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Länderberichte

Stand der Vorbereitungen für den Beitritt zur Europäischen Union

von Frank Spengler
Als vorläufiger Termin für den EU-Beitritt Tschechiens ist das Jahr 2003 vorgesehen. Es besteht akuter Handlungsbedarf, zumal die EU-Kommission den Entwicklungsstand der Tschchischen Republik sehr negativ beurteilt. Die im Parlament vertretenen Parteien sind mit großer Mehrheit für den EU-Beitritt; auch in der Bevölkerung gibt es seit Jahren eine stabile pro-europäische Mehrheit. Wirtschaftlich scheint das Land sich allmählich wieder zu erholen.

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Am 31. März 1998 beschloss der Europäische Rat, offizielle Verhandlungen mit der Tschechischen Republik über den Beitritt zur Europäischen Union (EU) aufzunehmen. Drei Tage später begann bereits das so genannte "Screening", d.h. die Bestandsaufnahme der tschechischen Gesetzgebung im Hinblick auf die angestrebte Erreichung des "Gemeinsamen Besitzstands" (Acquis Communautaire), das am 8. Juli 1999 abgeschlossen wurde.

Der Acquis Communautaire setzt sich aus 31 Kapiteln zusammen. Zu jedem Kapitel legte die Tschechische Republik der Europäischen Kommission ein Positionspapier vor. Sie verpflichtete sich damit, bestimmte Gesetze und Richtlinien dem europäischen Standard anzupassen.

Als vorläufiger Beitrittstermin wird das Jahr 2003 angestrebt, weshalb alle Gesetzesänderungen bis 1. Januar 2003 in Kraft treten sollen. Für einige Bereiche wurde eine Übergangszeit gefordert: Kultur und audiovisuelle Medien, Außenbeziehungen, Energieversorgung, Umwelt, freier Kapitalverkehr, Steuern, Finanz- und Haushaltsbestimmungen, freier Personenverkehr, Zusammenarbeit im Bereich der Justiz und des Inneren ("Schengen") sowie Landwirtschaft.

Bisher wurden zwei der jährlich erarbeiteten regelmäßigen Berichte der Europäischen Kommission über die Fortschritte der Tschechischen Republik vorgelegt. In beiden Dokumenten wird der Stand der Entwicklung in der Tschechischen Republik sehr negativ beurteilt.

Der letzte Fortschrittsbericht vom 13. Oktober 1999 bescheinigte der Tschechischen Republik zwar die Erfüllung der Kriterien von Kopenhagen, jedoch seien weitere Anstrengungen in einigen Bereichen notwendig. Zu den wichtigsten Proble-men gehören im politischen Bereich

die Reform der Justiz,

die Verbesserung der Situation der Roma,

die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und der Korruption.

Im Wirtschaftsbereich wird insbesondere die Verabschiedung entsprechender Rechtsvorschriften zur

Beschleunigung der Privatisierung und der Umstrukturierung der Wirtschaft,

Erhöhung der Transparenz der Staatsfinanzen

gefordert.

Zu Beginn der Beitrittsverhandlungen wurden 15 Kapitel eröffnet, wovon acht vorläufig abgeschlossen werden konnten (Wissenschaft und Forschung, allgemeine und berufliche Bildung, kleine und mittlere Unternehmen, Statistik, Industriepolitik, Telekommunikation, Fischerei und Verbraucherschutz). Die Verhandlungen über diese Kapitel können aber jederzeit wieder aufgenommen werden.

Im Rahmen von zwei Verhandlungsrunden auf der Ebene der Chefunterhändler am 30. September 1999 und 12. November 1999 wurden weitere sieben Kapitel eröffnet. Bei dem Treffen auf Ministerebene am 7. Dezember 1999 kam ein weiteres Kapitel hinzu (insgesamt 23 von 31) und zwei (freier Warenverkehr sowie Wirtschafts- und Währungsunion) konnten vorläufig abgeschlossen werden. Während der portugiesischen Ratspräsidentschaft sind zwei Verhandlungsrunden der Chefunterhändler, am 6. April und 11. Mai 2000, und eine Konferenz auf Ministerebene, am 14. Juni 2000, geplant.

Im Februar 2000 wurde mit dem "Up-date-Screening" begonnen, das sich mit dem im Jahre 1999 neu vereinbarten Acquis Communautaire befasst. Dieses wird im Unterschied zu dem ursprünglichen Screening (d. h. multilaterale und bilaterale Verhandlungen) einfacher verlaufen. Es wird überwiegend in schriftlicher Form durchgeführt. Multilaterale Verhandlungen wird es nur über die Themen Außenbeziehungen und Zollunion geben.

Die tschechischen Parteien und der EU-Beitritt

In der Tschechischen Republik regiert seit den letzten Wahlen im Jahre 1998 die Sozialdemokratische Partei (CSSD). Premierminister Milos Zeman steht einer Minderheitsregierung vor, die durch einen "Oppositionsvertrag" mit der Bürgerlich-Demokratischen Partei (ODS) von Vaclav Klaus toleriert wird. Die Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien wurde erst Ende Januar 2000 durch einen so genannten "Toleranzpakt" vertieft. Politische Beobachter gehen nun davon aus, dass bis zu den nächsten Wahlen im Jahre 2002 die Regierung Bestand haben wird.

Mit Ausnahme der Kommunistischen Partei für Böhmen und Mähren (KSCM) unterstützen alle anderen im Parlament vertretenen Parteien grundsätzlich den Beitritt des Landes in die EU. Unterschiedliche Auffassungen gibt es jedoch hinsichtlich der notwendigen Übertragung von Kompetenzen auf die Brüsseler Institutionen und der Übergangsfristen sowie Ausnahmeregelungen. Die KSCM kann als einzige Partei der EU-Gegner bezeichnet werden. Die Masse der Mitglieder stehen im starken Widerspruch zur EU-Mitgliedschaft, einige führende Persönlichkeiten der Partei hingegen könnten sich unter bestimmten Bedingungen einen EU-Beitritt vorstellen.

Die Sozialdemokraten unterstützen seit den neunziger Jahren, im Unterschied zum NATO-Beitritt, geschlossen die Integration des Landes in die EU. Die ODS befürwortet zwar prinzipiell die Mitgliedschaft in der EU, bevorzugt aber einen Beitritt des Landes erst nach der Reform ("Vertiefung") der EU. Voraussetzung ist jedoch, dass die tschechische Bevölkerung sich in einem Referendum für einen derartigen Schritt ausspricht. Die Währungsunion wird von der ODS eher skeptisch beurteilt. Den Schwerpunkt der EU-Politik sieht die Partei von Vaclav Klaus in einer weiteren Liberalisierung des EU-Marktes.

Die Christlich-Demokratische Union-Tschechoslowakische Volkspartei (KDU-CSL) und die Freiheitsunion (US) weisen zusammen mit zwei kleineren Parteien -ODA und DEU- eine eindeutige pro-europäische Orientierung auf. Diese Parteien haben sich zu der sogenannten "Viererkoalition" zusammengeschlossen und wollen bei den nächsten Wahlen ihre pro-europäische Haltung als wichtigsten Punkt der Wahlkampfplattform herausstellen. Die Viererkoalition unterstützt eine volle Mitgliedschaft des Landes in der EU und eine weitere Vertiefung der Integration.

Einige Aspekte des EU-Beitritts der Tschechischen Republik

Die Meinungsumfrage des Instituts IVVM vom Dezember 1999 gibt die Zustimmung der Bevölkerung für einen EU-Beitritt mit 56 % an. Dagegen sprachen sich 23 % aus. Diese Zahlen weisen in den letzten fünf Jahren eine stabile Tendenz auf. An die Unentschlossenen und Euroskeptiker wendet sich die sog. "Kommunikationsstrategie vor dem Beitritt Tschechiens zur EU", die im Herbst 1999 von dem tschechischen Außenministerium initiiert wurde. Diese Kampagne soll den Bürgern umfangreiche Informationen über die EU auf verständliche Weise nahe bringen. So wurden Sendungen für das Fernsehen hergestellt, Broschüren über verschiedene EU-Themen und für unterschiedliche Zielgruppen herausgegeben und Informationen im Internet veröffentlicht.

Die langsame Vorbereitung und Verabschiedung entsprechender Rechtsvorschriften im Rahmen der Vorbereitung des Landes auf den EU-Beitritt war bisher der wichtigste Kritikpunkt der EU-Kommission. In dem letzten Fortschrittsbericht kam dies auch klar zum Ausdruck. In informellen Gesprächen zwischen europäischen und tschechischen Experten wurde ein Abgleiten des Landes in die zweite Gruppe der Beitrittskandidaten als eine durchaus denkbare Konsequenz diskutiert.

Diese Situation ist zu einem großen Teil auf die politische Instabilität im letzten Jahr zurückzuführen. Der Fortbestand der Minderheitsregierung war mehrfach gefährdet und das politische Leben durch eine Vielzahl von parteipolitischen Winkelzügen teilweise gelähmt. Der Ende Januar 2000 abgeschlossene Toleranzpakt zwischen ODS und CSSD soll diese unhaltbare Situation beenden. Er basiert auf fünf vertraglich geregelte Absprachen, die u.a. auch eine wesentliche Beschleunigung der Beitrittsvorbereitungen des Landes bewirken sollen. Beide Parteien haben sich darauf verständigt, dass der EU-Beitritt Tschechiens von nationalem Interesse sei.

Sie beschlossen zwei Mal jährlich die Regierungsentwürfe von Gesetzen, die mit der Anpassung an das EU-Recht zusammenhängen, bilateral zu besprechen. ODS sowie CSSD haben sich weiterhin verpflichtet, die Harmonisierung der Rechtsnormen an die der EU nicht zur Durchsetzung eigener politischer Ziele auszunutzen. Die beiden Parteien haben sich sicherlich auch deshalb auf eine stärker europäisch ausgerichtete Politik verständigt, um der Viererkoalition nicht allein das Feld für ein uneingeschränktes pro-europäisches Auftreten zu überlassen.

Mit der Koalitionsvereinbarung von FPÖ und ÖVP in Österreich im Februar 2000 droht die Gefahr einer Verzögerung der EU-Osterweiterung. Das Atomkraftwerk Temelin, die Beneš-Dekrete oder die Entschädigung der Zwangsarbeiter sind Themen, die die Beziehungen zwischen beiden Ländern belasten. Der Außenminister der Tschechischen Republik, Kavan (CSSD), kündigte an, die diplomatischen Beziehungen auf ein Minimum zu reduzieren, falls der EU-Beitritt Tschechiens von Seiten der Österreicher beeinträchtigt werde. Anders reagierte ODS-Chef Klaus. In einem Interview für "Radio Freies Europa" erklärte er, dass er nicht in einem Europa leben wolle, in dem andere Staaten einem Land diktieren würden, wer in dessen Regierung sitzen muss. Die Schritte der EU bezeichnete er als "falsch, unverständlich und kurzsichtig" und titulierte die Maßnahmen der EU als "Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines Staates". In einem Gespräch zwischen Kanzler Wolfgang Schüssel und dem Vorsitzenden der KDU-CSL, Jan Kasal, bestätigte der Regierungschef jedoch, dass Österreich den EU-Beitritt Tschechiens unterstützen wird und die bestehenden Probleme auf bilateraler Ebene gelöst werden sollten.

Die Wirtschaftliche Situation

Die tschechische Wirtschaft scheint den Tiefpunkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung im Jahre 1999 durchschritten zu haben. Gegen Ende des vergangenen Jahres konnte sogar von einer geringen Belebung der wirtschaftlichen Aktivitäten gesprochen werden. Nach über 16 Monaten eines rückläufigen Wirtschaftswachstums konnte erstmals im zweiten Quartal 1999 ein geringes Wachstum von 0,3% registriert werden. Im dritten Quartal wuchs die Wirtschaft um 0,8%. Die Wirtschaftsexperten rechnen für das Jahr 1999 mit einem Rückgang des BIP von 0,5%. Für das Jahr 2000 wird ein Zuwachs von 1,4 % (Amt für Statistik) bis zu 2 % (Raiffeisenbank und Komercni banka) angenommen.

Im Bereich der Strukturreformen hat die Regierung im April 1999 ein Programm zur Wiederbelebung der Industrie verabschiedet. Dieses soll den wichtigsten Industrieunternehmen den Zugang zu Krediten ermöglichen, um eine durch den Staat kontrollierte Umstrukturierung durchzuführen. Zu diesem Zweck wurde eine spezielle staatliche Agentur gegründet. Sobald wie möglich sollen diese Unternehmen an neue Investoren verkauft werden. Es handelt sich aber nur um Betriebe, die eine reale wirtschaftliche Überlebenschance haben.

Für den Außenhandel brachte das Jahr 1999 große Änderungen. Es kam zu einer wesentlichen Verzögerung des Anstieges der Ex- und Importe, beim Warenexport um 4,5% (gegenüber 17,6% im Jahre 1998) und beim Warenimport um 2,5% (gegenüber 7,9% im Jahre 1998).

Die Auslandsinvestitionen in Höhe von 3,5 Mrd. US-Dollar wurden im Jahre 1999 überwiegend in Bereichen Banken, Versicherungen und Handel angelegt. Zu den wichtigsten Investoren zählen Belgien (36%), USA (13,8%) und Deutschland (13,1%). Im Juni 1999 wurde endlich die schon länger erwartete Privatisierung der CSOB, einer der drei Banken, die bis dahin noch überwiegend im Staatsbesitz waren, abgeschlossen. Der 66%-tige Staatsanteil wurde an die belgische KBC Bank verkauft.

Am 1. März 2000 wurde der Vertrag über den Verkauf der Ceska sporitelna (Tschechische Sparkasse an die österreichischen Erste Bank unterzeichnet. Der Staat verkaufte 53 % der Aktien zum Preis von 19 Milliarden tschechische Kronen (CZK). Die Privatisierung der Komercni banka (Kommerzbank) soll bis Ende des Jahres 2000 durchgeführt worden sein.

Zu den größten Erfolgen der Regierung gehört die niedrigste Jahresinflationsrate seit der Liberalisierung der Wirtschaft in Höhe von 2,2% für das Jahr 1999. Am Ende des Jahres 1998 betrug die Inflationsrate 10,7 %.

Ein immer größer werdendes Problem ist die ständig ansteigende Arbeitslosigkeit. Mit einer Arbeitslosenquote von 9,4% im Januar 2000 und den antizipierten 10% - 12% zu Ende des Jahres, näheren sich die Zahlen der Europäischen Union an. Es treten hinsichtlich der Verteilung der Arbeitslosigkeit große regionale Unterschiede auf. Zu den am meisten betroffenen Regionen gehören Nordböhmen und Nordmähren mit fast 20%, den Gegenpol bildet Prag mit 3,5%.


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