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Event Reports

Zwischen Shakespeare und James Dean

by Paula Konersmann

KAS und „Christ&Welt“ in der ZEIT würdigen den „Bürger Büchner“

Die Konrad-Adenauer-Stiftung und „Christ&Welt“ in der ZEIT luden zur Reihe „Literatur und Verantwortung“ in das Rheinische Landesmuseum in Bonn ein und würdigten Georg Büchner anlässlich seines 200. Geburtstages.

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Der Veranstaltungsort war geschickt gewählt: In der Oberlichthalle des Rheinischen Landesmuseums in Bonn konnten die Besucher die Sonnenstrahlen erahnen, die draußen einen der ersten Frühlingstage des Jahres verabschiedeten. Und auch der Termin der Soirée zum „Bürger Büchner“ passte: Denn wie das Wetter alles neu machte, so setzten die Veranstalter auch drinnen neue Akzente zu Freiheit, Literatur und Verantwortung.

In diesem Jahr erinnern mehrere deutsche Universitäten an Georg Büchner, Hessen feiert einen seiner bekanntesten Landessöhne. Auch die Konrad-Adenauer-Stiftung, die zum neunten Mal mit „Christ und Welt“ in der ZEIT zur Reihe „Literatur und Verantwortung“ einlud, nahm den 200. Geburtstag Büchners zum Anlass, den Dichter zu betrachten, über den sich alle einig sind. „Alle, ohne Ausnahme, verehren ihn als Jahrhundertgenie“, sagte „Christ und Welt“-Redakteur Andreas Öhler in seiner Anmoderation. Viele sähen in Büchner einen deutschen Shakespeare, und hinzu komme das „James-Dean-Moment“ des zu frühen Todes: Büchner starb 1837 mit nur 23 Jahren.

Genies sind schwer zu fassen. Büchner als Bürger schon eher. Aber war er ein deutscher Wutbürger, der sich über die Zustand des nationalen Flickenteppichs, über Zensur und Unfreiheit des Geistes empörte und zivilen Ungehorsam praktizierte? Ein Mutbürger, der mit friedlichen Mitteln an der Beseitigung dieses Zustands arbeitete?

Heute, so betonte der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments und KAS-Vorsitzende Hans-Gert Pöttering in seinem Grußwort, sei „die Verachtung des Bürgers durch die 68’er-Generation einer neuen Achtsamkeit gewichen.“ 80 Prozent der Deutschen fühlen sich laut einer aktuellen KAS-Umfrage als „Bürger“ – und dieser Begriff umfasse, so Pöttering, neben altbekannten Tugenden wie Ordnung und Strebsamkeit auch neue Werte wie Freiheit und Toleranz. Und wie der heutige Bürger für seine Rechte eintrete, so sei auch Georg Büchner „als Künstler ein Mutbürger“ gewesen. Ein europäischer Mutbürger, der in Darmstadt und Gießen, in Straßburg und in Zürich gewirkt habe.

Als homo politicus gehöre Büchner eher zur Fraktion der Angstbürger. Diese These war die eigentliche Überraschung des Abends. Der in Berlin lebende Schriftsteller Michael Kleeberg, Hauptredner des Abends, dekonstruierte das Bild Büchners als eines Helden, der sich möglicherweise im Stuttgart des Jahres 2010 an eine Bahnhofslinde gekettet hätte, gleich zu Beginn seines Vortrags. „Den Literaten Büchner haben wir nur, weil wir den Revolutionär nicht haben“, erklärte er zugespitzt.

Kleeberg verteidigte Büchner einerseits gegenüber den vielen, die ihn im Lauf der Geschichte als „Allzweckwaffe“ für ihre politischen Ideologien zu vereinnahmen suchten. Andererseits sparte er auch nicht an Skepsis gegenüber jenen, die am literarischen Büchner vor allem seine jugendliche Unbedingtheit verehren. „Wir Deutschen lieben das Versprechen, das im Fragment liegt, aus dem so viel hätte werden können“, sagte Kleeberg. Dieser deutsche Geniekult sei verantwortlich dafür, dass Bürger in Deutschland eher als Oppositionelle und weniger als Mitkonstrukteure der Gesellschaft begriffen würden: „Gerade weil mit Büchner nichts zu beweisen, sondern eher zu träumen ist, war ihm diese posthume Karriere beschieden.“

Kleeberg warb für einen Bürger mit Rückgrat, als „Mitkonstrukteur der res publica“. Für einen „erwachsenen Citoyen, skeptisch, ironisch, der Freiheit mehr verpflichtet als der Gleichheit“. Dieses Büchnerbild bot viele neue Denkanstöße – in literarischer wie auch in politischer Hinsicht.

Ergänzt wurde Kleebergs Vortrag durch die Rezitation aus Büchners Dramen und Streitschriften, zum Leben erweckt von den Schauspielern Leslie Malton und Konstantin Lindhorst, die in wunderbarem Wechsel von Stimme und Spiel einen Büchner zu Wort brachten, der uns heute viel zu sagen hat. Sei es im Dramenfragment „Woyzeck“, das vom durchleuchteten Subjekt als Opfer des Observierungsstaates erzählt, sei es in dem Revolutionsdrama „Dantons Tod“, das die opportunistische Logik des Bürgers entlarvt, der Republikaner sein will, aber Untertan bleibt. Oder in der Novelle „Lenz“, die – wie der Büchner-Biograph Hermann Kurzke schreibt – „Gott von innerhalb, nicht von außerhalb des christlichen Gebirges“ kritisiert.

Der Pianist Tobias Koltun und die Mezzosopranistin Sibylla Maria Müller präsentierten überdies seltene Vertonungen von Gedichten Büchners, darunter die Premiere einer Vertonung des Marie-Liedes durch Heinrich von Herzogenberg. Und so lagen am Ende des Abends wirre Wortfetzen in der Luft, Töne, die mal glasklar, mal schwer und düster klangen, durchmischt von frühlingshafter Aufbruchsstimmung.

Die Autorin Paula Konersmann ist Altstipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sie war ERASMUS-Stipendiatin an der Sorbonne IV, Paris, und arbeitet derzeit als Redakteurin bei der dreipunktdrei Mediengesellschaft.

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Prof. Dr. Michael Braun

Prof. Dr

Policy Advisor Literature

michael.braun@kas.de +49 30 26996-2544

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About this series

The Konrad-Adenauer-Stiftung, its educational institutions, centres and foreign offices, offer several thousand events on various subjects each year. We provide up to date and exclusive reports on selected conferences, events and symposia at www.kas.de. In addition to a summary of the contents, you can also find additional material such as pictures, speeches, videos or audio clips.

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Sankt Augustin Deutschland

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