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Länderberichte

Ohne die USA: Kein Frieden in Nahost

von Dr. h. c. Johannes Gerster
Die neue amerikanische Regierung unter George W. Bush startete mit der klaren Absicht, sich im Gegensatz zur Clinton-Administration so weit wie möglich aus dem Nahost-Dschungel herauszuhalten. Die Devise lautete: Israelis und Palästinenser sollen zunächst alleine an den Verhandlungstisch zurückfinden. Erst dann sind die USA - nur auf Wunsch beider Seiten - bereit, sich an den Verhandlungen zu beteiligen. George W. Bush wollte sich auch in dieser Frage von Bill Clinton unterscheiden, der unter Zeitdruck und mit erheblichen politischen Pressionsversuchen vor dem Ende seiner Amtszeit noch einen Friedensvertrag zwischen Barak und Arafat, zwischen Israelis und Palästinensern erzwingen wollte. Camp David II wurde nicht zuletzt durch die Verweigerung Arafats, den selbst weitgehende Angebote in der Jerusalem-Frage nicht positiv stimmen konnten, zum Waterloo Bill Clintons. Der mit einem Friedensvertrag in Nahost wohl erreichbare Friedensnobelpreis für Bill Clinton wird so auf sich warten lassen.

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Realpolitiker George W. Bush wollte sich wenigstens zu Beginn seiner Amtszeit eine solche Niederlage ersparen und sich auf die Sicherung amerikanischer Ölinteressen und die Stabilität im weiteren Rahmen beschränken. Inzwischen weiß er, dass vornehme Zurückhaltung in Nahost das Image der einzig verbliebenen Weltmacht USA als Ordnungsfaktor und Friedensvermittler gefährdet und Frieden in Nahost ohne die gestaltende Hilfe der USA eine Utopie bleiben würde.

Letzter Anstoß für eine aktive Rolle der USA waren Auftritte europäischer Politiker in der Krisenregion. Nicht zuletzt der deutsche Außenminister Josef Fischer, der zufällig zum Zeitpunkt der folgenschwersten Bombenanschläge seit fünf Jahren, in Israel verweilte und die Gunst der schweren Stunde geschickt nutzte, um mit Palästinensern und Israelis Klartext hinter verschlossenen Türen zu reden, riefen die USA von neuem auf den Plan. Die USA sind seither wieder Dreh- und Angelpunkt auf dem dornenreichen Weg zu direkten Gesprächen und zum Stop der Gewaltspirale.

Im Sommer 2000 war ein Friedensvertrag in greifbare Nähe gekommen, heute muss man fast bei Null wieder beginnen.

Israel hatte sich im Frühjahr 2000 einseitig aus dem Südlibanon zurückgezogen. Zu einem gegenseitigen Vertrag zur Sicherung von offenen Grenzfragen waren Syrien und der Libanon damals wie heute nicht bereit. Der Rückzug wurde demzufolge nicht als Friedensgeste Israels sondern als Beweis gewertet, dass Israel nur durch Gewalt zum Rückzug gezwungen werden kann.

Die erste Folge waren ein erster Gewaltausbruch im Mai 2000, die zweite Folge das klare Nein Arafats in Camp David II und die dritte Folge der Ausbruch der Al-Aksa-Intifada Ende September 2000, zu der Sharon mit seinem umstrittenen Besuch auf dem Tempelberg den willkommenen Anlass lieferte.

Die Reaktionen auf israelischer Seite waren ebenso vorhersehbar wie folgenschwer: Zwar tritt heute noch eine Mehrheit der Israelis für einen eigenen Palästinenserstaat ein, jedoch führte die nun schon 10 Monate andauernde Kette von Bomben- und Terroranschlägen zu einem klaren Rechtsruck in der Bevölkerung, die zunächst zur überdeutlichen Wahl Sharons als Ministerpräsident und zum fast totalen Vertrauensverlust gegenüber Arafat führte.

Wurde dieser zunächst noch als unfähig angesehen, die gewaltbereiten Terrorgruppen der Hamas, Dschihad u. a. unter Kontrolle zu bringen, ist heute fast jeder Israeli davon überzeugt, dass Arafat selbst hinter der Eskalation der Gewalt steht. Die Mehrheit der Israelis glaubt, die Doppelbödigkeit der englischen Reden und palästinensischen Taten Arafats erkannt zu haben.

Schlimmer noch: Sie sind davon überzeugt, dass "der alte Revolutionär und Terrorist" nie mit einem palästinensischen Teilstaat zufrieden gestellt werden könnte, dass vielmehr jeder weitere Gebiets- und Machtgewinn für ihn nur ein strategischer Zwischenschritt sei, um den Kampf gegen Israel noch verstärken zu können. Arafat liefert dazu noch die verbale Munition, wenn er seit Monaten seiner aufgebrachten Gefolgschaft mitteilt, im Kampf gegen Israel gehe es jetzt ums Ganze.

Auch die Palästinenser haben hinreichend Gründe, den Israelis zu misstrauen. Zwar war seit Oslo bis ins Jahr 2000 der Glaube an einen Palästinenserstaat gewachsen, im gleichen Zeitraum haben sich aber trotz erheblicher Finanzströme in die palästinensische Autonomie die wirtschaftlichen Gegebenheiten immer weiter verschlechtert und haben seit der neuen Intifada dramatische Ausmaße angenommen.

Auch ist dem Vertrauen gegenüber den Israelis, einem Palästinenserstaat zuzustimmen, mit dem ständigen Siedlungsbau durch alle Regierungen im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgegraben worden.

Jede neue Siedlung hat die Grenzbegradigung für einen palästinensischen Staat erschwert. Der Siedlungsstopp und Pläne für Rückzüge wäre daher das wichtigste Signal zur Glaubhaftmachung der ohne Zweifel vorhandenen Friedensbereitschaft der übergroßen Mehrheit der Israelis. Dass diese nach den schlechten Erfahrungen im Zuge des freiwilligen Rückzuges aus dem Südlibanon aber nicht unter Gewalt und durch Druck zurückweichen wollen, ist wiederum leicht zu verstehen.

Die USA stehen daher vor einer schwierigen Doppelaufgabe:

  • Ist den Palästinensern klar zu machen, dass sie mit Gewalt gegenüber Israel weder mittel- noch langfristig etwas erreichen können?
  • Ist Arafat und der palästinensischen Führungselite bewusst zu machen, dass die Mehrheit der Palästinenser, die die Hauptleidenden des wirtschaftlichen Verfalls der Palästinensischen Autonomie sind, längst ein Ende der Gewalt herbeisehnen?
  • Kann Arafat vom hohen Ross seiner Träume geholt werden, es gehe ums Ganze, also auch um die Zukunft Israels?
  • Wer macht den palästinensischen Fundamentalisten klar, dass ihr sogenannter Freiheitskampf an dem Existenzrecht Israels, in Freiheit und Sicherheit leben zu können, enden muss?
  • Ist den Israelis klar, dass ein eigener Palästinenserstaat, den die israelische Mehrheit ja nicht in Frage stellt, auch eine Chance zur Entwicklung haben muss?
  • Wie kann das öffentliche Bewusstsein, dass weder ein Flickerl-Teppich, noch ein Land mit dem Muster eines Schweizer Käses zur Befriedung führt, sensibilisiert und gestärkt werden?
Es gibt noch viele Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt und beantwortet werden müssen. Klar ist, dass Hass und Gewalt, die heute vorherrschen, keine Luft für große Lösungen, jetzt und in einer Verhandlungsrunde, lassen. Richtig ist, dass das Ende der Gewalt gegen die israelische Zivilbevölkerung und der Verzicht auf weiteren provozierenden Siedlungsbau erste Grundbausteine für weiterreichende Vereinbarungen sein müssen.

Nur die USA - weder die in Detailfragen uneinigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union noch Russland - können die Autorität für eine außerordentlich schwierige Neuauflage des Friedensprozesses aufbringen. Die grundsätzliche Akzeptanz des Tenet-Planes auf beiden Seiten zeigt dies. Dies bedeutet nicht, dass sich die Europäer aus ihrer eigenen Verantwortung verabschieden sollen. Sie können über ihre Funktion als Geldgeber hinaus durchaus die Bemühungen der Amerikaner unterstützen. Dabei werden Israelis und Palästinenser mehr Zeit brauchen, als dies zu Clintons Zeit gewährt war. Sie werden sich auch gegen öffentlichen Druck von außen zur Wehr setzen.

Und sie werden es auch ohne Hilfe von außen nicht schaffen. Also liegt die Hauptverantwortung auf George W. Bush, ob er das nun will oder nicht. Die USA muss dieser Verantwortung gerecht werden. Das ist der Preis ihrer - ansonsten ja auch - beanspruchten Führungsrolle in der Welt.

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Kontakt

Dr. Alexander Brakel

Alexander.Brakel@kas.de

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