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Interviews

„Es gibt kein unpolitisches Schreiben“ - EHF-Stipendiatin Dana Vowinckel im Interview

von Prof. Dr. Michael Braun, Dr. Hans-Jörg Clement

Im Gespräch über ihre Förderzeit gibt die Autorin Einblicke in ihren Roman Gewässer im Ziplock und in jüdisches Leben in Deutschland.

Die Autorin und EHF-2010-Stipendiatin Dana Vowinckel über die Veröffentlichung Ihres ersten Romans, Ihr Schaffen und über Inspirationen von israelischen und palästinensischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern.

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Liebe Dana, wie war Dein Jahr 2023?

Vor allem: voll. Voll mit schönen Dingen, voll aber auch mit Schmerz. Voll mit Zugfahrten, voll mit Sprüngen ins kalte Wasser, voll aber auch mit Entsetzen. Voll mit schönen Nachrichten für mich und schrecklichen in der Welt, ein schmerzhafter Widerspruch. Und voll mit Buchstaben, das war wohl das Schönste!

 

Die Veröffentlichung Deines ersten Romans, war sicherlich ein besonderes Ereignis. Hauptfigur des Romans ist die fünfzehnjährige Margarita. Du erzählst, wie sie unterschiedliche Formen jüdischen Lebens kennenlernt. Was macht die – mit den Worten des Romans – „starke jüdische Identität“ dieser jungen Frau aus?

Lustig, dass es gerade dieses Zitat ins Interview geschafft hat, denn sobald Avi, Margaritas israelischer Vater, das sagt, macht sich ihre amerikanische Mutter darüber lustig. Und auch ich finde den Begriff „Identität“ zwar wichtig, aber auch schwierig. Ich glaube, Margaritas Identität ist vor allem Verwirrung und Überforderung – in Hinblick auf ihr Jüdin-Sein, aber auch auf alles andere. Ich finde, die Frage könnte vielmehr sein: warum muss dieses Kind-fast-Erwachsene überhaupt wissen, wer sie sein will? Warum ist es für Juden und Jüdinnen quasi eine Voraussetzung, auf eine bestimmte Art jüdische zu sein? Das Tolle an Literatur ist für mich, dass sie Widersprüche nicht nur aushalten muss, sondern aus ihnen besteht. Das Tolle an meiner zähen, sturen Margarita ist für mich, wie sie Widersprüche aushält, vielleicht mehr als manche Erwachsenen…

 

Der Roman erzählt die Geschichte jüdischen Lebens in drei Generationen. Dabei spielen jüdische Rituale und Feste eine große Rolle. Wie hast Du zu diesen „Judaika ohne Beipackzettel“, wie es in einer Rezension heißt, recherchiert?

Naja, zum Glück ist mir das alles ja nicht völlig neu. Ich habe jahrelang jüdischen Religionsunterricht bekommen. Ein großer Teil der Recherche waren Gespräche mit Freunden und Freundinnen, Synagogenmusik auf YouTube hören, und Lektüre (unter anderem Bücher wie To Pray as a Jew, eine Anleitung zum Gebet), vor allem aber Gebetbücher und die Heilige Schrift wälzen. Die Begriffe wirken den Lesern und Leserinnen vielleicht völlig fremd, aber mir sind sie vertraut. Ich bin eher überrascht, wie viel ich darüber spreche, dass es Fremdwörter im Text gibt. Ich kenne ja auch nicht jedes Wort in den Büchern von Thomas Mann…

 

„Nein, es gab das Unpolitische nicht“, heißt es am Ende Deines Romans. Gefragt nach Deinem Arbeitsansatz, erklärst Du in deiner Bewerbung an uns: Deine Arbeit sei es, dieses Leben in Deutschland, das so unendlich viel beobachtet, begutachtet, bewertet wird, in Worte zu fassen. Geschichten zu finden über die Fassungslosigkeit, über die Verlorenheit und über die Schönheit jüdischen Lebens in Deutschland. Der 7. Oktober hat auch hier viel verändert. Welche Rolle kann in dieser entsetzlichen Brutalität und Menschenverachtung Kultur – Sprache! – überhaupt noch spielen?

Ich glaube, es gibt kein unpolitisches Schreiben. Jeder Satz über Menschen ist ein Satz über Menschen in ihrem sozialen Kontext, und der geht nun mal auch immer mit einer gesellschaftlichen Position einher. Das heißt ja nicht, dass Schreiben ein Programm haben muss. Es heißt nur, dass Literatur nicht in einem Vakuum entsteht. Und auch jetzt hat sich der gesellschaftliche Kontext natürlich verändert, und ich betrachte es als Schriftstellerin auch als meine Aufgabe, darüber nachzudenken, inwiefern. Natürlich hat es mir in den letzten Monaten oft die Sprache verschlagen, ich bin ja erstmal Mensch und dann Autorin. Als Mensch, und als Bürgerin der deutschen Gesellschaft (denn das bin ich, Bürgerin, nicht Mitbürgerin), habe ich ein Recht auf Schutz. Dieser Schutz soll gewährleistet werden, damit ich mein Leben in Frieden führen kann. Dieser Schutz soll gelten, wenn ich als Privatperson in die Synagoge gehe, um Teil meiner Gemeinschaft sein zu können. Dort finde ich trotz allem eine Schönheit. Jüdisches Leben ist nicht nur Schmerz, und es ist mir wichtig, das immer wieder zu betonen. Es findet auch nicht nur in Synagogen statt. Bücher sind meine Rettung gerade. Ich bin so dankbar, dass es eine Vielzahl von israelischen und palästinensischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller gibt, die mir jeden Tag mit ihren Büchern helfen, zu verstehen. Und auch deutschsprachige Bücher der letzten Jahre, die mich immer wieder trösten, die immer wieder helfen, nicht zu verhärten.

Aber all die Biblophilie hilft natürlich wenig, wenn Molotovcocktails auf Synagogen fliegen, das ist mir klar. Bücher sind keine Impfungen gegen Menschenhass.

 

Würdest Du deinen Roman heute, nach dem 7. Oktober anders schreiben?

Ja, jede Seite. Aber Margarita, Avi und Marsha gäbe es trotzdem. Hoffentlich.

 

Zu unser aller Freude bist Du 2023 auch EHF-2010-Stipendiatin geworden. In Deiner Bewerbung sagst du, literarisches Schreiben sei gemäß aller Warnungen einsam. Brauchst Du diese Einsamkeit zur Inspiration?

Und auch zu meiner großen Freude! Was ich noch nicht wusste, als ich mich beworben habe: es wird plötzlich sehr un-einsam, wenn ein Buch dann erscheint, jedenfalls hatte ich dieses Glück! Im Moment spreche ich mit so vielen Leuten über mein Buch, dass ich nur verwundert staunen kann, dass es dabei tatsächlich um das geht, was ich einmal geschrieben habe. Und ich glaube, dass das ein bisschen süchtig macht, dieses Gefühl. Und gleichzeitig freue ich mich gerade auf wenig mehr als auf ein paar Stunden ohne eine einzige E-Mail am Schreibtisch, nur ich und mein neues Manuskript.

 

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