Asset-Herausgeber

Einzeltitel

Papst Benedikt XVI. und die Juden

von Dr. Norbert Hofmann
Was Johannes Paul II. zur Verbesserung des jüdisch-katholischen Dialogs unternommen hatte, das wurde von Benedikt XVI. in seinem bisherigen Pontifikat aufgegriffen und auf eigene Weise vertieft, so Pater Dr. Norbert Hofmann, Sekretär der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum des Heiligen Stuhls. Johannes Paul II. hatte einen biographischen Zugang zum Judentum, so Hofmann, weil er in seinem polnischen Heimatort Tür an Tür mit Juden wohnte. Benedikt XVI. hingegen habe einen akademischen Zugang zum Judentum aufgrund seiner Studien und der Liebe zur Heiligen Schrift...

Asset-Herausgeber

Papst Benedikt XVI. besucht Deutschland. Dieser Besuch ist sein erster offizieller Staatsbesuch. Anlass der ersten Papstvisite im August 2005 war der Weltjugendtag in Köln, die zweite galt im September 2006 ausschließlich seiner bayrischen Heimat. Diesmal wird er nach seiner Landung in Berlin am 22. September 2011 ganz offiziell vom Bundespräsidenten im Schloss Bellevue begrüßt. Einer der ersten Programmpunkte nach der Begrüßung durch das Staatsoberhaupt ist ein besonderer: der Papst wird in der vatikanischen Botschaft Berlins eine Delegation der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland empfangen. Ihm liegen die Beziehungen zum Judentum sehr am Herzen, besonders in seiner Heimat. Versöhnung mit den Vertretern des Judentums und die Vertiefung der Freundschaft mit ihnen gehören unzweifelhaft zu den Schwerpunkten seines Pontifikats.

In den Fußspuren Papst Johannes Paul II.

Die Begegnung Benedikts mit einer Abordnung deutscher Juden am 22. September 2011 reiht sich organisch in seine Bemühungen zur Verbesserung der Beziehungen zum Judentum in seinem sechsjährigen Pontifikat ein. Er vertieft in dieser Hinsicht das Erbe seines Vorgängers Johannes Paul II., der historische Schritte in dieser Hinsicht unternommen hat. Als erster Papst, besuchte dieser im Juni 1979 das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, um für die Opfer des Holocaust zu beten. Er ging in eine Synagoge, nämlich in die von Rom im April 1986, um seine Solidarität mit der jüdischen Gemeinde auszudrücken. Er begab sich im März 2000 als Pilger ins Heilige Land, wo er in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Washem eine ergreifende Rede gehalten und wichtige Vertreter des religiösen Judentums getroffen hatte.

Was Johannes Paul II. in seinem 27jährigen Pontifikat zur Verbesserung des jüdisch-katholischen Dialogs unternommen hatte, das wurde von Benedikt XVI. in seinem bisherigen Pontifikat aufgegriffen und auf eigene Weise vertieft. Johannes Paul hatte einen biographischen Zugang zum Judentum, weil er in seinem polnischen Heimatort Tür an Tür mit Juden wohnte. Benedikt hat einen akademischen Zugang zum Judentum aufgrund seiner Studien und der Liebe zur Heiligen Schrift. Er sieht daher mehr die theologischen Perspektiven und kann auf diesem Hintergrund den Beziehungen zum Judentum eine entsprechende Tiefe geben.

Schon bald nach seiner Wahl zum Papst empfing Benedikt XVI. im Juni 2005 eine internationale jüdische Delegation im Vatikan, der er glaubwürdig versicherte, dass er in den Fußspuren seiner Vorgänger weiterhin die Absicht habe, die Beziehungen zum jüdischen Volk zu verbessern. Er bezog sich insbesondere auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65), das in der Erklärung Nostra aetate (Nr. 4) eine neue theologische Verhältnisbestimmung zum Judentum vorgenommen hatte. Sie ist vor allem von zwei Grundaussagen geprägt: einem entschiedenen JA zu den jüdischen Wurzeln des Christentums und einem genauso entschiedenen NEIN zu allen Formen des Antisemitismus. Jesus war und bleibt Jude und ist daher nur im jüdischen Kontext zu verstehen, der Antisemitismus ist allein aufgrund des Gebotes der Nächstenliebe für Christen keine Option. Zum bleibenden Auftrag von Nostra aetate (Nr. 4) gehört die Verpflichtung zum Dialog: „Da also das Christen und Juden gemeinsame geistliche Erbe so reich ist, will die Heilige Synode die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern, die vor allem die Frucht biblischer und theologischer Studien sowie des brüderlichen Gespräches ist.“ Dass Benedikt XVI. aktiv dieses Gespräch fördern will, bewies er bei seinem Besuch in Köln anlässlich des Weltjugendtages im August 2005. Er bestand darauf, die dortige Synagoge zu besuchen, gehört sie doch zur ältesten jüdischen Gemeinde auf deutschem Boden. Wiederum versicherte er, die bereits bestehenden Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum auszubauen, nahm gegen jeden Antisemitismus entschieden Stellung und benannte die Bereiche der Zusammenarbeit von Christen und Juden: „Unser reiches gemeinsames Erbe und unsere an wachsendem Vertrauen orientierten geschwisterlichen Beziehungen verpflichten uns, gemeinsam ein noch einhelligeres Zeugnis zu geben und praktisch zusammenzuarbeiten in der Verteidigung und Förderung der Menschenrechte und der Heiligkeit des menschlichen Lebens, für die Werte der Familie, für soziale Gerechtigkeit und für den Frieden in der Welt.“ Juden und Christen können also ein gemeinsames Zeugnis in einer Welt geben, die die religiöse Basis des Menschen immer mehr verdrängt.

Noch im gleichen Jahr empfing Benedikt XVI. im September die beiden Oberrabbiner Israels zu einer Privataudienz. Zusammen mit dem Oberrabbinat Israels organisiert der Heilige Stuhl seit 2002 einen systematischen Dialog, der von der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum durchgeführt wird. Man trifft sich jährlich entweder in Rom oder in Jerusalem zu einer Dialogrunde. Themen wie die Heiligkeit des Lebens, die Bedeutung der Religionsfreiheit, des Verhältnisses zwischen ziviler und religiöser Autorität, die soziale Gerechtigkeit auf dem Hintergrund gemeinsamer ethischer Prinzipien, die Unverzichtbarkeit einer ökologischen Betrachtungsweise der Schöpfung wurden unter anderem in diesen Runden behandelt. Seitens des Heiligen Stuhls wird der Dialog mit dem Judentum von dieser Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum organisiert. Ihr steht als Präsident derzeit der schweizerische Kurienkardinal Kurt Koch vor. Offiziell wurde von der katholischen Kirche der Dialog mit dem Judentum nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil im Jahr 1965 aufgenommen. Die bereits erwähnte Konzilserklärung Nostra aetate (Nr. 4) stellt gleichsam den Startschuss für die vielfältigen Dialogbemühungen dar. Nach jahrelangen Abklärungen und Vorbereitungen erfolgte dann ab dem Jahr 1971 eine rege Konferenztätigkeit mit der neu gegründeten jüdischen Dachorganisation für den interreligiösen Dialog, dem International Jewish Committe on Interreligious Consultations (IJCIC). In den vierzig Jahren dieser Dialogtätigkeit konnten insgesamt 21 internationale Tagungen an verschiedenen Orten durchgeführt werden, die in jedem Fall dazu beigetragen haben, die gemeinsame Freundschaft zu vertiefen und eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens zu schaffen.

Belastbar und krisensicher

Auch wenn in diesen Jahren die Dialogbemühungen oft von einem ständigen „Auf und Ab“ gekennzeichnet waren, so lässt sich doch heute davon reden, dass die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum durchaus belastbar sind, sie also im Laufe der Zeit krisenfester geworden sind. Das zeigt auch die Tatsache, dass zwei schwierige Situationen im Dialog innerhalb kürzester Zeit von beiden Seiten konstruktiv angegangen worden sind und die entsprechenden Missverständnisse ausgeräumt werden konnten. Im Februar 2008 publizierte der Vatikan eine neue Karfreitagsfürbitte für den alten Ritus von 1962, der anfänglich als Aufruf zur Bekehrung der Juden missverstanden wurde, und im Januar 2009 wurde die Exkommunikation für einen Bischof der Piusbruderschaft aufgehoben, der nachweislich den Holocaust relativiert und geleugnet hat. Die Krisen im Dialog, die aus diesen beiden Situationen entstanden waren, konnten aber nach diversen Stellungnahmen des Heiligen Stuhls und der Ausräumung der vorhandenen Missverständnisse relativ schnell überwunden werden.

Kleine und große Gesten

Die Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum arbeitet dem Papst zu, dieser aber begleitet deren Aktivitäten mit seinem Interesse und Wohlwollen. Es gibt kaum eine große jüdische Organisation auf Weltebene, die nicht vom Papst im Vatikan empfangen worden ist. Besonders in den ersten beiden Jahren seines Pontifikats stellten sich Organisationen vor, wie der World Jewish Congress (WJC), die Anti-Defamation League (ADL), das American Jewish Committee (AJC), der B’nai B’rith International (BBI), das Simon-Wiesenthal-Center. Zweimal erschien eine Delegation des offiziellen jüdischen Dialogpartners, des International Jewish Committee on Interreligious Consultations (IJCIC) und natürlich durfte eine Abordnung der jüdischen Gemeinde von Rom unter Leitung des Oberrabbiners Riccardo Di Segni nicht fehlen. Papst Benedikts XVI. anfänglicher Zusicherung, den Dialog in den Fußspuren von Johannes Paul II. zu vertiefen, folgten also konkrete Taten. Dazu gehörte auch, dass er auf vielen seiner Reisen Vertreter des Judentums getroffen hat, wie zum Beispiel in Frankreich oder in Australien. Da das Judentum in den USA eine besondere Rolle spielt, besuchte er dort in New York im April 2008 sogar eine Synagoge in Manhattan kurz vor dem Pesach-Fest und überbrachte seine Festtagsglückwünsche. Übrigens schickt entweder der Papst selbst oder der Präsident der Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum jeweils zu den jüdischen Festen Glückwünsche auf lokal-römischer Ebene an den dortigen Oberrabbiner. Im Dialog kann man viele kleine Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung setzen, die die gute Atmosphäre weiterhin vertiefen können.

Aber es braucht eben auch die großen Gesten, die vor allem von den Massenmedien erwartet werden. So spekulierte man von Anfang seines Pontifikats an, ob Benedikt XVI. nach Auschwitz und Israel reisen, ob er – wie sein Vorgänger – die Synagoge in Rom besuchen wird. Benedikt XVI. enttäuschte die Juden nicht, in seiner unverwechselbar eigenen Art gab er diesen Besuchen jeweils sein eigenes Gepräge.

In Auschwitz-Birkenau nahm er im 28. Mai 2006 darauf Bezug, dass es für einen Papst aus Deutschland an dieser Stätte des Grauens fast unmöglich sei, zu sprechen, dass dort eigentlich nur ein erschütterndes Schweigen stehen könne, ein inwendiges Schreien zu Gott. Benedikt XVI. verbeugte sich dort vor der ungezählten Schar derer, die gelitten haben und zu Tode gebracht worden sind, und er meinte, dass dieses Schweigen dann doch zur lauten Bitte um Vergebung und Versöhnung werde, zu einem Ruf an den lebendigen Gott, dass er solches nie wieder geschehen lasse.

In Israel am 11. Mai 2009 angekommen, nahm er schon am Flughafen direkt Bezug auf den Holocaust und kündigte an, der Opfer dieses unaussprechlichen Verbrechens zu gedenken und darum zu beten, dass sich eine derartige menschliche Katastrophe niemals wiederholen möge. Er erwähnte das heute noch anzutreffende Phänomen des Antisemitismus und bekräftigte, dass es überall bekämpft werden müsse, wo immer es sich zeigt. In diesem Zusammenhang mahnte er an, Respekt und gegenseitige Wertschätzung zu fördern. Während seines Besuchs in Israel betete er in der Holocaust Gedenkstätte Yad Washem für die Opfer des Holocaust, er stand vor der Klagemauer und erflehte Frieden für diese Region, er traf die maßgeblichen Repräsentanten des religiösen Judentums und versicherte, dass die Dialogbemühungen der katholischen Kirche unumstößlich und unumkehrbar sind.

Die römische Synagoge besuchte Benedikt XVI. am 17. Januar 2010. Dort wurde er von der jüdischen Gemeinde sehr herzlich begrüßt. In seiner Rede betonte er wiederum, dass der mit Nostra aetate (Nr. 4) begonnene Dialog der katholischen Kirche mit dem Judentum unumkehrbar sei und man nichts unterlassen solle, um die Bande der gegenseitigen Freundschaft zu verstärken und zu vertiefen. Vor allem nahm er auf das große gemeinsame geistliche Erbe zwischen Judentum und Christentum Bezug, und stellte das in einer gelungenen Meditation zu den Zehn Geboten plastisch vor Augen. Besonders bewegend war die Tatsache, dass eine kleine Gruppe von älteren Holocaust-Überlebenden, gekennzeichnet mit einem besonderen Halstuch, zusammen mit der Gemeinde ein religiöses Lied gesungen hat, das viele Juden auf den Lippen hatten als sie in die Gaskammern geschickt wurden.

Dialog liegt dem Papst am Herzen

Betrachtet man abschließend das bisherige Engagement Benedikt XVI. für den Dialog mit den Juden, so kann ganz sicher davon die Rede sein, dass er in den Fußspuren von Johannes Paul II. die Beziehungen zu ihnen geweitet und vertieft hat. Auf seine eigene einfühlsame und diskrete Art begegnete er den jüdischen Repräsentanten, und versicherte, dass ihm die Versöhnung mit dem Judentum und die Vertiefung der gemeinsamen Freundschaft ein echtes Herzensanliegen ist. Ein israelischer Rabbiner wurde einmal zu Beginn des Pontifikats Benedikt XVI. gefragt, ob es für ihn nicht ein Problem wäre, dass nun ausgerechnet ein Deutscher die katholische Kirche leite und als Partner für den Dialog mit dem Judentum zur Verfügung stehe. Dieser aber antwortete, dass gerade ein Deutscher, der die Zeit des Nationalsozialismus aus nächster Nähe erlebt hat, für jüdische Anliegen besonders sensibel sein würde. Und so war und ist es denn auch: Benedikt XVI. ist sensibel für die Anliegen der Juden und versucht, nach Kräften den Dialog mit ihnen zu fördern und zu vertiefen.

Asset-Herausgeber

Kontakt

Caroline Kanter

Portrait von Caroline Kanter

Stellv. Leiterin der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit

caroline.kanter@kas.de + 30 26996-3527 + 30 26996-3557

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber

Bestellinformationen

Herausgeber

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Rom Italien