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Länderberichte

Wirtschaftliche Lage, Menschenrechte und ein altersschwacher Diktator

Die scheinbar willkürliche Kombination beider Themen spiegelt in Wahrheit zwei wesentliche Ebenen in der chilenischen Aktualität wider: Zum einen die Erwartungen, Sorgen und Aussichten der großen Mehrheit der Bevölkerung hinsichtlich ihrer ganz persönlichen Situation (in diesem Kontext spielt das Thema Pinochet, Vergangenheitsbewältigung und Menschenrechte so gut wie keine Rolle) und zum anderen die zum Teil überraschenden Wendungen im juristischen Verfahren gegen Augusto Pinochet, die ersten Enthüllungen über den Verbleib der während seiner Diktatur Verschwundenen und die Reaktionen auf beide Ereignisse aus dem Lager der Politik und der Militärs.Beide Elemente zeichnen und verzerren zugleich das Bild Chiles als eines Landes, das in wirtschaftlicher (und sozialer) Hinsicht versucht den bisherigen Entwicklungsweg auszubauen und zu verbessern und in gesellschaftspolitischer und politischer Hinsicht nur mühsam voran kommt bei der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und Bildung eines (notwendigen) gesellschaftlichen Minimalkonsenses.

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Die scheinbar willkürliche Kombination beider Themen spiegelt in Wahrheit zwei wesentliche Ebenen in der chilenischen Aktualität wider:
Zum einen die Erwartungen, Sorgen und Aussichten der großen Mehrheit der Bevölkerung hinsichtlich ihrer ganz persönlichen Situation (in diesem Kontext spielt das Thema Pinochet, Vergangenheitsbewältigung und Menschenrechte so gut wie keine Rolle) und zum anderen die zum Teil überraschenden Wendungen im juristischen Verfahren gegen Augusto Pinochet, die ersten Enthüllungen über den Verbleib der während seiner Diktatur Verschwundenen und die Reaktionen auf beide Ereignisse aus dem Lager der Politik und der Militärs.
Beide Elemente zeichnen und verzerren zugleich das Bild Chiles als eines Landes, das in wirtschaftlicher (und sozialer) Hinsicht versucht den bisherigen Entwicklungsweg auszubauen und zu verbessern und in gesellschaftspolitischer und politischer Hinsicht nur mühsam voran kommt bei der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und Bildung eines (notwendigen) gesellschaftlichen Minimalkonsenses.


Wirtschaftliche Lage

Zwei Anfang des Jahres veröffentlichte Umfragen1 zeichnen ein eher skeptisches Bild, was die Perzeption der wirtschaftlichen Lage aus der Sicht der Bevölkerung angeht.

Hinsichtlich der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung äußerten sich die Befragten wie folgt:



FortschrittStillstandRückschritt
CEP26%53%18%
Gallup25%51%24%


Nach der eigenen persönlichen Situation (in wirtschaftlicher Hinsicht) gefragt antworteten die Befragten wie folgt (GALLUP):


BesserStillstandSchlechter
im Vergleich zum Vorjahr17%49%34%
Aussichten für das kommende Jahr57 %32%8%


Diese Zahlen belegen eine im Trend eher pessimistische und skeptische Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage, verbunden mit einer gewissen Hoffnung, dass sich dies im aktuellen Jahr verbessern kann.

Dieser Optimismus wird sicher auch durch die inzwischen vorliegenden Wirtschaftsprognosen von Regierung, Zentralbank und Consultingorganisationen genährt.

Die von der Zentralbank am 24. Januar bekannt gegebenen Zahlen zeichnen folgendes Bild (Prognosen):


200020012002
Wirtschaftswachstum (BIP)5,4%5,6%5,9%
Inflation4,5%3,4%2,9%


Diese Zahlen (v.a. BIP-Entwicklung) sind gegenüber den Schätzungen aus dem Monat September leicht nach unten korrigiert worden, was als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die Zentralbank in ihrer Einschätzung etwas zurückhaltender geworden ist, nicht zuletzt durch die jüngsten Wachstumsdaten aus den Monaten November und Dezember, die ein nur gebremstes Wachstum aufwiesen.

Die Regierung und auch Unternehmerverbände und Consultingfirmen legten eigene Prognosen vor, die jedoch nicht wesentlich von denen der Zentralbank abwichen. So korrigierte auch der Finanzminister Eyzaguirre seine Wachstumsprognose von 6,0% Mitte Januar auf 5,5%, analog zu den Zahlen der Zentralbank.

Im Vergleich mit der von der Zentralbank angenommenen Weltwirtschaftsentwicklung (2000: +4,9 %; 2001: +3,8%; 2002: +4,2%) liegt Chile damit aber immer noch deutlich über dem Weltdurchschnitt und kann demzufolge mit diesen makroökonomischen Daten mehr als zufrieden sein.

Besonders wichtig für die Einschätzung der persönlichen wirtschaftlichen Lage sind natürlich auch die Zahlen am Arbeitsmarkt.

Mit dem deutlichen Rückgang der Arbeitslosenzahlen Ende des Jahres 2000 auf unter 10% (8,3% für das letzte Quartal 2000) setzte hier eine spürbare Besserung ein, die andeutet, dass sich die Wachstumszahlen nun langsam auch am Arbeitsmarkt niederschlagen. Die Regierung ist allerdings, was Prognosen angeht, inzwischen vorsichtig geworden.

Nach den vollmundigen (Wahlkampf-)Versprechungen, im Jahr 2000 200.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen (was mit lediglich 56.000 auch nicht ansatzweise erreicht wurde), sind die vom Planungsministerium jüngst bekannt gewordenen Zahlen2 weitaus zurückhaltender: Hier geht man von 80.000 (bei 5% Wachstum) bis 108.000 (bei 6% Wachstum) neuen Arbeitsplätzen und von einer Arbeitslosenrate aus, die im schlimmsten Falle (nur 5% Wachstum) selbst im Winter die 10% Marke nicht überschreiten wird (max. 9,9%).

Angesichts der Exportabhängigkeit der chilenischen Wirtschaft und des Abkühlens der weltwirtschaftlichen Lage tut die Regierung auch gut daran, sich mit allzu optimistischen Prognosen zurückzuhalten. Die außenwirtschaftlichen Faktoren - wie z.B. die Entwicklung der Kupferpreise (für den Export) und der Erdölpreise (für den Import) - sind Variablen, die die chilenische Regierung nun einmal nicht in der Hand hat, die sich aber stark auf die eigene wirtschaftliche Lage (und damit auch auf den Arbeitsmarkt) auswirken können. Hinzu kommen die noch ausstehenden Verhandlungen Chiles mit den USA (fast track), der EU (Handelsabkommen) und dem MERCOSUR (Handels- und Zollunion), von dessen Ausgang vor allem die außenwirtschaftliche Entwicklung des Landes nicht unwesentlich abhängen wird.

Insgesamt sind jedoch vorsichtig optimistische Aussichten, was die wirtschaftliche Lage Chiles im Jahr 2001 angeht, durchaus der Situation angemessen.

Die strukturellen Defizite wie die ungleiche Einkommensverteilung (sowohl sozial wie auch regional) bleiben allerdings bestehen und sind eindeutig Herausforderungen an die nationale Politik.

Inwieweit hier tatsächlich Veränderungen in Gang kommen darf bezweifelt werden. 2001 ist ein Wahljahr und das fördert bekanntlich eher populistische Versprechungen, denn konkrete Reformansätze, für die ein Konsens zwischen Regierung und Opposition in vielen Fällen erforderlich wäre.

Pinochet und Menschenrechte

Hinter der formalen Normalität, mit der das juristische Verfahren gegen den seiner parlamentarischen Immunität entzogenen Senator auf Lebenszeit und ehemaligen Juntachefs Augusto Pinochet Ugarte in den letzten Wochen seinen Lauf nahm, verstecken sich in Wahrheit einige im chilenischen Kontext mehr als ungewöhnliche Aspekte:
  • die Tatsache, dass Pinochet zu Lebzeiten einem chilenischen Richter gegenüber stehen (oder sitzen) würde, dem er zur Aussage verpflichtet ist, wäre noch vor 2 Jahren völlig undenkbar gewesen. So undenkbar, dass seine Anhänger während des Arrestes in London immer wieder und in aller Schärfe forderten, dass Pinochet sich allein der chilenischen (und nicht der britischen oder spanischen ) Justiz zu verantworten habe (dies natürlich in der vermeintlichen Gewißheit, daß es in Chile niemals zu einem ernsthaften Verfahren kommen werde);


  • die Beharrlichkeit des Untersuchungsrichter Juan Guzman, der ungeachtet des außergewöhnlichen politischen und medialen Druckes "sein" Verfahren streng im Rahmen der chilenischen Justizordnung vollzieht und dabei auch vom Obersten Gerichtshof mehr oder weniger freie Bahn erhält (spätestens in dieser obersten juristischen Instanz wähnten die Pinochet Anhänger ein sicheres Ende eines jeglichen Verfahrens gegen Pinochet);


  • die politische (und Pinochet nahestehende) Opposition sieht sich kurioserweise den Schimpftiraden der engsten Pinochet Anhänger (und auch von Familienangehörigen) ausgesetzt, die ihnen vorwerfen, sich nicht energisch genug gegen das juristische Verfahren zu wehren. Hauptangriffsziel dieser Attacken waren der Spitzenkandidat der "Alianza por Chile"3, Bürgermeister Joaquín Lavin, der in seinen öffentlichen Aussagen soweit ging, dass er Richter Guzman zu seinem professionellen Vorgehen gratulierte (!) und natürlich auch Verständnis für den Schmerz der Familie Pinochet äußerte.
    Wieviel davon kühl kalkulierte Positionierung zur politischen Mitte hin und wieviel ehrliche Meinung sind sei dahingestellt; die öffentliche Äußerung allein ist schon bemerkenswert. Selbst der Oberkommandierende des Heeres, General Izurrieta war vor den Beschimpfungen nicht sicher. Ihm warf man vor, ebenfalls nicht hart und energisch genug gegen die Vernehmung vor Ort und letztlich den Haftbefehl gegen "ihren General" vorgegangen zu sein. Das wurde nur bedingt durch die markigen Töne des Marinechefs Admiral Jorge Arancibia aufgefangen, der öffentlich in Richtung Regierung davor warnte, dass derjenige der "Winde sät, Stürme ernten wird".


Die faktischen Hintergründe sind hinlänglich bekannt: Nach einigen Verzögerungen erfolgten die von Richter Guzman angeordneten gesundheitlichen Untersuchungen, deren Ergebnis eine "leichte bis moderate Altersdemenz" war. Dies war Spielraum genug, um das Verfahren fortzusetzen. Ein Verfahren, welches zunächst lediglich die Fälle im Kontext der sog. "Todeskarawane" untersucht, und die übrigen, inzwischen über 200 Einzelklagen, die gegen Pinochet vorliegen, nicht berücksichtigt.

Pinochet hatte zwar inzwischen die politische Verantwortung für die Vorfälle eingestanden, lehnte jedoch in der von Richter Guzman durchgeführten Vernehmung in seiner Residenz "Los Boldos" jegliche strafrechtliche Verantwortung ab. "Ich bin kein Krimineller" war seine Antwort.

Als vorläufiger szenischer Höhepunkt galt der formale aber signifikante Akt der Verhaftung die Richter Guzman auf Grund des Alters von Pinochet in einen Hausarrest umgewandelt hatte: Eine Justizangestellte überbrachte Pinochet (nachdem der Wagen die aufgebrachte Hundertschaft seiner Anhänger vor seinem Landsitz durchquert hatte) den Haftbefehl, den Pinochet zwar entgegennahm, aber auf dem er seine Unterschrift verweigerte.

Seine Verteidiger kündigten unmittelbar Revision an. Über diesen Antrag hat noch im Februar ein Revisionsgericht zu entscheiden, dessen Urteil dann nochmals in letzter Instanz vom Obersten Gerichtshof überprüft werden kann.

Damit war auch dieser Teil des Verfahren abgeschlossen. Noch einmal zur Rekapitulation:
  1. Pinochet wird im Ausland verhaftet und erst nach mehr als anderthalb Jahren an Chile ausgeliefert
  2. Pinochet wird seiner parlamentarischen Immunität enthoben
  3. Ein formales Verfahren wird gegen Pinochet in Chile eingeleitet
  4. Pinochet muß sich auf richterliche Anordnung einem ärztlichen Gutachten stellen
  5. Pinochet muß einem Richter gegenüber in einem Verfahren gegen ihn aussagen
  6. Gegen Pinochet wir ein Haftbefehl ausgestellt und wirksam gemacht.
Ein normales Prozedere? Bei einer anderen Person in einem anderen Land: Ja. Mit Pinochet in Chile: ursprünglich unter keinen Umständen zu erwarten, heute von seinen Anhängern in ohnmächtiger Wut und seinen Gegnern mit Freudentaumeln entgegengenommen.

In einer etwas distanzierteren Betrachtung kann man jedoch zu dem Schluss kommen, dass mit der Verhaftung Pinochets in London und dem nachfolgenden Prozess in Chile die Demokratie als Staatsform und der Rechtsstaat als solcher ohne Zweifel gestärkt wurden. Wie lange es dauern wird, dass die chilenische Gesellschaft diese Episode als eine Episode der Geschichte und weniger als die polarisierende Gegenwart empfindet ist schwer zu sagen. Ansätze sind jedoch bereits erkennbar.

Zum einen sind da die ersten Enthüllungen über den Verbleib der während der Militärdiktatur verschleppten, gefolterten und ermordeten Regimegegner. Bewegende Szenen mit für die Angehörigen der Opfer schmerzhafte Erinnerungen spielten sich ab, als Staatspräsident Lagos Anfang Januar über den Verbleib der ersten 180 Opfer informierte. Damit hat jedoch ein notwendiger Prozess (an dem zumindest Teile der Streitkräfte im Sinne der "Mesa de Diálogo" aktiv und konstruktiv mitwirkten) begonnen, der als Kernstück des Aussöhnungsprozess gelten kann: Die Aufdeckung der Wahrheit und anschließende weitere Behandlung in der Justiz über die Fälle die seinerzeit von der sog. "Rettig-Kommission" als Opfer der Staatsgewalt identifiziert wurden.

Auf der anderen Seite ist zu erkennen, dass die extremen und inkonditionellen Befürworter Pinochets immer klarer in der Minderheit sind. Insbesondere das zaghafte Abrücken seiner vormals breiten Gefolgschaft gibt Anlaß zur Vermutung, daß hier ein langsamer auch gesellschaftlicher Wandel in Chile in

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Andreas Michael Klein

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Leiter des Regionalprogramms Politikdialog Asien

andreas.klein@kas.de +65 6603 6162

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