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Parlamentswahlen in Algerien: Die Bürger bleiben lieber zu Hause

von Thomas Schiller

Rapport politique succinct

Die Parlamentswahlen in Algerien haben keine Überraschung gebracht. Sowohl das Ergebnis, wie auch die äußerst niedrige Wahlbeteiligung waren von allen politischen Beobachtern vorhergesagt worden. Wie erwartet ging die amtierende Koalition aus FLN, RND und MSP als Sieger aus dem Urnengang hervor.

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Mit 249 von insgesamt 389 Abgeordneten verfügt das Dreierbündnis der sog. „Präsidenten-Allianz“ erneut über eine deutliche Mehrheit in der neuen algerischen Nationalversammlung, wenn auch mit leichten Einbußen. Innerhalb der Allianz verschieben sich die Gewichte: die ehemalige Staatspartei FLN („Nationale Befreiungsfront“) des Ministerpräsidenten Belkhadem verliert 63 Sitze und damit die absolute Mehrheit, die beiden Koalitionspartner RND (Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Ouyahia) und MSP (gemäßigt islamistisch) gewinnen leicht hinzu. Die Opposition ist zersplittert: die Arbeiterpartei (PT) von Louisa Hannoune kommt auf 26, der durch die kabylische Minderheit geprägte RCD auf 19 Sitze, 33 Mandate konnten unabhängige Kandidaten erringen, der Rest verteilt sich auf Kleinstparteien.

Die Legislaturperiode in Algerien beträgt 5 Jahre. Die Abgeordneten werden nach einem regionalisierten Verhältniswahlrecht gewählt, d.h. jeder Bürger stimmt für eine Liste in seinem Departement. Dies führt leider auch dazu, dass der Frauenanteil in der Nationalversammlung auch diesmal nicht sehr hoch sein dürfte, da sie selten aussichtsreiche Listenplätze in den einzelnen Departements einnahmen.

Wahlergebnis 2007

FLN 136 Sitze

RND 61

MSP 52

PT 26

RCD 19

Unabhängige 33

Andere Parteien 62

Quelle: Algerisches Innenministerium

Niedrige Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung betrug lediglich 35,5% und unterschritt die bereits geringe Beteiligung von 2002 (etwa 46%) um mehr als 10%. Damit haben die Algerier die wiederholten Aufforderungen der Regierung und der politischen Parteien, sich „massiv“ an den Wahlen zu beteiligen, ignoriert. Am niedrigsten war die Wahlbeteiligung in den großen Städten und in der Kabylei (Region im Osten von Algier). Nach offiziellen Zahlen lag die Wahlbeteiligung in der Hauptstadt Algier bei lediglich 18,41%. Diese Zahl wird noch unterboten in den beiden kabylischen Bezirken Tizi Ouzou (16,14%) und Bejaia (17,77 %). In vielen traditionellen ländlichen Regionen hingegen überschritt die Beteiligung die 50%-Marke.

Die massive Wahlenthaltung sollte jedoch nicht auf die jüngsten Boykottaufrufe der Terroristengruppe Al-Qaida zurückgeführt werden. Vielmehr haben die Algerier ihrer Unzufriedenheit mit der politischen Klasse Ausdruck verliehen. Diese gilt als weit entfernt von den Alltagssorgen der Bürger, Abgeordnete werden lediglich als überflüssige Kostgänger angesehen. Die meisten Algerier sind zudem der Überzeugung, dass die wirklich wichtigen Entscheidungen nicht durch die Regierung oder das Parlament, sondern in undurchsichtigen Parallelstrukturen fallen. Weit mehr Interesse als den Parlamentswahlen wird deshalb dem Gesundheitszustand des 2004 wiedergewählten Präsidenten Bouteflika und Gerüchten um erste Positionskämpfe für dessen Nachfolge entgegengebracht.

Die Wahlverweigerung der Algerier ist eine schwere Hypothek für die Legitimität jeder neuen Regierung und spiegelt den Bruch zwischen Politik und Gesellschaft wider. Darüber hinaus wird dem Regierungslager Wahlfälschung vorgeworfen. Die Nationale Wahlüberwachungskommission (CNPSEL) hat zwar einzelne Vorfälle bestätigt, aber zugleich erklärt, diese hätten keinen Einfluss auf das Gesamtergebnis.

Anschläge überschatteten die Wahlen

Die Wahlen fanden vor dem Hintergrund neuer Anschläge der Terrorgruppe „Al-Qaida im islamischen Maghreb“ (ehemals GSPC) statt. Die blutigen Selbstmordanschläge in Algier am 11. April 2007 auf den Regierungspalast und eine Polizeiwache haben zuletzt die Handlungsfähigkeit dieser Terrororganisation unterstrichen. Einen Tag vor den Wahlen, am 16. Mai, kam es zu einem Anschlag in Constantine im Osten des Landes, der ein Todesopfer und mehrere Verletzte forderte. Experten gehen davon aus, dass der Maghreb, und hier insbesondere Algerien, in der nächsten Zeit im Fokus des internationalen Terrorismus stehen wird. Die jüngsten Anschläge sind für Algerien auch in ihrer Außenwirkung gefährlich, tragen sie doch dazu bei, das in den blutigen neunziger Jahren entstandene negative Image Algeriens im Ausland fortbestehen zu lassen. Dieses Negativbild ist sowohl eine Gefahr für die Integration des Landes in die Weltwirtschaft, schreckt es doch ausländische Investoren und Touristen ab, wie auch für die politische und soziale Entwicklung Algeriens, denn die ständige Bedrohung durch den Terror führt dazu, das Trauma der „blutigen Jahre“ fortbestehen zu lassen. Gleichwohl gilt es deutlich zu machen, dass nach Auffassung der meisten Beobachter der Terrorismus keine Gefahr für die Stabilität des Landes darstellt.

Ausblick

Algerien hat in den letzten Jahren viel erreicht, das Land ist nach dem Ende der „blutigen Jahre“ stabil. Zudem haben die hohen Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor die Kassen Algeriens prall gefüllt. Die Mittel für dringend benötigte Infrastrukturinvestitionen sind vorhanden. Für die Zukunft des Landes und der von Präsident Bouteflika betriebenen Politik der nationalen Versöhnung wird es jedoch entscheidend darauf ankommen, das Vertrauen der Algerier in den Staat und seine Institutionen zu stärken und den Reformkurs zu konsolidieren. Dies kann nur gelingen, wenn die Politik der Demokratisierung und Öffnung weiter vorangetrieben wird und zugleich die alltäglichen Probleme, wie Arbeitslosigkeit, Infrastrukturdefizite und Wohnungsnot, engagiert angegangen werden. Daran werden die Algerier die neue Regierung messen.

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