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Länderberichte

Die Ukraine ein Jahr nach der orangenen Revolution

von Ralf Wachsmuth †

Enttäuschung statt Aufbruchstimmung

Vor 2 Wochen, am 22. November 2005, versammelten sich mehr als 100.000 Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, um den 1. Jahrestag des Beginns der orangenen Revolution feierlich zu begehen und um den „Geist des Majdan“ des vergangenen Jahres wieder aufleben zu lassen. Doch vielen der Anwesenden, die im vergangen Jahr aktiv am Erfolg der friedlichen Revolution mitgewirkt hatten, war nicht zum Feiern zumute. Die Hoffnungen und Erwartungen, die an das Traumpaar der Freiheitsbewegung, Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko, geknüpft waren, haben sich nicht erfüllt. Enttäuschung über die bestenfalls durchwachsene Bilanz nach einem Jahr und Ratlosigkeit über den zukünftigen Kurs dämpften die Stimmung und – so die Befürchtung – bilden den Humus, auf dem die alten, längst tot geglaubten Kräfte um den ex-Premier Janukowytsch prächtig gedeihen. Die Menschen auf dem Majdan hofften auf das erlösende Zeichen einer Versöhnung zwischen dem Präsidenten und seiner geschassten Premierministerin. Aber es blieb aus. Wie soll es nun weitergehen in der Ukraine vier Monate vor den Parlamentswahlen und etwa einen Monat vor dem Inkrafttreten der Verfassungsreform? Viele Fragen – aber keine Antworten auf dem Majdan.

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Die Ukraine nach einem Jahr „orange“

Die Bilanz der 7-monatigen Regierung von Timoschenko war ernüchternd. Das Wirtschaftswachstum ist durch ihren eigenartigen Zick-Zack Kurs von etwa 12 Prozent 2004 auf unter 4 Prozent abgestürzt. Aus einem Außenhandelsüberschuss ist ein Defizit geworden, das nicht nur mit der Aufwertung der einheimischen Währung begründet werden kann. Ausländische Investoren machen bis auf wenige Ausnahmen trotz des großen Potenzials des Landes entweder einen Bogen um die Ukraine, verschieben Investitionen oder bauen sogar Arbeitsplätze ab. Die Inflation wurde angeheizt und der Haushalt 2006 steht aufgrund von großzügigen sozialpolitischen Geschenken auf wackeligen Beinen. Wären nicht durch die Versteigerung des Unternehmens Kryworishstal 4,8 Mrd. Dollar in den Staatshaushalt geflossen, wäre die finanzielle Situation noch ernster. Die von Juschtschenko versprochenen eine Million neuer Arbeitsplätze pro Jahr bleiben Utopie. Die Bekämpfung der Korruption tritt auf der Stelle. Nach einigen unbestreitbaren Anfangserfolgen der Steuer- und Zollbehörden, die auch zu höheren Staatseinnahmen führten, nimmt die Korruption wieder zu. Da das Risiko, erwischt zu werden, größer geworden ist, werden neuerdings „Risikozuschläge“ verlangt. Eine Justizreform, die den Namen verdient, ist noch nicht einmal in Ansätzen zu erkennen. Die ohne Zweifel notwendigen administrativen Reformen sind – vernünftigerweise – erst einmal auf die lange Bank geschoben worden. Nachdem Juschtschenko vor einigen Monaten das Rücktrittsgesuch des 1. Vizepremiers für administrative Reformen Bessmertny, der nebenbei auch den Aufbau der Partei Volksunion Nascha Ukraine bewerkstelligen soll, noch abgelehnt hatte, hatte er nun ein Einsehen und entband ihn von diesem Posten, so dass er sich nun mit ganzer Kraft der Partei und dem Wahlkampf widmen kann.

Auch die außenpolitische Bilanz ist alles andere als eine Erfolgsstory. Das Image der Ukraine hat sich zweifellos zum Positiven gewandelt. Aber greifbare Ergebnisse sind rar. Ob es der Ukraine gelingt, noch in diesem Jahr – und das würde bedeuten vor Russland – Mitglied der WTO zu werden, ist zweifelhaft. Die EU aber hat der Ukraine am 1. Dezember den Status einer Marktwirtschaft verleihen. Wenn es aber um das wichtige Thema EU-Mitgliedsperspektive geht, zeigt die EU der Ukraine weiterhin die kalte Schulter. Selbst eine Erleichterung des Visa-Regimes stellt eine fast unüberwindliche Hürde dar. Russland hat es da viel leichter: Trotz Tschetschenien, einer gelenkten Demokratie und einer fast nicht mehr vorhandener Pressefreiheit gelang es der russischen Regierung, Visaerleichterungen bei der EU durchzusetzen. Das Verhältnis zu Russland erreichte unter Timoschenko einen Tiefpunkt. Die Wiederbelebung des GUAM und die Gründung der Community of Democratic Choice Anfang dieses Jahres auf Initiative des georgischen und ukrainischen Präsidenten, öffentlich begeistert unterstützt von den Polen und Balten und im Hintergrund von den USA, mag zwar von symbolischer Bedeutung sein, wird Präsident Putin allerdings bestenfalls ein müdes und mitleidiges Lächeln entlocken. Auch in Sachen Diversifizierung der Energieeinfuhren kommt die Ukraine nur mühsam voran. Die Idee, verstärkt Öl und Gas aus dem Iran zu importieren, wurde nach einem Einspruch der Amerikaner sogleich zu Grabe getragen. Vermutlich auf russischen Druck hin gestalten sich die Energiegespräche mit Kasachstan und Turkmenistan schwierig und auch die Verhandlungen mit Russland selbst über die Preise und Zahlungsmodalitäten stecken in der Sackgasse.

Doch es gibt auch Positives zu vermelden. Das Einkommen der unteren Schichten der Bevölkerung hat sich erhöht. Es droht allerdings von der Inflation zum großen Teil wieder aufgefressen zu werden. Sollten die Energiegespräche mit Russland scheitern, drohen massive Preiserhöhungen auf diesem Sektor, die die Inflation kräftig in die Höhe schnellen lassen können. Fortschritte sind auch im Bereich der Presse- und Informationsfreiheit zu verzeichnen. Die Ukraine hat sich in den 12 Monaten seit dem Beginn der orangenen Revolution zu einem Land entwickelt, in dem Pressefreiheit Realität geworden ist. Nach einer Meinungsumfrage teilen 56 Prozent der Bevölkerung die Meinung, dass die Medien erheblich freier, ausgewogener und professioneller über politisch relevante Themen berichten und einen Beitrag zur demokratischen Entwicklung leisten. Leider ist es bislang noch nicht zur Gründung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks gekommen. Nach Meinung des Präsidenten ist es dafür noch zu früh, obwohl derselbe Präsident nach seiner Wahl genau das Gegenteil verkündet hatte. Auch die Entkommunalisierung der lokalen und regionalen Medien kommt nur schleppend voran.

Auf der Positivseite zu verbuchen ist ferner die unbestreitbare Tatsache, dass die Bevölkerung allen voran die junge Generation an Selbstbewusstsein hinzu gewonnen hat und die Ukraine in der Weltöffentlichkeit wieder positiv wahrgenommen wird. Die Ukraine unter Juschtschenko ist eine andere als die unter Kutschma.

Der neue Premierminister Jechanurow hat eine schwere Erblast übernommen. Der eher unauffällige und als Technokrat beschriebene Politiker ohne große politische Ambitionen, der erst im zweiten Anlauf und mit den Stimmen der Partei der Regionen ins Amt gehievt werden konnte, versucht mit einer Politik der ruhigen Hand die Ukraine wieder auf Kurs zu bringen. Und dies nicht ohne Erfolg, wie es scheint. Einen Rachefeldzug gegen die Oligarchen zu führen, wie es Timoschenko vergeblich versuchte, ist ihm fremd. Seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen kommen den von Juschtschenko propagierten erheblich näher als die staatsinterventionistisch angehauchten Konzepte seiner Vorgängerin. Trotz aller Vorschusslorbeeren, die die Regierung Jechanurow erhielt, sollte man sich davor hüten, von ihm Wunder zu erwarten. Die politische, soziale und wirtschaftliche Situation im Lande ist immer noch instabil. Soviel ist sicher: Bis zum Wahltag am 26. März nächsten Jahres werden sich angesichts des Wahlkampfs und der unsicheren Mehrheiten im Parlament keine grundlegenden radikalen Reformen umsetzen lassen. Jechanurow wird versuchen, seine Politik der kleinen Schritte, auch was die Verbesserung des Verhältnisses zu Russland betrifft, mit Augenmass fortzusetzen und seine Regierung bis zu den Wahlen hinüber zu retten. Man darf gespannt sein, ob ihm dies nach dem Inkrafttreten der Verfassungsreform am 1. Januar 2006 gelingen wird, oder ob es zu Kraftproben mit der Opposition kommen wird.

Politik im Schatten der Wahlen

Der Wahlkampf hat am 26. November offiziell begonnen. Die Parteien haben bis zum 25. Dezember Zeit, ihre Kandidaten zu benennen. Schon seit Wochen finden hinter den Kulissen Verhandlungen zwischen den einzelnen Parteien über mögliche gemeinsame Wahllisten statt. Die Tatsache, dass auf der Feier am 22. November Timoschenko und Juschtschenko aufeinander zugingen, ist weniger dem Wunsch nach Versöhnung zuzuschreiben, sondern vielmehr das Resultat beunruhigender Meinungsumfragen, die die Partei der Regionen von Janukowytsch vorne sehen. Seine Partei hat es geschafft, durch Nichtstun an die Spitze zu kommen, während die Parteien der frühren Hoffnungsträger ständig an Boden verlieren. Juschtschenko und Timoschenko sind für die drohende politische Katastrophe gleichermaßen verantwortlich. Bedingt durch die unendlichen Konflikte und Skandale, eine wenig erfolgreiche Wirtschaftspolitik und sein ständiges Zaudern und Zögern sind beide in den Meinungsumfragen in den vergangenen Monaten abgestürzt: nur noch 28 Prozent der Bevölkerung haben Vertrauen zu Juschtschenko. Timoschenko steht mit 30 Prozent nicht viel besser da. Vor allem im Osten ist die Lage für beide hoffnungslos. Ihre Sympathiewerte liegen mit 2 bis 4 Prozent irgendwo im Niemandsland. Überraschenderweise, so eine Umfrage des Kiewer Instituts für Soziologie, hat Juschtschenko besonders im Zentrum des Landes an Zustimmung eingebüßt: von 74,3 Prozent vor einem Jahr auf 36,7 Prozent jetzt. Überhaupt scheint sich der West – Ost Gegensatz verfestigt zu haben. Glaubt man der Umfrage des o.g. Instituts, vertreten 35 Prozent der Bevölkerung die Meinung, dass sich Ost und West sogar feindlich gegenüber stehen und 11 Prozent meinen, dass sich Gegensatz im Laufe des Jahres verschärft hat. Keine guten Aussichten für die Wahlen 2006. Weder Nascha Ukraina noch die Partei Batkiwschtschyna von Julia Timoschenko werden im Osten ein Bein auf die Erde bekommen. Anders herum wird es der Partei der Regionen im Westen kaum besser ergehen. Die Wahlen 2006 werden voraussichtlich ein Abbild der letzten Präsidentschaftswahlen werden, mit dem Unterschied, dass Juschtschenkos Partei möglicherweise schlechter abschneiden wird als die Partei der Regionen. Der Osten fühlt sich noch heute um den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen betrogen und sinnt auf Rache. Hinzu kommt, dass sich die Regierung recht wenig um die Belange des Ostens kümmerte. Der Donbass ist ein soziales Pulverfass, das während des Wahlkampfs zur Explosion kommen kann. Nur eine gemeinsame Liste von Nascha Ukraina und Batkiwschtschyna kann einen Wahlsieg der „Blauen“ noch verhindern. Dass es bis zum 25. Dezember dazu kommt, ist eher unwahrscheinlich.

Beide Parteien basteln unabhängig von einander an Allianzen. Nascha Ukraina konnte mit dem Rukh von Tarasjuk, dem KUN, der CDU und der Partei der Unternehmer und Industriellen von Kinach einige kleine Parteien bereits an sich binden. Die früheren Partner in der Wahlallianz Nascha Ukraina Reformen und Ordnung (Pinsenyk) und Ukrainische Volkspartei (Kostenko) haben sich noch nicht festgelegt. Die Partei Reformen und Ordnung ist gespalten in einen Teil unter der Führung des ex-Vizepremiers Tomenko, der zum Block Julia Timoschenko überlief und einen anderen Teil, der eher in Richtung Nascha Ukraina tendiert. Die Aussichten, dass Reformen und Ordnung wenn auch nicht komplett mit Nascha Ukraina eine gemeinsame Liste bildet, stehen aber nicht schlecht.

Die außergewöhnlich hohe Präsenz von Unternehmern und Interessensvertretern der Wirtschaft im Parlament ist kein Zufall, sondern systembedingt der Preis, den die ukrainische Demokratie für eine miserable staatliche Wahlkampffinanzierung und eine nicht vorhandene Offenlegung der Finanzierung von Parteien zu zahlen hat. Praktisch jede Partei ist auf finanzstarke Geldgeber angewiesen. Millionäre befinden sich selbst in der kommunistischen Partei. Ein Parlamentsmandat bot bisher Schutz vor Strafverfolgung und galt als sichere Quelle für die Vermehrung persönlichen Eigentums. Dass sich daran nach dem 26. März etwas ändert, ist höchst unwahrscheinlich. Die bis zum 25. Dezember vorliegenden Kandidatenlisten werden zeigen, ob im Parlament der dringend notwendige Elitenwechsel stattfindet oder nicht.

Neben Nascha Ukraina (die aktuellen Ratingswerte nach Umfrage unterschiedlicher Meinungsforschungsinstitute liegen zwischen 12,1% - 15%) werden die Partei der Regionen (19,9% – 23,9%), Bündnis Julia Timoschenko (14,5% - 16%), die Kommunisten (5,6% - 6,5%), Sozialisten (6,3% – 7,9%), die Volkspartei der Ukraine (Vorsitzender Parlamentspräsident Lytwyn, 4,3 - 5,6%) und möglicherweise die Progressiven Sozialisten von Natalija Witrenko (2% - 3%) die 3-Prozent Hürde meistern. Für konkrete Vorhersagen ist es noch zu früh. Mehr als 75 Prozent der Wahlberechtigten haben die Absicht, auf alle Fälle von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Mehr als 25 Prozent haben sich aber noch nicht auf eine Partei festgelegt. Der Wahlausgang ist demnach noch völlig offen.

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