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Länderberichte

Das Säbelrasseln am 38. Breitengrad dauert an

von Dr. Colin Dürkop, Yeo Min-Il
Nach dem militärischen Zwischenfall auf der südkoreanischen Insel Yeonpyeong am 23. November gibt dieser Bericht einen Überblick über die innenpolitischen Folgen in den beiden koreanischen Teilstaaten sowie über mögliche Reaktionen der internationalen Gemeinschaft.

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Am 23. November 2010 kam es im Gelben Meer entlang der westlichen Seegrenze zwischen Nord- und Südkorea zu einem schweren militärischen Zwischenfall, bei dem sich die Streitkräfte beider Teilstaaten ein mehrstündiges Artillerieduell lieferten. Nach militärischen Übungen der südkoreanischen Streitkräfte in dem Gebiet wurde die zum Süden gehörige Insel Yeonpyeong gegen 14:30 Ortszeit von der nordkoreanischen Volksarmee unter Beschuss genommen. Die dort stationierten Truppen erwiderten daraufhin das Feuer. Im Verlauf des bis zum Nachmittag andauernden Feuergefechts verschoss der Norden rund 170 Artilleriegranaten und Raketen und der Süden rund 80 Artilleriegranaten. Auf südkoreanischer Seite kamen dabei zwei Marineinfanteristen und zwei Zivilisten ums Leben, weitere siebzehn Militärangehörige und drei Zivilisten wurden verletzt. Zahlreiche Gebäude auf Yeonpyeong wurden bei dem Gefecht und nachfolgenden Bränden zerstört, weswegen die Mehrheit der Bewohner auf das südkoreanische Festland evakuiert werden musste. Über Opfer und Schäden auf nordkoreanischer Seite wurde nichts bekannt.

Yeonpyeong ist die Hauptinsel einer südkoreanischen Inselgruppe im Gelben Meer, die bei der Northern Limit Line (NLL) und rund 12 km vor der nordkoreanischen Küste liegt. Die NLL ist eine umstrittene maritime Demarkationslinie zwischen den beiden koreanischen Teilstaaten, welche die de facto westliche Seegrenze bildet. Sie wurde 1953 einseitig vom United Nations Command Korea ausgerufen, nachdem im Rahmen der Waffenstillstandsverhandlungen des Koreakrieges keine Einigung mit dem kommunistischen Norden erreicht werden konnte. Nordkorea erkennt die NLL jedoch nicht an und legte 1999 seinerseits eine weiter südlich verlaufende See-Demarkationslinie fest. Im Mai 2009 proklamierte der Norden schließlich, dass es auf jeden Versuch die NLL als Seegrenze durchzusetzen mit militärischen Mitteln reagieren werde. Vor diesem Hintergrund kam es in dem Gebiet immer wieder zu Seegefechten, bei denen 1999, 2002 und 2009 auf beiden Seiten Todesopfer zu beklagen waren. Auch das Sinken der südkoreanischen Korvette Cheonan im März 2010 in dem Seegebiet wurde von den USA und Südkorea auf einen mutmaßlichen nordkoreanischen Torpedoangriff zurückgeführt. Der Beschuss von Yeonpyeong stellt jedoch eine weitere Eskalation in dem Grenzkonflikt dar, da es zu einem direkten Angriff auf südkoreanisches Territorium gekommen ist und es zu zivilen Opfern kam. Er wird somit weithin als einer der schwersten militärischen Zwischenfälle seit dem Ende des Koreakrieges 1953 angesehen.

In Südkorea lösten insbesondere die zivilen Opfer des Gefechts Wut und Bestürzung in der Bevölkerung aus, woran auch ein öffentliches Bedauern des Nordens nichts ändern konnte. Mehrheitlich wird nun eine härtere Gangart gegenüber Nordkorea gefordert. Präsident Lee Myung-bak benutze zwar starke Worte, doch bleiben die militärischen Optionen Südkoreas begrenzt und seine Reaktion wird von seinen politischen Gegnern als pure Rhetorik abgetan.

In der koreanischen Presse wird auch die Reaktionsschnelle des südkoreanischen Militärs scharf kritisiert. Gleichzeitig wurde der südkoreanischen Regierung vorgeworfen, zu zurückhaltend auf den Angriff reagiert und ihre Pflicht zum Schutze der Bürger nicht erfüllt zu haben. Die Befehlswege seien viel zu lang und dies habe zu der verspäteten Reaktion des südkoreanischen Militärs geführt. Zwei Tage nach dem Überfall übernahm Verteidigungsminister Kim Tae Young die volle politische Verantwortung und trat am 25. November zurück. Weiterhin kündigte das Verteidigungsministerium an, neue Waffensysteme auf Yeongpyeong zu stationieren und die Rules of Engagement (Einsatzregeln) für solche militärischen Zwischenfälle zu überarbeiten.

Die USA verurteilten den Angriff als eine nordkoreanische Provokation und bekräftigten die Allianz mit dem Süden. Der Flugzeugträger USS George Washington wurde ins Gelbe Meer entsandt, um dort an einem mehrtägigen Seemanöver mit neun weiteren Kriegsschiffen der südkoreanischen und US-Marine teilzunehmen. Dies wird von Nordkorea seinerseits als Provokation aufgefasst, weswegen es seine Truppen in höhere Alarmbereitschaft versetzt hat. Die Volksrepublik China, Nordkoreas einziger Verbündeter, sieht hingegen eine Teilschuld für den Zwischenfall bei Südkorea, welches mit seinen anhaltenden Militärübungen entlang der NLL zu einer Eskalation der Situation beigetragen habe. Die chinesische Regierung steht jedoch unter hohem internationalen Druck auf Nordkorea einzuwirken, weswegen sie den Vorschlag machte, die Krise im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche zu bewältigen. Dabei sollten die beiden koreanischen Teilstaaten, die USA, China, Russland und Japan bereits im Dezember zu einem Treffen in Peking zusammenkommen. Das Zustandekommen eines solchen Gesprächs scheint in der gegenwärtigen politischen Gemengelage aber eher unwahrscheinlich.

Offiziell begründete Nordkorea den Angriff auf Yeonpyeong als Reaktion auf militärische Provokationen des Südens. Dass es sich bei dem Beschuss um eine spontane Krise gehandelt hat, kann jedoch bezweifelt werden. Vielmehr passt der Zwischenfall zu einer außenpolitischen Strategie, welche die nordkoreanische Regierung seit dem Beginn ihres Nuklearwaffenprogramms betrieben hat. Mit seiner Brinkmanship (Politik am Rande des Abgrundes) Strategie hat der Norden kontinuierlich versucht, durch das Erhöhen der Krisen- und Kriegsgefahr die internationale Gemeinschaft zu Zugeständnissen zu drängen. Dafür spricht auch, dass Nordkorea wenige Tage vor dem Zwischenfall der Weltöffentlichkeit bekanntgab, an einer neuen Urananreicherungsanlage zu bauen. Es scheint jedoch fraglich, ob sie dieses Mal erfolgreich sein kann. Die USA, Südkorea und Japan scheinen vielmehr umso entschlossener zu sein, keiner weiteren Provokation Nordkoreas nachzugeben. Auch das Schlüsselland China wird u.U. abwägen, ob es sich auf Dauer lohnt, sich uneingeschränkt hinter den Norden zu stellen, sollte dieser seine Brinkmanship Strategie nicht bald aufgeben.

Der wesentlichste Grund für den Überfall Nordkoreas sei aber ein innenpolitischer, meinte der Politikprofessor Dr. Im Hyug-Baeg von der Korea Universität auf einer Konferenz des Hiroshima Peace Institut zum Thema „Differering Perspectives on East Asian Regionalism“ am 29.11. Demnach ist der gegenwärtige Transitionsprozess in Nordkorea von Kim Jong-Il auf seinen jüngsten Sohn Kim Jong-Un der Hauptgrund für den Angriff. Wegen der nicht unumstrittenen Machtübergabe musste der Nachfolger ein starkes politisches Signal setzten, um seine politische Macht nach Innen zu demonstrieren. Dies ist ihm zweifellos gelungen: Der südkoreanische Verteidigungsminister musste zurücktreten und selbst die militärische Übermacht USA kann Kim Jong-Un nach nordkoreanischer Lesart „in Schach halten“. Nicht auszumalen wären die Konsequenzen, so Prof. Im, wenn entweder Nordkorea die USS George Washington attackieren würde oder umgekehrt die USA einen präventiven Schlag in Erwägung ziehen würden.

In den innerkoreanischen Beziehungen werden jegliche Zugeständnisse oder Hilfen des Südens an den Norden aufgrund der zivilen Opfer immer schwerer zu vermitteln sein – die politische Eiszeit wird vorerst anhalten. Somit mag Nordkorea es mit dem Angriff auf Yeonpyeong abermals geschafft haben die Weltöffentlichkeit auf sich zu ziehen – ob sie daraus aber letztendlich außenpolitisches Kapital schlagen kann, dürfte hingegen immer schwieriger werden.

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

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1. Dezember 2010
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