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Länderberichte

Ende einer Karriere-Tunesischer Gewerkschaftsboss abgesetzt

von David Robert
Am 21. September 2000 endete die Kariere eines der starken Männer des politischen Systems in Tunesien. Gewerkschaftsführer Ismail Sahbani, der die Gewerkschaft 11 Jahre führte, wurde unter Korruptionsvorwürfen abgesetzt. Sahbani war ein treuer Weggefährte von Präsident Ben Ali seit dessen Machtübernahme im Jahre 1987. Sahbanis Verdienst war es, die unter Bourguiba immer selbstbewußte und sich als Gegenpol zum System verstehende Gewerkschaftsbewegung gezähmt zu haben.

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Heute ist die UGTT (Union Générale des Travailleurs Tunisiens) festeingegliedert in das hegemoniale System der Regierungspartei Ressemblement Constitutionell Démocratique (RCD). Hintergrund des Sturzes des Gewerkschaftsführers dürfte weniger seine schamlose Art der Bereicherung gewesen sein, als vielmehr seine zunehmenden politischen Ambitionen. Sahbani vermittelte zunehmend den Eindruck, er sei der zweite starke Mann im Staate und könne Präsident Ben Ali beerben.

In der Gewerkschaft gab es vermehrt Gedankenspiele, daß man bei den nächsten Wahlen als politische Liste antreten könnte und somit erstmals eine ernstzunehmende Herausforderung für den RCD darstellen könnte. Dieser immer wieder ins Spiel gebrachte Machtanspruch sorgte seit Dezember 1999 für einen Machtkampf hinter den Kulissen zwischen RCD und der Sahbani-Gewerkschaft. Erstes öffentliches Anzeichen für Beobachter war die gewalttätige Verhinderung einer alljährlichen Gedenkdemonstration für den historischen Gewerkschaftsführer Farhat Hached am 4. Dezember 1999.

Diese Demonstration wurde eine Stunde vor Beginn verboten und zwang Sahbani in eine ungewollte Konfrontation mit dem politischen System. Ohne Gesichtsverlust war eine Absage dieser Traditionsdemonstration nicht mehr möglich und so mußte Sahbani gegen seinen Willen Führung zeigen. Dieses Ereignis war sicher für viele ein Hinweis, daß Sahbani nicht mehr die volle Unterstützung aus dem Präsidentenpalais in Karthago geniesst.

Die langsame Distanzierung einiger Gewerkschaftsführer dürfte spätestens zu diesem Zeitpunkt begonnen haben. Niemand möchte allzu intensive Freundschaftsbeziehungen zu jemandem haben, der beim Präsidenten in Ungnade gefallen ist. Es folgten Monate, in denen es zu auffällig vielen Streiks oder Streikandrohungen kam. Inwieweit jeder einzelne Streik Bezug zum internen Machtkampf hatte, läßt sich nur schwer beurteilen.

Inszeniert wurde die Absetzung als Selbstreinigung der Gewerkschaft. Das Exekutivbüro selbst überführte Sahbani mit seinen Machenschaften. Die offizielle Berichterstattung erweckt den Eindruck, es handele sich um eine gewerkschaftsinterne Angelegenheit. Unbeantwortet bleibt die Frage, warum der Gewerkschaftsvorstand, der nach eigenen Angaben seit sieben Monaten über die Vorgänge informiert war, nicht früher Aufklärung verlangte, sondern mit einem Paukenschlag die Absetzung verkündete.

Der neue Mann: ein Übergangskandidat

Der neue Mann an der Spitze der Gewerkschaft ist Abdessalem Jérad, ein älterer, bisher eher unauffälliger Mann, der sicherlich nur Übergangskandidat ist. Jerad wurde 1937 auf Kerkennah geboren, einer Insel bei Sfax, ca. 200 km südlich von Tunis. Seine gewerkschaftliche Laufbahn begann er 1961 in der Gewerkschaft für Transport und Speditionen.

Im Jahre 1978 war er unter Präsident Bourguiba für sechs Monate wegen seiner gewerkschaftlichen Arbeit inhaftiert. Im gleichen Jahr trat er auch erstmals in das oberste Führungsgremium der UGTT, dem "bureau exécutif", ein. Nach dem Machtwechsel 1987 durch Zine Ben Ali wurde er 1989 erneut ins Exekutivbüro gewählt. 1989 war das Jahr, in dem auch Sahbani die Führung der Gewerkschaft übernahm und der ganze Verband auf die neue Parteilinie von Präsident Ben Ali und dem RCD gebracht wurde.

Auffällig am Machtwechsel in der Gewerkschaft ist, daß die herrschende Partei RCD keinen ihr genehmen Nachfolger auf den Posten des Generalsekretärs bringen konnte. Der Sturz Sahbanis wurde offensichtlich betrieben, ohne dass es eine echte Alternative gab. Dieses Verfahren ist nicht ohne Risiken für das System Ben Ali, da dies regimeferne Kreise in der Gewerkschaft nutzten könnten, ihren Spielraum wieder zu vergrößern. Die große Zeit der 70er und 80er Jahre, als die UGTT sich noch Machtproben mit dem System leisten konnte, haben viele noch nicht ganz vergessen.

So dient es sicherlich nicht der Glaubwürdigkeit, daß nach einer solchen Krise ein außerordentlicher Gewerkschaftskongreß vom neuen Vorsitzenden als nicht notwendig erachtet wird.

Affäre Sahbani könnte destabilisieren

Die Korruptionsvorwürfe und der angestrebte Prozeß gegen Sahbani könnten in der Bevölkerung gewisse destabilisierende Effekte für das System hervorrufen. In der öffentlichen tunesischen Meinung ist Sahbani ein Weggefährte Ben Alis und jahrelang eine Stütze des Systems gewesen. Niemand glaubt, daß er Dinge machen konnte, die andere nicht wußten. Die genaue Beschreibung seiner Unterschlagungen und Bereicherungen geben vielen einen Einblick, wie es eventuell in der ganzen politischen Klasse zugeht.

Der Versuch, alle Verfehlungen alleine an der Person Sahbani festzumachen, dürfte bei vielen Menschen seine Wirkung verfehlen. In einem Staat, in dem alles der peinlichsten Kontrolle unterliegt, ist es nur schwer vermittelbar, dass das Ansammeln von größeren Summen sowie von Immobilien im In- und Ausland geschehen kann, ohne das offizielle Stellen hiervon Kenntnis erlangt haben. Neben diesem Einblick in das Innenleben der politischen Elite, welcher sicherlich den moralischen Kredit des Systems weiter untergräbt, geht von der Affäre eine weitere Botschaft aus. Kein noch so treuer Anhänger des System kann sicher sein, nicht doch fallen gelassen zu werden.

Dies kann vorerst disziplinierend wirken, aber in günstigen Momenten auch die Neigung stärken, die Seiten schneller zu wechseln als gedacht, wenn es ratsam erscheint. Die entsolidarisierende Wirkung der Affäre Sahbani auf die Anhänger wird das System erst in einer Krisensituation ermessen können.

Abzuwarten bleibt es, in welcher Form man Sahbani den Prozeß machen wird. Am 28.09.2000 erschien er vor dem Untersuchungsrichter. Offiziell Anklage erhoben wurde allerdings noch nicht. Unklar bleibt auch, ob das herrschende System einen Musterprozeß inszenieren möchte oder in letzter Konsequenz auf eine Aburteilung verzichtet wird.

Der nach der Affäre neu zusammengesetzte Vorstand der UGTT besteht aus den gleichen Personen wie vorher. Weitere Personen wurden bisher nicht wegen Mißmanagement zur Rechenschaft gezogen. In der Presse wird jedoch die Drohung wiederholt, dass alle, die irgendwie beteiligt waren, belangt werden sollen.

Abzuwarten bleibt, ob dies nur Drohungen sind, Freunde Sahbanis zu disziplinieren oder ob weitergehende "Säuberungen" der Gewerkschaftsgremien geplant sind. Von Interesse wird ebenfalls sein, zu welchen Ergebnis eine vom Internationalen Gewerkschaftsbund entsandte Untersuchungsdelegation im Falle Sahbani kommen wird. Einige unangenehme Fragen werden in diesem Zusammenhang sicherlich gestellt werden.

Neuer Gewerkschaftsvorstand

Abdessalem Jerad Generalsekretär
Hédi Ghodhbani stellv. G.S. zuständig für interne Angelegenheiten
Ridha Bouzriba stellv. G.S. zuständig für Finanzen und Verwaltung
Mohamed Trabelsi stellv. G.S. zuständig für die auswärtigen Beziehungen
Mohamed Chendoul stellv. G.S. zuständig für Information und interne Kommunikation und Publikationen
Messaoud Ennaji stellv. G.S. zuständig für öffentliche Verwaltung und Führungskräfte
Moncef Aguir stellv. G.S. zuständig Privatwirtschaft und Gewerkschaftsfirmen
Slimane Mejdi stellv. G.S. zuständig für öffentliche Einrichtungen
Mohamed Touati stellv. G.S. zuständig für gewerkschaftliche Fortbildung und Bildungsarbeit
Abid Briki stellv. G.S. zuständig für Studien
Salem Abdelmajid stellv. G.S. zuständig für soziale Sicherung, Arbeitsplatzschutz
Mustapha Ben Ahmed stellv. G.S. zuständig für Arbeiterjugend, Frauen und Vereinigungen

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Kontakt

Dr. Holger Dix

Dr. Holger Dix

Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Subsahara-Afrika, Interimsleiter des Auslandsbüros Südafrika

holger.dix@kas.de +27 11 214 2900 +27 11 214 2914

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Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in rund 110 Ländern auf fünf Kontinenten mit einem eigenen Büro vertreten. Die Auslandsmitarbeiter vor Ort können aus erster Hand über aktuelle Ereignisse und langfristige Entwicklungen in ihrem Einsatzland berichten. In den "Länderberichten" bieten sie den Nutzern der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung exklusiv Analysen, Hintergrundinformationen und Einschätzungen.

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