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kurzum

Die Virulenz von Religion und Politik

Religiöse Zusammenkünfte sind in Zeiten der Coronakrise eine ernsthafte Gefahr. Viele Staaten und Religionsgemeinschaften haben öffentliche religiöse Praktiken daher eingeschränkt oder untersagt. Für Regime, die sich zur Herrschaftssicherung religiöser Bezüge bedienen, sind solche Beschränkungen oft ein grundsätzliches Problem. Hier zeigt sich die Virulenz der Vereinnahmung von Religion durch Politik.

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Bei der Verbreitung des Coronavirus spielten Religionsgemeinschaften und religiöse Praktiken eine wichtige Rolle. Aus einem Frauenkloster bei Rom wurden über 60 infizierte Schwestern gemeldet. In Singapur und Südkorea waren die Versammlungen protestantisch-evangelikaler Gemeinden regelrechte Corona-Hotspots. In Malaysia steckten sich viele Teilnehmer einer internationalen Massenveranstaltung in einer Moschee an. In Israel wächst die Sorge vor einer Welle von Corona-Infektionen durch religiöse Veranstaltungen. Jüdische Hochzeiten in New York trugen das Virus ebenso weiter wie muslimische Mekka-Pilger. Das Küssen von griechischen Ikonen und schiitischen Schreinen geriet gleichermaßen unter Corona-Verdacht. Nicht immer sind Unwissenheit und Unvorsicht der Feind der Gläubigen. Vielerorts stehen Frömmelei, Aberglaube, Eifer und Fanatismus der Pandemie-Bekämpfung im Wege. Oft ist es aber auch politisches Kalkül.

Insbesondere Regime, deren Herrschaft auf religiöser Legitimierung beruht oder die sich zur Herrschaftssicherung religiöser Bezüge bedienen, ist die Beschränkung religiöser Praxis ein grundsätzliches Problem. Nirgendwo zeigte sich dies so deutlich wie im Iran. Erst nach langem Zögern und unter dem Druck stark ansteigender Infektionszahlen rang sich das dortige Regime zu einer Schließung von Pilgerstätten und zur Absage religiöser Massenveranstaltung durch. Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Aus den Reihen religiöser Hardliner war sofort die Warnung zu hören, die islamischen Machthaber würden die unislamischen Maßnahmen noch bereuen.

Aber nicht nur das iranische Revolutionsregime tut sich schwer mit der Beschränkung religiöser Praxis. Auch die türkische Religionsbehörde musste viel Kritik wegen ihres zurückhaltenden Umgangs mit infizierten Mekka-Pilgern und ihrer anfänglichen Weigerung, die Freitagsgebete abzusagen, einstecken. In Sri Lanka ordnete die buddhistisch-nationalistische Regierung eine Gebetswoche statt eines Tempelverbots an. In Indien scheute Premierminister Modi vor einer klaren Einschränkung religiöser Massenveranstaltung lange zurück. In Tansania nahm der erzkatholische Präsident Magufuli publikumswirksam die heilige Kommunion in einer vollen Kirche entgegen. Und selbst im EU-Land Griechenland sorgte es für Aufsehen, dass Premier Mitsotakis erst in einem offenen Machtkampf ein Verbot religiöser Versammlungen gegen die politisch einflussreiche Kirche durchsetzen konnte.

Beispiele wie diese zeigen: Ähnlich wie bei der Terrorbekämpfung ist auch bei der Virusbekämpfung eine enge Verquickung von Religion und Politik oder mehr noch die religiöse Rechtfertigung politischer Herrschaft ein Problem. Das Virus drängt vor allem religiös-nationalistische Regime in eine Zwickmühle zwischen gesundheitspolitischen Notwendigkeiten, der eigenen frommen Rhetorik und den Forderungen religiöser und politischer Fanatiker.

Dass gesellschaftlich verantwortungsbewusstes Handeln möglich ist, zeigen religiöse und politische Autoritäten in allen Weltregionen und Weltreligionen. In der katholischen Kirche wird konstruktiv über das Für und Wider von Digitalmessen gestritten. Muezzine ändern den Gebetsruf und appellieren an die Gläubigen, von zuhause zu beten. Zum ersten Mal in der Geschichte sind alle drei Heiligsten Stätten des Islam für Besucher geschlossen. Vernunft und Glaube sind in allen Weltreligionen kein Gegensatz. Selten wie nie waren sich Wissenschaft, Gesellschaft, Medizin, Politik und auch viele Religionsvertreter auf der ganzen Welt einig, dass eine erfolgreiche Eingrenzung der Pandemie soziale Distanz und damit auch eine Eingrenzung religiöser Praktiken erfordert.

In wenigen Tagen werden Christen weltweit das Osterfest und Juden Pessach feiern. Zehn Tage darauf beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan mit seinen Massenveranstaltungen zum Fastenbrechen. Im April wird sich also zeigen, ob religiös legitimierte Populisten und Autokraten sich gegen die eigene Rhetorik und die Hardliner in den eigenen Reihen und damit gegen wichtige Stützen ihrer Herrschaft stellen. Oder ob sie an der politischen Instrumentalisierung von Glaube und Religion festhalten und eine unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus weiter fördern. In jedem Fall zeigt sich im Zuge der Corona-Krise, wie virulent das Verhältnis von Religion und Politik in vielen Staaten der Welt ist.

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Kontakt

Dr. Andreas Jacobs

Dr

Leiter Abteilung Gesellschaftlicher Zusammenhalt

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