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Zwei Monate nach der Wahl Putins

von Gerd Dieter Bossen
Zwei Monate nach der Wahl Putins zum neuen Präsidenten Rußlands steht seine Regierungsmannschaft fest. Auch in der Präsidialverwaltung sind die wichtigsten Ernennungen bzw. Bestätigungen erfolgt. Darüber hinaus hat der neue Präsident einige Initiativen ergriffen, die erhebliche Veränderungen bringen können und schon für einige Unruhe gesorgt haben.

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Neuer Ministerpräsident ist der bisherige Erste Stellvertretende Ministerpräsident Michail Kassyanow. Er wurde vom Parlament (Staatsduma) mit großer Mehrheit bestätigt. Das neue Kabinett sieht wie folgt aus:

Finanzminister und
Stv. Ministerpräsident
Alexej Kudrin
Stv. MinisterpräsidentinValentina Matwijenko
Stv. MinisterpräsidentViktor Christenko
Stv. MinisterpräsidentinIlya Klebanow
Landwirtschaftsminister und
Stv. Ministerpräsident
Aleksej Gordejew
Innenminister Wladimir Ruschailo
Verteidigungsminister Igor Sergejew
Außenminister Igor Iwanow
Minister für
Ausnahmesituationen
Sergej Schoigu
Justizminister Jurij Tschaika
Minister für Steuern Gennadij Bukajew
Minister für Wirtschafts-
entwicklung und Handel
German Gref
Arbeits- und Sozialminister Alexander Potschinok
Minister für Massenmedien Michail Lessin
Minister für Eisenbahnen Nikolai Aksjonenko
Minister für Atomenergie Jewgenij Adamow
Minister für Telekommunikation Leonid Reiman
Minister für Föderales,
Nationalitäten und Migration
Alexander Blochin
Energieminister Alexander Gabrin
Minister für Eigentumsfragen Farit Gasisullin
Minister für Industrie,
Wissenschaft und Technologie
Alexander Dondukow
Minister für Ausbildung Wladimir Filippow
Transportminister Sergej Frank
Kultusminister Michail Schwidkoj
Minister für Gesundheit Jurij Schewtschenko
Minister für Antimonopolfragen Ilja Juchanow
Umweltminister Boris Jatzkewitsch
Leiter der Regierungsverwaltung
(Ministerrang)
Igor Schuwalow

Die Veränderungen zum vorherigen Kabinett sind also hinsichtlich der Personen gering. Die meisten Minister waren bereits in der letzten "Jelzin-Mannschaft". Dennoch ist aufschlußreich, wer neu dazugekommen ist, und welche Verschiebungen in den Ressorts sich ergeben haben.

Die Wiederernennung der meisten Minister aus dem letzten Jelzin-Kabinett spricht schon dafür, daß die Machtstrukturen sich nicht entscheidend verändert haben. Wenn man sich daran erinnert, daß zum Ende der Ära Jelzin seine engste Umgebung, die sogenannte "Familie", die Personalpolitik weitgehend bestimmt hat, so ergibt sich, daß eben diese "Familie" ihren Einfluß weitgehend hat erhalten können. Das wird auch daran deutlich, daß eines der einflußreichsten Mitglieder dieser "Familie" seine äußerst wichtige Position behalten hat - Alexander Woloschin ist Leiter der Präsidialverwaltung geblieben.

Interessant ist die Ernennung von Kudrin zum Finanzminister und Stellvertretenden Ministerpräsidenten. Kudrin war - zusammen mit Putin - Stellvertreter von Anatolij Sobtschak, als dieser Gouverneur von St. Petersburg war. Beide kennen sich gut aus dieser Zeit. Aber Kudrin gilt auch als "Tschubais-Mann", ebenso wie der neue Wirtschaftsminister Gref und der frühere Steuerminister und jetzige Arbeitsminister Potschinok. Alle drei - Kudrin, Gref und Potschinok - waren auch schon im alten Kabinett als Minister oder Stellvertretende Minister.

Damit hat der reformorientierte Flügel eine starke Vertretung im Kabinett. Aber das dürfte in keiner Weise ausreichen, um der noch stärkeren Vertretung der "alten Garde" auch nur annähernd Paroli bieten zu können. Dies wird auch am Schicksal des neuen Wirtschaftsministers Gref deutlich. Dieser war von Putin nach dessen Wahl beauftragt worden, ein Wirtschaftsprogramm zu erarbeiten. Da Gref Tschubais, und damit den Reformkräften nahesteht, war klar, daß dies ein sehr marktwirtschaftliches Programm sein würde. Man ging allgemein davon aus, daß Gref auch damit beauftragt werden würde, dieses Programm für Putin umzusetzen. Aber Gref wurde weder Ministerpräsident noch Stellvertretender Ministerpräsident. Und der neue Ministerpräsident Kassyanow hat bereits erklärt, daß die Regierung bis Ende Juni 2000 ein eigenes Wirtschaftsprogramm erarbeiten werde. Grefs Wirtschaftsprogramm werde dabei berücksichtigt werden. Das ist ein deutliches Abrücken vom Gref-Plan.

Ein weiterer Machtfaktor der russischen Politik ist der Moskauer Oberbürgermeister Luschkow, auch wenn er nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen deutlich geschwächt ist. Auch er bekam im neuen Kabinett ein kleines Zugeständnis: Der von ihm ungeliebte Steuerminister Potschinok mußte sich verändern und wurde Arbeitsminister. Neuer Steuerminister wurde ein Mann Luschkows, nämlich der bisherige Leiter der Steuerverwaltung der Stadt Moskau Bukajew.

Damit lassen sich erste Rückschlüsse auf die Position Präsident Putins ziehen. Seine Position scheint noch nicht so unabhängig und stark zu sein, wie man allgemein angenommen hatte. Er hat keine wirklich neue Regierungsmannschaft bilden können oder wollen.

Mit der "alten Garde", die weitgehend im Amt geblieben ist, hat die "Familie" ihren Einfluß erhalten können - und damit auch die sogenannten Oligarchen, allen voran Beresowsky und Abramowitsch. Präsident Putin hat damit auf die gewachsenen Machtstrukturen im Kreml Rücksicht nehmen müssen. Das ist auch logisch. Allzu viele Berichterstatter und Beobachter haben in den letzten Monaten nur von der starken Position Putins gesprochen und daraus den falschen Schluß gezogen, daß er praktisch freien Handlungsspielraum habe. Wie sich jetzt bestätigt, ist das so nicht richtig.

Sicher ist Präsident Putins Position stark, sehr stark sogar. Dies nicht nur aufgrund seines beeindruckenden Wahlsieges am 26. März 2000, sondern auch wegen der neuen Zusammensetzung der Staatsduma, von der er - im Gegensatz zu Jelzin - mittelfristig keine Schwierigkeiten zu erwarten hat. Aber diese starke Position hat Präsident Putin nicht nur aus eigener Kraft erreicht. Ohne seine Leistung schmälern zu wollen - Konzept, Strategie und deren erfolgreiche Umsetzung sowohl bei den Parlaments- als auch bei den Präsidentschaftswahlen waren das Werk des Kreml mit seinem eingespielten Apparat, der nach wie vor eine perfekte Maschine der Machterhaltung ist. Darauf muß Präsident Putin Rücksicht nehmen. Seine Position ist so stark, wie sie ist, mit den führenden Köpfen des Kreml, nicht gegen sie.

Es spricht einiges dafür, daß Präsident Putin versuchen wird, sich hier freizuschwimmen und seine eigene Mannschaft aufzubauen. Aber da muß selbst er vorsichtig vorgehen, und er braucht dazu Zeit.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß ausgerechnet Beresowsky, die "graue Emminenz" der russischen Politik während der zweiten Amtszeit Jelzins, ein Mitglied der "Familie", der über seinen Einfluß auf die Medien viel zum Wahlerfolg Putins beigetragen hat, sich jetzt als einer der ganz wenigen in einem offenen Brief kritisch zu Putins Initiativen geäußert hat. Es ist noch zu früh, um zu erkennen, was die Ursache und die möglichen Auswirkungen sind. Beresowsky und Putin hatten bisher ein gutes - auch persönliches - Verhältnis. Aber dies könnte der Auftakt zu einem Machtkampf sein, der sich vor allem auch hinter den verschlossenen Türen des Kreml abspielen wird.

Vor diesem Hintergrund ist auffällig, daß es um den Moskauer Oberbürgermeister Luschkow sehr ruhig geworden ist. Er steht unter starkem Druck. Die Lizenz für einen der beiden von ihm kontrollierten TV-Sender ist zur Versteigerung freigegeben worden. In den Redaktionsräumen des anderen, des einflußreichen NTV-Senders, ist eine eintägige Durchsuchung von maskierten Einheiten mit vorgehaltenen Maschinenpistolen durchgeführt worden, die offenbar vor allem den Zweck hatte, den Sender einzuschüchtern. Gerüchte in Moskau besagen, daß Luschkow in nächster Zeit gezwungen werden wird, zurückzutreten. Wenn das so käme, dann wäre es späte Rache. Denn Luschkow hat den Kreml vor den Parlamentswahlen herausgefordert, und viele dachten, er könne gewinnen - aber er hat verloren. Auf der andren Seite ist er gegenwärtig so sehr geschwächt, daß es den Aufwand kaum lohnt, ihn politisch ganz auszuschalten. Deswegen ist es wahrscheinlicher, daß man seine Machtbasis ganz zerschlagen, ihn aber persönlich verschonen wird.

Insgesamt wird deutlich, daß Putin mehr Rücksicht nehmen muß, als viele erwartet haben. Das sind keine guten Vorzeichen für die "Diktatur des Gesetzes", von der Putin vor seiner Wahl so gerne sprach. Denn die Mannschaft, die sie umsetzen soll, das ist überwiegend die gleiche, die den Ruf nach eben dieser "Diktatur des Gesetzes" so notwendig und so populär gemacht hat.

Nach seiner Wahl hat Präsident Putin die erste Front dort eröffnet, wo es noch vor der Wahl am schwierigsten schien: Beim Verhältnis Moskaus zu den Regionen.

Auch dies ist eine für Rußland typische Entwicklung. Noch vor einem Jahr sprach man von einer Machtverschiebung zugunsten der Regionen - auch der Berichterstatter. Es schien aussichtslos, die Macht der Präsidenten und Gouverneure der 89 "Subjekte der Föderation" beschneiden zu wollen. Ganz im Gegenteil: Die Regionalfürsten vereinigten sich in Wahlbündnissen und forderten Moskau vor den Parlamentswahlen heraus. Allen voran das von Schaimiew (Tatarstan) und Jakowlew (St. Petersburg) geführte Wahlbündnis "Ganz Rußland", das zusammen mit der von Luschkow/Primakow geführten Bewegung "Vaterland" zeitweilig wie der sichere Sieger aussah.

Dann kam alles ganz anders. Der Kreml brachte ihnen eine vernichtende Niederlage bei. "Ganz Rußland" zerbröckelte, und der klägliche Rest schloß sich der Bewegung "Einheit" an, deren Programm lediglich darin besteht, Präsident Putin zu unterstützen.

Und dieser nutzte die Gunst der Stunde. Gleich nach seiner offiziellen Amtsübernahme ernannte er 7 Vertreter des Präsidenten für 7 neu geschaffene Großregionen, die dafür sorgen sollen, daß Moskaus Gesetze und Moskaus Wille in den Regionen durchgesetzt und beachtet werden. Diese 7 "General-Gouverneure" sollen die 89 Vertreter des Präsidenten in den einzelnen "Subjekten der Föderation ersetzen, die weitgehend einflußlos waren. Welche Kompetenzen diese 7 "General-Gouverneure", allerdings haben sollen, ist noch nicht klar. Dieses Problem wird schwer zu lösen sein, denn hier wird auch die Kompetenzverteilung der russischen Verfassung berührt, die allerdings in diesem Punkt recht vage ist. Um die "General-Gouverneure" aufzuwerten, hat Präsident Putin bereits einen Erlaß unterzeichnet, der sie zu Mitgliedern in seinem Sicherheitsrat macht, wodurch sie im Rang einem Stellvertretenden Ministerpräsidenten gleichgestellt werden.

Inzwischen legte die Präsidialverwaltung der Staatsduma einen Gesetzesentwurf vor, der einschneidende Veränderungen des föderalen Aufbaus Rußlands vorsieht.

Bisher setzt sich der Föderationsrat (in etwa vergleichbar unserem Bundesrat) aus den Präsidenten bzw. Gouverneuren und aus den Parlamentspräsidenten der 89 "Subjekte der Föderation" zusammen, die Kraft Amtes Mitglieder des Föderationsrates sind. Das soll sich ändern. Die Verfassung der Russischen Föderation besagt lediglich, daß der Föderationsrat sich aus je einem Vertreter der Exekutive und der Legislative der 89 "Subjekte der Föderation" zusammensetzt. Wer diese Vertreter der Exekutive und der Legislative sein sollen, und wie sie in den Föderationsrat gewählt oder ernannt werden, besagt die Verfassung nicht.

Der Gesetzentwurf läuft darauf hinaus, daß die Präsidenten bzw. Gouverneure und die regionalen Parlamentspräsidenten nicht mehr Kraft Amtes auch Mitglieder des Föderationsrates sind. Die Mitglieder des Föderationsrates sollen zukünftig entweder direkt gewählt oder von den regionalen Parlamenten ernannt werden. Verlieren aber die Präsidenten und Gouverneure ihren Sitz im Föderationsrat, dann verlieren sie auch ihre bisherige parlamentarische Immunität, die sie vor Strafverfolgungen schützt.

Der Gesetzentwurf sieht weiter vor, daß der Präsident der Russischen Föderation die Republikpräsidenten und Gouverneure entlassen kann, wenn sie gegen föderales Recht verstoßen. Dabei soll ausreichen, daß ein gerichtliches Verfahren wegen Verstoßes gegen föderales Recht gegen sie eröffnet wird. Angesichts der russischen Realitäten erscheint dies sehr bedenklich. Ein gerichtliches Verfahren kann nämlich jederzeit eröffnet werden. Tatsächliche und/oder angebliche Gründe dafür gäbe es mehr als genug. Und die Unabhängigkeit der Gerichte und Richter - zumindest in den unteren Instanzen - ist noch nicht sehr entwickelt. Ein solches gerichtliches Verfahren durch alle Instanzen kann sich leicht über mehrere Jahre hinziehen. Wäre die "vorläufige" Amtsenthebung dann laut letztinstanzlichem Urteil zu Unrecht geschehen, dann wäre sie dennoch de facto endgültig - denn die Amtszeit des Republikpräsidenten oder Gouverneurs wäre inzwischen abgelaufen.

Die Vorstellungen des Kreml laufen darauf hinaus, auch die regionalen Parlamente auflösen zu können, wenn diese Gesetze beschließen, die gegen "Bundesrecht" verstoßen. Hier gibt es aber noch keine konkreten Vorstellungen, wie das in gesetzliche Regelungen umgesetzt werden soll.

Gesetze werden in Rußland durch die Staatsduma mit Zustimmung des Föderationsrates erlassen. Der Präsident hat ein Vetorecht. Sowohl die Zustimmung des Föderationsrates als auch das Veto des Präsidenten können durch die Staatsduma ersetzt bzw. überstimmt werden - aber dazu ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Die qualifizierte Mehrheit ist, trotz der neuen Zusammensetzung der Staatsduma, durchaus nicht sicher. Der Kreml braucht also für seinen Gesetzesentwurf die Zustimmung der regionalen Präsidenten und Gouverneure und der Parlamentspräsidenten.

Um diese Zustimmung zu erreichen, bietet der Kreml den Regionalfürsten gegenüber den Kreisen, Städten und Gemeinden in etwa die gleichen Rechte an, wie er sie selbst gegenüber den Regionen anstrebt. Das wäre dann das Ende der gerade erst mühsam entstehenden kommunalen Selbstverwaltung in Rußland. So unwahrscheinlich es auch klingen mag - diese Rechnung könnte aufgehen. Denn den meisten Regionalfürsten war die per Gesetz 1995 eingeführte kommunale Selbstverwaltung schon immer ein Dorn im Auge. In den meisten Regionen ist sie auch nur teilweise und widerwillig eingeführt worden, und die Regionalfürsten und -parlamente haben dafür gesorgt, daß die Kreise und Kommunen keine Finanzautonomie, und damit keinen wirklichen Entscheidungs- und Handlungsspielraum haben. In vielen Regionen finden ständige und bittere politische Kämpfe zwischen den Präsidenten bzw. Gouverneuren und den Bürgermeistern der regionalen Hauptstädte statt. Hier bekämen die Regionalfürsten ein Instrumentarium in die Hand, das ihnen für die interne Auseinandersetzung in ihren Regionen nur willkommen sein kann. Wie das alles mit der Europäischen Charta der Kommunalen Selbstverwaltung vereinbar sein soll, die nach Rußlands Beitritt zum Europarat in Rußland geltendes Recht ist, das bleibt vorläufig ein Geheimnis.

Niemand kann ernsthaft bestreiten, daß es hinsichtlich des föderalen Aufbaus Rußlands ein dringenden Reformbedarf gibt. Unzählig sind in den Regionen die Verstöße gegen die Verfassung der Russischen Föderation, gegen "Bundesrecht" und Verordnungen und Erlasse. Dies gilt sowohl für die Praxis von Politik und Verwaltung, als auch für regionale Gesetze, ja sogar für regionale Verfassungen.

Richtig ist auch, daß viele, wenn nicht die meisten, Regionalfürsten in ihren Herrschaftsbereichen nach Belieben schalten und walten, oft unter Mißachtung nicht nur der russischen Verfassung und der Moskauer Gesetze, sondern auch ihrer eigenen Verfassungen und Gesetze. Auch das konnte auf Dauer nicht so weitergehen. Die Zielrichtung der Initiativen Präsident Putins ist damit richtig.

Aber es bestehen große Bedenken hinsichtlich der beabsichtigten Umsetzung. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß der Kreml keine dringend erforderliche Reform des föderalen Aufbaus Rußlands beabsichtigt, sondern lediglich eine straffe Zentralisierung. Und dieser Zentralisierung würde dann auch - unter Verstoß gegen die Europäische Charta der Kommunalen Selbstverwaltung - die bisher ohnehin nur rudimentär vorhandene kommunale Selbstverwaltung geopfert.

Darüber hinaus bestehen Fragezeichen hinsichtlich der Wirksamkeit der beabsichtigten Maßnahmen - wenn sie denn so beschlossen werden. Werden die 7 neuen Vertreter des Präsidenten in ihren "Superregionen" wirklich die Gesetze Moskaus durchsetzen? Oder werden auch sie der Versuchung erliegen, sich neue "Superregionalfürstentümer" aufzubauen? Oder werden sie sich - zumindest einige von ihnen - von den regionalen Präsidenten und Gouverneuren durch Vergünstigungen oder sonstige Leistungen "kaufen" lassen? In Rußland galt schon immer der Spruch "Rußland ist groß - und der Zar ist weit".

Die Staatsduma hat den Gesetzentwurf der Präsidialverwaltung in der ersten Lesung passieren lassen. Es ist sicher, daß in der zweiten und dritten Lesung der Widerstand auch in der Staatsduma größer werden wird. Aber dennoch dürfte letztlich das Parlament mit dem Präsidenten mitgehen. Dann bleibt die Frage, wie der Föderationsrat über die Entmachtung seiner eigenen Mitglieder abstimmt. Diese Frage ist zur Zeit völlig offen.

Trotz richtiger Stoßrichtung der Initiative des Präsidenten Putin ist nach allem Anlaß zur Sorge. Richtiger und für Rußland besser wäre es sicher gewesen, die notwendige Reform des Föderalismus in Rußland über eine Reform und Stärkung der Gerichte und des Rechtsstaates anzustreben. Dazu wäre eine Änderung der russischen Verfassung mit einer klaren Kompetenzverteilung notwendig gewesen und eine Stärkung der Gerichtsbarkeit, vor allem deren Unabhängigkeit. Nur so wäre es wohl möglich, die Regionen und ihre Regionalfürsten in den Rahmen der Gesetze zu zwingen. Die vorstehend dargestellten Initiativen des Kreml dürften statt dessen auf Zentralisierung hinauslaufen und damit auf eine Schwächung des Föderalismus und praktisch auch auf eine Abschaffung der kommunalen Selbstverwaltung. Die Regionalfürsten wären dann zwar geschwächt, ebenso wie die Kreise und Kommunen, aber es ist nicht sicher, daß dafür dann der Rechtsstaat gestärkt und Willkür der Verwaltung und der Politik beseitigt oder auch nur gemindert wären.

Nach Hoffnung erweckendem Anfang zeigt sich nun, wie schwer es ist, in Rußland gewachsene Machtstrukturen zu ändern. Da die Akteure im Wesentlichen immer die gleichen sind, laufen die Versuche, Schwächen und Mißbräuche zu beseitigen, oft darauf hinaus, daß neue Schwächen und neue Möglichkeiten für Mißbräuche geschaffen werden. Ob es auch diesmal so sein wird, muß sich erst erweisen. Viel wird davon abhängen, was Präsident Putin wirklich will, und ob er sich im ersten Jahr seiner Amtszeit von den zwangsläufig übernommenen Fesseln derer, die maßgeblich dazu beigetragen haben, daß er Präsident wurde, befreien kann. Vorläufig gibt es mehr Anlaß zu Sorge als zu Zuversicht.

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