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1:0 für die Demokratie

von Felix Dane

Die brasilianische Regierung sieht sich gezwungen, der Bevölkerung zuzuhören

Brasilien hat in den letzten Monaten einer Zerreißprobe standhalten müssen. Zunächst als Land des Fußballs, der Gastfreundschaft und des Improvisationstalents gefeiert, wurde es hinsichtlich der (Fehl)Investitionen im Zuge der WM nicht nur von der ausländischen Presse, sondern in zunehmendem Maße auch von der eigenen Bevölkerung scharf kritisiert. Man sprach von Kostenexplosion, Zwangsumsiedlungen und Korruptionsvorwürfen - nach dem erhofften Vermächtnis in der Verbesserung der öffentlichen Dienstleistung kann lange gesucht werden.

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Seit das Land 2007 zum Gastgeberland der 20sten Weltmeisterschaft gewählt wurde, hat das Bild der so viel gepriesenen Wirtschaftsmacht eine 180°-Wendung vollzogen. Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, dass nicht einmal 30 % der Infrastrukturvorhaben umgesetzt wurden und dass die WM mit umgerechnet 8,6 Milliarden Euro teurer ist als die beiden vorangegangenen in Deutschland und Südafrika zusammen. Diese Woche sind 57.000 Soldaten und 100.000 Polizisten in die Städte entsandt worden, um den reibungslosen Ablauf der WM zu gewährleisten. Doch selbst einen Tag vor Anpfiff des Eröffnungsspiels hält sich die Vorfreude in Grenzen. Stattdessen sieht sich die Regierung seit den Protestwellen vom Sommer 2013 inzwischen sogar gezwungen, ihr Volk in öffentlichen Aufrufen zu bitten, die ausländischen Gäste mit offenen Armen zu empfangen.

Allen Negativschlagzeilen zum Trotz kann eine grundlegende Veränderung nicht geleugnet werden, die in den Medien zu selten Beachtung findet: seit dem Aufkommen der Proteste artikuliert sich das Volk und fordert Rechenschaft für politisches Handeln. Durch die sozialen Veränderungen der letzten Dekade (Anwachsen der Mittelschicht durch Binnennachfrage, Sozialprogramme und Wegfall der Hyperinflation) ist ein öffentliches politisches Bewusstsein entstanden, welches neue Forderungen mit sich bringt. Über eine Millionen Menschen gingen letztes Jahr auf die Straße, um ihre Bedürfnisse lautstark zu bekunden, denn auf die blumigen Versprechen der Regierungen sind keine Taten gefolgt. Protestiert wurde gegen eben jene fehlenden Investitionen in das staatliche Gesundheits- und Bildungswesen, in die Infrastruktur und gegen die grassierende Korruption. Die Proteste richten sich - trotz aller berechtigter Kritik an der FIFA - nicht in erster Linie gegen den Weltfußballverband, sondern gegen die eigene Regierung. Sie hat den FIFA-Vorgaben die Krone aufgesetzt und die gemachten Versprechen nicht eingehalten. Statt der geforderten acht Stadien wurden insgesamt 12 gebaut und das selbst in Städten, die keinen nennenswerten Fußballverein haben. So verwundert es nicht, dass sich die eigentlich angedachten Ausgaben von 2,3 Milliarden Euro mehr als verdreifachten und nicht alleine durch private Investitionen gedeckt werden konnten. Ein Großteil der Bevölkerung sieht sich nun als Opfer elitärer Politik und nimmt Schönrederei und kollektive Verzauberung nicht länger in Kauf.

Was sich also tatsächlich verändert hat, ist, dass sich die Regierung mittlerweile gezwungen sieht, der Bevölkerung zuzuhören. Das Volk fordert Rechenschaft über gebrochene Versprechen. Waren Proteste bis vor einem Jahr noch eine Ausnahme, so werden politische Entscheidungen nun gegen mögliche Demonstrationen abgewogen. Die anfängliche Starre der Regierung als Reaktion auf die Massendemonstrationen mündete in Hyperaktionismus. Doch auch ein Marathon an Gesetzesinitiativen konnte die Fehlentscheidungen der Vergangenheit nicht wettmachen. Finanziell wäre Brasilien in der Lage gewesen die Infrastrukturvorhaben umzusetzen. Als einer der großen Akteure des globalen Südens tritt es seit einigen Jahren selbst als Geberland und Motor der Süd-Süd-Kooperation auf. Unter dem Druck des Großevents war jedoch eine Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen nicht wirklich zu erwarten, denn dazu bedarf es mittel- oder langfristig ausgerichteter Politiken, die über die Mandatszeit politischer Entscheidungsträger hinausgehen. Soziale Ungerechtigkeit lässt sich nicht schnell beseitigen und für die „Weltmeisterschaft aller Weltmeisterschaften“ wäre eine vorausschauende Planung essenziell gewesen. Die einseitigen Investitionen in Prestigebauten haben das Volk wachgerüttelt und politisiert. Doch, obgleich Brasilien sich im Wahljahr befindet (Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stehen im Oktober dieses Jahres an), gelingt es bisher keiner Partei - auch nicht der Opposition - die allgemeine Missstimmung für sich zu nutzen und zu instrumentalisieren. Dabei entsteht zum ersten Mal eine Art Beziehung zwischen politischer Elite und Bevölkerung. Die Brasilianer pochen auf ihr politisches Entscheidungsrecht und werden somit zum Gestalter der Demokratie. Darin liegt das eigentliche Vermächtnis des Großevents. Diese Entwicklung war längst überfällig und wurde jetzt unter dem Druck der WM ins Leben gerufen. Das ist sehr zu begrüßen.

Je nachdem wie die brasilianische Seleção die Spiele bestreitet, wird so mancher Unmut vielleicht in Vergessenheit geraten. Die exorbitanten Ausgaben werden relativiert, die Gewalt verschwindet wieder unter dem Deckmantel der Normalität. Was jedoch bleiben wird, ist das öffentliche Bewusstsein und der Mut, sich politischen (Fehl)Entscheidungen entgegenzustellen. Dieses Vermächtnis nennt sich Demokratie.

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