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Länderberichte

Landesweite Proteste der Opposition gegen den Präsidenten

von Dr. Manfred Lohmann, Tobias Schedlbauer
Während sich Präsident Leonid Kutschma auf dem Europäischen Wirtschaftsgipfel in Salzburg befand, ereigneten sich in der Ukraine am 16. September 2002 - mit Schwerpunkt in Kiew - die seit der Unabhängigkeit größten Protestveranstaltungen gegen den Präsidenten.

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Zum zweiten Jahrestag des Verschwindens des mutmaßlich ermordeten oppositionellen Journalisten Georgij Gongadse versammelten sich nach Oppositionsangaben über 30.000 nach offiziellen Angaben 15.000 Menschen in Kiew. Auch in den meisten Oblasthauptstädten kam es zu Demonstrationen. Insgesamt sollen über 53.000 Menschen teilgenommen haben.

Hauptveranstalter waren die Kommunisten, Sozialisten, der Block Timoschenko und "Unsere Ukraine" unter der Führung von Juschtschenko. Auf der Hauptkundgebung auf dem Europäischen Platz in Kiew wandten sich Sozialistenchef Moros, Juschtschenko und Timoschenko an die Teilnehmer, die Protestaktionen landesweit zu unterstützen. Dabei wurden sie immer wieder von Rufen "Kutschma weg!" unterbrochen.

In einem Aufruf prangerten die Oppositionsführer die "Entwicklung zu einer Diktatur" an, machten Kutschma für zunehmenden Autoritarismus, verfehlte Sozial- und Wirtschaftspolitik und Eingriffe in die Pressefreiheit verantwortlich. Ferner hieß es: "Leonid Kutschma

Es bleibt Ihnen nicht anderes übrig, als vor dem ukrainischen Volke zu büßen und vom Amt des Präsidenten sofort zurückzutreten". Anschließend zogen die Demonstranten zum Präsidialamt und errichteten dort eine Zeltstadt.

Diese wurde in der Nacht zum 17. September auf Grundlage eines Blitzurteils eines Kiewer Bezirksgerichts unter dem Vorwand, die Arbeit des Präsidenten zu behindern, von Polizeikräften gewaltsam abgerissen. Dabei wurden mindestens 54 Demonstranten verhaftet. Nach massiven Protesten aus den Oppositionsfraktionen wurden die meisten inzwischen aus der Haft entlassen.

Die Regierung hatte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln seit Wochen versucht, die Vorbereitungen für die Demonstrationen zu behindern. In den Nachrichtenprogrammen der offiziellen Fernsehsender warnten hohe Polizeifunktionäre vor Gefahren und Verletzungen, die den Teilnehmern drohen könnten. Der Leiter der Präsidialverwaltung Medwedtschuk ließ am 14. September verkünden, dass die geplanten Protestveranstaltungen 'psychologischen Druck auf die Regierung und besonders auf den Präsidenten' ausüben sollten.

Dieser Druck behindere den Präsidenten dabei, seine Pflichten wirksam zu erfüllen. Seine Verwaltung habe die Staatsanwaltschaft angewiesen, die Legalität der Proteste zu prüfen. Vorher hatte bereits Oberbürgermeister Omeltschenko versucht, den Organisatoren der Demonstrationen das 14 km von Kiew entfernte Flugfeld 'Tschajka' anzubieten, wo seinerzeit auch der Papst seinen Gottesdienst anlässlich der Staatsbesuchs in Kiew halten musste.

Offenbar wurde auch Druck auf die Kirchen ausgeübt, die bevorstehenden Demonstrationen zu verurteilen. Zum ersten Mal überhaupt erschienen im Fernsehen und führenden Zeitungen Aufrufe von Vorstehern aller großen Konfessionen, die gemeinsam die Bevölkerung aufriefen, sich von den Demonstrationen fernzuhalten. "Wir sind zutiefst beunruhigt, dass die Aufrufe zur politischen Konfrontation die Gesellschaft zu einem gefährlichen Punkt bringen könnten. In der Geschichte der Menschheit hat Gewalt und Machthunger immer wieder zu neuer und noch brutalerer Gewalt geführt".

Schließlich gab es viele Berichte darüber, dass nicht nur Busse mit Demonstranten an der Fahrt nach Kiew behindert wurden, sondern auch z.B. in östlichen Oblasthauptstädten erkennbaren Demonstranten keine Fahrkarten für Züge nach Kiew verkauft wurden. Über die Demonstration und anschließende Verhaftung in der Nacht wurde in den offiziellen Medien nur sehr kurz und mit negativer Bewertung berichtet. Die Veranstalter kündigten für den 24. September eine Fortsetzung der Proteste gegen Kutschma an.

Diese zeigten erstmals, dass die oppositionellen Kräfte in der Ukraine trotz großer ideologischer und programmatischer Unterschiede an einem Strang ziehen können, und zwar im gemeinsamen Kampf gegen den Präsidenten Kutschma. Die Proteste lassen eine zunehmende Isolierung Kutschmas erkennen, der sich selbst allerdings noch in einer sicheren Position glaubt. Schließlich hielt er es nicht für notwendig, seinen Aufenthalt in Salzburg abzubrechen. In jedem Fall hatte er bereits Vorsorge getroffen, die Demonstrationen mit den geschilderten Maßnahmen einzudämmen.

Deutlicher wird jetzt die regimekritische Positionierung Juschtschenkos, der sich mehr und mehr zum 'Oppositionsführer' entwickelt, nachdem er bisher eher auf einen Ausgleich mit dem Präsidenten bedacht war. Am 17. September ließ er verlauten, der einzige Ausweg aus der politischen Krise sei ein Wechsel des derzeitigen Systems.

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Gabriele Baumann

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Leiterin des Projekts Nordische Länder

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