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The White House

Länderberichte

Indien und die USA

von Alicia Pommer

Von „entfremdeten Demokratien“ zu globalen Gestaltern?

Die Partnerschaft zwischen den zwei größten Demokratien der Welt, Indien und den USA, ist eine der strategisch bedeutendsten des 21. Jahrhunderts. Bis zuletzt befand sie sich im Allzeithoch. Dies war jedoch nicht immer der Fall. Erst mit Beginn der 1990er Jahre sind beide Staaten allmählich aus den Zwängen der bipolaren Weltordnung herausgetreten. Aus einer Zweckbeziehung ist eine vielversprechende Arbeitsbeziehung entstanden, die sich auf viele strategische Bereiche erstreckt – vom Handel über die Verteidigung bis hin zu gemeinsamen Raumfahrtmissionen. Wie kam dieser Wandel zustande und welche Potenziale bergen die indisch-amerikanischen Beziehungen füreinander sowie für die Wahrung einer freien und regelbasierten Ordnung im Indo-Pazifik und darüber hinaus?

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Im Juni dieses Jahres adressierte Premierminister Narendra Modi bereits zum zweiten Mal die Joint Session des US-Kongresses. Seinen ersten Auftritt dort hatte Modi 2016 noch unter der Obama-Administration. Diese besondere Aufmerksamkeit brachte das US-Parlament nur wenigen Politikern entgegen: dem früheren britischen Premierminister Winston Churchill, dem südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela und zuletzt dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky. In seiner Ansprache resümierte Modi:

„Als ich die USA zum ersten Mal als Premierminister besuchte, war Indien die zehntgrößte Volkswirtschaft der Welt. Heute ist Indien die fünftgrößte Volkswirtschaft. Und bald wird Indien die die drittgrößte Volkswirtschaft sein. Wir werden nicht nur größer, sondern wir wachsen auch schneller. Wenn Indien wächst, wächst die ganze Welt.

Das nationale Selbstbewusstsein rührt nicht von ungefähr. Indien ist ein Land der Superlative. Das bevölkerungsreichste Land der Welt ist nicht nur die größte Demokratie der Welt, sondern zählt auch zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. In einer zunehmend multipolaren Weltordnung bleibt Indien als regionale Macht ein unverzichtbarer Partner Amerikas. Als Stabilitäts- und Wachstumsfaktor in Asien, zur Eindämmung der chinesischen Aggression, zur Verfechtung einer freien und regelbasierten Ordnung im Indo-Pazifik und darüber hinaus, zur Aufrechterhaltung robuster globaler Lieferketten, im gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel.

 

Von „Hello, Stranger!“ zu „Howdy, Modi!“: Indiens Verhältnis zu den USA

Noch während des Ost-West-Konflikts fanden die beiden größten Demokratien nie zu einer dauerhaften Zusammenarbeit. Die Hauptgründe hierfür lagen in den asymmetrischen Machtkalkülen im damaligen Korsett der bipolaren Weltordnung: Indiens enge Anlehnung an die Sowjetunion, der verschärfte indisch-pakistanische Antagonismus durch die indirekte amerikanische Beteiligung im Bangladesch-Krieg 1971[1] sowie die Vertiefung der US-amerikanischen Chinapolitik. Erst seit Beginn der 1990er Jahre veränderte sich die Tonlage und es wurden aus vormals „entfremdeten Demokratien“ allmählich „strategische Partner“ bzw. „natürliche Verbündete.“ Nach einer kurzweiligen Verhärtung der Beziehungen im Zuge der indischen Durchführung von Nukleartests im Jahr 1998 eröffneten sich mit der zunehmenden Liberalisierung der indischen Wirtschaft seit 1991 auch neue strategische Handlungskorridore für beide Länder. Seit 2000 war es allen US-Regierungen, von Bill Clinton bis Joe Biden, ein zentrales Anliegen, eine enge Arbeitsbeziehung mit Indien zu pflegen. Im Vordergrund dieser Überlegung stand Indien als Gegengewicht zum aufstrebenden Rivalen China, insbesondere im Indo-Pazifik, aber auch darüber hinaus, wie zur Eindämmung des globalen Terrorismus. Trotz verschiedener Regierungen mit unterschiedlichen innen- und außenpolitischen Zielsetzungen haben sich die bilateralen Beziehungen über die letzten drei Jahrzehnte hinweg intensiviert.

Darüber hinaus hat in den letzten Jahren die Rolle der etwa 20 Millionen starken indischen Diaspora (wovon ca. 2,5 Millionen in Nordamerika leben) als Lobbygruppe für ein engeres indisches-amerikanisches Verhältnis an Bedeutung gewonnen. Mit der Beteiligung der zweitgrößten Einwanderergruppe hat sich das bilaterale Handelsvolumen innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verfünffacht. Inzwischen sind die CEOs der Worldbank (Ajay Banga), von Google und Alphabet Inc. (Sundar Pichai), Microsoft (Satya Nadella) und von IBM (Arvind Krishna) indischen Ursprungs, ebenso die CEOs von drei der fünf renommiertesten amerikanischen Businessschools. Auf dynamische Weise prägen und gestalten die Indian Americans somit den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Diskurs in einem nicht unerheblichen Maß. 
Anlässlich der jährlichen Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2019 adressierte der indische Premier gemeinsam mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump die indische Diaspora in einem gigantischen „Howdy, Modi!“-PR-Event. Unter dem Titel „Shared Dreams, Bright Future“ versammelte dieses 50.000 Vertreter und Vertreterinnen der indischen Diaspora in Houston, Texas und stellte die Beiträge zur kulturellen, intellektuellen und sozialen Landschaft der USA als indisch-amerikanische Erfolgsgeschichte dar.

 

Neuer Pragmatismus: indische Außenpolitik „à la carte“ ?

In seinem Buch “The India Way: Strategies for an Uncertain World” skizziert der indische Außenminister S. Jaishankar die zentralen Entwicklungen einer sich im Wandel befindlichen internationalen Ordnung in einem zunehmend von Konkurrenz gezeichneten multipolaren Gefüge. Für Indien als „angehende Großmacht der Zukunft“ bedeutet dies konkret, dass es nach Konvergenz in den Beziehungen zu den Großmächten streben und seine Politikansätze diversifizieren sollte, um seine ambitionierten strategischen Ziele bestmöglich zu erreichen. Jaishankar schreibt hierzu: „Wir sind darauf konditioniert worden, die Welt nach 1945 als die Norm und Abweichungen von ihr als Abkehr von ihr zu betrachten. Tatsächlich unterstreicht unsere eigene pluralistische und komplexe Geschichte, dass der natürliche Zustand der Welt Multipolarität ist.“ Und die indisch-amerikanische Partnerschaft selbst legt ein Zeugnis einer Pluralisierung der politischen Ansätze ab: der immanente Charakter des indischen Politikansatzes des  non-alignments (strategische Autonomie)[2] aus der Zeit des Kalten Krieges hat sich zu einer Außenpolitik eines breitgefächerten und strategischen issue-based alignments gewandelt: ein themenbezogenes Eingehen von strategischen Partnerschaften, die vorrangig dem nationalen Wohl dienen.

Die amerikanische Antwort auf die Restrukturierung der globalen Machtordnung unter Präsident Donald Trump lautete: „America First!“ und „Decoupling.“ – Nationalismus, wirtschaftlicher Protektionismus und ein Anti-Globalisierungskurs, der vor allem das hegemoniale Streben Chinas im Handel, in der Verteidigung und im Technologiewettbewerb ins Visier nahm. Im fortschreitenden Informationszeitalter wird der Wettbewerb der Großmächte jedoch immer mehr auf der Ebene der Technologieführerschaft ausgetragen werden. In den Bereichen der Künstlichen Intelligenz, der fortgeschrittenen Computertechnik und Robotik, moderner neuer Werkstoffverfahren, der Hyperschalltechnologie sowie der Biotechnologie. Jaishankar zufolge stellt dies eigene Fragen nach der nationalen Sicherheit: „Wer sich umwälzende Technologien besser zunutze mache, werde einen größeren Einfluss auf die Welt nehmen.” „Derzeit führten die USA und China den Wettbewerb an. Für Indien bestehe zwar noch Aufholbedarf, aber es befinde sich auf einem guten Weg.“ Im Rahmen der Digital India Initiative (2015) brachte die Regierung innovative Konzepte für den Ausbau einer digitalen öffentlichen Infrastruktur auf den Weg. Exemplarisch hierfür stehen Aadhar, eine digitale Identifizierungsplattform für sämtliche behördliche Vorgänge, oder Unified Payments Interface (UPI), ein vielgenutztes Sofortzahlungssystem.

 

Potenziale der bilateralen Zusammenarbeit

Indien hegt die Ambition, bereits bis 2027[3] zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt aufzusteigen und sich damit als ein zentraler geo- und sicherheitspolitischer Partner zu positionieren. Zudem strebt Indien die gestaltende Rolle eines “Global Rule-Maker” an, der globale Normen und Institutionen in seinem Interesse mitbeeinflusst. Der G20-Vorsitz dieses Jahr bot bereits eine Gelegenheit, eine größere Aufmerksamkeit für Indiens Agenda (u.a. digitale Transformation und Klimafinanzierung), aber auch für die Perspektiven des Globalen Südens zu erlangen und globale Politiken mitzugestalten. Die Vereinigten Staaten könnten von Indiens selbst ausgewählter Rolle als Vermittler zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden profitieren, um die Reichweite geteilter Werte beider Demokratien zu erhöhen. Hierfür wäre neben der Unterstützung für einen permanenten indischen Sitz im UN-Sicherheitsrat das Verfechten einer stärkeren indischen Präsenz in weiteren multilateralen Institutionen ausschlaggebend: „Indien kann die USA mit seinen Erfahrungen in den Bereichen Gesundheitswesen, Digitalisierung, multilateralen Engagement und Zusammenarbeit mit dem globalen Süden unterstützen.” Sind die Interessen nicht immer konvergent, wie beispielsweise in Bezug auf den Umgang mit Russland, so teilen beide Länder doch größtenteils gemeinsame Ansichten in geopolitischen Herausforderungen: zur Eindämmung des chinesischen Einflusses, zur Unterbindung der iranischen und nordkoreanischen Nuklearprogramme oder hinsichtlich der Verteidigung einer freien und regelgeleiteten Weltordnung.

 

Die folgenden Bereiche konstituieren Kernfelder der strategischen Zusammenarbeit:

1. Verteidigung: Das Rahmenabkommen „New Framework for India-US Relations“ (2005) sowie der Abschluss des Abkommens über die zivile nukleare Zusammenarbeit (2006) legten den Grundstein für die indisch-amerikanische Verteidigungszusammenarbeit. Auf vier grundlegende Abkommen folgten über die Jahre weitere Annährungen, beispielhaft die
Erneuerung des Rahmenabkommens von 2005 im Jahr 2015. Diese umfasste die Ausweitung von Rüstungsabkommen, die Stärkung des militärischen Austauschs durch gemeinsame Militärübungen der Armee, Marine und Luftwaffe, den Austausch nachrichtendienstlicher

Informationen sowie die Förderung von Dialogmechanismen, wie dem „2+2 ministeriellen Dialog“.[4]

2016 wurde Indien dahingehend der Status als „Major Defence Partner“ eingeräumt. 2017 wurde der Quadrilaterale Sicherheitsdialog (QUAD), eine partnerschaftliche Allianz der Indo-Pazifikstaaten USA, Indien, Australien und Japan erneuert und gestärkt, um dem Aufstieg Chinas, der Gefährdung maritimer Sicherheit durch Terrorismus und Piraterie sowie durch den Klimawandel verursachte Bedrohungen geeint entgegenzutreten. Die Wiederbelebung der QUAD manifestierte die gemeinsame Vision eines „freien, offenen und sicheren Indo-Pazifiks.“

Insgesamt verfolgt Indien mit dem Ausbau seiner Verteidigungsbeziehungen das Ziel der Modernisierung der einheimischen Rüstungsproduktion, vornehmlich durch den Erwerb fortschrittlicher Technologien sowie dem Eingehen von Joint Ventures. Exemplarisch hierfür steht die Kooperation zwischen Boeing und Tata.  Allein von 2015 bis 2019 stieg der Anteil der USA an den indischen Rüstungsimporten um 14 Prozent. Der Export wichtiger Militärtechnologie war auch ein zentrales Thema des letzten Besuchs des US-Verteidigungsministers Lloyd Austin in Neu-Delhi sowie des Staatsbesuchs von Premierminister Modi in Washington im Juni 2023. Der gemeinsame Fahrplan für die nächsten fünf Jahre sieht den Aufbau belastbarer Lieferketten, die gemeinsame Entwicklung und Produktion von Militärtechnik, dem gemeinsamen Bau von Kampfflugzeugen, Infanteriefahrzeugen und Geschützen vor.

Ein weiterer Gegenstand der Gespräche war der Vertragsabschluss für den Import 31 bewaffneter HALE (High Altitude Long Endurance)-Drohnen sowie einer
Absichtserklärung zur Fertigung von Kampfjet-Turbinen von General Electric in Indien, die künftig sowohl amerikanische als auch indische Kampfjets antreiben sollen.

2. Zukunftstechnologien: Mit der im Januar 2023 unterzeichneten und von den nationalen Sicherheitsräten beider Länder geleiteten Initiative für kritische und neu entstehende Technologien (iCET) wurde ein wichtiger Meilenstein für die Zusammenarbeit im Bereich der Zukunftstechnologien erreicht. iCET wird von der US National Science Foundation (NSF) und dem Indian Department of Science and Technology (DST) federführend geleitet und schließt sechs indische Technologie-Innovations-Hubs ein, die an insgesamt 25 amerikanischen Forschungsprojekten arbeiten werden. iCET verfolgt neben den Ausbau der strategischen Technologiepartnerschaft die Stärkung von Synergien in der Verteidigungszusammenarbeit, die insbesondere im Indo-Pazifik Anwendung finden wird.

3. Wirtschaftliche Kooperation: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit bildet ein Herzstück der bilateralen Beziehungen. Erst vor kurzem haben die USA China als wichtigen Handelspartner Indiens abgelöst. Die Staatschefs beider Länder begrüßten im Juni 2023 die Aufnahme eines ressortübergreifenden strategischen Handelsdialogs. Nach den vorläufigen Daten des indischen Handelsministeriums ist das bilaterale Handelsvolumen im Jahr 2022-23 um 7,65 Prozent auf 128,6 Mrd. USD gestiegen, gegenüber 119,5 Mrd. USD im Jahr 2021-22. Im Jahr 2020-21 waren es noch 80,51 Mrd. USD. Indische Exporte in die USA stiegen im Jahr 2022-23 um 2,81 Prozent auf 78,31 Mrd. USD gegenüber 76,18 Mrd. USD im Jahr 2021-22 an, während die Importe um etwa 16 Prozent auf 50,24 Mrd. USD zunahmen. Ferner rückt Manufacturing „Made in India“ immer mehr in den Fokus der Investoren der großen US-Technologiekonzerne. Der US-Konzern Apple lässt bereits sieben Prozent seiner iPhones in Indien fertigen. In diesem Jahr eröffneten zudem die ersten beiden Apple-Stores in Mumbai und Neu-Delhi. Prognosen sagen voraus, dass der Anteil des Landes an der iPhone-Montage in den nächsten Jahren auf zehn oder sogar 15 Prozent steigen könnte. Weitere US-Unternehmen, wie der Onlinehändler Amazon, der US-Netzwerkausrüster Cisco Systems oder der Apple-Zulieferer Foxconn kündigten ebenfalls an, ihre Investitionen bzw. ihre Produktion auf dem Subkontinent auszuweiten. Ferner wurde im Juni 2023 eine Absichtserklärung zur Ausweitung der Halbleiterproduktion von beiden Regierungen unterzeichnet. Der Chip-Hersteller Micron Technology kündigte an, 825 Mio. USD in den Bau einer neuen Halbleitermontage- und Testanlage im indischen Bundesstaat Gujarat zu investieren. Tesla-Chef Elon Musk gab sich im Nachgang an das Treffen mit Narendra Modi im Juni in New York ebenfalls zuversichtlich, was Investitionen in den drittgrößten Automarkt betrifft: „I am confident that Tesla will be in India and will do so as soon as humanly possible.”

4. Raumfahrt: Am 23. August 2023 landete die indische Raumsonde „Chandrayaan-3“ der indischen Weltraumbehörde ISRO auf dem bislang wenig erforschten Südpol des Mondes. Damit ist Indien das vierte Land nach der Sowjetunion, den USA und China, welchem eine Mondlandung geglückt ist. Beim Staatsbesuch in Juni 2023 kündigten Indien und die USA an, ihre Zusammenarbeit im Bereich der Raumfahrt zu stärken. Die amerikanische Weltraumbehörde NASA und die ISRO arbeiten an einem strategischen Rahmen für Kooperationen in der bemannten Raumfahrt. Die NASA kündigte zudem an, indische Astronauten im Johnson Space Center in Houston, Texas, weiterzubilden, mit dem Ziel, im Jahr 2024 gemeinsam zur Internationalen Raumstation zu fliegen.

5. Erneuerbare Energien: Indien und die USA wollen eine Vorreiterrolle im Klimaschutz und in den erneuerbaren Energien besetzen, diese mit wirtschaftlichen Ambitionen in Einklang bringen und einen ambitionierten Beitrag zur Erreichung der globalen Klimaziele leisten. Sowohl das bilaterale Engagement im Rahmen der U.S.-India Climate and Clean Energy Agenda 2030 als auch die Strategic Clean Energy Partnership (SCEP) sind ein Ausdruck dieses Engagements. Im Rahmen der SCEP werde auch der Ausbau von Energiespeichertechnologien gefördert. Das Treffen der beiden Staatschefs im Juni 2023 setzte ebenso den Startschuss für die U.S.-India New and Emerging Renewable Energy Technologies Action Platform, welche die Kooperation in den Bereichen des grünen Wasserstoffs, der Off- und Onshore-Windkraft und Zukunftstechnologien beschleunigen wird. Indien und die USA haben sich zudem dazu verpflichtet, innovative Investitionsplattformen zu schaffen, die Kapitalkosten wirksam senken und internationale private Finanzierungen in großem Umfang erleichtern sollen, um die Einführung von Projekten in den Bereichen der erneuerbaren Energien, der Batteriespeicherung und neuer grüner Technologien in Indien zu beschleunigen.

 

Jüngste Eintrübungen in den Beziehungen: Moskau, Ottawa, New York

Nicht nur die indische opportunistische Haltung gegenüber Russland, insbesondere vor dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine, stieß auf amerikanische Missbilligung. In jüngster Zeit belasteten zwei mutmaßliche indische Geheimdienstoperationen auf kanadischen und US-amerikanischen Staatsgebiet die indisch-amerikanische Allianz. Zum einen gab es den Fall der Ermordung des kanadischen Staatsbürgers und pro-khalistanischen[5] Aktivisten Hardeep Singh Nijjar in der kanadischen Provinz British Columbia im Juni 2023. Laut der kanadischen Regierung gab es Hinweise auf eine Verwicklung Indiens in den Mordfall. Die indische Regierung wies den Vorwurf Kanadas entschieden zurück, was zu einer Verhärtung der indisch-kanadischen Beziehungen führte. Die USA kritisierten zuletzt die Aufforderung der indischen Regierung, 41 kanadische Diplomatinnen und Diplomaten auszuweisen und ihnen die Immunität zu entziehen, falls diese blieben.

Die diplomatische Anspannung zwischen den USA und Indien verschärfte sich daraufhin durch eine erst vor kurzem bekanntgewordene Vereitlung eines versuchten Mordes an dem amerikanisch-kanadischen Staatsbürger und Sikh-Aktivisten mit indischen Wurzeln Gurpatwant Singh Pannun in New York. Die US-Justiz hat einen indischen Mann wegen der Beauftragung des Mordes angeklagt, der das Attentat auf Geheiß eines Mitarbeiters der indischen Regierung geplant haben soll. Die Vorwürfe werden in Washington sehr ernst genommen und der Fall soll auch am Rande des G-20-Gipfeltreffens in Neu-Delhi im September zur Sprache gekommen sein. Anfang Dezember empfing die indische Regierung eine amerikanische Delegation unter der Leitung des stellvertretenden Beraters für nationale Sicherheit, Jon Finer, und kündigte an, eine Untersuchungskommission einsetzen zu wollen. In einer Pressekonferenz am 07. Dezember 2023 betonte der Sprecher des Weißen Hauses, John Kirby, „dass die USA anerkenne, dass Indien eine Untersuchungskommission eingesetzt habe.“ Die US-Regierung erachtete es zudem als wichtig, „dass die Schuldigen zur Verantwortung gezogen würden.“ Trotz der Bemühungen auf beiden Seiten nach Aufklärung und einer Glättung der Wogen, belasten diese Fälle, die mutmaßlich in Verbindung miteinander stehen, das bilaterale Verhältnis.

Fazit und Ausblick

In ihrer gemeinsamen Abschlusserklärung im Juni 2023 bekräftigten Biden und Modi die Zukunftsvision ihrer strategischen Partnerschaft als “[…] eine Partnerschaft von Demokratien, die mit Hoffnung, Ehrgeiz und Vertrauen in das 21. Jahrhundert blicken.”  Beide Demokratien haben in den letzten drei Dekaden weitreichende gemeinsame Wert- und Zielvorstellungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Sicherheit entwickelt und die bilateralen Beziehungen auf ein solides Fundament gehoben. Aus vormals „entfremdeten Demokratien“ sind strategische Verbündete geworden. Als führende Agenda-Setter werden sie die großen Diskurse des 21. Jahrhunderts prägen, insbesondere in den Bereichen der Verteidigung, der Zukunftstechnologien und im Handel. Führende Politiker üben sich in überschwänglicher Rhetorik: Einer Prognose des indischen Außenministers S. Jaishankar im Rahmen seines jüngsten US-Besuchs im Oktober 2023 zufolge seien die indisch-amerikanischen Beziehungen nahezu dazu prädestiniert, bis zum Mond oder gar darüber hinaus zu wachsen. Dessen ungeachtet hat die Allianz durch die mutmaßliche Beteiligung der indischen Regierung an den Attentatsplänen auf kanadischen und US-amerikanischen Boden einen Dämpfer erlitten. Sollte sich der Verdacht erhärten, könnte dies den Blick Washingtons auf Neu-Delhi verändern. Bislang überwiegt für beide Seiten der Pragmatismus ihrer Verbindung, vordergründig die Kontinuität der Sicherheitspartnerschaft, die allerdings mit Risiken behaftet bleibt. Insgesamt stellt sich die Frage, ob sich beide Demokratien jenseits dieses Pragmatismus langfristig noch weiter annähern können. Während die USA sich von Indien eine führende Rolle in der Gestaltung eines multipolaren Asiens erhoffen, hegt Indien eine weitreichendere Vision: die Erlangung eines Großmachtstatus im 21. Jahrhundert.

 

[1] In einem blutigen Bürgerkrieg löste sich Bangladesch (zuvor Ost-Pakistan) im Jahr 1971 von West-Pakistan, das damals von den USA militärisch unterstützt wurde und erlangte seine Unabhängigkeit. Die Ermordung einer großen Zahl von Hindus und anderer religiösen Minderheiten durch pakistanische Militärs und Milizen der islamistischen Partei Jamaat-e-Islami zur Unterdrückung der Unabhängigkeitsbestrebungen bleibt in Indien unvergessen und wird als Genozid gesehen.

[2] Non-Alignment bezeichnet einen Politikansatz zur Wahrung strategischer Autonomie, der von Indiens Regierungen bis zum Ende des Ost-West-Konflikts verfolgt wurde.

[3] Laut Prognosen von S&P Global Ratings wird Indien voraussichtlich bis 2030 zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen mit einem geschätzten BIP-Wachstum von 7 Prozent im Haushaltsjahr 2026-27.

[4] Der 2+2 ministerielle Dialog ist ein gemeinsames Treffen der indischen Verteidigungs- und Außenminister mit ihren Amtskollegen aus verbündeten Ländern zur Erörterung strategischer und sicherheitspolitischer Fragen. Indien hält derartige Dialoge mit den USA, Japan, Australien und Russland. Der jährlich geführte 2+2-Dialog mit den USA wurde im Jahr 2018 lanciert.

[5] Khalistan ist der Name einer ab Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Idee einer nationalistischen Bewegung unter den Sikhs, einen unabhängigen Staat in Indien und Pakistan zu errichten, der den heutigen Bundesstaat Punjab und sowie andere Punjabi-sprachige Gebiete in Nordindien umfassen soll. Viele indische Sikhs emigrierten in den 1980er und 90er-Jahren nach Kanada, nachdem dort Tausende Menschen während der bewaffneten Kämpfe für einen separatistischen Sikh-Staat namens Khalistan starben. Der Anteil der Sikh-Bevölkerung in Kanada liegt laut kanadischen Zensus aus dem Jahr 2021 bei 2.1 Prozent. Damit ist sie die größte Gemeinde außerhalb Indiens.

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