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Leseprobe: Sicht der medizinischen Ethik
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Prof. Dr. Dr. Dr. Dominik Groß
4. Gesundheit um jeden Preis? Die ethische Perspektive
Es spricht vieles dafür, Gesundheit als konditionales Gut
anzusehen. Konditionale Güter sind Güter, die wir als zentrale
Voraussetzung für die Realisierung von Lebensplänen
ansehen. In diesen Kontext gehört auch der ebenso pointierte
wie plakative Ausspruch: Gesundheit ist zwar nicht
alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Der Medizinethiker
Norman Daniels steht beispielsweise diesem
Standpunkt sehr nahe:8 Daniels sieht in der Verwirklichung
von Gesundheit eine Grundbedingung für die Chancengleichheit
in der Gesellschaft. Konsequent zu Ende gedacht,
hieße dies aber, dass wir auf diesem Sektor keine wesentlichen
Einschränkungen hinnehmen sollten. Das Ergebnis
wäre: Gesundheit um jeden Preis. Der Medizinethiker Daniel
Callahan vertritt nahezu die Gegenposition: Er sieht
die Ausrottung von Krankheit als verfehltes Ziel an, als
„Fortschrittsfalle“. Krankheit und Tod, so die Argumentation
von Callahan, können niemals besiegt werden. Die
moderne Medizin sollte demzufolge einen Weg finden,
sich dauerhaft mit den „Übeln“ zu arrangieren. Ihre primäre
Aufgabe ist nach Callahan somit die Erleichterung
des Lebens unter den Bedingungen von Krankheit und Tod.
In der gesellschaftlichen Realität bewegen wir uns zwischen
diesen beiden Extremen. Zumindest können wir seit
einiger Zeit einen Meinungsumschwung beobachten: In
der Vergangenheit lautete die zentrale, im Kontext der Gesundheitsreform
gestellte Frage zumeist: Was können wir
tun, um uns weiterhin alles leisten zu können? Und derzeit
findet sich immer häufiger die Frage: Welches Gesundheitssystem
können und wollen wir uns noch leisten, und
zu welchem Preis? Demnach findet aktuell ein gesellschaftliches
Umdenken statt. Beide Fragen führen natürlich
zu durchaus unterschiedlichen Problemlösungsstrategien.
Wenn wir nämlich fragen: „Was können wir tun, um
uns weiterhin alles leisten zu können?“, richten wir unseren
Blick vornehmlich auf Rationalisierungsmaßnahmen.
Wenn wir aber fragen: „Welches Gesundheitssystem können
und wollen wir uns zu welchem Preis leisten?“, machen
wir gedanklich den Weg frei für weitergehende Maßnahmen
wie Rationierungen und Priorisierungen.