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Wahrnehmung der Flüchtlingskrise in Litauen

von Linas Kojala
Die Flüchtlingskrise hat Aufsehen in den litauischen Medien und Debatten in der litauischen Gesellschaft ausgelöst. Dabei handelt es sich um ein relativ neues Phänomen, da der Fokus der Außenpolitik der letzten Jahre fast ausschließlich auf den Ereignissen in der Ukraine lag. Anfänglich war das Hauptthema das Quotensystem und die Unfähigkeit der Europäischen Union die Ursachen des Problems zu bewältigen, während gegen Ende September die Diskussion sich mehr der Situation in Syrien und dem steigenden russischen Einfluss dort zuwandte.

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Dieser Bericht wird sich auf zwei Perspektiven konzentrieren: Zum einen wird er die Meinung der politischen Führung in Litauen präsentieren, zusammen mit einer kurzen Zusammenfassung des Einflusses der Flüchtlingskrise auf deren Zustimmungsraten. Zum anderen wird sich der zweite Teil des Berichts auf die öffentliche Wahrnehmung in der litauischen Bevölkerung konzentrieren, sowie auf die Möglichkeiten, Flüchtlinge im Land zu integrieren.

Die Positionen der litauischen politischen Führung

  • Präsidentin Dalia Grybauskaitė repräsentiert Litauen auf den Gipfeltreffen des Europäischen Rates. Ihre Haltung zur Flüchtlingskrise und zu den Vorschlägen der Europäischen Union, wie diese Probleme zu bewältigen seien, hat eine Entwicklung durchlaufen: Zunächst stand sie verbindlichen Quoten zurückhaltend gegenüber. So sagte sie im Mai 2015: „Litauen ist gegen das Prinzip der verpflichtenden Quoten, diese sollten auf freiwilliger Zustimmung basieren.“ Gleichzeitig erklärte Grybauskaitė, Litauen sei bereit, bis zu 250 weitere Flüchtlinge aufzunehmen, da sich bereits rund 400 Flüchtlinge im Land befänden, welche größtenteils aus der Ukraine kämen. Später milderte sie ihre Aussage ab, behielt aber dennoch die Meinung bei, dass Quoten keine langfristige Lösung für die Krise darstellten. Im Europäischen Rat stimmte Litauen für den Plan, in den kommenden zwei Jahren 120.000 Flüchtlinge auf dem Kontinent umzuverteilen. Demnach müsste Litauen rund 1.100 Flüchtlinge (aus diesem Kontingent) aufnehmen. In der Versammlung der Vereinten Nationen merkte sie erneut an: „Flüchtlingen Schutz zu gewähren ist unsere moralische Verpflichtung“.
  • Die Haltung des Premierministers Algirdas Butkevičius hat sich ebenfalls verändert. Im Mai sagte er noch, dass Litauen im Stande sei, nur 30 oder 40 Flüchtlinge aufzunehmen und auch dies nur auf freiwilliger Basis, da von außen auferlegte Beschlüsse nicht funktionieren würden. Später gab er zu, dass Solidarität essentiell für die EU sei, aber die realistischen Möglichkeiten eines jeden Landes, die Flüchtlinge auch erfolgreich zu integrieren, ebenfalls berücksichtigt werden sollten. Litauen nehme bereits eine Menge Flüchtlinge aus anderen Regionen auf, nicht zuletzt aus der Ukraine.
  • Der Innenminister Saulius Skvernelis, der parteilos ist, aber zusammen mit der Präsidentin und dem Premierminister zu den drei beliebtesten Politikern zählt, hat betont, dass die Debatten in Litauen über Flüchtlinge auf bestimmten Annahmen beruhten, wie zum Beispiel der, dass sie eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellten. In den Worten des Ministers: „Flüchtlinge sind keine Statistiken; sie sind Menschen, deshalb ist es essentiell für unser Land zu zeigen, dass es im Stande ist zu helfen und mit seinen Partnern zusammenzuarbeiten. Die derzeitige Situation ist nicht nur eine Prüfung für die staatlichen Institutionen, sondern auch für die Zivilgesellschaft.“
  • Gabrielius Landsbergis, Mitglied des Europäischen Parlaments und Anführer der größten Mitte-rechts Partei, Homeland Union - Lithuanian Christian Democrats, sagt, dass Litauen sich auf einen „Zustrom“ von Migranten vorbereiten muss. Während die langfristige Lösung darin bestehe, die Konflikte im Nahen Osten zu lösen, sollte Litauen mehr tun, um sein Bildungssystem und seinen Arbeitsmarkt auf die Integration von mehr Menschen aus dem Ausland vorzubereiten. Landsbergis bat den Premierminister einen Plan vorzubereiten, wie sich die Regierung die Integration von Flüchtlingen vorstellt. Ihm zufolge müsste „Litauen denen in Not helfen und zwar nicht nur, weil es sich um europäische Richtlinien handelt, sondern auch aus christlichem Mitgefühl heraus.“

Der Einfluss auf die Zustimmungsraten der Politiker

Die jüngste Meinungsumfrage vom September 2015 zeigt, dass Premierminister Butkevičius die höchste Zustimmungsrate von 62,4% genießt (18% der Befragten haben eine negative Meinung). Präsidentin Grybauskaitė liegt auf dem zweiten Platz (57,8% gegenüber 16,6%), während Skvernelis den dritten Platz einnimmt (mit einer Zustimmungsrate von 54,8% gegenüber 8,4%). Der Einfluss der Flüchtlingskrise und öffentlicher Aussagen zu dieser Thematik äußert sich in doppelter Hinsicht:

  1. Die Zustimmung von Grybauskaitė fiel seit Juli um circa fünf Prozentpunkte. Die meisten Beobachter schreiben dies ihrem Meinungswechsel in Bezug auf die Flüchtlingskrise zu: zunächst lehnte die Präsidentin die Quoten ab, während sie wenig später einer viel höheren Zahl an Flüchtlingen zustimmte. Sie ist weiterhin für die Außenpolitik zuständig, sodass sie, obwohl der Minister für Inneres Litauen in den meisten Diskussionen zu diesem Thema vertreten hat, als Schlüsselfigur wahrgenommen wurde.
  2. Dagegen stieg die Zustimmung für Skvernelis seit Juli um fast zehn Prozent, obwohl er den Flüchtlingen gegenüber sehr positiv eingestellt war. Dies ist auf andere Positionen in anderen innerstaatlichen Angelegenheiten zurückzuführen, welche nichts mit der Flüchtlingskrise zu tun haben und seinen Ruf als prinzipientreuer, überparteilicher Politiker festigten.
  3. Die Zustimmungswerte von Premierminster Butkevičius sind ungefähr gleich geblieben, obwohl er ebenfalls seine Meinung zu den Flüchtlingen geändert hat.
Daher kann argumentiert werden, dass die Flüchtlingskrise von den meisten Bürgern Litauens nicht als Priorität wahrgenommen wird, da sie es immer noch als weit entferntes Problem ansehen, das nur einen bescheidenen direkten Einfluss auf Litauen haben wird: 1.100 Flüchtlinge werden auf mindestens 12 Gemeinden aufgeteilt, die sich freiwillig bereit erklärt haben diese Menschen aufzunehmen. Obwohl die Zustimmungsraten der Präsidentin leicht fielen, verbleiben sie trotzdem auf hohem Niveau. Das Absinken kann mit der Flüchtlingskrise in Zusammenhang gebracht werden, aber auch mit der Tatsache, dass es die Präsidentin, anders als in anderen Fällen, nicht geschafft hat, erfolgreich Führungsstärkte zu beweisen.

Die öffentliche Wahrnehmung

Den Umfragen der Regierung vom September zufolge, akzeptieren 51 Prozent der litauischen Bevölkerung die aktuellen Umverteilungspläne der EU, während jeder Vierte dagegen ist. Des Weiteren haben die Umfragen gezeigt, dass 29 Prozent der Litauer bereit wären den Flüchtlingen in Litauen persönlich zu helfen, 18 Prozent sagten, dass sie versuchen würden Toleranz gegenüber den Flüchtlingen in der Gesellschaft zu fördern, während 12 Prozent bereit wären Geld zu spenden. Trotzdem lehnte es fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) ab, finanzielle Unterstützung für Flüchtlinge zu leisten oder Freiwilligenarbeit zu leisten, um den Flüchtlingen zu helfen.

Das jüngste Eurobarometer hingegen zeichnet ein anderes Bild: 70 Prozent der litauischen Bevölkerung zeigten sich demnach zurückhaltend gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen aus Nicht-EU-Ländern, während nur 23 Prozent diese willkommen hießen. Der EU-Durchschnitt bei dieser Frage lag bei 34 Prozent, während 56 Prozent dagegen waren. Auf der anderen Seite ist die litauische Bevölkerung den Bürgern aus anderen EU-Ländern gegenüber offener: 58 Prozent der Litauer unterstützten demnach eine solche Immigration, während 37 Prozent dagegen waren. Nur ungefähr jeder Achte Litauer dachte im Frühjahr, dass Zuwanderung eine der politischen Prioritäten des Landes darstelle.

Wichtige Themen

Eine der meistdebattierten Fragen ist die Bereitschaft des Landes Flüchtlinge willkommen zu heißen. Der „Migrant Integration Policy Index 2015” sieht Litauen auf Platz 34 von 38 Ländern in Bezug auf die Integrationsbereitschaft von Immigranten. Bei steigender Zuwanderung könnten Schulen, Krankenhäuser, Arbeitsämter und lokale Gemeinden eine stärker auf sie zugeschnittene Unterstützung benötigen, um alle Immigranten gleichermaßen unterstützen zu können und von ihren Fähigkeiten zu profitieren. Daher sollte Litauen sowohl die Mobilität der eingewanderten Arbeiter in den Arbeitsmarkt ebenso erhöhen, wie die Familienzusammenführung für Nicht-EU-Bürger – speziell für Migranten mit niedrigem Bildungsstand. Des Weiteren mangelt es Litauen überall im Land an Strukturen, um neue Schüler willkommen zu heißen.

Ein weiteres Thema sind die Finanzen, weil der Medienberichterstattung nach jeder Flüchtling rund 600 Euro für seine monatlichen Ausgaben bekäme, was nur wenig unter dem Durchschnittseinkommen in Litauen von 700 Euro läge. Die Kontroverse beruhigte sich ein wenig nachdem die EU bestätigte, dass sie die Integration von Flüchtlingen finanziell unterstützen will.

Übersetzung: Janine Kossack, Christian E. Rieck

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Berlin Deutschland