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Länderberichte

Die Regierung Raffarin - "gouvernement de mission"

von Dr. Norbert Wagner

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Am Morgen nach der Wiederwahl von Präsident Jacques Chirac reichte der bisherige Amtsinhaber Lionel Jospin seine Demission als Premierminister ein. Kurz darauf ernannte Chirac Jean-Pierre Raffarin zum neuen Premierminister. Raffarin soll eine Regierung "de mission" führen, deren einzige Aufgabe es sein werde, die Sorgen der Franzosen ernst zu nehmen. Eine der ersten Maßnahmen dieser neuen Regierung werde darin bestehen, die staatliche Autorität wiederherzustellen und Frankreich wieder auf den Weg des wirtschaftlichen Wachstums und der Beschäftigung zu führen.

Zunächst war erwartet worden, dass die Zusammensetzung der neuen Regierung bereits am Montagabend bekannt gegeben werde. Die Feinabstimmungen bei der Auswahl der zu berufenden Minister zog sich dann aber doch länger hin als erwartet. Schließlich wurde die neue Regierung am frühen Dienstagabend (7. Mai) bekannt gegeben.

Das Kabinett Raffarin

  • PREMIER MINISTRE

    Jean-Pierre Raffarin, DL, * 1949

  • PREMIER Secrétaire d'Etat aux Relations avec le Parlement, Porte-parole du Gouvernement, auprès du Premier ministre

    Jean-François Copé, RPR, * 1964

  • PREMIER MINISTRE DE L'INTERIEUR, DE LA SECURITE INTERIEURE ET DES LIBERTES LOCALES

    Nicolas Sarkozy, RPR, * 1955

  • PREMIER Ministre délégué aux Libertés locales auprès du ministre de l'Intérieur, de la Sécurité intérieure et des Libertés locales

    Patrick Devedjian, RPR, * 1944

  • PREMIER MINISTRE DES AFFAIRES SOCIALES, DU TRAVAIL ET DE LA SOLIDARITE

    François Fillon, RPR, * 1954

  • PREMIER Ministre délégué à la Ville auprès du ministre des Affaires sociales, du Travail et de la Solidarité

    Jean-Louis Borloo, UDF, * 1951

  • PREMIER Secrétaire d'Etat à la Lutte contre la précarité et l'exclusion, auprès du ministre des Affaires sociales, du Travail et de la Solidarité

    Dominique Versini, * 1954, Leiterin Sozialhilfe Paris

  • PREMIER MINISTRE DE LA JUSTICE, GARDE DES SCEAUX

    Dominique Perben, RPR, * 1945

  • PREMIER MINISTRE DES AFFAIRES ETRANGERES, DE LA COOPERATION ET DE LA FRANCOPHONIE

    Dominique de Villepin, * 1953, bisher Generalsekretär des Elysée

  • PREMIER Ministre délégué aux Affaires européennes auprès du ministre des Affaires étrangères, de la Coopération et de la Francophonie

    Renaud Donnedieu de Vabres, UDF, * 1954

  • PREMIER MINISTRE DE LA DEFENSE ET DES ANCIENS COMBATTANTS

    Michèle Alliot-Marie, RPR, * 1946, Vorsitzende des RPR

  • PREMIER MINISTRE DE LA JEUNESSE, DE L'EDUCATION NATIONALE ET DE LA RECHERCHE

    Luc Ferry, UDF-nahestehend, * 1951

  • PREMIER Ministre délégué à l'Enseignement scolaire, auprès du ministre de la Jeunesse, de l'Education nationale et de la Recherche

    Xavier Darcos, RPR, * 1947

  • PREMIER Ministre délégué à l'Enseignement supérieur et de la Recherche, auprès du ministre de la Jeunesse, de l'Education nationale et de la Recherche

    François Loos, UDF, * 1953

  • PREMIER MINISTRE DE L'ECONOMIE, DES FINANCES ET DE L'INDUSTRIE

    Francis Mer, * 1939

  • PREMIER Ministre délégué au Budget, auprès du ministre de l'Economie, des Finances et de l'Industrie

    Alain Lambert, UDF, * 1946

  • PREMIER Secrétaire d'Etat aux PME, au Commerce, à l'Artisanat et aux Professions libérales, auprès du ministre de l'Economie, des Finances et de l'Industrie

    Renaud Dutreil, UDF, * 1960

  • PREMIER MINISTRE DE L'EQUIPEMENT, DES TRANSPORTS, DU LOGEMENT, DU TOURISME ET DE LA MER

    Gilles de Robien, UDF, * 1941

  • PREMIER Secrétaire d'Etat à la Mer, auprès du ministre de l'Equipement, des Transports, du Logement, du Tourisme et de la Mer

    Nicole Ameline, DL, * 1952

  • PREMIER Secrétaire d'Etat aux Transports, auprès du ministre de l'Equipement, des Transports, du Logement, du Tourisme et de la Mer

    Dominique Bussereau, UDF, * 1952

  • PREMIER MINISTRE DE L'ECOLOGIE ET DU DEVELOPPEMENT DURABLE

    Roselyne Bachelot-Narquin, RPR, * 1946

  • PREMIER Secrétaire d'Etat au Développement durable, auprès de la ministre ministre de l'Ecologie et du Développement durable

    Tokia Saïfi, DL, *1959, bisher MEP, EVP-Fraktion

  • PREMIER MINISTRE DE LA SANTE, DE LA FAMILLE ET DES PERSONNES HANDICAPEES

    Jean-François Mattéi, DL, * 1943

  • PREMIER MINISTRE DE L'AGRICULTURE, DE L'ALIMENTATION, DE LA PECHE ET DES AFFAIRES RURALES

    Hervé Gaymard, RPR, * 1960

  • PREMIER MINISTRE DE LA CULTURE ET DE LA COMMUNICATION

    Jean-Jacques Aillagon, * 1948, bisher Direktor des Centre Pompidou

  • PREMIER MINISTRE DE LA FONCTION PUBLIQUE, DE LA REFORME DE L'ETAT ET DE L'AMENAGEMENT DU TERRITOIRE

    Jean-Paul Delevoye, RPR, * 1947

  • PREMIER MINISTRE DE L'OUTRE-MER

    Brigitte Girardin, * 1953

  • PREMIER MINISTRE DES SPORTS

    Jean-François Lamour, * 1956, 1984 und 1988 Olympiasieger im Degenfechten

"Mission 9./16. Juni"

  • In den französischen Medien wurde die neue Regierungsmannschaft mit großer Zustimmung aufgenommen. " Jean-Pierre Raffarin ose le renouvellement" (wagt die Erneuerung, Le Figaro, 8. Mai). Nach der Verfassung ernennt der Präsident die Minister auf Vorschlag des Premierministers. Doch hat Präsident Chirac auf die Zusammensetzung des neuen Kabinetts maßgeblichen Einfluß genommen. So fragt man sich denn auch, inwieweit die Regierung jene von Jacques Chirac oder gar Alain Juppé ist und nicht jene von Jean-Pierre Raffarin.
  • In einem Fernsehauftritt nach der Ernennung der neuen Minister betonte Raffarin nochmals, dass seine Regierung vor allem eine Regierung der Kompetenz, der Aktion und der Union sei. Seine Regierung werde auf die Sorgen der Bürger hören. Zu lange sei in Frankreich von oben herab regiert worden, er werde nun ein "gouvernement d'en bas" führen. Bescheidenheit werden den Regierungsstil prägen, Minister seien Diener der Bürger und des Staates.
  • Die neue Regierung werde nun rasch, aber überlegt und in großer Einigkeit handeln, um noch vor den Parlamentswahlen am 9. und 16. Juni die ersten Reformmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Dazu gehöre auch eine Bestandsaufnahme der Finanzen (Audit).
  • Oberste Priorität genieße die Wiederherstellung der inneren Sicherheit. Hierzu werden die Polizei, Gendarmerie und die Spezialeinheiten unter dem Dach des (in seiner Kompetenz wesentlich erweiterten) Innenministeriums zusammengeführt (bisher teilweise beim Verteidigungsministerium). " Impunité zéro" (keinerlei Straffreiheit) werde die Aktion zur Wiederherstellung der inneren Sicherheit bestimmen.
  • Zweite Priorität der neuen Regierung sei die Freisetzung der privaten unternehmerischen Kräfte und der Eigenverantwortung der Bürger. Noch für die Einkommenssteuer 2001 werde eine Senkung von 5% beschlossen. Die rigiden Reglementierungen des Arbeitsmarktes sollen gelockert werden, die Bürokratie soll zurückgedrängt werden, um vor allem der klein- und mittelständischen Industrie mehr Atemluft zu geben. Ziel sei es, Frankreich wieder auf den Weg des Wachstums und der Beschäftigung zu führen.
  • Eine weitere Priorität der neuen Regierung werde die Reform der Rentenversicherung (Umstellung auf Kapitaldeckung) und des notleidenden Gesundheitswesens sein.

Die wichtigsten Minister

  • Den politischen Prioritäten der neuen Regierung entspricht auch ihre personelle Zusammensetzung.
  • Unumstritten zweiter Mann der neuen Regierung ist Nicolas Sarkozy. Er hat die wichtige und sicher auch komplizierte Aufgabe, relativ rasch Erfolge bei der Verbesserung der inneren Sicherheit vorweisen zu müssen. Er nimmt damit eine Schlüsselfunktion im neuen Kabinett ein. Sarkozy hatte schon lange vor den Präsidentenwahlen seinen Anspruch auf das Amt des Premierministers geltend gemacht.

Präsident Chirac hat indes Raffarin den Vorzug gegeben. Sicher auch, weil Raffarin erkennbarer den von Chirac propagierten Wandel der Regierungspolitik verkörpert. Raffarin ist außerdem ein deutliches Angebot auch an jene Wähler, die Chirac bei der zweiten Runde der Präsidentenwahlen nur deshalb ihre Stimme gegeben haben, weil sie gegen Le Pen stimmen wollten. Sarkozy wurde für einige Zeit auch als Wirtschafts- und Finanzminister gehandelt. Dieses Ministerium soll er aber abgelehnt haben. Chirac gelang es wohl, ihm das neue Superministerium für innere Sicherheit schmackhaft zu machen.

  • Eine nicht minder schwierige Aufgabe wie Nicolas Sarkozy erwartet François Fillon. Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes und die Reform der Sozialversicherung dürften einer Herkulesaufgabe gleichkommen. Raffarin betonte bei der Präsentation seines Kabinetts, dass diese Reformen nur im Dialog mit den Sozialpartner erfolgen werden. Fillon (bisher Präsident der Région Pays de la Loire) ist in der Vergangenheit zwar nicht unbedingt als Experte auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialwesens aufgefallen, er gilt aber als politisches Schwergewicht der jüngeren RPR-Garde.
  • Auf Francis Mer kommt die kaum lösbare Aufgabe zu, die finanziellen Voraussetzungen für das Programm der neuen Regierung zu schaffen. Schon vor den Wahlen hat Präsident Chirac allerdings angedeutet, dass Frankreich das im Rahmen der EU festgelegte Ziel, im Jahr 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, wohl erst im Jahr 2007 erreichen werde (sinnigerweise zum Ende seiner Amtszeit). Francis Mer kommt aus der ehemals staatlichen Stahlindustrie, kennt also Wirtschaft und Politik gleichermaßen.
  • Michèle Alliot-Marie wäre wohl lieber Präsidentin der zukünftigen Nationalversammlung geworden. Das Amt des Verteidigungsministers entsprach offenbar nicht ihren Präferenzen. Zumindest berichteten die Medien über ein Gespräch von einundeinhalb Stunden, das sie mit Präsident Chirac führte. Für ihn war es sicher wichtig, Michèle Alliot-Marie in die Kabinettsdisziplin einzubinden, denn ihr Widerstand gegen das Projekt der Partei UMP ist bekannt.
  • Mit François Mattei gelangt ein ausgewiesener Experte für Fragen der Familienpolitik, der Gesundheitspolitik und aller bioethischen Fragen an die Spitze dieses Ministeriums. Auch wenn er der Partei DL angehört, nimmt Mattei in diesen Fragen dezidiert christdemokratische Positionen ein. Mattei ist ein großer Gewinn für die öffentliche Debatte dieser Fragen und für die Gestaltung einer Politik, die auf christlichen Werten begründet ist.
  • Zu den "Schwergewichten" in der neuen Regierung zählt gewiss auch der Justizminister Dominique Perben. Er ist zudem ein enger Vertrauter von Präsident Chirac.
  • Ein großer Gewinn für die Europapolitik Frankreichs und die deutsch-französischen Beziehungen ist die Ernennung von Renaud Donnedieu de Vabres zum Europaminister. Er war ehemals Büroleiter und engster Vertrauter von François Léotard. Seit 1997 ist er Abgeordneter für Tours. Darüber hinaus ist er ein enger Freund der Konrad-Adenauer-Stiftung Paris.
  • Mit dem Philosophen Luc Ferry als Erziehungsminister und dem Leiter des Center Pomipdou Jean-Jacques Aillagon als Kulturminister wurden zwei Vertreter der "Zivilgesellschaft" ins Kabinett geholt.
  • Der neue Außenminister Dominique de Villepin war bisher Generalsekretär des Elysée und damit einer der engsten Vertrauten von Präsident Chirac, nach Madame Chirac und seiner Tochter Claude. Präsident Chirac setzt damit eine gewisse Tradition fort. Die Ernennung von de Villepin dürfte allerdings auch einige Politiker verärgert haben, die sich Hoffnung auf dieses Amt gemacht hatten. Ihm wird außerdem noch immer angelastet, dass er die Entscheidung der Auflösung des Parlaments im Jahre 1997 wesentlich mitbeeinflusst hat.
  • Dies führt zu einigen wichtigen Namen, die auf der neuen Kabinettsliste nicht enthalten sind: Philippe Douste-Blazy hatte auf das Außenministerium gehofft, ihm wurde, das Erziehungsministerium angeboten. Er lehnte ab und ließ wissen, er ziehe sein Amt als Bürgermeister von Toulouse vor. Auch Jean-Louis Debré erklärte, er wolle lieber Bürgermeister von Evreux bleiben. Jacques Barrot war am Montag immer wieder als neuer Wirtschafts- und Finanzminister gehandelt worden. Offenbar hat er jedoch das Amt abgelehnt. Nicole Fontaine schien lange Zeit auf das Amt der Europaministerin hoffen zu dürfen. Auch Michel Barnier soll das Angebot eines Ministeriums (Erziehung) abgelehnt haben.
  • Zum Kabinett mit seinen insgesamt 27 Ministern und Staatssekretären zählen nur sechs Frauen. 11 Kabinettsmitglieder gehören dem RPR an, sechs der UDF und vier der Démocratie Libérale. Sechs Mitglieder sind parteilos.
  • Auch wenn die Besetzung der Ministerien zahlenmäßig ausgeglichen zu sein scheint, so besetzten doch RPR-Mitglieder den Großteil der wichtigsten Ministerien. Es ist zu hoffen, dass diese Arithmetik sich bald erübrigt, wenn nämlich die Partei Union pour la Majorité Présidentielle (UMP) zur Sammlungsbewegung von RPR, UDF und DL geworden sein wird.

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