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Aldo Moro – ein Lebensbild

Di Luciano d’Andrea, Direttore dell'Accademia di studi storici Aldo Moro

Von Luciano d’Andrea, Direktor der “Accademia di studi storici Aldo Moro“, Rom

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Über Aldo Moro wird in Italien immer wieder und mit überraschender Regelmäßigkeit geschrieben. 2009 sind bisher schon mindestens drei Bücher über den Staatsmann erschienen; über 25 im Vorjahr anlässlich seines dreißigsten Todesjahres; sieben bis zehn jährlich zwischen 2005 und 2007; an die 20 im Jahr 2004.

All dies legt den Gedanken nahe, dass Moro heute im Mittelpunkt von tieferen historischen, politischen und kulturellen Überlegungen stehe. Leider erweisen sich jedoch diese Angaben bei näherem Hinsehen als trügerisch. Der Großteil der in diesen Jahren erschienenen Bücher konzentriert sich nicht so sehr auf Moro selbst, sondern eher auf den „Fall Moro”, d.h. auf die dramatischen Umstände seines Todes und auf all das, was jene Umstände in den darauf folgenden Monaten und Jahren in politischem, kulturellem, symbolischem und medianem Sinne hervorgerufen haben.

Wenn man über Moro spricht, ist man deshalb beinahe gezwungen, vom Ende seiner menschlichen und politischen Laufbahn auszugehen, also von seinem Tod und nicht vom Anfang.

Am Morgen des 16. März 1978, wurde Moro – damals Vorstandsvorsitzender der Democrazia Cristiana, der größten Partei Italiens – von einem Kommando der Roten Brigaden nicht weit von seiner Wohnung gefangen genommen. In wenigen Sekunden wurden die fünf Männer seines Geleits getötet und der Staatsmann wurde auf ein Auto geladen und in einer Wohnung verborgen, die zu diesem Anlass als „Volksgefängnis“ eingerichtet wurde. Es folgten 55 dramatische Tage, die von den Verlautbarungen der Roten Brigaden, Aldo Moros Briefen aus der Gefangenschaft (im ganzen an die vierzig) und den verworrenen Phasen einer politischen Debatte gezeichnet waren, die sich in dramatischer Weise unter den Spannungen zwischen denen abspielte, die sich nicht auf Verhandlungen mit den Terroristen einlassen wollten, und anderen, die das für notwendig erachteten. Ebenso verworren gestaltete sich das breit angelegte Vorgehen der Polizei, das sich jedoch als äußerst unwirksam erwies (was den damaligen Innenminister Francesco Cossiga zum Rücktritt bewog). Jene 55 Tage nahmen am Morgen des 9. Mai ein Ende, als der Leichnam des Staatsmanns im Gepäckraum eines roten Renault 4 gefunden wurde, der symbolhaft genug in Roms Stadtmitte unweit der Hauptsitze der Democrazia Cristiana und der Kommunistischen Partei Italiens geparkt war.

Diese Umstände verschleiern seitdem Moros Gestalt in Italien und auf der ganzen Welt. Erst heute, nachdem dreißig Jahre vergangen sind, beginnt die Geschichtsschreibung den menschlichen und politischen Lebenslauf des Staatsmanns. systematisch zu untersuchen, und erst heute gewahrt man einige Versuche, die auf eine ernsthafte Würdigung eines vielschichtigen, intellektuell anspruchsvollen und in mancher Hinsicht anderen politischen Führerpersönlichkeiten seiner Zeit gegenüber atypischen Politikers abzielen.

Aldo Moro wurde 1916 in Maglie in Apulien geboren. Sein Universitätsstudium absolvierte er in Bari im Jahre 1938 an der Jura-Fakultät. Er schlug dann die Hochschullaufbahn ein und erhielt 1941 den Lehrstuhl für Rechtsphilosophie an derselben Universität.

Zwischen 1938 und 1941 hatte er das Amt des Vorstandsvorsitzenden des Nationalverbandes der katholischen Studentenschaft FUCI inne und 1945 wurde er zum Vorstandsvorsitzenden des Akademikerverbands der Katholischen Aktion ernannt. In demselben Jahr heiratete er Eleonora Chiavarelli, die ihm vier Kinder gebar. 1943 begann seine politische Laufbahn in der Democrazia Cristiana. 1946 nahm er als stellvertretender Vorsitzender der christlich-demokratischen Fraktion an der Verfassungsgebenden Versammlung teil und wirkte direkt bei der Abfassung des Verfassungstextes mit.

Neben den einzelnen Abschnitten der Lebensbeschreibung dieser Anfangsjahre lohnt es sich jedoch eher, zwei bedeutende Aspekte von Moros Gestalt hervorzukehren, die schon damals deutlich wurden und ihn später während der darauf folgenden Jahrzehnte charakterisieren sollten.

Zum einen handelt es sich um seine bemerkenswerte Fähigkeit, die Wirklichkeit in ihrem Facettenreichtum zu deuten und zu verstehen. Diese Fähigkeit zeigte sich schon früh im Bereich des Jurastudiums (Moro wurde 1951 im Alter von nur 35 Jahren ordentlicher Professor), wie auch bei seinen politischen Überlegungen. Somit erklärt sich, wie Moro in der Folgezeit nicht nur als ein gewandter Politiker auftreten konnte, sondern auch als ein großer Interpret der Politik und deren wachsenden Schwierigkeiten bei der Gestaltung von angemessenen Antworten auf die Fragen der in einem ständigen und zügigen Entwicklungsgang begriffenen Gesellschaft.

Der zweite Aspekt besteht in seinem ausgesprochenen Hang, stets vorbehaltlos und bis zur Grenze des menschlich Möglichen neue Verhandlungs- und Konfrontationsspielräume mit allen beteiligten Akteuren zu erschließen. Dabei war die von ihm hartnäckig auf die katholische Welt und selbst auf die höhere Geistlichkeit ausgeübte Überzeugungsaktion bezeichnend. Er zielte darauf ab, dass diese in den Verfassungsgebungsprozess einwilligen, die Rolle tatsächlicher Erbauer des „gemeinsamen Hauses“ aller Italiener übernehmen und sich auf eine Auseinandersetzung mit Kommunisten und Sozialisten auf einem ausschließlich weltlichen Boden einlassen sollten.

Mit Moros politischem Werdegang ging es nach der Verfassungsgebenden Versammlung sehr rasch voran. 1948 wurde er ins Abgeordnetenhaus gewählt und zum Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten unter der Regierung De Gasperis ernannt. 1955 wurde er zum Justizminister unter Segnis Regierung berufen und zwei Jahre lang (1956-57) belegte er das Amt des Unterrichtsministers. 1959 wurde er dann Generalsekretär der Democrazia Cristiana und behielt dieses Amt bis zum Jahre 1964.

Somit schloss sich also Moros Annäherungsprozess an das Zentrum des italienischen politischen Systems ab. Gerade in jenen Jahren – als Italien nach dem Ende der Nachkriegszeit einer Periode großen wirtschaftlichen Aufschwungs entgegenging – entwickelte er eine zugleich positive und besorgte Auffassung von der Lage des Landes. In der Tat nahm Moro die ernsten, auf den Zwiespalt zwischen Westen und Osten zurückgehenden Gefahren wahr und zugleich die weite, von fern zurückliegenden Umständen begründete Kluft, die das italienische politische System entzweite. Dabei fielen insbesondere die vom Entwicklungsrückstand dieses politischen Systems bedingten Gefahren stark ins Gewicht; diese bestanden hauptsächlich im allmählichen Ausschluss von bedeutenden Teilen der italienischen Bevölkerung aus der demokratischen Dynamik und den Vorteilen des wirtschaftlichen Fortschritts. In dieser Hinsicht sind die Worte unmissverständlich, die er zum Anlass der Landeskonferenz der Democrazia Cristiana an seine Parteikollegen richtete und die wie die Äußerung eines unverzichtbaren Grundsatzes lauten: “Niemand soll an den Rand gedrängt werden, niemand soll aus der Vitalität und dem Wert des sozialen Lebens ausgeschlossen werden . Nichts soll tot sein, nichts verurteilt, nichts dem lebensnotwendigen Nährstoff der Gesellschaft entzogen”.

Aus dieser entschiedenen Ausrichtung auf Einbeziehung heraus gelangte Moro 1962 zur Ausarbeitung des politischen Konzepts einer „Linksmitte“ und dazu, ein Regierungsbündnis von Christlich-Demokraten und Sozialisten in Aussicht zu stellen. Für Moro handelte es sich um eine notwendige Entscheidung, um die „demokratische Basis“ des Landes zu erweitern und der Demokratie Bevölkerungsschichten „wieder zuzuführen“, die sich aus der demokratischen Auseinandersetzung ausgeschlossen fühlten oder tatsächlich ausgeschlossen waren.

Dieses Unterfangen schien eher kompliziert zu sein, und zu seiner Verwirklichung musste Moro in seiner Partei und in der katholischen Welt starke Widerstände überwinden. Die Zeit der Linksmitte-Regierung unter Aldo Moros Führung als Ministerpräsident dauerte von 1963 bis 1968. Während dieser ganzen Zeit galt Moros Aufmerksamkeit besonders dem Fernziel, der Verwurzelung der „Neuigkeit“ des Regierungsbündnisses in der gesellschaftlichen und politischen Kultur des Landes zuzusteuern, und zwar möglichst unter Vermeidung von unheilbaren Spaltungen und mit der Aufgabe, dem neuen politischen Rahmen selbst unter Preisgabe der Zügigkeit des Reformprozesses Stabilität zu verleihen. Trotz solcher Schwierigkeiten kamen unter der Linksmitte-Regierung einige wichtige Reformprozesse zum Tragen und einige langwierige und komplexe politische Angelegenheiten konnten gelöst werden, wie beispielsweise die Anerkennung der Selbstverwaltung Südtirols.

Zwischen 1966 und 1968 erschien die Lösung der Linksmitte schon ziemlich verschlissen zu sein, und zwar sicherlich aufgrund ständiger Widerstände vonseiten bedeutender Bereiche der Landesführung (die sogar zum Versuch eines Staatsstreichs führten), jedoch auch wegen des tief greifenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandels, der das Ende der Sechzigerjahre kennzeichnete und im Aufkommen der Studentenbewegung sowie im so genannten „heißen Herbst“ seinen Höhepunkt erreichte.

Ungleich dem Großteil der politischen Klasse verstand Moro diesen Wandel wesentlich in positivem Sinne und erkannte darin die Ankündigung des Anbruchs einer „neuen Zeit“, als ein Anzeichen des Emporkommens einer dynamischeren, wohlhabenderen und anspruchsvolleren Gesellschaft unter dem Drang der breiteren Bevölkerung, die nunmehr besser dazu fähig war, ihre Subjektivität, ihre Eigenständigkeit und ihren Mündigkeitsanspruch zum Ausdruck zu bringen. Gerade weil er sich der strukturellen und durchdringenden Natur jenes Wandels bewusst war, empfand Moro mit besonderer Besorgnis die immer augenfälliger werdenden Unzulänglichkeiten des politischen Systems, die durch dessen Unfähigkeit bedingt waren, den eingetretenen Wandel zu deuten und ihm zum Durchbruch in Richtung auf eine Verstärkung der demokratischen Einrichtungen zu verhelfen.

1968 trat Moro das Amt des Ministerpräsidenten ab und wurde de facto aus der Parteiführung entfernt. 1969 übernahm er das Amt des Außenministers und behielt es bis 1974. Aus seiner entschieden europafreundlichen Einstellung heraus gewahrte er als einer der ersten das allmähliche Abflauen der geschichtlichen Ursachen, die den Ost-West-Konflikt ausgelöst hatten, und schlug eine Entspannungspolitik nicht so sehr im Sinne einer einfachen Taktik zur Beibehaltung des Rüstungsgleichgewichts vor, sondern eher als langfristige, auf dem gegenseitigen Vertrauen der Partner gegründete Strategie. Eine ähnliche Einstellung verlautete Moro auch im Hinblick auf das Nord-Süd-Gefälle. Während seiner Amtszeit wurde das erste Gesetz über die internationale Zusammenarbeit verabschiedet, und es kam zu Kollaborationen auf Augenhöhe zwischen Italien und zahlreichen Ländern, besonders in Afrika. Vielen schien der Grund jenes „vielen Reisens“ Moros von einer Nation zur anderen sinnlos zu sein, zumal gewisse Länder bis dahin nie als bedeutend genug betrachtet worden waren, um den Besuch des Außenministers einer westlichen Regierung wert zu sein.

1974, begann der letzte Abschnitt von Moros politischem Lebenslauf, als ihm das Amt des Ministerpräsidenten anvertraut wurde, das er vom November jenes Jahres bis zum Juli 1976 innehaben sollte. In dieser Zeit begann Moro wiederum, am Webstuhl der Öffnung nach links zu arbeiten, indem er die so genannte „Strategie der Aufmerksamkeit“ gegenüber der kommunistischen Welt einführte, die darauf ausgerichtet war, die kommunistische Partei allmählich der Regierungsposition anzunähern, und zwar als eine Art Vorspiel zum Zustandekommen einer regelrechten “Demokratie des Regierungswechsels“.

Dabei sollte es sich um einen langsamen Prozess handeln, den der in jenen Jahren von der Kommunistischen Partei unter der Leitung von Enrico Berlinguer getätigte „Riss“, d.h. die Lossagung von der Sowjetunion, begünstigen sollte – eine Initiative, die jedoch im Inneren beider Parteien auf heftigen Widerstand stieß. Besonders im Lager zur linken Seite der Kommunistischen Partei wurde die Unterstützung extremistischer und dem Terror nahe stehender Positionen stärker, die weiterhin an Bedeutung gewannen. In jenen Jahren bildete sich eine Kultur heraus, die auf dem Grundsatz „weder mit dem Staat noch mit den Roten Brigaden“ basiert, der es faktisch zahlreichen (links, aber auch rechts stehenden) Terroristengruppen gestattete, innerhalb der italienischen Gesellschaft gewisse Machtstellungen einzunehmen.

Nachdem er das Amt des Ministerpräsidenten abgelegt hatte, wurde Moro Vorstandsvorsitzender der Democrazia Cristiana und in dieser Eigenschaft versuchte er, seine eigene Partei und die Kommunistische Partei zu einer Regierung der „nationalen Solidarität” zusammenzuführen.

Dann kam es am 16. März 1978 zu Moros Entführung, gerade am Tage, an dem die erste Regierung in der Geschichte der Italienischen Republik antreten sollte, die mit der Unterstützung der Kommunistischen Partei hätte tagen sollen.

Wie schon anfangs gesagt, wartet der komplexe menschliche und politische Lebenslauf Moros zum Großteil noch auf eine tiefere Kenntnisnahme und Deutung. Allmählich jedoch entzieht sich Moros Bild dem engmaschigen Netz der Chronik, um endlich in den umfassenderen Rahmen der geschichtlichen Untersuchung einzugehen.

Durch die geschichtliche Untersuchung wird es möglich sein, viele Seiten von Moros Handeln und Denken vollauf zu überprüfen und zu würdigen, von denen man bisher nur eine Ahnung hat. Es hat nämlich den Anschein, als hätte er einen regelrechten „Entwurf“ im Sinne gehabt, einen umfassenden und bewussten „Plan“ in Bezug auf die Fortentwicklung der italienischen Demokratie, auf Europa und die Führung der internationalen Beziehungen, einen Plan also, den er durch seine gesamte politische Laufbahn hindurch mit sich herumtrug. Unter allen komplexen Umständen, in die er verwickelt wurde, legte der Staatsmann nämlich eine strategische Konsequenz und ein ständiges Festhalten an einigen konkreten Wirkungsprinzipien (die Ausrichtung auf Einbeziehung, die Bejahung eines sozialen und kulturellen Pluralismus, das Streben nach der „Vollendung“ des demokratischen Systems) an den Tag, die gewiss nicht von ungefähr waren und auf eine umfassendere Vision der Politik und des Bezugs zwischen Politik und Gesellschaft verweisen.

Dabei handelt es sich um eine Vision, die bei richtiger Ausdeutung nicht nur zur Klarstellung eines verworrenen und komplexen Zeitabschnitts der italienischen und Weltgeschichte verhelfen kann, sondern auch zu der Art und Weise etwas zu sagen hat, wie der Wandel und die Krisen der Gegenwart weltweit angegangen werden können.

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