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Der Uhrensteller im Vatikan

von Eberhard Gemmingen
Es ist wirklich kein Vergnügen, Papst zu sein, so Pater Eberhard von Gemmingen, ehemaliger Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan. Die Uhren gehen in der Weltkirche sehr unterschiedlich: was für die Einen wichtig ist, ist bei Anderen unbekannt. Als Benedikt XVI. muss Joseph Ratzinger die verschiedenen Uhren der Weltkirche aufeinander abstimmen. Das ist ein „Kreuz“, so der Vatikanexperte...

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Es ist wirklich kein Vergnügen, Papst zu sein. Man kommt dabei fast notwendig zwischen alle Stühle. Denn die Uhren gehen in den verschiedenen Teilen der katholischen Welt sehr unterschiedlich: was für die Einen wichtig ist, ist bei Anderen unbekannt. Die Mentalitäten, Denkweisen, auch Theologien sind sehr verschiedenfarbig. Trotz 2000 Jahre Christentum wird das Denken der Christen auch in Glaubensfragen fast mehr von der Denkweise ihres Landes, ihrer Geschichte bestimmt als vom Evangelium. Reformation scheint mir etwas ausgesprochen „Germanisches“. Für „Germanen“ spielt manchmal die Theologie eine größere Rolle als der Glaube. Martin Luther war ein Germane, auch Joseph Ratzinger ist ein Germane. Beide nehmen die Theologie sehr ernst. Als Benedikt XVI. muss Joseph Ratzinger die verschiedenen Uhren der Weltkirche aufeinander abstimmen. Das ist ein „Kreuz“.

Der Skandal Jesu Christi

Grundlegend sind sich wohl alle darüber einig, dass es einen Konflikt gibt zwischen dem Anspruch Jesu Christi und den angeborenen Schwächen und Grenzen der Menschen. Die Botschaft des Evangeliums muss immer auch ein Skandal, eine Herausforderung sein. Wenn die Botschaft Jesu Christi einfach „runterginge“ wie die Sendungen von Thomas Gottschalk, dann wäre diese Botschaft wohl irrelevant für die Welt. Da sie für die Welt relevant und herausfordernd ist, muss man sich mit ihr auseinandersetzen und das bringt immer Konflikte. Das ist seit Jesu öffentlichem Auftreten bis heute so. Das ist der Grundkonflikt, in dem ein Papst immer mitten drin steht.

Sekundärkonflikte

Dazu kommen aber viele Sekundärkonflikte, um die sich die Diskussionen seit Jahrhunderten drehen. In diesen Tagen sind Sekundärkonflikte zentral:

  • wie muss die Kirche das Evangelium verkünden? Soll sie vor allem betonen, dass Gott die Menschen liebt oder soll sie ergänzen: Jesu Botschaft ist eine Provokation. Diese zeigt sich etwa, wenn Jesus sagt: Selig seid ihr, wenn ihr verfolgt werdet. Er schenkt nicht nur, er erwartet auch.
  • Wie muss die Kirche mit den Sündern in den eigenen Reihen umgehen? Ist sie heute zu hart oder zu weich mit ihnen, würde Jesus sie anders behandeln?
  • Wie muss die Kirche mit Anhängern anderer Religionen umgehen: Ist jedes aktive Glaubenszeugnis ihnen gegenüber schon aufdringlich und Machtausübung?
  • Welche Gültigkeit hat die Kirchenstruktur des Anfangs für die späteren Zeiten: Dürfen nur Männer Priester und Bischöfe werden? Oder ist das eine kulturabhängige Entscheidung Jesu?
  • Wie muss die Kirche sich organisieren: wie viel Zentralismus muss sein, wie dezentral kann die katholische Kirche werden?
  • Ist Liturgie und Gottesdienst gerade dadurch groß, dass sie unveränderlich und überall gleich ist oder muss sich Liturgie wandeln?
In all diesen Fragen gibt es weltweit gegensätzliche Antworten. Sie hängen meiner Ansicht nach sehr oft auch von den Denkweisen derer ab, die sie vertreten: Romanen denken anders als Germanen und Angelsachsen, Europäer denken anders als Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner. In manchen Weltgegenden ist Glaube an Gott das selbstverständlichste von der Welt. In anderen Weltgegenden sind Glaubende Exoten. Reformation aus theologischen Gründen ist ein germanisches Phänomen, denn Germanen nehmen Theologie – jedenfalls in der Neuzeit – meist ernster als andere Völker. Italiener haben den Eindruck, Katholiken in Deutschland seien immer halbe Lutheraner. Die Denkweisen und Mentalitäten der Katholiken weltweit sind auch nach 2000 Jahren Kirche meilenweit auseinander. Mitten in diesem Durcheinander steht – durchaus nicht beneidenswert - der Papst.

Theologie und Kirchenleitung

Benedikt ist ein weltweit hoch anerkannter Theologe. Aber Theologieprofessoren haben meist wenig Erfahrung im Leiten von Behörden. Dafür hat der Papst den vatikanischen Apparat. Aber wer sich schon einmal in anderen Ländern umgesehen hat, der weiß, wie Verwaltungsapparate in anderen Ländern manchmal funktionieren. Der Vatikan liegt mitten in Italien. Und italienische Politik und Administration funktionieren sehr anders als die nördlich der Alpen, das zeigen Müllberge, Straßenverhältnisse und ein Regierungschef.

Sicher könnte und sollte auch im Vatikan vieles besser gehen. Vermutlich sieht das auch der Papst aus dem gut verwalteten Bayern. Aber ganz persönlich würde er wohl sagen: Die vatikanische Struktur zu modernisieren – das muss mein Nachfolger machen, dafür bin ich zu alt.

Ich persönlich wünsche mir, dass ein deutscher Papst zu deutschen Fragestellungen kurz ein paar Sätze sagt, damit man nördlich der Alpen weiß: er hat uns gehört, er nimmt uns ernst. Aber damit solche Papstworte kommen, braucht er wiederum einen Stab, der fähig ist, das vorzubereiten.

Natürlich kenne ich den Vorwurf an Papst Benedikt, er sei zu rückwärtsgewandt, traditionsverliebt, modernitätskritisch. Vielleicht ist er auch einfach zu weit entfernt von der Dramatik der heutigen Pastoral. Jedenfalls hält er Liberalisierung für keine Denkmöglichkeit, er hält wohl eine gerade Linie für eher anziehend. Ich sehe eine Diskrepanz zwischen seinen höchst sensiblen und weisen schriftlichen Ausführungen, die man vermutlich noch in hundert Jahren bewundern wird, und seinen Maßnahmen, die mit mehr Sensibilität und Einführung erklärt werden müssten. Das aber wäre die Aufgabe des vatikanischen Apparates.

Vatikan-Pannen

Der Fall Williamson war eine Vatikanpanne. Die Rücknahme der Exkommunikation der Lefebvre-Bischöfe hätte man vorher sauber erklären müssen, dann wäre wesentlich weniger Staub aufgewirbelt worden. Wenn man die Erlaubnis der tridentinischen Messe für eine winzige Minderheit schlicht erklärt hätte, hätte sie niemanden aufgeregt. Diese Maßnahmen als Richtungsentscheidungen zu interpretieren, wie dies Professor Hans Küng tut, halte ich für eine Überinterpretation. Der Papst weiß doch, dass die tridentinische Messliturgie in Latein für die Freiluftmessen in Afrika, Asien und Lateinamerika undenkbar ist. Er hat nur der halben Million Anhängern der alten Liturgie die Erlaubnis dazu gegeben. Warum regen wir uns darüber so auf? Unsere eigene Unfähigkeit, den Glauben an Kinder und Enkel weiter zu geben, ist das eigentlich Aufregende. Auch wenn wir viri probati und Frauen weihten, ginge es nicht wesentlich besser, das sehen wir doch bei der evangelischen Schwesterkirche.

Jedenfalls steht der Papst im Zentrum von gegenläufigen Wünschen und Interessen. Wenn er die Weihe der viri probati und später auch von Frauen zustimmen würde, gäbe es höchstwahrscheinlich Kirchenspaltungen. Wer will das?

Bessere Streitkultur nötig

Ich wünsche mir, dass wir in Mitteleuropa unsere theologischen und pastoralen Wünsche in angemessener Weise vortragen und diskutieren. Aber ich wünsche mir auch, dass theologische Forderungen aus dem Norden und römische Antworten aus dem Süden mit mehr Einfühlung, mit mehr Verständnis für die andere Seite, mit mehr christlicher Gelassenheit vorgetragen werden. Unsere Dialogkultur hat schwere Mängel. Vielleicht zeigen sich gerade jetzt unter Papst Benedikt die sachlichen Probleme, wie man eine Gemeinschaft von über einer Milliarde Menschen zusammenhalten kann – angesichts von größten Differenzen in Säkularisierung, theologischem Denken, Frauenemanzipation, Partizipation von Bürgern an gesellschaftlichen Entscheidungen. Die Uhren gehen sehr unterschiedlich. Und der Papst sieht sich gezwungen, die Uhren gleich zu stellen. Die alte Frage, wie viel Einheit in der katholischen Kirche sein muss und wie viel Vielfalt sein darf, stellt sich in größter Schärfe. Ich habe den Eindruck, dass Papst Johannes Paul II. diese Fragen durch seine weltweite physische und mediale Präsenz noch überspielen konnte. Bei Benedikt gelingt das nicht mehr.

Daher wären heute Mit-Denker gefordert, nicht Forderer und Polterer. Auch halte ich es für problematisch, wenn über theologische Fragen gleichsam „Volksabstimmungen“ im Internet gemacht werden. In eigentlichen Glaubensfragen sind zwar alle Getauften Fachleute, nicht aber in Fragen der Theologie. Eine Berufung darauf, dass Jesus doch gerade zu Einfachen gesprochen hat, hilft nicht. Denn es geht ja nicht um die Verkündigung des Evangeliums Jesu. Es geht doch vielmehr darum, wie heute der Apparat organisiert sein muss, der für das Evangelium verantwortlich ist. Dieser Apparat ist die Kirche. Und die Meinungen innerhalb dieser Kirche sind eben sehr unterschiedlich, nicht nur im Vatikan und bei den Gläubigen, sondern eben auch in den Ortskirchen. Der Dialog und sachliche Streit darüber müsste eben erst beginnen. Ich wünsche den Vatikankritikern, dass sie einmal einige Jahre in Rom an einem Pfarreileben teilnehmen, dann werden sie erfahren, dass Südländer über germanische Wünsche aus dem Norden nur den Kopf schütteln. Die Uhren gehen sehr unterschiedlich. „Armer Mann, der die Uhren koordinieren soll“.

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Caroline Kanter

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Stellv. Leiterin der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit

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München Deutschland