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IV. Die Entscheidung für eine Europäische Verfassung
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Da sich die Staats- und Regierungschefs dessen bewusst waren, wurde in Nizza gleichzeitig eine Erklärung verabschiedet, mit der der Post-Nizza-Prozess eingeleitet wurde. Es war offensichtlich, dass sich das Instrument der Regierungskonferenzen abgenutzt hatte und mit immer kleiner werden Schritten in verschiedenen Reformrunden bewiesen hatte, dass es nicht mehr fähig war, sich auf große Reformen der EU zu einigen. Deshalb besann man sich auf ein neues Modell, das sich im Vorfeld des Nizza-Gipfels bereits bewährt hatte: Im Jahr 2000 hatte ein Konvent die Grundrechtscharta der Europäischen Union erarbeitet, die in Nizza feierlich proklamiert worden war; zu einer Aufnahme in den Vertrag hatten sich die Staats- und Regierungschefs nicht durchringen können. Dieser Grundrechtskonvent unter dem Vorsitz des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog hatte unter Beteiligung von Vertretern der nationalen Regierungen, der nationalen Parlamente, des Europaparlaments und der Europäischen Kommission in einem relativ offenen und transparenten Prozess in kurzer Zeit die Charta der Grundrechte erarbeitet, die nun als Kern einer zukünftigen Europäischen Verfassung galt. Auf dieses Konventsmodell kam der Europäische Rat zurück, als er ein Jahr nach Abschluss des Nizza-Vertrages im Dezember 2001 die Erklärung von Laeken verabschiedete. Mit ihr wurde ein Konvent zur Zukunft Europas eingesetzt und ein umfangreicher Fragenkatalog vorgelegt, der sich mit vier Themenbereichen beschäftigte: erstens eine schärfere Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, zweitens eine Vereinfachung der Gesetzgebungsinstrumente in der EU, drittens mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz sowie viertens eine Vereinfachung der Struktur der Verträge.
- Die Entstehung des Verfassungsvertrages
Die Arbeitsmethode des Konventes sollte sich durch eine besondere Offenheit und Transparenz sowie eine Beteiligung der Bürger und der Zivilgesellschaft auszeichnen. Zwar wurden durch die Öffentlichkeit der Sitzungen, mit einem Forum im Internet, einer Anhörung der Zivilgesellschaft im Konvent sowie der Abhaltung eines Jugendkonventes Zeichen dieser Offenheit und Beteiligung gesetzt, dennoch interessierten und beteiligten sich hauptsächlich organisierte Verbände und Lobbyisten an dem Prozess. Im Konvent wurde im Konsensverfahren beschlossen, d.h. es gab keine einzige Abstimmung; das Präsidium versuchte vielmehr den Mehrheitswillen innerhalb des Konventes zu verorten und die diskutierten Vorschläge entsprechend zu überarbeiten. Insofern kam dem Präsidium und insbesondere dem Konventspräsidenten Giscard eine besondere Bedeutung zu. Da Giscard nicht selten auch einen aristokratischen Führungsstil pflegte, war seine Rolle durchaus nicht unumstritten, auch wenn sie letztlich für die Ergebnisfindung hilfreich war. Nach nur siebzehn Monaten legt der Konvent am 18. Juli 2003 der italienischen Ratspräsidentschaft schließlich den Entwurf für einen einheitlichen Verfassungstext vor.
Im Anschluss durchlief dieser Verfassungsentwurf des Konvents noch eine Regierungskonferenz. Dort standen sich zwei Gruppen gegenüber: Deutschland und Frankreich als Befürworter eines „Durchwinkens” ohne große Änderungen am Entwurf, auf der anderen Seite Polen und Spanien, die den Vorschlag zum Abstimmungsverfahren im Ministerrat ablehnten, weil ihnen im Nizza-Vertrag eine vorteilhafte Stimmengewichtung eingeräumt worden war, an der sie festhalten wollten. Die italienische Ratspräsidentschaft, namentlich Ministerpräsident Silvio Berlusconi, war nicht in der Lage, zwischen den Parteien zu vermitteln, so dass der erste Verfassungsgipfel im Dezember 2003 scheiterte. Erst nachdem durch einen Regierungswechsel in Spanien Polen mit seiner Position alleine stand, konnte dank des Verhandlungsgeschicks der irischen Präsidentschaft in einem zweiten Anlauf am 18. Juni 2004 in Brüssel eine Einigung erzielt und nach geringen Änderungen der Vertrag über eine Verfassung für Europa beschlossen werden.
- Die Verfassung und ihre Ratifikation
Neben der klareren Abgrenzung der Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten bringt die Verfassung auch institutionell umfangreiche Neuerungen mit sich: die Einführung eines Präsidenten des Europäischen Rates sowie eines Europäischen Außenministers, der aus dem Kommissar für Auswärtige Angelegenheiten und dem Hohen Vertreter für die GASP in einem „Doppelhut” verschmilzt und von einem Europäischen Auswärtigen Dienst unterstützt wird, eine Stärkung des Europäischen Parlaments, das nun nahezu gleichberechtigt mit dem Ministerrat entscheidet und stärker an der Wahl des Kommissionspräsidenten mitwirkt, sowie eine Verkleinerung der Kommission ab dem Jahr 2014. Bei den Entscheidungsprozessen steht eine „doppelte Mehrheit” im Ministerrat im Vordergrund, die mit dem Erfordernis von 55 Prozent der Mitgliedstaaten bei gleichzeitiger Repräsentation von 65 Prozent der Unionsbevölkerung zu einer Vereinfachung und höheren Transparenz in der Entscheidungsfindung führen soll. Hinzu kommt die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen im Rat, die Mitentscheidung des Parlamentes als Regelfall, die Verringerung und Vereinfachung der EU-Rechtsinstrumente ein Frühwarnmechanismus, mit dem nationale Parlamente bereits im Vorfeld der Gesetzgebung gegen mögliche Subsidiaritätsverstöße der EU vorgehen können, und die Einführung einer Bürgerinitiative auf europäischer Ebene.
Die Verfassung wurde von den Staats- und Regierungschefs am 29. Oktober 2004 feierlich auf dem Kapitol in Rom unterzeichnet. Sarkastisch wurde dabei angemerkt, dass dies unter einer monumentalen Statue Papst Urbans VIII. (1623-1644) geschah, während man sich in der Verfassung weder auf einen Gottesbezug noch auf die Erwähnung der christlichen Wurzeln einigen konnte, sondern sich in der Präambel recht unbestimmt auf das „kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas” beruft Nach der Ratifikation in den Mitgliedstaaten sollte die Verfassung am 1. November 2006 in Kraft treten. Dieser Prozess erlitt aber einen schweren Rückschlag, als sich sowohl die Bevölkerung in Frankreich am 29. Mai 2005 als auch in den Niederlanden drei Tage später in Referenden gegen die Europäische Verfassung aussprach. Gemeinsam mit dem zeitgleichen vorläufigen Scheitern der Finanzverhandlungen führte dies zu einer tiefen europäischen Krise, die derzeit zumindest noch als Verfassungskrise andauert. Der Europäische Rat im Juni 2005 in Brüssel hat als Reaktion auf die negativen Volksabstimmungen eine einjährige „Denkpause” beschlossen, die jedoch weniger als Phase zum Denken denn als Pause vom Denken genutzt wurde. Nach einem Jahr beauftragte der Europäische Rat schließlich die deutsche Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007, die Möglichkeiten für eine Umsetzung der Verfassung mit den europäischen Partnern auszuloten und einen Bericht darüber vorzulegen.
- Ein neuer Anlauf - Der Vertrag von Lissabon
erarbeitet worden. Ein von allen Mitgliedstaaten akzeptierter Vertrag stellt zwar eine in organisatorischer und rechtlicher Hinsicht notwendige Voraussetzung für die weitere Entwicklung Europas dar – ohne die Zustimmung
der Bürger und ohne eine breite Unterstützung in der europäischen Öffentlichkeit kann das „Projekt
Europa“ aber nicht gelingen. Nur wenn sich die Menschen mit Europa, seinen kulturellen Wurzeln
und mit den europäischen Ideen und Werten identifizieren, kann sich Europa entwickeln. Darin liegt
auch eine besondere Herausforderung für die Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Bürger und ihre Bedürfnisse müssen stärker in den Mittelpunkt gerückt, nationale und kulturelle Vielfalt darf nicht ignoriert werden. Gerade in einer globalisierten Welt brauchen die Bürger eine Heimat, eine Anbindung an Regionen, Nationen und nationale Identitäten. Sie tragen dazu bei, Europa inneren Zusammenhalt zu geben und es zu einem starken Akteur zu machen. Von besonderer Bedeutung ist es, den Menschen den Wert der Europäischen Einigung für sich selbst bewusst zu machen: Die EU trägt wesentlich zum Erhalt des Wohlstandes in ihren Mitgliedstaaten und zu Sicherheit und Frieden in Europa bei.