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Dichter sprengen Ketten

von Prof. Dr. Michael Braun
Literaten haben sich als die glaubwürdigsten Zeugen der Freiheit erwiesen. In Zeiten der Unterdrückung gaben sie ihr eine Stimme. Wie sicher sind die Grundrechte hier und heute?

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„Keiner lebt sein eigenes Leben“: Rilkes Stoßseufzer ist symptomatisch für die moderne Krise der Freiheit. In der globalen Risikogesellschaft stehen dem Stolz auf die Freiheitsrechte des Individuums manche Entscheidungsängste, Gewissensnöte und kollektive Tröstungsangebote entgegen. Eigentlich erstaunlich: Neuerdings scheint die Freiheit, unter den Ideen der Menschheit gewiss eine der größten, wieder mit einem verschärften Sicherheitsdenken zu konkurrieren. Einer Meinungsumfrage des Allensbacher Instituts zufolge nimmt die „Freiheitsmüdigkeit“ der Bürger mehr und mehr zu. Gegenüber der individuellen Freiheit erscheint vielen soziale Gerechtigkeit als höheres Gut. „Die ängstliche Gesellschaft verliert den Sinn für die Freiheit“, hat Udo Di Fabio erklärt, Verfassungsrichter und Autor des vorzüglich unterrichteten Buches „Die Kultur der Freiheit“ (2005).

Mut zur eigenen Meinung

Ins gleiche Horn stößt die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Ackermann. In ihrem Buch „Eros der Freiheit“ wirbt sie eindringlich für eine neue Lust an der Freiheit, die mit einer Kritik der neoliberalistischen Vernunft einhergeht. Wie aktuell die Tradition der westlichen Freiheiten ist, die in der Zivilisationsgeschichte oft unter mühsamen Befreiungskämpfen errungen worden sind, zeigt Ackermanns Studie kulturhistorisch gut gerüstet, wenngleich manchmal etwas holzschnittartig auf. Sich nicht von „Bänglichkeiten“ überrumpeln zu lassen, sondern die Feinde der Freiheit, den alles verstehenden Multikulturalismus, den religiösen Fundamentalismus, den Kulturpessimismus der Frankfurter Schule und ihrer linksalternativen Nachfolger, in ihre Schranken zu weisen, das ist die Botschaft ihres Buches.

Die glaubwürdigsten Zeugen der Freiheit sind, spätestens seit dem Humanismus, der den Menschen als souveränen Schöpfer seines eigenen Schicksals entdeckte, die Schriftsteller. Als Ankläger der Unfreiheit und Anwälte des freien Wortes haben sie den Sinn für die Freiheit, die eine Kultur braucht, um bestehen und sich legitimieren zu können, immer wieder wach gehalten. Die Literatur ist das verlässlichste und unnachgiebigste Gedächtnis der Freiheit, weil sie ins Wort bringt, wodurch Freiheit erst ermöglicht wird: freies Denken, Sprechen, Schreiben. Und paradoxerweise blüht die „Kerkerblume“ Freiheit (Fritz Stern) gerade in Verhältnissen der Unterdrückung und Knebelung.

Die Geschichte von Mauerfall und deutscher Einigung hat gezeigt, dass sich die Freiheit durch Bespitzelung und Zensur, Ausreiseverbot und Zwangsausbürgerung auf Dauer nicht unterdrücken lässt. Mit der Freiheitsidee im Herzen und dem Einheitswunsch auf den Lippen haben die Ostdeutschen am 9. November 1989 erreicht, was ein Großteil der Intellektuellen in den Jahren zuvor für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten hat.

Gefährliche Ideologie

Zugleich gibt es auf der Kehrseite der Freiheitsidee tragische Missverständnisse. Für Walter Ulbricht, erster Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und bis 1971 mächtigster Mann der DDR, war die Freiheit eine politische Hauptparole. Er sah Fausts Vision, „auf freiem Grunde mit freiem Volke (zu) stehn“, in seinem Land Wirklichkeit geworden. Doch das ist eine teuflisch arrangierte Täuschung: Die Vermesser neuer Welten, die Goethes Faust am Werk zu hören glaubt, sind tatsächlich die sein Grab schaufelnden Lemuren. Schon am Anfang der DDR ist die Ideologie der sie bestimmenden Politik also am Ende mit ihren Freiheitsparolen.

Selbst die Universitäten sind in Zeiten der Diktatur anfällig für die Versuchung der Freiheit gewesen. Bundespräsident Horst Köhler hat 75 Jahre nach dem 10. Mai 1933 an die akademische Vorgeschichte der Bücherverbrennung in deutschen Universitätsstädten erinnert und bekräftigt: „Die Freiheit des Wortes und die freiheitliche Kunst sind Fundamente unserer Kultur. Kunst und Literatur brauchen Freiheit – und wo sie die Freiheit nicht haben, wo sie sich nicht frei artikulieren können, da geht es nicht nur der Kunst, da geht es am Ende dem ganzen Gemeinwesen schlecht, da werden alle Menschen in Unfreiheit gehalten.“

Aus dieser Lektion haben vor 60 Jahren die Väter und Mütter des Grundgesetzes, in dem das Wort „Freiheit“ in mancher Abwandlung sage und schreibe 45-mal vorkommt, gelernt. Die Gefahr der Instrumentalisierung der Kunst sollte so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Die Freiheit des Wortes ist so wertvoll, dass sie in einem eigenen Grundgesetzartikel unter den Schutz des Staates gestellt wird. Das garantiert freilich nicht seine grenzenlose Ausübung. In einen justiziablen Grenzbereich gerät die Freiheit, wenn sie mit einem konkurrierenden Wert wie dem Schutz der Persönlichkeit in Konflikt gerät. „Nicht alle guten Dinge sind vereinbar, geschweige denn alle Ideale der Menschheit“, schreibt der Ideenhistoriker Isaiah Berlin.

Das verfassungsgerichtliche Verbot (2007) des Romans „Esra“ von Maxim Biller, in dem sich zwei Frauen entwürdigend dargestellt fanden, zeigt diese Doppelbödigkeit der literarischen Freiheit ebenso wie der dänische Karikaturenstreit 2005 oder die Absage einer als religiös verletzend empfundenen Opernaufführung 2006 in Berlin. Hier, im Bereich des interreligiösen Dialogs, wird die Belastbarkeit der Kunstfreiheit einer besonders harten Bewährungsprobe unterzogen. Es wird künftig nicht nur darauf ankommen, die Grenze der eigenen Freiheit in der Freiheit Andersdenkender zu erkennen, sondern auch darauf, die „Stärke der Freiheit“ (Norbert Lammert) gegen Terrorismus und Fundamentalismus zu verteidigen.

Wie das funktionieren kann, zeigt der berühmte Dialog zwischen Naphta und Settembrini in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“. Was jener, Jesuit und Kommunist, fordert, nämlich den Zustand der Menschengleichheit notfalls über den Weg der Unfreiheit, des Terrors und der Inquisition herzustellen, das lehnt dieser, Humanist und Demokrat aus tiefer Überzeugung, als Angriff auf die „Interessen des Lebens“ ab. Und doch kann sich dieses schöngeistige Verständnis von Freiheit des Verdachts nicht erwehren, die anarchische Seite einer Freiheit, die um der Revolution willen auch über Leichen geht, zu unterschätzen. Freiheit hat immer auch etwas Utopisches an sich. „Das Übel ist nicht, dass freie Menschen böse handeln“, schreibt Adorno, „sondern dass noch keine Welt da ist, in der sie, wie es bei Brecht aufblitzt, nicht mehr böse zu sein brauchten.“

Notwendige Legitimation

Freiheit ist eben kein Freischein, jederzeit zu tun und zu lassen, was man will. Sie bedarf, um realisiert zu werden, der Gemeinschaft – und einer Verfassung, die sie zugleich legitimiert und schützt. Robinson ist ja, bevor er Freitag kennenlernt, nicht wirklich frei. Deshalb bedeutet Freiheit auch Verantwortung. Der Dichter Durs Grünbein hat diese Idee poetisch durchgespielt. Seine autobiografische Wende-Erzählung „Der Weg nach Bornholm“ inszeniert das Schicksal der Freiheit als Erinnerungsbericht eines Jean-Paul-haften Helden.

Rufus Rebhuhn, geboren im Jahr des Mauerbaus, erlebt den Fall der Mauer in der Nacht des 9. November im Strom der Massen zum Grenzübergang Bornholmer Brücke: „Hier stand ein durch und durch braves, wohlkonditioniertes Volk, eisern in seiner Selbstverleugnung“, nach einer Parole suchend und festen Willens, auf dem „Weg in die Freiheit“ gemeinsam die „bestgesicherte Staatsgrenze der Welt“ zu überschreiten. Als selbstmächtig handelndes Individuum erfährt sich Rufus in der Menge nicht. Der historische Augenblick der Freiheit ist ein genuines Erlebnis der Gemeinschaft. Persönlichen Zuschnitt und poetisches Profil gewinnt dieser Freiheitsmoment jedoch in der literarischen Erinnerung.

Angesichts der neurobiologischen Forschungen der letzten Jahre, die den ernst zu nehmenden Verdacht nähren, dass die freie Willensentscheidung eine „Illusion“ ist, gesteuert von evolutionären, genetischen und kognitiven Prozessen im menschlichen Gehirn, ist es wichtig, den Grundwert einer Kultur der Freiheit herauszustellen. Die Literatur, die in ihrer Geschichte manches Mal ihre sogenannte poetische Freiheit zu ideologischen und menschenfeindlichen Zwecken missbraucht hat, markiert auch die Grenzen der Freiheit.

Die Schriftsteller sind heute nicht mehr „brave Soldat(en) im Befreiungskriege der Menschheit“ wie zu Heinrich Heines Zeiten. Sie sind zur Freiheit verurteilt, aber weniger im existenzialistischen als vielmehr im aufklärerischen Sinne.

Wenn es eine bleibende Aufgabe der Literatur gibt, dann ist es die, die Schiller vorschwebte, als er in seinem „Don Carlos“ die „Gedankenfreiheit“ ausrufen ließ. Der Begriff mag in der Postmoderne, die daran glaubt, dass alles gedacht und alles befreit werden kann, reichlich abgenutzt klingen. Aber seine ursprüngliche Bedeutung ist, daran hat zuletzt der Schiller-Biograf Rüdiger Safranski erinnert, „der freie Gebrauch der individuellen Vernunft in Religion, Moral, Staat und Wissenschaft – in allen wichtigen Angelegenheiten des Lebens also“.

So verstanden, ist die Freiheit der Literatur ein notwendiges Lebensmittel der demokratischen Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert. Man muss die Literatur ja nicht unbedingt mit Michael Naumann für die „schönste Form der Freiheit in einer demokratisch verfassten Gesellschaft“ halten. Dass die Literatur maßgeblich das „Handwerk der Freiheit“ lehren kann (Peter Bieri), reicht schon aus, um zu zeigen, wie viel uns die literarische Freiheit heute wert sein muss.

© Rheinischer Merkur Nr. 49, 04.12.2008

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Bonn Deutschland