Top 3 der Bewerber waren Frauen
Letztendlich hat nach Einschätzung von Beobachtern Halla Tómasdóttir die Wahl dadurch gewonnen, dass sie über geschickte Social-Media-Arbeit viele junge Menschen, aber auch Frauen mit Hochschulbildung für sich einnehmen konnte. Am Wahltag hatte sie unerwartet stark aufgeholt, in den Umfragen zuvor war sie noch auf gleicher Ebene mit den Kandidatinnen Katrín Jakobsdóttir (25,2 %) und Halla Hrund Logadóttir (15,5 %), Leiterin der nationalen Energiebehörde Islands mit Expertise in den Bereichen Umwelt, Energie und internationale Entwicklung, gewesen.
Tómasdóttir hat bereits angekündigt, nach diesen vier Jahren weitere Amtszeiten anzustreben, was nach isländischem Recht möglich ist. Sie wurde erstmals während der Finanzkrise 2008 als Mitbegründerin von „Audur Capital“ bekannt, einer der wenigen isländischen Investmentfirmen, welche die Krise überstanden. Derzeit ruht ihre Position der Geschäftsführerin von „The B Team“, einer globalen gemeinnützigen Organisation für Führungskräfte mit Sitz in New York und London. Tómasdóttir präsentierte sich im Wahlkampf parteipolitisch neutral. Jakobsdóttir geriet ihr Hintergrund als links-grüne Premierministerin nach Auffassung politischer Beobachter zum Nachteil.
Island leidet unter hoher Inflation und sehr hohen Lebenshaltungskosten
Wirtschaftlich erholt sich Island weiterhin vom Wirtschaftseinbruch während der Coronapandemie. Parallel leidet das Hochpreisland unter einem Mangel an Wohnraum in dem Ballungsgebiet um Reykjavik sowie einer anhaltend hohen Inflation von zuletzt circa sieben Prozent. Die jüngsten Vulkanausbrüche auf der Reykjanes-Halbinsel führten dazu, dass der Ort Grindavík in der Nähe des Flughafens vorübergehend evakuiert werden musste. Da vulkanische Aktivitäten anhalten, benötigen die knapp 4000 Einwohner alternativen Wohnraum, was die Wohnungsknappheit weiter verschärft.
Regierung verliert weiter an Zustimmung
Die aktuelle Regierung unter Bjarni Benediktsson von der Unabhängigkeitspartei verliert weiter an Zustimmung und hat laut Umfragen aktuell keine Mehrheit mehr. Benediktsson war im Dezember letzten Jahres von seinem langjährigen Posten als Finanzminister zurückgetreten, nachdem seine Rolle beim Verkauf von Aktien der im Staatsbesitz befindlichen Íslandsbanki immer lauter kritisiert worden war. Danach wechselte er auf den Posten des Außenministers und wurde im April nach dem Rücktritt von Jakobsdóttir Ministerpräsident.
Fraglich ist, ob die komplizierte Koalition aus der grün-linken Partei, der wirtschaftsliberalen Unabhängigkeitspartei und der konservativen Fortschrittspartei den Rückzug von Jakobsdóttir langfristig überstehen wird. Parlamentswahlen stehen nächstes Jahr im Herbst an. Jakobsdóttirs Rückkehr in Partei und Regierung wird von Beobachtern derzeit ausgeschlossen.
Umfragewerte der wichtigsten Parteien
Die Unabhängigkeitspartei (D), Wahlsieger der letzten Parlamentswahlen 2021, verliert an Zustimmung und rutschte mittlerweile mit 18,3% auf den zweiten Platz. Damit erreicht die traditionell stärkste Partei in Island dieses Jahr ein historisches Tief in den Umfragewerten. D trat 2021 aus der Partei der Europäischen Konservativen und Reformer aus und wurde 2023 Mitglied der Europäischen Volkspartei.
Aktuell führen die Sozialdemokraten (S) in den Umfragen mit 27,5 %. Die Zentrumspartei (M) hat in den Umfragen als drittstärkste Kraft aufgeholt. Bei der letzten Wahl war sie noch als kleinste Partei ins Parlament eingezogen. Die Fortschrittspartei (B), ebenfalls Teil der Regierungskoalition, verlor an Beliebtheit und rückte von Platz zwei auf Platz vier in den aktuellen Umfragen. Die grün-linke Partei (V) war bei der letzten Wahl noch drittstärkste Kraft, ist aktuell aber die kleinste Partei, an achter und damit letzter Stelle.
Vergleich der Zustimmungswerte der Parteien 2021 und 2024[1](Eigene Darstellung)
Fazit
Den Wahlkampf in Island haben klar drei Frauen an der Spitze bestimmt, die Wahlbeteiligung insbesondere von jungen Menschen und Frauen war dieses Mal überraschend hoch. Die Siegerin Halla Tómasdóttir hat sich im Wahlkampf sozialer Medien wie Tik Tok und Snapchat bedient und ihre Popularität dadurch offensichtlich steigern können. Innenpolitische Probleme, Frust über die Regierungsparteien sowie anhaltend sehr hohe Preise und Inflation haben den Wunsch nach einer Persönlichkeit artikuliert, welche das Land zusammenhalten und wirtschaftlich wieder nach vorne bringen kann, auch wenn die Rolle des Präsidenten eher beschränkt ist. Außenpolitisch steht Island klar an der Seite der NATO, der Ukraine und seiner Partner im Norden.
[1] https://politpro.eu/de/island
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