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Mexikanische Wirtschaft

von Ing. Hans-Hartwig Blomeier, Ann-Kathrin Beck, Luis Téllez

Zwischen Ungewissheit und Zweifel

Vor dem Hintergrund einer Verlangsamung des Weltwirtschaftswachstums leidet auch die mexikanische Wirtschaft. Dies ist besonders gravierend, da die neue Regierung vier Prozent Wachstum vorhergesagt hat und auch benötigt, um Sozialausgaben und Reformpläne zu finanzieren, andererseits aber keinerlei Korrekturmaßnahmen ergreift, um die makroökonomische Stabilität zu erhalten und eine weitere Verschlechterung der sozialen Lage und Lebensbedingungen zu verhindern.

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Das Fertigungswerk Nordamerikas

32 Bundesstaaten, fast 130 Millionen Einwohner, drei Zeitzonen, zwischen Wüste und Regenwald – Mexiko ist ein Land großer Diversität und Ungleichheiten. Dies schlägt sich auch in der wirtschaftlichen Struktur und Verteilung nieder. Der Norden um Monterrey, die Region Bajío und die Hauptstadtregion um Mexiko-Stadt waren und sind die wirtschaftlichen Zentren des Landes. Die Peripherie und der Süden sind hingegen kaum infrastrukturell und industriell erschlossen.

Insgesamt hat sich Mexiko aufgrund seiner Arbeitskräfte und geographischen Lage zum Fertigungswerk Nordamerikas entwickelt. Zahlreiche multinationale Unternehmen nutzen die niedrigen Löhne und den guten Ausbildungsstand sowie die gute Infrastruktur im Norden und Zentrum des Landes für ihre Produktions- und Fertigungsstätten. Die Hauptexportgüter sind Fahrzeugteile und (elektrische) Maschinenbauteile. Hierbei gehen 80% der mexikanischen Exporte in die USA, 3% nach Kanada. Es folgen China und Deutschland mit jeweils 2% der Exporte.

Abgesehen von der Krise in 2008/2009 konnte Mexiko von den 1990er-Jahren bis 2018 ein kontinuierliches wirtschaftliches Wachstum verzeichnen und ist mit einem BIP von 1223,81 Milliarden US-Dollar inzwischen ein OECD- und G20-Mitgliedsland.

Dies konnte jedoch nie über die großen Ungleichheiten im Land hinwegtäuschen. Die Entwicklung wurde im Norden und Zentrum des Landes vorangetrieben, wohingegen der Süden sozial und wirtschaftlich unterentwickelt blieb. Infrastruktur- und Wirtschaftsprojekte haben hier in den vergangenen Jahrzehnten kaum stattgefunden. Der Mangel an Entwicklungsmöglichkeiten hat unter anderem auch zu einem Erstarken der Drogenkartelle geführt, die für viele Mexikaner eine wirtschaftliche Alternative darstellen.

Sinkende Wachstumszahlen versus Wahlkampfversprechen

Im vergangenen Jahr hat sich das weltweite Wirtschaftswachstum stark abgeschwächt. Die Gründe für die Verlangsamung sind im Wesentlichen der Rückgang der Industrieproduktion in China, der geringere Konsum in den USA sowie die innereuropäischen Probleme wie der Rückgang des deutschen BIP im zweiten Quartal und die Bedrohung durch einen Brexit ohne Einigung. Dies hat Mexiko, das auf Exporte und eine gute Weltmarktkonjunktur angewiesen ist, besonders hart getroffen. Lag die Wachstumsrate der vergangenen Jahre bei ca. 2,2%, so ist sie derzeit auf 0,3% zurückgefallen.

Die Prognosen fielen bereits zu Beginn dieses Jahres geringer aus als erwartet. Im Verlauf des Jahres 2019 mussten Wirtschaftsanalysten ihre Kalkulation jedoch immer weiter nach unten anpassen. Während bereits im Mai 2019 das veranschlagte Wirtschaftswachstum für 2019 bei lediglich 1,6% (OECD) bzw.1,4 % (Citibanamex) lag, reduzierten beide die Planzahl inzwischen auf unter 1% (0,5% bzw. 0,4%). Bei anhaltendem Bevölkerungswachstum kann man de facto schon von einer Rezession sprechen. Die Zahlen für 2020 sind nur unwesentlich besser.

Diese Daten stehen im starken Kontrast zu den Prognosen und Plänen der Regierung. Noch bei seinem Amtsantritt im Dezember 2018 verkündete Staatspräsident Andres Manuel Lopez Obrador (AMLO) vollmundig, dass umfassende Reformen zur Verbesserung der sozialen Lage im Land notwendig, diese mit einem zu erwarteten jährlichen Wirtschaftswachstum von 4% aber zu bewältigen seien. Die Suggestion, dass wirtschaftliches Wachstum vorgegeben und sichergestellt werden kann, hat sich inzwischen als Schimäre entpuppt.

Grundsätzlich ist es zwar richtig, dass Wirtschaftswachstum durch eine steigende gesamtwirtschaftliche Entwicklung und den steigenden Verkauf von Produkten und Dienstleistungen im In- oder Ausland angekurbelt werden kann und dass als Folge des steigenden Wachstums auch der Binnenkonsum wächst und der Staat durch erhöhte Steuereinnahmen mehr Ressourcen zur Verfügung hat. Durch eine gerechte Verteilung dieser erhöhten Einnahmen und sinnvolle Investitionen in Bildung und Sozialprogramme, Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen, Beschäftigungs- und Sozialpolitik, können dann auch soziale Ungerechtigkeiten gedämpft bzw. behoben werden. Allerdings sind diese Entwicklungen stark von nationalen und internationalen Kontextbedingungen abhängig.

Mexiko selbst hat nur sehr bedingten Einfluss auf internationale, externe Faktoren. Die abflachende weltweite Konjunktur, der Handelskrieg zwischen den USA und China und die Unsicherheit um das neue Freihandelsabkommen USMCA zwischen Mexiko, den USA und Kanada, das noch immer nicht vom US-Senat ratifiziert wurde, haben sich negativ auf die mexikanische Produktion und Exporte ausgewirkt.

Dies könnte durch Investitionspolitik im Land und antizyklische Maßnahmen gemildert werden. Doch in Mexiko stehen die Wahrnehmung und der Diskurs der AMLO-Regierung derzeit im starken Gegensatz zur Realität. Nicht nur, dass die Regierung monatelang an der Fiktion der eigenen 4%-Prognose festhielt ohne die tatsächlichen Wachstumszahlen zu beachten, es sind auch weder Strategien erkennbar, mit denen die Regierung auf die sich verschlechternden externen Faktoren zu reagieren gedenkt, noch wurden bisher effektive Maßnahmen zur Ankurbelung der nationalen Wirtschaft oder zur Verbesserung des Investitionsklimas des Landes ergriffen.

Ganz im Gegenteil: Mit einem anti-neoliberalistischen Diskur, in dem die Privatwirtschaft als Ursprung der sozialen Ungleichheiten des Landes angeprangert wird und durch verstärkte staatliche Intervention und Investition ersetzt werden soll, trübt sich das Investitionsklima deutlich ein.  Der Präsident selbst verkündet immer wieder, dass „die Politik über der Wirtschaft stehen muss". Was damit genau gemeint ist, bleibt vage und unklar, zumal er durchaus auch versucht, den Dialog mit Unternehmern zu führen. Eine konsistente strategische Entwicklungslinie ist dabei nicht zu erkennen und die Privatwirtschaft reagiert dementsprechend überwiegend mit Zurückhaltung. Hinzu kommt die anhaltende Rechtsunsicherheit im Land und die mangelnde Transparenz bei öffentlichen und privaten Vergabeprozessen, die wirtschaftliche Aktivitäten erschweren.

Zusätzlich geht das zentrale Anliegen der aktuellen Regierung – die Bekämpfung der Korruption und Umverteilung des Budgets auf Sozialprogramme – mit einer Austeritätspolitik, mit umfangreichen Personalwechseln und Gehaltskürzungen im öffentlichen Sektor einher. Viele öffentliche Investitionen und Projekte wurden in den ersten zehn Monaten der Legislaturperiode praktisch lahmgelegt. In der aktuell schlechten konjunkturellen Lage fällt somit auch der Staat als Impulsgeber für die Wirtschaft weg.

Symbolpolitik durch Infrastrukturprojekte

Bisher hingegen deutlich erkennbar ist, dass an Stelle einer strategischen Entwicklung prestigeträchtige Großprojekte wie der Hauptstadtflughafen, der Tren Maya auf der Halbinsel Yucatán oder die Raffinerie Dos Bocas in Tabasco in den Vordergrund der Debatte und der Wirtschaftspolitik rücken.

Besonders kennzeichnend hierfür ist der neue internationale Flughafen für Mexiko-Stadt. Als eine der ersten Amtshandlungen ließ AMLO den bereits zu ca. 30% fortgeschrittenen Bau des ursprünglich geplanten neuen Flughafens (NAIM) stoppen. Dieser war aufgrund mangelnder Bürgereinbindung, explodierender Kosten und Korruptionsvorwürfen durchaus umstritten. Die Einstellung des Projekts auf der Basis seines Wahlversprechens und einer juristisch fragwürdigen Bürgerbefragung in MORENA-nahen  Städten und Bezirken in Flughafennähe noch vor Amtsantritt des Präsidenten ist jedoch mindestens ebenso dubios.

Die Regierung muss nun  71 Milliarden mexikanische Pesos (ca. 3,3 Milliarden Euro) für die Kündigung der Verträge an die beteiligten Unternehmen zahlen [Quelle 5]. Darüber hinaus hat die Einstellung des Baus in Bezug auf die Verlässlichkeit der Regierung auch ein verstörendes Signal an in- und ausländische Investoren und Unternehmen gesendet.

Es gibt bereits ein Ersatzprojekt der Bundesregierung. Mit weiteren rund 78 Milliarden mexikanischen Pesos (ca. 3,6 Milliarden Euro) soll der bisherige Militärflughafen Santa Lucia im Norden ausgebaut werden [Quelle 6]. Der Baustart wurde zwar umgehend verkündet, ist derzeit aber aufgrund mangelnder Umweltverträglichkeitsprüfung wieder auf unbekannt vertagt. Auch wenn die Regierung den Flughafenbau zu einer Frage der „nationalen Sicherheit“ erhöht hat und damit die normale Justiz und die legalen Einwände zu umschiffen versucht, bleibt das Projekt fragwürdig. Die Bauplanung sowie die definitiven Kosten und deren Finanzierbarkeit sind diffus bzw. nicht bekannt, der Zeitplan illusorisch und mehr Wunschdenken als konkreter Umsetzungsplan. Bis dahin platzt der bestehende Flughafen aus allen Nähten, was zu täglichen Engpässen und Verspätungen führt.
Ähnliche Projekte wie der „Tren Maya“ in Naturschutz- und Wohngebieten indigener Bevölkerungsgruppen im Südosten des Landes, der eigentlich Wirtschaft, Tourismus und Infrastruktur vorantreiben soll, dessen wirtschaftlicher Nutzen aber fraglich, dessen Umweltschäden erheblich und dessen Finanzierung unklar ist, verstärken den Eindruck, dass individuelles Prestige und Sichtbarkeit weit über konkretem Nutzen, Verträglichkeit und Finanzierbarkeit von staatlichen Projekten stehen. Unternehmen können sich nicht auf die Einhaltung der Verträge für Infrastrukturprojekte verlassen - ein beunruhigendes Zeichen in Zeiten wirtschaftlicher Abschwächung.

Lichtblick Bajío: Eine dynamische und attraktive Region für Investitionen

Auch wenn die Regierung auf nationaler Ebene nicht den Eindruck erweckt, mit der wirtschaftlichen Situation des Landes adäquat umgehen und nachhaltige Investitionen fördern zu können, gibt es auf regionaler Ebene erfreuliche Entwicklungen und positive Beispiele. Dies ist in der Region Bajío der Fall. Diese ist derzeit eine der wirtschaftlich dynamischsten Regionen Mexikos, wozu Standortfaktoren und ein gutes Verhältnis zwischen lokalen Regierungen und Unternehmen beitragen.

Geographisch gesehen nehmen die Bundesstaaten des Bajío, Aguascalientes, Guanajuato, Querétaro, Jalisco und San Luis Potosí, eine Schlüsselposition am Übergang zwischen Norden und Süden des Landes mit guter infrastruktureller Anbindung ein. Politisch gesehen herrscht ein sicheres Investitionsklima für in- und ausländische Investoren. Es gibt eine konkrete Strategie mit Aus- und Fortbildung, Industrie 4.0 und einer koordinierten Vorgehensweise für die wirtschaftliche Entwicklung. Dadurch können technologische und industrielle Innovationscluster entstehen, die auch international wettbewerbsfähig sind.

Die Hauptproduktionsbereiche sind Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt, Haushaltsgeräte, Lebensmittel- und Agrarindustrie, die Chemieindustrie und das Baugewerbe. Die Wachstumsraten liegen teilweise über 4% und damit weit über dem nationalen Durchschnitt [Grafik 3]. Der Bajío hat sich insbesondere auch zu einer attraktiven Region für deutsche Investoren entwickelt. Zahlreiche der rund 1.900 deutschen Unternehmen in Mexiko sind hier angesiedelt. Dies gilt insbesondere für die Automobilindustrie mit großen Werken von Audi, BMW und Mercedes, aber auch viele kleinere Unternehmen und Zulieferer sind nachgezogen [Quelle 8].

Ein weiteres Zeichen für die positive Entwicklung des Bajío ist die Tatsache, dass die Hannover-Messe im Oktober 2019 erstmals in Lateinamerika (und zwar in León, Guanajuato) stattfinden wird. Nachdem Mexiko 2018 als erstes lateinamerikanisches Land Gastland der Hannover-Messe in Deutschland war, bestätigt diese Entscheidung der Messeleitung den positiven Trend von Investitionen und Standortvorteilen im Bajío. Die Messe findet unter dem Titel "Industrial Transformation México" statt, und soll die wichtigste Industriemesse des Landes werden. Es werden 180 Aussteller erwartet, wobei Geschäfts- und Investitionsprojekte mit einem Gesamtvolumen von mehr als 280 Millionen Dollar vorliegen, die auch der Region zu Gute kommen können.

Aussicht auf Besserung?

Solange die nationale Regierung mit ihrer Wirtschaftspolitik weiterhin wenig konkrete und vor allem wenig verlässliche Anreize liefert, sich auf zweifelhafte Großprojekte konzentriert und es an ordnungspolitischer Strategie mangelt, besteht das Risiko, dass Mexiko dem globalen Konjunkturabschwung nichts entgegenzusetzen hat.

Am Beispiel Bajío wird deutlich, dass es gravierende Unterschiede zwischen der Wirtschaftspolitik auf Bundes- und Länderebene gibt. Die Landesregierungen können im begrenzten Ausmaß eigene Akzente setzen. Finanziell ist dies schwierig, da die Länder in hohem Maße von Bundesmitteln abhängig sind – allerdings können Investitionsanreize allein schon durch verlässliche politische Ankündigungen, stabile politische Rahmenbedingungen, Infrastrukturprojekte und fiskalische Anreize erfolgen.

Inwieweit dieser Spagat zwischen der nationalen kaum zukunftsträchtigen Wirtschaftspolitik und den innovativen Ansätzen wie im Bajío aufrecht zu erhalten ist, bleibt abzuwarten. Ganz ohne eine entsprechende wirtschaftspolitische Orientierung auf nationaler Ebene und internationale Marktöffnung ist auch die Weiterentwicklung des Bajío nicht möglich. Es bleibt zu hoffen, dass die mexikanische Regierung im Wirtschaftsbereich bald zur Besinnung kommt – und sei es nur um an der eigenen hochgesteckten Wachstumsprognose festhalten zu können. Denn ohne ein dynamisches Funktionieren der Wirtschaftsmotoren im Norden und im Bajío, ist auch eine soziale Umverteilung und eine graduelle Stärkung strukturell schwächerer Regionen des Landes ungewiss bis unmöglich.
 

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