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Polen vor dem Referendum

von Dr. Henning Tewes, Wojciech Pawlak

Über den EU-Beitritt

Nach dem Kopenhagener Gipfel am 13. Dezember 2002 und der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags am 17. April 2003 wartet mit dem Referendum am 7. und 8. Juni auf Polen nun der dritte entscheidende Schritt auf dem Weg zum EU-Beitritt.

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Die Tatsache, dass das Referendum trotz anfänglicher Bedenken auf zwei Tage festgesetzt wurde, unterstreicht die Bedeutung der Entscheidung. Diese ist – wenn man den Umfragen Glauben schenkt – in der Bevölkerung angekommen. Polens Beitritt zur Europäischen Union wird als eine der wichtigsten Entscheidungen betrachtet, mit denen das Land konfrontiert ist. Wenn in Umfragen nach Problemen gefragt wird, mit denen sich Polen auseinandersetzen muss, wird die europäische Integration seit Monaten direkt hinter der Arbeitslosigkeit an zweiter Stelle genannt.

Die doppelte Hürde

Das Referendum wird nur dann bindend, wenn die Beteiligung mehr als 50% der Stimmberechtigten beträgt. Daneben reicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen für einen positiven Entscheid. Beobachter sind sich darin einig, dass mindestens 70% - vielleicht auch mehr – der abgegebenen Stimmen Ja-Stimmen sein werden. Es ist also nicht die Frage „Ja“ oder „Nein“, die für das Referendum ausschlaggebend sein wird. Vielmehr bereitet die Sorge vor einer zu niedrigen Beteiligung den politisch Verantwortlichen Kopfschmerzen.

Obwohl die Polen in Umfragen gerne erklären, dass über die für das Land wichtigsten Fragen in Volksabstimmungen entschieden werden soll, blieben bei den Referenden seit 1990 die meisten Stimmberechtigten doch zu Hause. Beim Referendum über die allgemeine Privatisierung 1996 nahmen nur 32,4% der Wahlberechtigten teil, beim Verfassungsreferendum 1997 42,8%. In seiner jüngsten Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut OBOP den Anteil der sicher Abstimmenden auf 49% geschätzt.

Die Tatsache, dass an zwei Tagen abgestimmt wird und dass die Beteiligung – ähnlich wie in Litauen – am Ende des ersten Tages öffentlich gemacht werden darf, lässt hoffen. Sicher wird es am Sonntag, dem 8. Juni, zu einer Reihe von Aufrufen von prominenten Vertretern aus Politik und Gesellschaft kommen.

Wie so oft bei Referenden geht es auch am 7./8. Juni um mehr als nur den Beitritt Polens zur EU. Abgestimmt wird auch über die Regierung von Ministerpräsident Miller und die politische Klasse als Ganze. Niedriges Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit (18%), noch höhere Jugendarbeitslosigkeit (bis zu 45%) und eine in Korruptionsskandale verstrickte Regierung gestalten kein optimales Umfeld, um ein Referendum zu gewinnen. Die Popularitätswerte des Ministerpräsidenten sind seit Anfang des Jahres dramatisch gefallen und liegen derzeit bei 8 -10%. Damit sind sie sogar noch niedriger als die Popularitätswerte von Jerzy Buzek in den Jahren 2000-2001. Ähnliches gilt für die Regierung als Ganze und die Regierungspartei SLD, die von 41% bei den Wahlen im September 2001 auf 21% gesackt ist.

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Ministerpräsident Miller, der sich in seiner eigenen Partei zunehmend vom Herrscher zum Problemfall entwickelt hat, steht unter enormem Druck, noch vor dem Referendum zurückzutreten, um ein kurzfristiges, positives Signal zu geben und die Entscheidung über den EU-Beitritt im Bewusstsein der Bürger von der Zustimmung zur Regierung zu entkoppeln. Es ist zwar möglich, dass Miller den Parteitag der SLD am 1. Juni überlebt, gleichzeitig könnte er aber vom Amt des Ministerpräsidenten zurücktreten wollen, um sein Amt als Parteivorsitzender zu halten.

Das politische Umfeld

Die politischen Parteien sind bei der Vorbereitung des Referendums wichtige Akteure. Vier der im Parlament vertretenen Parteien sind für den EU-Beitritt: Die Regierungspartei SLD, die im März aus der Regierung ausgeschiedene Bauernpartei PSL, sowie die „bürgerliche“ Opposition: Bürgerplattform und „Recht und Gerechtigkeit“. Als Europagegner hingegen profilieren sich zwei Parteien mit parlamentarischer Vertretung, die national-klerikale „Liga der Polnischen Familien“ und die populistische „Selbstverteidigung“ des Bauernführers Andrzej Lepper.

Während die SLD den Regierungsapparat für die EU-Kampagne mobilisiert hat, sind die Oppositionsparteien zum Teil in eigener Regie tätig. Besonders die „Bürgerplattform“, die finanziell von allen Parteien am schlechtesten da steht, hat mit einer intensiven Kampagne begonnen, welche Großkundgebungen in fast allen polnischen Städten beinhaltet.

Zwar ist die Wählerschaft der „Bürgerplattform“ besonders pro-europäische eingestellt (bis zu 95% befürworten den EU-Beitritt). Bezeichnenderweise erwarten aber alle Wähler, dass ihre Parteien in der EU-Frage Position beziehen (siehe Schaubild).

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Eine entscheidende Rolle in der öffentlichen Debatte spielen außerdem Staatspräsident Kwasniewski, der eine eigene Reihe von Großkundgebungen in Gang gesetzt hat, sowie verschiedene Institutionen des Nichtregierungssektors. Im letzteren profiliert sich vor allem die Polnische Robert-Schuman-Stiftung (KAS-Projektpartner), welche in den letzten Wochen Hunderte von Informationsveranstaltung organisiert hat.

Die Rolle der katholischen Kirche

Dass die katholische Kirche in Politik und Gesellschaft in Polen eine wichtige Rolle spielt, gehört zu den Binsenweisheiten der politischen Beobachter des Landes. Welche Rolle die Kirche aber wirklich spielt, ist meist schwer zu definieren. Gerade Anfang der neunziger Jahre hatte der Klerus wiederholt klare Wahlempfehlungen für nationale und christliche Parteien abgegeben, ohne dass diese befolgt wurden. Dies gilt auch für die Worte des Papstes. Zwar wird dieser verehrt und als moralische Autorität für alle Polen bezeichnet. Dies bedeutet aber nicht, dass die politische Klasse oder die Bevölkerung seiner Position auch folgt. Ein Beispiel dafür ist die Haltung Polens zum Krieg im Irak.

In Umfragen geben zwei Drittel der Befragten an, dass die katholische Kirche in Polen, von der Referendumskampagne Abstand nehmen soll - im Gegensatz also zu den politischen Parteien.

Der Episkopat hat sich seit Mitte letzten Jahres (Papstbesuch im August 2002) zu einer Position durchgerungen, die man als „Ja, aber“ bezeichnen kann. Er befürwortet die Europäische Integration als Ganze, warnt aber vor dem Sittenverfall, den man in einigen westeuropäischen Ländern beobachtet und den man mit den Schlagwörtern Euthanasie, Abtreibung und Prostitution zusammenfassen kann. Papst Johannes Paul II. hat in den letzten vier Jahren zunehmenden Druck auf den polnischen Klerus ausgeübt. Bei seinen Pilgerfahrten 1999 und 2002 nahm er offiziell Stellung; auch dem apostolischen Nuntius, Erzbischof Kowalczyk, wird eine wichtige Rolle bei der „Europäisierung“ des Episkopats zugeschrieben. Mit seinen klaren Worten am 19. Mai 2003 hat der Papst den katholischen Europagegnern in Polen zusätzlich Wind aus den Segeln genommen. In Rom sagte er: „Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu (fairen) Bedingungen () ist für unsere Volk und unsere slawischen Brudervölker ein Ausdruck geschichtlicher Gerechtigkeit und kann gleichzeitig eine Bereicherung Europas bedeuten“ Für die politisch-publizistische Umgebung von Radio Maryja und der “Liga der Polnischen Familien“ hat sich die Situation in den letzten 10 Tagen daher erschwert.

Meinungen zur EU

Die Schwierigkeiten liegen also eher im politischen Umfeld, als in den Meinungen der Polen über die EU selbst. In Umfragen gibt die Mehrheit der Befragten an, dass der EU-Beitritt langfristig eine wirtschaftliche und zivilisatorische Verbesserung für Polen erwarten lässt. Dies soll aber nicht bedeuten, dass die Polen keine Ängste hätten, die sie mit dem EU-Beitritt verbänden.

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Die Polen fühlen sich schlecht informiert über die Chancen und Risiken des EU-Beitritts. Sie erwarten, dass die ersten Jahre als Mitglied eher schwierig sein werden, sehen sich vom Staat allein gelassen und befürchten daher, dass sie nicht imstande sein werden, dem Wettbewerbsdruck der EU-Länder zu widerstehen. Auch die Angst vor dem Vergessen-werden spielt eine Rolle, d.h. die Überzeugung, dass nur wenige Regionen, vor allem diejenigen, die „nah an Europa“ liegen, gewinnen werden. Ein viel stärkeres Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Verlassenheit sowie ein niedriges Selbstbewusstsein und Resignation werden von Einwohnern „kleiner und mittelgroßer Städte“ empfunden. Je größer die Stadt, je niedriger die Arbeitslosigkeit, desto mehr Hoffnung.

Fazit

Die Auswirkungen des EU-Referendums auf die politische Landschaft in Polen sind enorm. Sollte die doppelte 50%-Hürde gemeistert werden, könnten die SLD und Ministerpräsident Miller einen erneuten Aufschwung erfahren. Dieser könnte dazu führen, dass die Mehrheit im Parlament erneut verbreitert wird – beispielsweise durch die Rückkehr der Bauernpartei PSL in die Regierung. Damit wäre auch der Plan vorgezogener Neuwahlen im Juni 2004 verworfen, den Staatspräsident Kwasniewski und Miller im April als Antwort auf die schwelende Regierungskrise vorgestellt hatten.

Ob es aber zu der doppelten Mehrheit kommt, ist nach wie vor offen. Aus den oben angeführten Gründen sind die Rahmenbedingungen derzeit alles andere als hilfreich – auch wenn es die historische Tragweite der Entscheidung vielen Polen sicher präsent ist. Sollte die 50%-Beteiligung nicht zustande kommen, kann das polnische Parlament (Sejm und Senat) mit 2/3-Mehrheit abstimmen. Diese Mehrheit gilt als gesichert. Ein Rücktritt der Regierung Miller wäre aber wohl ebenso unvermeidlich wie das Erstarken der EU-Gegner, die argumentieren würden, dass die politische Elite die Entscheidung über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen habe. Für die dann wohl im Herbst 2003 oder Frühjahr 2004 anstehenden Neuwahlen lässt dies nichts Gutes vermuten.

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