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Veranstaltungsberichte

Weltfrieden nicht in Sicht

Krisenherde um Europa Thema des Sicherheitspolitischen Kongresses

Ein unbequemes Bild der geopolitischen Lage rund um Europa zeichneten am 31. Oktober 2016 die Referenten des Sicherheitspolitischen Kongresses 2015, zu der die Gesellschaft für Sicherheitspolitik, der Bundeswehrverband und die Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam eingeladen hatten. Weit über 200 Gäste diskutierten im Weißen Saal des Neuen Schlosses in Stuttgart aktuelle sicherheitspolitische Perspektiven. Im Fokus: der „Ring of fire“ – die am Ost- und Südrand der EU schwelenden oder akuten Konflikte.

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Stefan C. P. Hinz, Oberst i.G. am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP), zog in seinem Vortrag „Ein sich um Europa schließender Krisenbogen? – Aktuelle Risiken und Bedrohungen“ zunächst den potenziellen Bedrohungszirkel noch weiter nach Norden und verwies auf Truppenübungen der Russischen Armee mit bis zu 38.000 Mann in der Arktis, um anschließend auf die komplexe Genese der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten einzugehen. Mit dem Ziel, den Ersten Weltkrieg zu gewinnen, habe die britische Regierung seit 1914 massiv in die Entwicklung in der Region eingegriffen, was sich bis heute auswirke. Hinz erläuterte dabei die Komplexität des Konflikts in Syrien: „Zu viele diplomatische Akteure erschweren eine Lösung!“, so die Sorge Hinzes. Der militärische Sieg einer Seite in Syrien sei kaum zu erwarten, dadurch drohe mittelfristig der Zerfall des Staates. „Syrien wird es in Zukunft wohl so nicht mehr geben!“

Widerspruch zum INF-Vertrag?

Hinze wies auf die Ausdehnung des Einflussbereichs China hin, um sich schließlich der Analyse der russischen Außenpolitik zu widmen. Alexander Dugin habe seit den 1920-er Jahren eine eurasische Ideologie entwickelt, die in elementarem Gegensatz zur westeuropäischen Perspektive des Kontinents stehe. Mit Sorge berichtete Hinz von der russischen Entwicklung der neuen Rakete RS-26 „Rubesch“. Mit einer Reichweite von 5.800 Kilometern seien damit alle eurasischen Ziele erreichbar. Ebenso entwickle Russland offenbar Marschflugkörper mit einer Reichweite von über 500 Kilometern. Dies stehe potenziell im Widerspruch zum INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces).

Ukraine: Später Kampf um Unabhängigkeit

Russland stand auch im Fokus des Vortrags von Roman Gonscharenko, Korrespondent der Deutschen Welle. Selbst gebürtiger Ukrainer, widmete sich Gonscharenko dem Thema „Kriegsherd Ukraine: Ein missverstandener Konflikt“. Der Journalist analysierte die historischen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine: das Streichen der Privilegien für die ukrainischen Kosaken durch Katharina die Große; die gezielt von Stalin generierte Hungersnot in der Ukraine von 1932/33, um anschließend den Osten der Ukraine mit Russen zu besiedeln; die Ausrottung der ukrainischen Eliten durch Stalin sowie die sowjetische Besetzung der Ukraine als Konsequenz des Hitler-Stalin-Pakts. „1991 bekam die Ukraine ihre Unabhängigkeit praktisch geschenkt“, so Gonscharenkos Bewertung. Russland habe 1997 die ukrainischen Grenzen inklusive der Krim anerkannt. Durch das sowjetische Erbe sei das Land zeitweise drittstärkste Atommacht der Welt gewesen (wobei die Codes zur Aktivierung weiter in der Sowjetunion verblieben seien). Jetzt erfolge der Kampf um die eigene Unabhängigkeit gewissermaßen nachträglich.

“Russlands Ziel: Protektorat“

Mit der Annexion der Krim nutze Putin das noch offene Zeitfenster aus, in dem er auf die Unterstützung von Sowjet-Anhängern bauen könne. „Die Nostalgiker sterben aus“, so Gonscharenko. Die Ukraine tue sich schwer, für den Konflikt mit dem großen Nachbarn Worte zu finden. „Der Krieg heißt offiziell Anti-Terror-Operation.“ Gonscharenkos Prognose: „Russland wird den Konflikt nicht wirklich einfrieren, sondern die besetzten Gebiete durch das Entsenden von ‚Friedenstruppen‘ in eine Art Protektorat verwandeln.“

“Putin verstehen, nicht rechtfertigen“

„Russlands Verhältnis zum Westen“ war Thema von Brigadegeneral a.D. Dr. Klaus Wittmann. Der Referent ging auf die von Russland ausgeschlagenen Angebote der NATO zur Kooperation ein. Natürlich müsse auch die Nato prüfen, ob sie selbst einen Beitrag zur Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau geleistet habe. „Die von Russland angewandte Gewalt“, so Wittmann mit Blick auf die Annexion der Ukraine, „bedeutet einen Paradigmenwechsel. Fundamentales Vertrauen wurde hier zerstört.“ Es gelte nicht, Putin zu rechtfertigen, doch man müsse seine Motive verstehen. Darunter sei eine sich aus dem Zerfall der Sowjetunion speisende Großmachtnostalgie mit revisionistischen Zügen. Putin greife auch auf das bewährte Mittel zurück, über externe Konflikte von inneren Krisen abzulenken. Putin wolle durch sein Verhalten vom Westen als gleichwertiger Global Player „Auf Augenhöhe“ akzeptiert werden. Mit der Lähmung der Ukraine wolle er zudem die Etablierung eines demokratischen „Erfolgsmodells“ verhindern, das im Gegensatz zu seiner autoritären Herrschaft stehe. Wittmann bestand auf dem Selbstverwirklichungsrecht der Ukraine, das nicht einer hegemonialen Idee Russlands geopfert werden dürfe.

“Flüchtlinge überfordern Nachbarländer“

Den Konflikten im Süden der EU, jenseits des Mittelmeers wandte sich Dustin Dehéz, Mitglied des Arbeitskreises junger Außenpolitiker der Konrad-Adenauer-Stiftung und Managing Director von Manatee Global Advisors, zu und rückte insbesondere die Lage der Flüchtlinge in den Fokus. Weltweit seien heute zwischen 50 und 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Darin eingerechnet seien auch „interne“ Flüchtlinge, die sich innerhalb des eigenen Landes oder der eigenen Region bewegten. Die geschätzten Kosten für das UNHCR beliefen sich auf ca. zwei Mrd. US-Dollar jährlich. Der Institution seien jedoch nur 35 Prozent der Mittel bewilligt worden. Dehéz wies u.a. auf die prekäre Lage im Libanon hin. Das 5,8 Millionen Einwohner zählende Land habe 1,1 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. „Nur ein Viertel der ca. 400.000 Flüchtlingskinder erhielten derzeit eine Schulbildung“, warnte Dehéz – eine tickende Zeitbombe für deren zukünftigen Chancen und Entwicklung. Auch das arme Äthiopien habe 660.000 Menschen aufgenommen, darunter 190.000 aus dem Süd-Sudan. Dehéz warb für eine Unterstützung der Länder, die Flüchtlinge aufnehmen. „Die Nachbarländer der Krisenstaaten, in die die Menschen zuerst flüchten, sind überfordert. Das kann den Staatszerfall fördern. Die Folge wären: mehr Flüchtlinge!“

Interessendivergenz hilft IS

Dehéz kritisierte, dass es keine legalen Einreisemöglichkeiten in die EU gebe. „Europas Türen sind seit dem 90-er Jahren zu. Die Effekte spüren wir jetzt.“ Dehéz schloss dann den Bogen zum ersten Redner des Tages, Hinz. Jeder Akteur auf der politischen Bühne habe noch ein für ihn wichtigeres Ziel, als die Beseitigung des IS“, so Dehéz mit Blick auf die Konflikte Saudi-Arabien-Iran und Türkei-Kurden, auf die USA, die jeden Krieg vermeiden wollten und auf die EU, die keine gemeinsame Strategie verfolge. „Deswegen ist der IS noch da.“

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B70-311015-1 SiPol 07 KAS/Hofmann

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