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Länderberichte

Lynchmord an Bürgermeister erschüttert Peru

von Markus Rosenberger
Der Lynchmord an Bürgermeister Cirilo Robles in Peru erschütterte das ganze Land. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den gewählten Volksvertretern eskaliert immer mehr in Gewalt.

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Der von Fernsehkameras festgehaltene Lynchmord am Bürgermeister einer Hochlandgemeinde im Süden Perus hat die politische Ordnung des Landes aufs Schwerste erschüttert. Peru ist nach wie vor weit davon entfernt, ein funktionierender Rechtsstaat zu sein. In vielen Teilen des Landes manifestiert sich die Unzufriedenheit mit den gewählten Volksvertretern nun in öffentlichen und gewaltsamen Protesten. Innenminister Rospigliosi muss um seine Absetzung fürchten.

Cirilo Robles, Bürgermeister des 41.000 Einwohner zählenden Distrikts Ilave am Titicacasee, war von einer aufgebrachten Menge in der vergangenen Woche aus seinem Haus gezerrt, durch den Ort geschleift und auf dem zentralen Platz des Ortes umgebracht worden. Bereits seit Wochen hatten große Teile der Bevölkerung den Rücktritt Robles gefordert und dies durch Straßenblockaden und Hungerstreiks untermauert. Aufgehetzt wurden die zu einem großen Teil dem Aymara-Volk (zweitgrößte indigene Volksgruppe Perus mit etwa 300.000 Menschen) zugehörigen Bewohner Ilaves vom stellvertretenden Bürgermeister Alberto Sandoval sowie aus dem nahen Bolivien. Dort hatte Felipe Quispe, seines Zeichens Parlamentsabgeordneter und bolivianischer indigener Aymara-Führer, die „peruanischen Brüder und Schwestern“ in ihrem Bestreben unterstützt, Bürgermeister Robles gewaltsam abzusetzen.

Die blutige und verabscheuenswürdige Tat hat landesweit die Menschen in Aufruhr versetzt. Zugleich veranschaulicht sie das völlige Versagen des derzeitigen peruanischen politischen Systems auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Das bestehende System, die derzeitige Ordnung – oder besser Unordnung – scheint nicht in der Lage zu sein, die sozialen, ökonomischen und politischen Bedürfnisse der überwiegend armen Menschen zu befriedigen. Die spannungsgeladene Situation eskalierte und führte zum Lynchmord an Robles. Dieser erinnert verblüffend an die Praktiken der menschenverachtenden maoistischen „ajusticiamentos populares“ (dtsch.: öffentliche Hinrichtungen) des Leuchtenden Pfades, der in den 80er und 90er Jahren den peruanischen Staat an den Rande des Kollapses brachte und insgesamt fast 70.000 Menschen das Leben kostete.

Was war passiert? Der zweifelhafte Umgang mit den bescheidenen öffentlichen Mitteln des Distrikts, divergierende lokale Interessen, das Nichteinhalten von Wahlversprechen und der Bau eines umstrittenen Schlachthauses führten zur Forderung nach dem Rücktritt des Bürgermeisters. Der Streit zwischen Bürgermeister Robles, ehemals Mitglied bei Patria Roja, einer fundamentalistischen Linkspartei, und seinem Stellvertreter Sandoval, ehemals Mitglied bei Puka Llacta, einer dem Leuchtenden Pfad nahestehenden Bewegung, führte zu Straßenblockaden und massiven sozialen Protesten in der Distrikthauptstadt Ilave, die schließlich in der Ermordung Robles gipfelten. Weder regionale noch nationale Verantwortliche hatten die Proteste in der Grenzregion zu Bolivien, wo der Einfluss der Drogenmaffia von Tag zu Tag zunimmt und die zudem als Schmuggelzone gilt, ernsthaft beachtet.

Die Selbstjustiz, die grobe Verletzung und Übertretung von Werten, Normen und Gesetzen sowie die Gewaltanwendung sind in Peru anzutreffende Mittel und Wege, um vernachlässigte oder nichtbeachtete soziale Forderungen durchzusetzen. Die Peruaner sind sich darüber im klaren, dass der Staat seinen grundlegenden Aufgaben nicht nachkommt und greifen daher zu den beschriebenen Mitteln. Die Informalität ist ein wesentliches Merkmal, ein wesentlicher Charakterzug der peruanischen Gesellschaft. Mit dieser Überlebensstrategie und Verhaltensweise begegneten die Menschen in den vergangenen Jahrzehnten dem Versagen der staatlichen Institutionen.

Die Informalität hat die Menschen einerseits überleben lassen sowie die Kreativität und den Erfindungsreichtum wesentlich gefördert. Andererseits führte sie aber auch zu einer Kultur der Illegalität und zu einem massiven Werteverfall. Sätze wie „la ley se acta pero no se cumple“ (dtsch.: Das Gesetz achtet man, aber man befolgt es nicht.) beschreiben diese Grundeinstellung treffend. Die Tatsache, dass das Land auch heute ohne eine funktionierende politische Führung auskommen muss– Präsident Alejandro Toledo regiert schwach und ohne visionäre Projekte – verstärken die informellen und illegalen Tendenzen.

In den 80er Jahren versuchte der Leuchtende Pfad, sich die existenten sozialen Ungerechtigkeiten und die völlige Vernachlässigung der Menschen - vor allem im andinen Raum - zu Eigen zu machen. Die Regierungen Belaúnde (1980-1985) und García (1985-1990) scheiterten an den wesentlichen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen dieser terroristischen Bedrohung. Die Regierung Fujimori (1990-2000) bekämpfte den Terrorismus wirksam, sorgte für makroökonomische Stabilität, schaffte es aber nicht, die demokratischen Institutionen dahingehend zu stärken, einen neuen, effektiven und auf die Bedürfnisse der Peruaner zugeschnittenen modernen Rechtsstaat zu schaffen.

Die heutige führungsschwache, inkompetente und von ersten schweren Korruptionsfällen gezeichnete Regierung Alejandro Toledo steht der Situation offenbar völlig überfordert gegenüber. Die von Toledo nach Ilave entsandte Kommission unter der Führung von Luis Thais, Vorsitzender des Consejo Nacional de Descentralización, sollte einen Ausweg aus der festgefahrenen Situation suchen. Die Kommission gab, in die Enge gedrängt, jedoch rasch einer sogenannten Volksversammlung nach, die den hauptverantwortlichen Anstifter der Unruhen und des Verbrechens, den stellvertretenden Bürgermeister Sandoval, kurzerhand zum neuen ersten Bürger Ilaves machte. Es ist kaum abzuschätzen, welch verheerendes Signal das schwache Auftreten der Kommission für den Rest des Landes bedeuten kann. Nachahmer und Trittbrettfahrer werden geradezu aufgefordert, dem Beispiel der Bewohner Ilaves zu folgen.

Der Lynchmord von Ilave hat zu einer nationalen Krise geführt, deren Auswirkungen derzeit schwer abzuschätzen sind. Möglicherweise wird noch im Laufe der Woche Innenminister Fernando Rospigliosi abgesetzt werden. Die grösste Oppositionspartei APRA, große Teile der bürgerlichen Opposition, organisiert in der Unidad Nacional sowie Teile der Regierungsparteien Perú Posible und FIM fordern vehement den Rücktritt des parteipolitisch unabhängigen Rospigliosis. Auch der derzeitige Ministerratsvorsitzende Carlos Ferrero könnte im Sog des Innenministers untergehen. Beiden wird Tatenlosigkeit vorgeworfen.

Ein Ausscheiden des jetzigen Innenministers würde jedoch nicht zur Stabilisierung der unsicheren Lage führen. APRA, die linke Opposition und vor allem die Anführer der Cocabauern-Bewegung – derzeit auf einem Protestmarsch Richtung Hauptstadt Lima unterwegs – können sich die Hände reiben, da man sich dadurch des verhassten Rospigliosis endlich entledigt hätte. Die beiden Oppositionsführer, APRA-Chef Alan García und Lourdes Flores, Vorsitzende der Unidad Nacional, unterstützen die Forderungen nach dem Rücktritt, obwohl auch ihnen bewusst sein müsste, dass dies zu weiteren sozialen und politischen Unruhen führen könnte. Aber vielleicht ist das ja genau ihre Absicht, um möglichst rasch vorzeitige Neuwahlen herbeizuführen. Denn noch sind keine ernsthaften Rivalen um die Präsidentschaft des Landes in Sicht, was sich zum Zeitpunkt der regulären Wahlen Anfang 2006 durchaus ändern könnte. Ein weiteres Beispiel für das unverantwortliche Verhalten der traditionellen politischen Kaste Perus.

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Sebastian Grundberger

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Direktor Regionalprogramm Parteiendialog und Demokratie /Länderprogramm Uruguay

sebastian.grundberger@kas.de +598 2902 0943

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