “Wahrheit in der Politik – Soziale Netzwerke und Demokratie”, ein Dialog, der über die Fake News, fact checking und TikTok-Trends hinausgeht.

Expertenrunde Nr. 6: “Kolumbien: die unermüdliche Suche nach Frieden”; es sollten strukturelle Faktoren und Gründe für die jahrzehntelange Gewalt untersucht werden, die es bisher unmöglich gemacht haben, Frieden im Land zu erlangen. Auch wurden die Erfahrungen aus verschiedenen Friedensverhandlungen analysiert, die Erfolge und Schwierigkeiten, die immer dann auftraten, wenn die Intensität des Konflikts nachgelassen hat.    

Expertenrunde Nr. 7: “Die Schwäche der demokratischen Institutionen in Lateinamerika: Populismus und autoritäre Regime“. Es gab eine Diskussion über die verschiedenen Formen des Populismus unterschiedlicher Ideologien und deren Folgen für Lateinamerika, die einerseits zwar zu einer Konsolidierung der demokratischen Prozesse beigetragen haben, andererseits aber auch zur Bildung autoritärer Regime und zum gewaltsamen Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen.  

Expertenrunde Nr. 8: “Effizienz von Mechanismen zur Inklusion und zur politischen Repräsentation“. Analysiert wurden die Auswirkungen der Einrichtung von 16 Parlamentssitzen für Opfer des bewaffneten Konflikts durch die sogenannten “Circunscripciones Transitorias Especiales de Paz” (Vorübergehende Sondersitze für den Frieden) und die Effizienz der 4 Sondersitze für indigene, Afrokolumbianer, Bewohner der kolumbianischen Inseln und Auslandskolumbianer. Diese Sondersitze im Kongress wurden durch politische Reformen gebildet und haben das Modell der gewünschten politischen Repräsentation in Frage gestellt.   

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