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Was heißt konservativ heute?

von Dr. Hans-Gert Pöttering
Gastbeitrag des Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Hans-Gert Pöttering, in der Reihe der Financial Times Deutschland "Was ist heute Konservativ?"

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„Konservativ heißt, nicht nach hinten blicken, konservativ heißt, an der Spitze des Fortschritts marschieren.“ Es ist viel Wahres an diesem Satz des legendären „Vorzeige-Konservativen“ der Union, Franz Josef Strauß. Damit ist Strauß überraschend nah bei den „Erfindern“ dieses Gedankens. Seit den Zeiten Edmund Burkes, des „Gottvaters“ der Konservativismus-Theorie, haben sich die Definitionen des Begriffs immer wieder verändert. Aber eine seiner Interpretationen bleibt zeitlos gültig: Dass es nicht um eine Betonierung des Status Quo geht, sondern um eine behutsame Verbesserung des Bestehenden mit dem klaren Ziel, es so langfristig zu bewahren.

Burke sprach „von beständigem Fortschritt, von der Verbesserung des Bestehenden, Anpassung an die gewandelten Umstände und die Bedürfnisse der Gesellschaft.“ Vor allem aber sprach Burke immer wieder - unter dem Eindruck des Terrors während der französischen Revolution - von der vornehmsten Eigenschaft des Konservativismus, dem „Widerstand gegen jeden Radikalismus“. Konservativismus war für Burke, aber auch für seine deutschen Nachfolger, vor allem Lebensklugheit, die aus Erfahrung erwächst und in Politik und Gesellschaft zu „Maß und Mitte“ rät. Das klingt alles sehr vernünftig und dennoch fragt man sich, warum der Begriff heute eher verschämt und allenfalls als Kampfvokabel genutzt wird? Und warum tut sich gerade auch die CDU mit diesem Begriff schwer?

Dass der Terminus in der politischen Auseinandersetzung vielfach blutleer geworden ist, hat für mich vor allem einen Grund: Konservativ sein bedeutet nicht nur die Definition von Vorstellungen und Werten, sondern ist vor allem eine Haltung. Konrad Adenauer und seine Mitstreiter waren sich nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und des II. Weltkrieges bewusst, dass sich dieser Begriff instrumentalisieren ließ und Angriffsflächen bot. Sie hatten den Mut, keine allein konservative, sondern eine gänzlich neue, überkonfessionelle Partei zu gründen, die neben die konservativen und liberalen Traditionen eine christlich-soziale Perspektive gesetzt hat: Das christliche Menschenbild ist es, das dem Konservativismus Richtung, Ziel und seinen ethischen Maßstab gibt.

Im christlichen Menschenbild bilden die Würde des einzelnen Menschen, die daraus erwachsende Freiheit, aber auch die Verantwortung, für sich und den Nächsten einzutreten, eine untrennbare Einheit. Es macht deutlich, dass der Mensch als Person nie instrumentalisiert werden und sein Recht auf Leben und freie Entfaltung nicht angetastet werden darf. Es macht aber zugleich auch deutlich, dass der Mensch nie nur individuelles, sondern immer auch soziales Wesen ist und deshalb Solidarität nicht nur üben muss, sondern empfangene Solidarität auch nicht ausnutzen und damit wiederum die Freiheit des „Gebenden“ einschränken darf.

Vielleicht ist gerade die Rückbesinnung auf diesen Zusammenhang heute besonders wichtig für die christliche Demokratie. Die einseitige Perspektive nimmt nie den „ganzen Menschen“ in den Blick: Konkret heißt das zum Beispiel, jungen Frauen die Freiheit zu ermöglichen, Kindererziehung und Berufstätigkeit miteinander zu verbinden. Es heißt aber zugleich, jenen Müttern und Vätern nicht die Anerkennung zu verweigern, die zu Hause bleiben und die Kinder erziehen.

Konkret heißt das, den Markt als soziale Aufgabe zu betrachten und ihm deshalb die zu seiner Entfaltung notwendigen Freiheiten zu belassen, aber Auswüchse mit klaren Regeln zu beschränken. Rating-Agenturen, die Spekulation befördern, entsprechen diesem Bild ausdrücklich nicht.

Konkret heißt das, europäisch und international eine Politik zu betreiben, die sich nicht an ideologischen Phantastereien, sondern an erreichbaren Zielen orientiert und auch im nationalen Interesse handelt, aber die uneingeschränkte weltweite Geltung von Menschenrechten als Grundlage für Frieden und Wohlstand niemals aus dem Blick verliert.

An kaum einem christlich-demokratischen Projekt wird diese Kombination aus einem pragmatischen und einem ethisch fundierten Blick so deutlich wie an der europäischen Integration: Die Europäische Union und unsere gemeinsame Währung sind nicht einfach politische Großprojekte, sondern als Friedens- Wohlstands- und Wachstumsgarant gegenüber allem, was Europa in seiner wechselhaften Geschichte je erlebt hat, ein gewaltiger Fortschritt.

Trotz aller Turbulenzen: Mehr Sicherheit und Wohlstand als in unseren Jahrzehnten hatten wir in Europa nie. Ich widerspreche damit ausdrücklich Jan Fleischhauer, der vor wenigen Tagen vor zu viel Gemeinschaftspathos in der Eurokrise gewarnt hat. Ich glaube, wir brauchen beides: Pathos und den klaren Blick für die Handlungsnotwendigkeiten! Rufe nach dem Ende des Euros, nach der Umwandlung der EU in ein – schon die Begriffe sind verräterisch – „Kern-“ und ein „Randeuropa“, nach der Rückkehr zu D-Mark, Pesete, Lire und Drachme sind nicht konservativ, sondern ökonomisch fahrlässig und politisch fatal. An die Stelle von Solidarität würden wieder nationale Egoismen treten. "Die Folgekosten der europäischen Niederlage", so schreibt Josef Joffe zu Recht, "würden mörderisch sein.“ Sie wären mörderisch für Deutschland, das wie kaum ein anderes Land ökonomisch von seiner Zugehörigkeit zur EU profitiert.

Eine simple „kaufmännische“ Rechnung zeigt, warum die Bewahrung unserer Errungenschaft „Europäische Union“ im besten Sinne des Wortes konservativ und zugleich fortschrittlich, ja sogar zutiefst in unserem ureigenen nationalen Interesse ist: Nach dem II. Weltkrieg haben die Europäer 22 Prozent der Weltbevölkerung gestellt. Der deutsche Anteil lag bei immerhin 2,7 Prozent. Heute leben 12 Prozent der Menschen in Europa und weniger als 2,3 Prozent in Deutschland. Im Jahre 2050 werden es 7 Prozent in Europa und weniger als 0,7 Prozent in Deutschland sein. Gleichzeitig ist absehbar, dass sich der wirtschaftliche und politische Einfluss der Schwellenländer massiv erhöhen wird. Wie um alles in der Welt wollen wir unsere Werte, unsere politische und ökonomische Bedeutung erhalten, wenn wir es nicht gemeinsam tun.

Vor diesem Hintergrund ist für die Zukunft Europas allerdings nicht nur gefährlich, wenn wir die europäische Integration in Frage stellen. Wir gefährden die Existenz dieses Jahrhundertwerkes auch, wenn wir als Konservative nur noch bewahren und damit leugnen, dass wir handeln müssen. Ich bin als christlicher Demokrat ganz konservativ, wenn ich sage, dass Verträge eingehalten werden müssen und Solidarität keine Einbahnstraße sein darf. Eine endlose Ausweitung von Rettungsschirmen ohne Gegenleistung in Form einer strikten Haushaltspolitik darf es nicht geben. Eine Rückkehr zu klaren Stabilitätskriterien und deren unbedingte Einhaltung durch alle Euro-Partner – auch durch uns selbst – ist die entscheidende Grundlage für Solidarität. Eine dauerhafte Konsolidierungspolitik wird auch die Frage nach den Gemeinschaftsanleihen (Eurobonds) neu stellen.

Wer könnte dieses Bestehen auf klaren Prinzipien und die Leidenschaft für ein vereintes Europa besser verknüpfen und verkörpern als die Partei, die wie keine andere mit den Erfolgen der europäischen Integration identifiziert wird. Seit Konrad Adenauer gehört die Einigung Europas – wie die Einheit Deutschlands, die Wirklichkeit geworden ist – zum politischen Tafelsilber der CDU, oder anders ausgedrückt, zur Seele ihrer Identität. Dieses Erbe in der Gegenwart und Zukunft zu bewahren und zu gestalten, ist zugleich konservativ und fortschrittlich.

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Hans-Gert Pöttering www.poettering.de

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